Nach Audimax-Besetzung an der Uni Leipzig: Polizei leitet mehr als 30 Strafverfahren ein

Im Zusammenhang mit der Räumung der Universität Leipzig hat die Polizei mehr als 30 Strafverfahren eingeleitet. Gegen 13 Besetzer des Audimax wird wegen Hausfriedensbruchs ermittelt.

Nach der Besetzung an der Universität Leipzig durch propalästinensische Gruppen hat die Leipziger Polizei mehr als 30 Strafverfahren eingeleitet. Demnach sei der Audimax der Hochschule zum Zeitpunkt der Räumung von 13 Personen zwischen 19 und 34 Jahren besetzt gewesen. Laut Polizei hatten die Besetzer die Zugangstüren von innen mit Kabelbindern verschlossen. Außerdem wurden die vier Zugänge von gut 30 Personen blockiert.

Den Angaben zufolge hatte die Hochschulleitung die Polizei bereits gegen 15.30 Uhr informiert und die Räumung beschlossen. Im Anschluss wurden die 13 Besetzer zur Polizeidirektion gebracht und ihre Personalien aufgenommen. Danach wurden sie wieder entlassen, hieß es.

Widerstand gegen die Polizei bei Uni-Räumung in Leipzig

Gegen sie werde nun wegen des Verdachts des Hausfriedensbruchs ermittelt. Zudem seien weitere Strafverfahren eingeleitet worden. Dabei geht es um mehr als ein Dutzend Personen, die Widerstand gegen die Polizei geleistet haben sollen. Ein Beamter soll durch Tritte verletzt worden sein, blieb den Angaben zufolge aber weiter dienstfähig. Im Umfeld und auf dem Gelände der Universität wurden zudem mehrere Grafitti entdeckt, die zu Anzeigen wegen Sachbeschädigung führten.

Die Räumung wurde gegen 23 Uhr beendet und die Gebäude der Universität verschlossen. Im Anschluss meldeten Teilnehmer der Besetzung zwei Versammlungen an. Eine endete gegen 23.30 Uhr im Bereich der Universitätsstraße. Die andere fand bis 2.30 Uhr in der Dimitroffstraße statt. Beide Veranstaltungen verliefen aus Sicht der Polizei friedlich und ohne Vorkommnisse.


Kevin Santy 08.05.2024

„Tiefe Spaltung“: Die Stimmung an der Uni Leipzig nach der Audimax-Besetzung

Nach der Besetzung der Universität Leipzig durch pro-palästinensische Aktivisten am Dienstag zeigen sich Studierende aufgewühlt. Manche sind schockiert. Andere fühlen sich sicherer.

Die Demo hat die tiefe Spaltung der Uni gezeigt“, resümiert die 20-jährige Studentin Lydia Tschepe-Wiesinger die Ereignisse vor dem Audimax der Universität Leipzig am Dienstagnachmittag. Sie hatte gerade ein Seminar in einem der oberen Stockwerke, als vermummte Demonstranten den Campus besetzen, die Türen des Audimax verbarrikadierten, Sitzblockaden bildeten und Zelte aufbauten.

Pro-palästinensische Aktivisten hatten ein Protestcamp errichtet. Wenige Stunden später wurde es von der Polizei geräumt. Zurück bleiben Parolen wie „Free Ghaza now“, in Kreide auf Boden und Wände geschrieben. Immer wieder hält jemand an, um die quer über den Innenhof ausgebreiteten Botschaften zu lesen. Nur einzelne Sprüche wurden verwischt, der Großteil der Kreideletter ist unberührt geblieben. Sicherheitskräfte patrouillieren vor dem Audimax, in dem bis zum Ende der Woche keine Vorlesungen mehr stattfinden. Aufgestockt wurde die Security an der Uni nicht, so ein Sprecher der Institution.

Besetzung an Uni Leizig: Nach dem Seminar war alles voller Polizei

„Unser Dozent schloss das Fenster“, beschreibt Tschepe-Wiesinger den Moment, als die Aktion startete. Sie hatte gehört, dass andere Dozenten ihre Seminare in diesem Moment pausierten und ihre Studierenden fragten, ob Redebedarf bestünde. Ihr Dozent hingegen nicht. „Er hatte ein striktes Programm“, erzählt Lydia Tschepe-Wiesinger.

Dennoch habe die Besetzung sie nicht kalt gelassen. Nach dem Seminar sei plötzlich alles voller Polizei gewesen und satt pro-palästinensischer Aktivisten hätten Personen mit ausgebreiteten Israel-Flaggen auf dem Campus gestanden. Bedrohlich sei die Situation nicht gewesen – aber emotional. Plötzlich sei der Konflikt zwischen pro-palästinensischen und pro-israelischen Stimmen ganz nah gewesen.

„Die Universität Leipzig ist ein sehr politischer Ort“, sagt Lydia Tschepe-Wiesinger. Sie selbst studiert Politikwissenschaften und engagiert sich bei „Students for Future“. Besonders sichtbar werde der Konflikt unter anderem auf den Kabinentüren der Universitätstoiletten. Mit Schmierereien diskutieren Studierende das Thema energisch aus.

Universität Leipzig: „Das war kein militantes Camp“

„Viele, die sich an der Diskussion beteiligten, haben gar keine Ahnung von dem Thema“, sagt Antri Kasapi. Die 29-jährige Zypriotin studiert Biologie in Leipzig und hat aus den Medien von der Uni-Besetzung erfahren. Sie sei überrascht, dass am Folgetag nach der Aktion nichts weiter passiert ist. „Ich musste erstmal überlegen, wohin geh ich zum Lernen?“ Vor Ort habe sie schnell festegestellt, dass alles wie immer war. Sie kenne die Thematik gut aus Zypern. Dort sei das Thema riesig, schließlich sei die Entfernung zu Israel und Palästina gering. Das und die hohe Polizeipräsenz dort mache den polarisierten Konflikt spürbarer.

In Leipzig, wo sie seit anderthalb Jahren wohnt, habe sie schon gemerkt, dass die studentische Szene sehr links geprägt sei. Alles in allem findet sie, dass der Austausch an der Uni sehr frei sei. Eine andauernde Gewalteskalation befürchtet sie nicht. „Das am Dienstag war auch kein militantes Camp.“

Manch andere Studierende zeigen sich schockiert: Vor dem Audimax unterhalten sich zwei Jura-Studentinnen. Ihre Vorlesung ist ausgefallen, da der Veranstaltungsort Audimax für die restliche Woche geschlossen bleibt. „Dass eine Uni einfach so besetzt werden kann…“, mache sie fassungslos sagt Josephin Güthner. Die 20-jährige Stuttgarterin erfuhr über eine WhatsApp-Gruppe von Jura-Studierenden von der Demo. Ein Screenshot von der Rundmail der Universitätsleitung wurde in die Gruppe gestellt. Darin stand auch, dass der Saal geräumt werden soll. Sie sei sehr froh, sagt Josephin Güthner, dass sie während der Aktion nicht an der Uni war.

Pro-palästinensische Stimmen an Uni Leipzig nicht allein

Hätte Yasar Rasheed rechtzeitig von der Aktion gehört, hätte er gerne teilgenommen. „Ich fühle mich jetzt deutlich sicherer“, sagt der 32-Jährige. Er beschäftige sich viel mit dem Nahost-Konflikt und hatte nicht den Eindruck, seine Meinung frei äußern zu können. Pro-palästinensische Äußerungen würden oft aus dem Diskurs ausgegrenzt. Die Demo habe ihm gezeigt, dass er nicht allein sei. Ein freier Austausch bestehe nicht. Beschäftigt habe ihn vor allem die Reaktion der Universitätsleitung auf die Protestaktion.

„Wir haben uns um 15.30 Uhr für eine Räumung entschieden und die Polizei verständigt.“, hieß es in der Rundmail an alle Studierenden. Eine solche Räumung durch die Polizei habe es bei de Aktionen der Letzten Generation nicht gegeben, beklagt Rasheed. Warum diese Aktion am Dienstag so schnell aufgelöst werden musste, verstehe er nicht. Im Mai 2022 hatten Aktivisten der Letzten Generation das Audimax drei Tage lang besetzt, bis sie die Aktion selbstständig beendeten.


fku und mpu 07.05.2024

Propalästinensische Gruppen besetzen Uni Leipzig – Polizei löst Aktion gewaltsam auf

Am Dienstag ist der Campus der Universität Leipzig von mehreren Gruppen besetzt worden, die zum propalästinensischen Spektrum gerechnet werden. Die Uni-Leitung reagierte mit Strafanzeigen und rief die Polizei zur Räumung.

Die Universität Leipzig ist am Dienstag von propalästinensischen Gruppen besetzt worden. Wie Sprecher Carsten Heckmann erklärte, beteiligten sich etwa 50 bis 60 Personen an den Aktionen im Gebäude und auf dem Innenhof. „Die zu einem großen Teil vermummten Besetzer erklärten, auf dem Campus für Palästina zu kämpfen, verbarrikadierten die Audimax-Türen von innen, versperrten von außen den Zugang durch Sitzblockaden und errichteten Zelte auf dem Innenhof.“

Die Lage zeigte sich vor Ort immer wieder angespannt, es gab Handgreiflichkeiten mit Studierenden der Hochschule, Türen wurden mit Mülltonnen verbarrikadiert und mit Absperrband verschlossen. Infolge der Besetzung kamen auch Personen mit israelischen Fahnen zum Gelände in der Innenstadt.

Uni Leipzig beauftragt Audimax-Räumung – Polizei greift am Abend ein

Bereits gegen 15.30 Uhr habe die Hochschulleitung die Räumung beschlossen und die Polizei verständigt, so der Uni-Sprecher. „Eine gewaltsame Störung des Lehrbetriebs und Inbesitznahme universitärer Räumlichkeiten dulden wir nicht. Es war Gefahr im Verzug für die Sicherheit aller Studierenden und Lehrenden. Die Entscheidung zur Räumung war unumgänglich“, erklärte Hochschul-Rektorin Eva Inés Obergfell. Der Lehrbetrieb im Audimax sei für den Rest der Woche ausgesetzt.

Die Uni Leipzig habe zudem Strafanzeige gegen die Besetzerinnen und Besetzer gestellt. „Proteste und Demonstrationen sind grundsätzlich legitim, solange sie das Ziel der Information und Verständigung verfolgen. Eine Gefährdung Unbeteiligter und eine Eskalation sind hingegen keine akzeptable Form freiheitlicher Auseinandersetzung“, so Obergfell weiter.

Am Abend begann die Polizei dann mit der Räumung. Vor dem verbarrikadierten Audimax seien etwa 50 Unterstützer festgestellt worden, die nach Aufforderung zum Teil selbst ihre Posten verließen, hieß es. Andere wurden weggetragen. Im verbarrikadierten Gebäude seien 13 Besetzerinnen und Besetzer angetroffen worden. Diese Personen hätten sich geweigert, freiwillig zu gehen. Die Polizei setze Zwang ein, trug sie nach und nach aus dem Gebäude.

Insgesamt waren 150 Einsatzkräfte der Leipziger Polizei, der sächsischen Bereitschaftspolizei und der Bundespolizei im Einsatz. Gegen die Besetzerinnen und Besetzer des Hörsaals sei ein Strafverfahren wegen Hausfriedensbruch eröffnet worden, teilte die Behörde am Abend mit. Gegen 20.30 Uhr wurde das Audimax vollständig durch die Polizei geräumt. Bisher sei niemand fest- oder in Gewahrrsam genommen worden, hieß es.

Gruppe stellt Forderungen an Universität Leipzig

In sozialen Netzwerken bekannte sich eine Intitiative mit dem Namen „Palestine Campus“ zur Besetzung der Uni Leipzig. Sie veröffentlichte ein Foto, auf dem ein Transparent mit Bezug zum Gaza-Konflikt sowie vermummte Personen zu erkennen sind. In einer Mitteilung wurde der Einsatz israelischer Truppen kritisiert. „Wir haben die Initiative heute gegründet als Reaktion auf den Beginn der Bodenoffensive in Rafah. Wir fordern von der Universität, dass alle Beziehungen und kooperative Forschungsprojekte mit Israel offengelegt werden“, so Sprecher Marius Schneider. Die Gruppe forderte einen Abbruch der Beziehungen zu isralischen Einrichtungen, auch dass die Hochschulleitung in ihrem Sinne öffentlich Stellung zum Gaza-Konflikt beziehe und die Definition von Antisemitismus an der Uni abgeändert werde.

Laut Augenzeugen beteiligten sich neben Palestine Campus weitere Initiativen an der Besetzung – darunter auch Handala Leipzig. Diese Gruppe organisiert seit Monaten antiisraelische Proteste in der Messestadt, auf denen Teilnehmende immer wieder mit antisemitischen Aussagen auffallen und ein Ende des Staates Israel gefordert wird.

KSS fordert: Rektorat soll antisemitische Besetzung beenden

Die Konferenz der Sächsischen Studierendenschaften (KSS) hatte die Hochschulleitung am Dienstag aufgerufen, schnell zu handeln. „Aktuell ist die Sicherheit von jüdischen und israelischen Studierenden und Mitarbeitenden akut gefährdet. Die Sicherheit jüdischer Menschen ist unverhandelbar“, so Sprecher Paul Steinbrecher. Sachsens Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow (CDU) unterstützte die Entscheidung der Uni, das Gelände räumen zu lassen. „Eine gewaltsame Besetzung von Hochschulräumen gefährdet die Sicherheit aller Hochschulangehörigen. Hier werden die Grenzen einer kritischen Auseinandersetzung im Rahmen des demokratischen Diskurses weit überschritten und lassen nur eine entschlossene Reaktion des Rechtsstaates zu.“

Auch die Juso-Hochschulgruppe verurteilte am Dienstag die Besetzung. „Wir dürfen nicht zulassen, dass autoritäre und stalinistische Gruppen ihre Agenda an unserer Universität durchsetzen und dabei antisemitische Rhetorik verwenden“, so Sprecher Nils Neubert. Keine Form von Antisemitismus habe Platz an der Leipziger Hochschule. Die FDP Sachsen fordert schnelle Konsequenzen für die Beteiligten. „Sollte es sich um Studenten handeln, muss die Universität die Exmatrikulation der Besetzer prüfen. Solche Aktionen disqualifizieren für das akademische Leben und den wissenschaftlichen Diskurs”, so Sprecher Thomas Kunz.

Ähnliche Aktionen in den USA und der FU Berlin

Seit Monaten laufen ähnliche Aktionen bereits an Hochschulen in den USA – wo jüdischen und israelischen Studierenden seither der Zutritt verwehrt wird. Zum Teil wurden die Besetzungen von der Polizei geräumt. Auch an der Freien Universität (FU) in Berlin gibt es ähnliche Aktionen wie in Leipzig. Etwa 150 Personen besetzten dort am Dienstag den Innenhof, die Hochschulleitung ließ den Lehrbetrieb weitgehend einstellen. Am Abend griff die Polizei ein und räumte den Campus.

Die Besetzer behaupten, der Staat Israel begehe beim Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen einen Völkermord an den Palästinensern. Die Verwendung des Begriffs ist allerdings umstritten, weil Belege dafür fehlen. Was die Protestierenden auch verschweigen: Am 7. Oktober 2023 war Israel aus Gaza von der Terrororganisation Hamas angegriffen worden. Tausende israelische Zivilisten wurden massakriert und Hunderte nach Gaza verschleppt. Bis heute weigert sich die Hamas, die Geiseln freizugeben.

In Folge des Hamas-Terrorangriffs vom 7. Oktober auf Israel begann die israelische Armee einen militärischen Einsatz in Gaza mit dem Ziel, alle Hamas-Kämpfer zu finden. Bei dieser Militäraktion wurden inzwischen große Teile des Gebietes zerstört und auch viele Zivilisten getötet. Der überwiegende Teil der Bevölkerung Gazas ist in den Süden geflüchtet und lebt dort unter prekären Bedingungen in Flüchtlingslagern. Die israelische Armee hat angekündigt, nun auch dort operieren zu wollen und forderte die Geflüchteten auf, in vorbereitete Flüchtlingslager umzuziehen.


Felix Huesmann und Sebastian Moll
08.05.2024

Für Intifada und Revolution: Anti-Israel-Aktivisten machen Unis zu Bühnen ihres Protests

Nach den Demos amerikanischer Studierender in New York formieren sich nun auch an deutschen Universitäten Proteste von propalästinensischen und israelfeindlichen Aktivisten. In Berlin wurde ein Protestcamp von der Polizei geräumt. „Diese Form des Protests ist nicht auf Dialog ausgerichtet“, sagt der Universitätspräsident.

Die jungen Menschen, die am Dienstag vergangener Woche kurz vor Mitternacht auf einem Bordstein in Harlem stehen, sind sichtbar aufgerüttelt. Eine Frau, höchstens Mitte 20, die ein Palästinensertuch über dem Mund trägt, zittert am ganzen Leib, und wenn sie anfängt zu sprechen, überschlägt sich ihre Stimme. Ihre Begleiterin tippelt daneben von einem Fuß auf den anderen und zieht nervös an einer Zigarette.

Nur wenige Meter von ihnen entfernt hat sich auf der Amsterdam Avenue eine Hundertschaft an Polizisten aufgebaut, sie tragen kugelsichere Westen und Helme und halten sich martialisch Schlagstöcke vor die Brust. Seit drei Stunden stehen sie nun schon hier am Eingang des City College der öffentlichen New Yorker Universität. Scheinbar wahllos verhaften sie seither Studentinnen und Studenten, teilweise mit rabiater Gewalt, und setzen sie in wartende Gefängnisbusse.

Am Nachmittag hatte die Universitätsleitung im Konzert mit der kaum zwei Kilometer entfernten Columbia University die Polizei gerufen, um die Studentenproteste gegen den Gazakrieg einzudämmen. Die Zeltlager an beiden Universitäten wurden geräumt, die Polizisten drangen über einen Kran in den zweiten Stock der Hamilton Hall von Columbia ein, um die Demonstranten abzuführen, die an jenem Nachmittag das Veranstaltungsgebäude besetzt hatten.

„Sie sind von beiden Seiten auf uns zugekommen“, erzählt eine der Studentinnen, die ihre Identität nicht preisgeben möchte. „Die Polizisten haben uns von hinten in die Polizisten vor uns gedrängt, damit es so aussah, als wären wir die Provokateure gewesen“, sagt sie, mit den Tränen kämpfend. Ihre Mitstreiterin liefert dazu gleich eine vielsagende Analyse. „Es ist genau wie in Gaza“, schreit sie in die Nacht. „Sie schicken uns eine Armee, die uns brutalisiert, obwohl wir hier nur friedlich unsere Rechte ausüben. Es sind genau dieselben Kräfte der Unterdrückung.“

„Sie sind eine Zionistin“, schreit ein junger Mann

Drei Tage später in Berlin. Auch an mehreren Hauptstadtuniversitäten finden seit Monaten immer wieder Proteste von propalästinensischen und israelfeindlichen Aktivisten statt. An diesem Freitag haben sie den Campus der Humboldt-Universität am Boulevard Unter den Linden in Berlin Mitte zu ihrer Bühne auserkoren. Gut drei Dutzend junge Männer und Frauen setzen sich am frühen Nachmittag vor das Universitätsgebäude. Viele tragen Palästinensertücher um den Kopf, einige haben sich zusätzlich mit Mundschutzmasken vermummt.

Unipräsidentin Julia von Blumenthal versucht, mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Sit-ins ins Gespräch zu kommen. „Wir können uns gerne in einem Hörsaal treffen“, sagt sie durch ein Megafon. Doch die Aktivisten haben an einem solchen Dialog erkennbar kein Interesse: „Sie sind eine Zionistin“, schreit ihr ein junger Mann entgegen. Der unangemeldete Protest auf dem Unigelände wird schließlich von der Polizei aufgelöst, ein Teil der Demonstranten lässt sich von den Beamten wegtragen. Denen schlägt eine feindselige Stimmung entgegen: „Ganz Berlin hasst die Polizei“ rufen die Aktivisten im Chor. Auch in New York hatten sich Demonstranten gegen die Polizei gewandt. Dort riefen sie etwa „Oink oink, Schweinchen, Schweinchen, wir machen euch das Leben zur Hölle“.

In Berlin richtete sich die Aggression auch gegen die Medien. „Deutsche Medien lügen, hetzen und betrügen“, singen die Demonstranten. Immer wieder bedrängen sie Journalisten, verdecken Kameras mit Schildern und Tüchern und versuchen, die Medienvertreter an ihrer Arbeit zu hindern. Das ist kein Einzelfall: Die Organisation Reporter ohne Grenzen registriert seit dem Beginn des Kriegs in Gaza vermehrt Übergriffe auf Journalisten bei propalästinensischen Demonstrationen in Deutschland.

Auch verbotene Parolen werden ausgegeben

Den Aktivistinnen und Aktivisten an den deutschen wie den US-amerikanischen Hochschulen geht es um viel mehr als den aktuellen Krieg. In Berlin rufen sie etwa zu „Intifada und Revolution“ auf. In beiden Ländern gehört auch die Parole „From the river to the sea – Palestine will be free“ zum festen Kanon der Protestslogans. Gemeint ist damit ein „freies Palästina“ vom Fluss Jordan bis ans Mittelmeer – das würde die Auslöschung Israels bedeuten. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat die Parole im vergangenen November zum Kennzeichen der seitdem verbotenen Organisationen Hamas und Samidoun erklärt – womit auch das Rufen des Slogans auf Demonstrationen verboten ist.

Die Demonstranten auf beiden Seiten des Atlantiks betrachten Israel als „kolonialen Apartheidsstaat“ und fordern nicht nur ein Ende des Kriegs gegen die Hamas, sondern einen vollständigen Boykott des Landes – auch durch akademische Institutionen.

Für eine Mehrheit der amerikanischen Linken war schon unmittelbar nach dem 7. Oktober klar, dass die von der US-Regierung unterstützte „Kolonialmacht“ Israel am Überfall durch die Hamas letztlich selbst schuld sei. Bei einer Kundgebung am Times Square am 8. Oktober trugen Angehörige der Demokratischen Sozialisten Amerikas, denen sich unter anderem prominente Demokraten wie Bernie Sanders und Alexandria Ocasio Cortez zurechnen, Schilder mit der Aufschrift „Dekolonisierung ist keine Metapher“ und „By all means necessary“ – mit allen notwendigen Mitteln –, ein Zitat des Bürgerrechtskämpfers Malcolm X, der im Zweifel Widerstand gegen Polizeigewalt gegen Afroamerikaner auch mit Waffengewalt befürwortete.

Jüdischen Studierenden wird der Zutritt verwehrt

In Deutschland ist die politische Linke in ihrer Einschätzung des Nahostkonflikts gespaltener als in den USA. Doch die antiisraelischen Teile insbesondere der radikalen Linken in Deutschland stehen ihrem amerikanischen Konterpart in nichts nach.

Das zeigt sich auch an mehreren Universitäten. Schon im Dezember 2023 besetzten Studierende, propalästinensische Aktivisten und Mitglieder linksradikaler und kommunistischer Gruppen einen Hörsaal der Freien Universität Berlin. Jüdische Studierende beklagten, die Besetzer hätten ihnen den Zutritt zu dem Hörsaal verweigert, es kam zu körperlichen Auseinandersetzungen. Im Februar wurde ein jüdischer Student der Universität, der sich gegen diese Proteste gewandt hatte, außerhalb des Campus von einem propalästinensischen Kommilitonen angegriffen und ins Krankenhaus geprügelt.

Jüdische Studierende beklagten mehrfach ein Gefühl der Unsicherheit. Auch an amerikanischen Universitäten hat sich das Klima durch die Proteste verändert. Maytal Polonetsky, eine Studentin der Columbia-University im ersten Semester, sagt, dass sie ihren Kettenanhänger in der Form des Staates Israel auf dem Campus mittlerweile lieber verstecke. Sie fühle sich zwar nie physisch bedroht. Aber die vergangenen Monate seien emotional extrem anstrengend gewesen.

Rebecca Massel, Reporterin für die Studentenzeitung „Columbia Spectator“, interviewte nach dem 7. Oktober insgesamt 54 jüdische Studierende. Das Ergebnis war erschreckend: 13 berichteten, sie seien belästigt oder attackiert worden, 34 sagten, sie fühlten sich auf dem Campus unsicher, zwölf sagten, sie würden, wie Maytal Polontsky, ihre jüdische Identität verstecken.

Auch jüdische Studierende protestieren mit

In den USA und in Deutschland nehmen auch jüdische Studierende und Aktivisten an den Protesten teil. In New York engagieren sich Tausende linke Jüdinnen und Juden in der Pro-Palästina-Bewegung, prominente Jüdinnen und Juden wie Bernie Sanders oder die Journalistin Masha Gessen haben sich mit Gaza solidarisiert. In Berlin sind es dagegen vor allem einzelne linksradikale Jüdinnen und Juden, die sich seit Jahren lautstark an Protesten gegen Israel beteiligen.

In Deutschland seien zwar noch keine Dimensionen wie in den USA erreicht, sagte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, in der vergangenen Woche der „Rheinischen Post“. Er beobachte jedoch „mit großer Sorge an den deutschen Hochschulen eine aggressive antiisraelische Stimmung, die auch antisemitisch motiviert ist“.

Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zeigt sich besorgt und fordert die zuständigen Wissenschaftsministerinnen und -minister auf, sich auf einen bundeseinheitlichen Präventionsplan zu verständigen. „Einheitliche Hausregeln, Strafantragsstellungen und Präventionsmaßnahmen müssen unverzüglich festgelegt sein“, sagte der GdP-Vorsitzende Jochen Kopelke dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Drohende Polizeieinsätze bergen das Risiko einer tiefgreifenden Spaltung innerhalb der Campusgemeinschaft und der Gesellschaft als Ganzes“, fügte er an.

An deutschen Unis werden Zeltlager errichtet

Während der Zenit der propalästinensischen Studierendenproteste und Campusbesetzungen in den USA zunächst überschritten scheint, dürften in Deutschland und Europa noch einige Protestaktionen bevorstehen.

An der Universität zu Köln gibt es bereits seit dem vergangenen Wochenende ein propalästinensisches Miniprotestcamp. Auch in Wien und an den britischen Eliteunis Oxford und Cambridge wurden in den letzten Tagen Zeltlager eingerichtet.

Und auch in Berlin geht es weiter: Auf dem Campus der Freien Universität Berlin starten einige Dutzend Aktivistinnen und Aktivisten an diesem Dienstagmorgen ein Protestcamp. In den USA haben die Leitungen mehrerer Universitäten lange mit dem richtigen Umgang mit solchen Campusbesetzungen gerungen. Lassen sie die propalästinensischen Aktivisten, die sich auf das Recht der freien Meinungsäußerung berufen, gewähren? Oder setzen sie ihr Hausrecht durch, um zu verhindern, dass sich unkontrollierbare Angsträume für jüdische Studierende entwickeln? Mehrere Universitäten ließen die Protestcamps schließlich von der Polizei räumen.

In Berlin fällt diese Entscheidung am Dienstag deutlich schneller. Schon kurz nach dem Beginn der Campusbesetzung verständigt die Freie Universität die Polizei und ordnet eine Räumung des Protestcamps an. „Diese Form des Protests ist nicht auf Dialog ausgerichtet“, sagt Universitätspräsident Günter Ziegler. „Jede Form von Boykott oder akademischem Boykott gegenüber Israel, wie hier gefordert, lehnt die Freie Universität entschieden ab.“ Eine Besetzung auf dem Gelände der Hochschule sei nicht akzeptabel. „Wir stehen für einen wissenschaftlichen Dialog zur Verfügung – aber nicht auf diese Weise“, stellt Ziegler klar.

Wenige Stunden später erklärt die Polizei die Protestveranstaltung offiziell für aufgelöst und beginnt damit, Demonstranten vom Campus zu führen. Am Nachmittag teilt die Berliner Polizei mit, dass alle Personen das Universitätsgelände freiwillig oder in Begleitung von Polizisten verlassen hätten. Vereinzelt nimmt die Polizei Personen wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung und des Hausfriedensbruchs fest.