„Revolution ist Alltagssache“ – Eindrücke von der syndikalistischen Demonstration am 01.05.
Bei bestem Wetter versammelten sich am ersten Mai engagierte Leute um unter dem Motto „Revolution ist Alltagssache“ den Kampftag der Arbeiter*innenklasse zu feiern. (https://leipzig.fau.org/%e2%9c%8arevolution-ist-alltagssache-%e2%9c%8a/) Bei der Startkundgebung am Richard-Wagner-Platz kamen nach und nach einige hundert Personen an, die in der Mitte der Demonstration am Hauptbahnhof sicherlich auf mindestens 1300 Teilnehmende anwuchsen und dann sich dann auf der Endkundgebung am Elsapark nach und nach verliefen.
Inhaltlich wurde eine Brücke vom Alltagserfahrungen und der Organisierung anhand der eigenen Lebensumstände und dem Umfeld hin zu einer sozial-revolutionären Perspektive geschlagen. Dazu wurden der Kapitalismus als ökonomisches Herrschaftsverhältnis, Lohnarbeit als erdrückendes Zwangsverhältnisses und die Klassengesellschaft als grundlegender Antagonismus zwischen Kapitalbesitzenden und -abhängigen benannt.
Die Organisator*innen grenzten sich von Mehrheitsgewerkschaften, politischen Parteien, autoritären K-Gruppen und linksliberaler Stellvertretungspolitik ab, um eine anarch@-syndikalistische Position zu beschreiben und zu beziehen. Autonome Gewerkschaften sollen sich demnach als Akteure in klassenkämpferischen sozialen Bewegungen verstehen, die auf dieser Grundlage auch Schnittpunkte mit anderen Themenfeldern suchen könnten. Ein weiterer Themenstrang bezog sich auf den um sich greifenden Autoritarismus, welcher aufgrund der Schwierigkeiten von Kapitalverwertung und bei der Aufrechterhaltung der Klassenverhältnisse, spürbar zunimmt.
Neben dem Allgemeinen Syndikat der Leipziger FAU sprachen die Gruppen Direct Support und die Plattform bei der Auftaktkundgebung. Im Elsapark wurde ein Grußwort der polnischen Schwester-Gewerkschaft IP verlesen und gab es Beiträge der FAU Erzgebirge und von Ackerilla. Mit letzterem wurde ein Open Mic eröffnet, bei welchem vier Personen auf weitere Veranstaltungen aufmerksam machten oder persönliche Erfahrungen in Alltagskämpfen teilten.
Insgesamt zeigten sich die Organisator*innen sehr zufrieden mit der Anzahl der Teilnehmenden, welche die Stärke des eigenen Milieus und das Bedürfnis am ersten Mai zu demonstrieren, für Leipzig belegt. Offensichtlich wurde der Schwerpunkt der Veranstaltung auf die Wertschätzung der eigenen – oftmals unsichtbaren und unbezahlten – Tätigkeiten gelegt, um diese in den Rahmen einer gemeinsamen Ideologie und Organisationsvorstellung einzubetten. Nicht nur inhaltlich, sondern auch von der Form und Ausrichtung her, konnte damit ein deutlicher Unterschied sowohl zur DGB-Kundgebung, als auch zur Versammlung der autoritären Kommunist*innen aufgezeigt werden. Insbesondere wurde die betont selbstbewusste und positive Ausstrahlung der anarch@-syndikalistischen Veranstaltung gelobt.
Mit der fadenscheinigen Begründung der „Unübersichtlichkeit“ wurde die gesamte Demonstration von der Polizei abgefilmt, obwohl sie explizit „bunt“ gehalten war und niemand der Anwesenden auch nur ansatzweise beabsichtigte, sich zu vermummen oder kriminalisierbaren Aktivitäten nachzugehen. – Die ab September in Kraft tretende Verschärfung des Polizeiaufgabengesetzes warf somit bereits seinen Vorschein auf die friedliche Demonstration.
Um die Wirkungsweise der Versammlung einzuschätzen, ist auf die beiden vorherigen Jahre zurück zu blicken: Am 01.05.2022 wurde – verknüpft mit den Anarchistischen Tagen – seit vielen Jahren wieder eine explizit anarchistische Demonstration im Leipziger Osten durchgeführt, an welcher bis zu 600 Personen teilnahmen, die einen sehr hohen Betreuungsschlüssel durch die bewaffnete Staatsmacht aufwies (https://www.planlos-leipzig.org/events/heraus-zum-anarchistischen-1-mai/). Das Bild war eher vom Stil des schwarzen Blocks geprägt, obwohl die Demonstration insgesamt nicht geschlossen auftrat. Inhaltlich wurden verschiedenste Beiträge eher lose zusammengewürfelt. Trotz einiger Handgreiflichkeiten und einem polizeilichen Stoppen der Demo am Anfang der Wurzener Straße, kam es zu keinen größeren Auseinandersetzungen. Dennoch schafften Bilder der Demo in die Berichte sächsischer Zeitungen zum ersten Mai.
Im letzten Jahr rief die Offene anarchistische Vernetzung schon am 30.04. zu einer Demo für den 6-Stunden-Tag auf (https://www.planlos-leipzig.org/events/demonstration-fuer-den-sechs-stunden-tag/). Damit versuchte die Gruppe, einen anschlussfähigen Debattenbeitrag zur Arbeitszeitverkürzung im anarchistischen Sinne zu liefern. Dieser Ansatz war sicherlich interessant, zog jedoch nicht mehr als 200 Teilnehmende an. Darüber hinaus gab es keine langfristigen Vorbereitungen von anarchistisch-antiautoritärer Seite für den ersten Mai. Stattdessen mobilisierte das Lager ebenfalls zum Südplatz, um an der Demonstration teilzunehmen, welche von internationalistischen Gruppen angeführt und vom „roten“ „sozialistischen“ Block dominiert werden sollte. Diese Rechnung ging nicht auf, insofern sich knapp zwei Drittel der Demo dahinter befanden, um sich teilweise im anarchistischen Klüngel zu bewegen und teilweise am Augustusplatz auszuscheren, um einer kleineren Ansammlung von Schwurbel-Nazis entgegen zu treten. Inhaltlich wurde ein Redebeitrag der A-Tage, sowie einer der Antifaschistische Aktion Leipzig zum linken Spektakel gehalten. Zudem gab es eine improvisierte moderative Begleitung im „antiautoritären Block“, der unter anderem auch klimabewegte Zusammenhänge ansprach.
Das Engagement für eine syndikalistische Demonstration ist somit einerseits vor dem Hintergrund der Bestrebungen, einen explizit anarchistischen Bezugspunkt zu schaffen, sowie zum anderen mit dem Wunsch nach einer eigenen FAU-Demo am ersten Mai zu verstehen. Die damit einhergehende Unentschiedenheit zwischen „anarchistischer“ und „syndikalistischer“ Ausrichtung konnte dabei nur bedingt aufgelöst werden. Von einem echten Bündnis verschiedener Gruppen im Vorfeld konnte jedenfalls nicht die Rede sein. Dies würde bedeuten, die Organisierung mit mehr Vorlauf und breiteren Diskussionsprozessen, auf eine gemeinsame Grundlage in Pluralität zu stellen.
Insgesamt stärkte die Demo sicherlich das eigene Lager – was auch die Voraussetzung dafür wäre, um sich an einer gemeinsamen linksradikalen Mai-Demonstration in den Folgejahre zu beteiligen. Ob dies erstrebenswert und strategisch sinnvoll ist, wird jedoch äußerst unterschiedlich gesehen. Aktuell ist festzustellen, dass sich die Konfliktlinien zwischen anarchistischer Strömung und K-Gruppen deutlich verhärtet haben. Dabei drängen letztere immer aggressiver in die Öffentlichkeit und versuchen verschiedenste Themengebiete für sich zu vereinnahmen (Kampagne gegen Polizeiaufgabengesetz, Hanau-Gedenken, Arbeitskämpfe, Nachbarschaftsorganisierung, Nahverkehr, Tierbefreiung etc.). Von daher ist es an anarchistischen und syndikalistischen Zusammenhängen, sich weiter von instrumentellen Politik-Logiken abzugrenzen und das Bewusstsein für autonome Selbstorganisation zu entwickeln.
Dennoch erschien die diesjährige Demo inhaltlich kohärenter und in ihren Absichten deutlich reflektierter, als die beiden der vorherigen Jahre. Schnittpunkte wurden insbesondere in Richtung solidarischer Landwirtschaft und offen auftretenden anarch@-kommunistischen Zusammenhängen hergestellt. Darüber hinaus wäre es ein Gewinn, stärker auf feministische und antirassistische Kämpfe einzugehen. Auch ökonomische Kämpfe sollten intersektional gedacht werden. Die Betonung der „Friedlichkeit“ und „Buntheit“ der Demo war zwar strategisch verständlich und ermöglichte somit vermutlich auch einige Personen die Teilnahme, welche sich von einer radikaler wirkenden Rhetorik abgeschreckt gefühlt hätten. Andererseits lag der militante Faktor in diesem Jahr deutlich beim autoritär-kommunistischen Spektrum, welches damit insbesondere auch jüngere Menschen besser anspricht. Wie bereits angedeutet, ist es jedoch die Qualität und Ausrichtung, auf welche in den Vordergrund gestellt werden sollte und durch die trotz des thematischen Fokus ebenfalls eine breitere Anschlussfähigkeit hergestellt werden kann.