Neue Datenbank – Seit 2011 gab es 50 Fälle von rechtsextremem Terror in Deutschland

Systematisch verzeichnet sind die Fälle von rechtsterroristischen Aktivitäten nicht. Die Organisation Cemas geht daher nun mit einer Datenbank online (https://report.cemas.io/terror/de) und sieht erheblichen Handlungsbedarf bei deutschen Behörden.

Seit der Selbstenttarnung des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) im Jahr 2011 gab es 29 gesichert rechtsterroristische Fälle, 21 Verdachtsfälle und neun vollendete Anschläge in Deutschland. Das hat die gemeinnützige Organisation Cemas (Center für Monitoring, Analyse und Strategie) dokumentiert und erstmals gesammelt aufbereitet.

Systematisch verzeichnet sind diese 50 Fälle nämlich nicht – zumindest nicht bei den deutschen Behörden. Cemas geht deswegen am Dienstag mit der »Datenbank zum Rechtsterrorismus in Deutschland seit dem NSU« online , wird die Fälle dort auflisten.

Die Organisation will auf der Website jahrelange interdisziplinäre Expertise zu den Themen Verschwörungsideologien, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus bereitstellen. Außerdem gibt sie dort Handlungsempfehlungen für Politik, Medien und Zivilgesellschaft. Miro Dittrich, Rechtsextremismusforscher bei Cemas, sagte dem SPIEGEL: »Rechtsterrorismus wird in Deutschland oft auf Halle und Hanau reduziert, dabei ist die Gefahr sehr viel größer«.

In der Datenbank findet sich etwa der Fall Nino K. Der Rechtsextremist wurde 2018 in Sachsen zu neun Jahren und acht Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, unter anderem wegen versuchten Mordes. Im September 2016 hatte er einen Anschlag auf die Fatih Camii Moschee in Dresden verübt. Dort war eine mit Metallsplittern gefüllte Bombe explodiert, die K. vor der Wohnungstür des Imams und dessen Familie deponiert hatte. Danach zündete er einen zweiten Sprengsatz auf dem Dach des Kongresszentrums in Dresden.

Dem »harten Pegida-Kern zugehörig«

Festgenommen wurde K. erst drei Monate später, Ermittler fanden weitere Sprengsätze und Materialien zum Bau von ebendiesen: Er hatte weitere Taten geplant. Nach Erkenntnis des Gerichts fühlte sich K. dem »harten Pegida-Kern zugehörig« und radikalisierte sich vor seinen Taten massiv. Schon in einer Rede bei einer Pegida-Veranstaltung 2015 war demnach seine demokratie- und Islam-verachtende Einstellung erkennbar. In der Pegida-Szene suchte K. Mitstreiter für seine Taten, vergeblich.

In der gegenwärtigen Entwicklung des Rechtsterrorismus spielt die Vernetzung Cemas zufolge eine große Rolle. Messengerdienste, soziale Medien oder Onlinecommunitys haben in den vergangenen Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen, so die Forschenden.

So lassen sich allein seit 2016 unter den 38 Fällen rechtsterroristischer Anschläge und Anschlagsplanungen neun Fälle feststellen, in denen sich die Radikalisierung bis hin zu Tatentschlüssen in besonderem Ausmaß auf Onlinevernetzungen zurückführen lassen. Die Täter waren Teil von Chatgruppen und Onlinecommunitys, die einander ideologisch bestärkt und ein Gefühl von Verbundenheit über den gegenseitigen Austausch geschaffen haben. »Spätestens der antisemitische Anschlag von Halle im Jahr 2019 veranschaulichte die tödliche Konsequenz dieser Vernetzung«, heißt es in dem Report.

Schwere staatsgefährdende Gewalttat

Online vernetzt war auch Tim F., über Telegram-Gruppen. 2023 wurde er in Hessen unter anderem wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu einer Haftstrafe von sieben Jahren verurteilt. Bei dem Bundeswehrsoldaten wurde ein Waffenarsenal bestehend aus Dutzenden Schusswaffen, darunter halb automatische Pistolen, Granaten, Sprengstoff, Zünder sowie großen Mengen Munition gefunden. Auch ein rassistisches und antisemitisches Pamphlet zur Frage des »Bürgerkrieges gegen den Vernichtungskrieg der Juden« wurde bei den Durchsuchungen entdeckt.

Laut der Staatsanwaltschaft Frankfurt habe F. spätestens ab 2020 geplant, eine »Kampforganisation nach nationalsozialistischem Vorbild« aufzubauen, um »Deutschland und später die ganze Welt unter Einsatz von Waffen und Sprengmitteln zu erobern«. Sein jüngerer Bruder und sein Vater waren in die Pläne eingeweiht und unterstützten sie. Auch sie wurden verurteilt.

Dittrich warnt jedoch davor, nur auf solche Täter zu schauen, die ins Klischee passen: »Seit dem NSU sind rechtsterroristische Bestrebungen deutlich diverser geworden«. Es sei wichtig, die drei zentralen Strömungen besser zu verstehen. Die wesentlichen Strömungen, zwischen denen Cemas beziehungsweise die Wissenschaft unterscheidet, sind:

– Militanter Akzelerationismus
– Verschwörungsideologischer Souveränismus
– Vigilantischer Terrorismus

Anhänger des militanten Akzelerationismus sind überzeugt davon, dass westliche Demokratien demnächst zusammenbrechen – und hoffen, diesen durch gewalttätige Aktionen zu beschleunigen. Akteure dieser Strömung radikalisieren sich häufig online.

Unter verschwörungsideologischem Souveränismus wird der Glaube verstanden, wonach die gegenwärtige Gesellschaftsform das Ergebnis einer elitären Verschwörung ist. Diese soll abgeschafft werden, um eine vermeintlich fehlende Souveränität des Volkes beziehungsweise der einzelnen Anhänger (wieder-)herzustellen. Die »Reichsbürger« zählen zu dieser Strömung.

Der vigilantische Terrorismus zeichnet sich dadurch aus, dass sich innerhalb rechtsextremer Protestbewegungen radikalisiert wird und man glaubt, terroristische Anschläge seien dadurch legitimiert, dass sie im Sinne des »Volkswillens« seien.

Wissen der Justiz muss ausgebaut werden

Dittrich fordert die Behörden auf, sich »endlich einen richtigen Überblick« zu verschaffen. »Die Fälle sollten systematisiert erfasst werden – und zwar so, dass sich die Öffentlichkeit dann gut über sie informieren kann«, sagte er. All das würde helfen, um der deutlichen Zunahme rechtsterroristischer Aktivitäten entgegenzuwirken, ist er sich sicher.

In dem Report stellt Cemas mehrere Forderungen auf. In Ermittlungsbehörden und Justiz müsse das Wissen über rechtsterroristische Phänomene ausgebaut werden. Auch digitale Netzwerke müssten stärker in den Fokus von Ermittlungen rücken. Bisher würde zudem die ideologische Motivation und politische Komponente der Täter zu häufig in den Hintergrund gedrängt werden und eher auf die psychischen Erkrankungen geschaut. Dies sei nicht zielführend.

Außerdem fordern sie, dass rechtsextremes Protestgeschehen stärker in den Blick genommen wird, da sich gewaltbereite Einzelpersonen hier mit anderen vernetzen und bestärkt fühlen. Und es brauche dringend einen Fokus auf Männer, da Rechtsterrorismus nahezu ausschließlich von ihnen ausgeht. Vor allem junge Männer und Minderjährige müssten rechtzeitig von Präventions- und Aufklärungsangeboten erreicht werden. Schließlich stelle die Radikalisierung Minderjähriger eine immer größere Gefahr dar.

Einer von ihnen ist ein 16-Jähriger aus Augsburg. 2022 wurde er in Bayern wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Neben Anleitungen zum Bau von Bomben und Waffen sowie einem Magazin für eine Schusswaffe und Grundstoffen zum Herstellen eines Sprengsatzes beschlagnahmten die Ermittlungsbehörden etliche Beweise, die auf Anschlagsplanungen im Großraum Bayern hindeuteten. Auch zahlreiche NS-Devotionalien und kinderpornografische Inhalte wurden sichergestellt.

Die Datenbank und weitere Informationen von Cemas finden Sie ab Dienstag hier https://report.cemas.io/terror/de.

Anmerkung der Redaktion: In der vorliegenden Report-Fassung war von 48 Fällen die Rede. Seit Ende März, als der Report Druckschluss hatte, sind jedoch zwei weitere Fälle hinzugekommen. Wir haben dies entsprechend angepasst.