Unterschriften-Sammlung der Freien Sachsen: Sind Methoden in Roßwein rechtens?

Menschen in besonderen Lebenslagen sollen von den Freien Sachsen in Roßwein für Unterstützungsunterschriften zur Stadtrats- und Kreistagswahl angeworben worden sein. Ist das rechtens?

Die Freien Sachsen wollen zur Kreistagswahl und zu Stadtratswahlen im Landkreis Mittelsachsen Anfang Juni antreten. Weil die in Sachsen vom Landesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei bislang nicht im Kreistag und in Stadträten vertreten ist, muss sie Unterstützungsunterschriften sammeln, um zur Wahl zugelassen zu werden.

Vor dem Rathaus der Großen Kreisstadt Döbeln und auch im knapp 5000 Einwohner kleinen Roßwein gehen Mitglieder der Partei dabei gezielt auf Stimmenfang: Menschen werden angesprochen und ans Rathaus begleitet, in dem sie schließlich ihre Unterschrift im Hauptamt leisten können.

In Roßwein sollen Beobachtungen zufolge unter anderem Menschen zur Unterschrift animiert worden sein, die sich in besonderen Lebenslagen befinden, sehr alt oder beeinträchtigt sind und die Situation nicht komplett erfassen können. Eine entsprechende Aussage eines Augenzeugen liegt der LVZ vor. Auch eine junge Frau, die in den Werkstätten für Behinderte arbeitet, ist unter den Angesprochenen gewesen. In der Roßweiner Einrichtung der Döbelner Diakonie ist das bekannt.

Eine der Gruppenleiterinnen (Name der Redaktion bekannt) bestätigt, die Information erhalten zu haben. Die betreute junge Frau habe dann auch erklärt, warum sie mit den Werbenden auf dem Markt mitgegangen war und unterschrieben hatte: „Ich bin höflich und habe mich nicht getraut, Nein zu sagen.“

Seit der Wahlwerbe-Demonstration der Freien Sachsen Ende Februar auf dem Roßweiner Markt sprachen dort mehrmals in der Woche zwei bis drei Vertreter der Partei mit Flyern Menschen an. Auch Menschen in besonderen Lebenslagen. Zu beobachten war, dass die Angesprochenen den Flyer nicht behalten durften.

Sie wurden allerdings bis vor die Tür geleitet, um dann im Rathaus ihre Unterschrift leisten zu können. Ob das geschah, wurde abgefragt. Informationen von Beobachtern auf dem Markt zufolge sollen Personen, die unterschrieben haben, desinformiert gewirkt haben. Vielfach hätten sie nachgefragt, „wofür sie eine Unterschrift leisten und ob sie jetzt immer Werbung bekämen“.

Stefan Trautmann, früher NPD-Stadtrat in Döbeln, jetzt Aktivist bei den Freien Sachsen, bestätigt auf Nachfrage der LVZ, dass die Freien Sachsen sachsenweit derzeit um Unterstützungsunterschriften werben und dabei auch Passanten ansprechen, ob sie eine Unterschrift abgeben wollen.

„Diese Abgabe ist freiwillig, was auch ausdrücklich erklärt wird“, so Trautmann. Sofern es der Wunsch des Bürgers sei, werde ihm gezeigt, in welchem Raum im Rathaus die Unterschrift abgegeben werden kann. „Es ist nicht in unserem Interesse, Menschen anzusprechen, schon gar nicht gezielt, die eine geistige Behinderung haben, denn diese Unterschriften werden, wenn die betroffene Person unter Betreuung steht, nicht mitgezählt“, so Trautmann.

Darüber hinaus würden die Unterstützungsunterschriften gegenüber den Mitarbeitern der Stadtverwaltung, in einem separaten Raum abgegeben. Vertreter der Freien Sachsen seien dabei nicht anwesend. „Es ist daher überhaupt nicht möglich, Einfluss auf dessen Willensbekundung zu nehmen“, erklärt Trautmann.

Ob jemand im Landkreis und in den Städten und Gemeinden wahlberechtigt ist, prüft die jeweils zuständige Gemeindeverwaltung. Wahlberechtigt ist jeder Deutsche im Sinne des Artikel 116 des Grundgesetzes, der das 18. Lebensjahr vollendet hat. Jeder über 18-jährige Staatsangehörige eines anderen Mitgliedsstaates der Europäischen Union, der seit mindestens drei Monaten in der Gemeinde lebt, ist ebenso wahlberechtigt.

Das trifft seit einer Gesetzesänderung 2019 auch auf Menschen mit geistigen Einschränkungen zu, selbst wenn sie unter Vollbetreuung stehen. Vom Wahlrecht ausgeschlossen ist nur, wer infolge eines Richterspruchs das Wahlrecht nicht besitzt.

60 Unterstützungsunterschriften benötigt eine Partei, die noch nicht im Roßweiner Stadtparlament sitzt, um für die Stadtratswahl zugelassen zu werden. Die Listen liegen im Hauptamt, die Mitarbeiter dort sind zur Neutralität verpflichtet.

Roßweins Hauptamtsleiterin Michaela Neubert kennt Situationen, in denen Menschen unschlüssig sind. Aber: „Wir dürfen keine Werbung machen für irgendeine Partei“, sagt sie. Umgekehrt sind Mitarbeiter der Behörde auch nicht dazu berechtigt, vor Parteien zu warnen oder in irgendeiner Form inhaltlich auf die Unterschriftgeber einzuwirken. Michaela Neubert versucht im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen mit Aufklärung Brücken zu bauen.

Außerdem gibt es die Belehrungspflicht, einen in der Sächsischen Kommunalwahlordnung gesetzlich geregelten Kontrollmechanismus. Wer eine Unterschrift abgeben möchte, muss informiert werden, dass er für ein und dieselbe Wahl nur für einen Wahlvorschlag eine Unterstützungsunterschrift leisten darf, weil ansonsten alle seine Unterschriften ungültig sind. Und der Wahlberechtigte kann eine Unterschrift nicht zurücknehmen.

„Vor Unterschriftleistung ist der Unterschriftswillige angehalten, sich daher mit diesen Punkten gedanklich auseinanderzusetzen. Dies impliziert die Unterschriftsleistung als solche“, erklärt Peggy Hähnel, Pressereferentin des Landratsamtes Mittelsachsen. Der Kommunalaufsicht und dem Kreiswahlbüro seien Fälle wie der in Roßwein nicht angezeigt worden. Sollte durch die Gemeindebediensteten mögliches strafbares Verhalten der „Stimmenfänger“ bekannt werden, sind die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten, erklärt sie.

Aufklärung ist das, womit in den Roßweiner Werkstätten der Diakonie Döbeln reagiert wurde. 365 Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen arbeiten dort. „Die meisten unserer Mitarbeitenden fahren mit einem Fahrdienst ab Werkstatt und sind deshalb nicht allein im öffentlichen Raum unterwegs“, sagt Döbelns Diakonie-Chef Thomas Richter.

Aber es gibt eben auch andere. Die Gruppenleiter sind informiert und darum gebeten worden, ihre Schützlinge noch mal konkret aufzuklären. Grundsätzlich würden die betreuten Mitarbeitenden der Werkstätten immer darauf hingewiesen, „mit keinem Fremden mitzugehen“. Wahlberechtigt sind sie alle.