Demos für Demokratie sind nicht „linksextrem“: über einen rechten Kampfbegriff
Der ewige Verweis auf „Linksextreme“ bei den Massenkundgebungen gegen die AfD ist auch bei vielen Konservativen beliebt – aber populistischer Unfug. Ein Gastbeitrag.
Seit Wochen gehen in zahlreichen Städten Sachsens wie hier in Bautzen Menschen für die Demokratie und gegen die AfD auf die Straßen. Sie sind nicht „linksextrem“ sondern die Mitte der Gesellschaft.
Als immer mehr Menschen in Deutschland begannen, öffentlich gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren, verkündete der stellvertretende Ministerpräsident Bayerns Hubert Aiwanger Mitte Januar: „Die Demos gegen rechts sind vielfach von Linksextremisten unterwandert.“ Ministerpräsident Söder widersprach: „Die ganz große Mehrheit waren Bürgerliche, waren Vertreter der normalen Mitte der Gesellschaft.“ So uneins sich die bayerische Regierungsspitze auch über die Analyse zu sein scheint: Einig scheint man sich darin, dass die „normale Mitte“ demonstrieren soll.
Das sieht auch der hessische Innenminister Roman Poseck (CDU) so. Im Gespräch mit der Bild sagte er: „Wir dürfen uns nicht mit linksextremistischen Kräften gemein machen, das ist klar.“ Für die CDU in Mecklenburg-Vorpommern scheint es schon zu spät. Sie wolle sich nicht an den Demos gegen die AfD beteiligen, um nicht zusammen mit Linksextremisten auf der Straße zu stehen.
Viele Konservative wurden kalt erwischt von den Protesten
Viele konservative Politikerinnen und Politiker wurden kalt erwischt von den Protesten, den größten Massendemonstrationen der Nachkriegsgeschichte. Millionen gehen gegen die AfD auf die Straße, nachdem eine Correctiv-Recherche ein Geheimtreffen von AfD-Politikerinnen und -Politikern mit Neonazis aufdeckte. Mit der Formel, man wolle gleichzeitig gegen Rechts- wie Linksextremismus oder Extremismus überhaupt demonstrieren, versuchen die Konservativen nun die Deutungshoheit über die Proteste zu erringen.
Man hört die Beschwörung andauernd in ihren Reden: „Wir sind gegen jeden Extremismus.“ Die Demonstrationen werden vereinnahmt. Sie sollen sich natürlich weiterhin gegen die extreme Rechte, ein bisschen wohl aber auch gegen links richten. Die Denkschablone, die dahintersteht, ist das sogenannte Hufeisenmodell. Eine politische Mythologie so einflussreich wie irreführend.
Zur „Mitte möchten“ alle gerne gehören, auch die AfD
Das Hufeisenmodell besagt, dass die sogenannten Ränder des politischen Spektrums sich einander annähern würden – eben wie die Ausläufer eines Hufeisens. Diese Vorstellung ersetzt das klassische politische Kontinuum, auf dem die Ränder nicht weiter voneinander entfernt sein könnten und Schnittmengen zur Mitte darstellbarer sind.
Das Hufeisenmodell verdankt seine Popularität seiner Einfachheit, wie auch seiner beruhigenden Wirkung. Es schafft einen positiven Ort, von dem alles Schlechte abgespalten werden kann: die Mitte. Zur Mitte möchten praktisch alle gerne gehören. So ziemlich alle Parteien nehmen für sich in Anspruch, die Mitte zu repräsentieren und für die Mitte zu sprechen. Dabei lässt sich die Mitte kaum positiv bestimmen. Sie wird konstruiert, indem festgestellt wird, was alles nicht dazugehören darf, nämlich die „Extremismen“.
Schlechtes findet nicht nur an den Rändern statt
Dort wird alles Schlechte lokalisiert: Antisemitismus, Rassismus, Antiziganismus, LGBTQ-Feindlichkeit – all das soll an den extremen Rändern stattfinden, aber nicht in der guten Mitte. Diese Vorstellung ist trügerisch. Sie gibt ein Gefühl falscher Sicherheit. Denn die genannten Ideologien sind gesamtgesellschaftliche Phänomene, die in allen politischen Lagern auftauchen, wenn auch in unterschiedlicher Art und Weise.
Hubert Aiwanger stand vergangenes Jahr wegen antisemitischer Flugblätter in der Kritik, sein Chef hielt ihn dennoch weiter im Amt und signalisierte damit eine brutale Gleichgültigkeit. Nicht ohne Grund werden auf den Demos gegen die AfD auch immer wieder die Konservativen kritisiert. Ihre Strategie, den Rechten die Stimmen abzugreifen, indem man sich ihnen inhaltlich annähert, normalisiert die Ideologie.
Verharmlosung der Rechten und Dämonisierung der Linken
So gut wie jeder Vorstoß der AfD findet konservative Nachahmerinnen und Nachahmer. Stimmungsmache gegen Geflüchtete oder queere Menschen gehört mittlerweile auch zu ihrer Standardrhetorik. Die Extremismustheorie bedient eine Verharmlosung der Rechten bei gleichzeitiger Dämonisierung der Linken. Linke streiten – bei aller Heterogenität und Kritikwürdigkeit unterschiedlicher Strömungen – in der Regel für eine demokratische Gesellschaft, in der niemand mehr ausgebeutet oder entrechtet wird.
Den völkischen Rechten aber geht es um das Gegenteil. Sie wollen eine ethnisch homogene Gesellschaft, in der das Recht des Stärkeren herrscht. So wenig vergleichbar diese Ziele sind, so wenig ist es der Weg dahin: Faschisten ermorden politische Gegner und Menschen, die nicht in ihre rigide Gesellschaftsvorstellung passen.
Fachistische Morde schlimmer als brennende Mülltonnen
Sie schwelgen in Abschiebefantasien und prognostizieren wie der Vorsitzende der Thüringer AfD-Fraktion Björn Höcke, dass sie nach ihrer Machtergreifung „ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind mitzumachen.“ Anschläge wie in Hanau oder Halle sind die konsequente Umsetzung des Kerns ihrer Ideologie.
Wer das mit den Sitzblockaden der „Letzten Generation“, brennenden Mülleimern oder antifaschistischem Protest gegen Neonazis gleichsetzt, hat die politische Urteilskraft verloren. Die AfD nutzt diese Verwirrung sogar gezielt. In Bund und den Ländern versucht sie, mithilfe Kleiner Anfragen und anderer Mittel der Opposition die Förderstruktur demokratiebildender Einrichtungen anzugreifen.
Orte der Demokratiebildung sind nicht linksextrem
Gedenkstätten, Jugendräume, politische Bildung – die AfD ist ständig bemüht, diese Orte demokratischer Grundlagenarbeit als „linksextrem“ zu stigmatisieren und damit von der öffentlichen Förderung auszuschließen. Nicht nur im Alltagsverstand hält sich die Extremismustheorie trotz ihrer offenkundigen Unzulänglichkeit vehement. Auch in den Behörden bleibt sie wirkmächtig.
Extremismus ist kein Straftatbestand, aber ein administrativer Begriff, der sich tief in den Sicherheitsapparat eingeschrieben hat. Die Extremismusforschung ist ihr dabei behilflich. Häufig arbeiten Extremismusforscherinnen und -forscher eng mit den Behörden zusammen. Teilweise forschen Sie auch explizit „zum Gebrauch“ für die Behörden. Insbesondere der Verfassungsschutz operiert mit dem Extremismusbegriff. In seinen Berichten wird dem „Linksextremismus“ häufig ein ähnlicher Platz eingeräumt wie dem „Rechtsextremismus“.
Die Fixierung auf Extremismus treibt abstruse Blüten
Teilweise treibt die Fixierung auf Extremismus abstruse Blüten. So fiel es dem Verfassungsschutz notorisch schwer, die Querdenken-Proteste als völkische und verschwörungstheoretische Querfront zu begreifen. Deshalb wurden kurzerhand neue Extremismus-Kategorien aus dem Hut gezaubert, wie „Extremismus sui generis“. Schließlich einigte man sich auf „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“, womit der Verfassungsschutz nur wieder auf sich selbst verweist.
Üblicherweise ist für Behörden Dreh- und Angelpunkt des Extremismusverdachts die Freiheitlich Demokratische Grundordnung (FDGO). An Zustimmung oder Ablehnung wird festgemacht, ob jemand extremistisch ist oder nicht. Doch wer entscheidet überhaupt darüber, ob jemand im Sinne der FDGO handelt oder denkt?
Die Mitte schuldet ihnen Dank, keine Ausgrenzung
Die Grundordnung ist offen für zahllose Interpretationen. Doch unbenommen dieser Spielräume ignorieren Extremismustheoretikerinnen und -theoretiker auch, dass die bürgerlichen Grundrechte keineswegs auf Bäumen gewachsen sind. Sie wurden erkämpft, oft gegen den Widerstand der Staatsgewalt. Wer beispielsweise eine Abschiebung verhindert, begeht damit zivilen Ungehorsam. Hier werden Menschenrechte gegen eine repressive Asyl-Gesetzgebung geltend gemacht.
Was ist denen zu antworten, die vor „Linksextremistinnen und -extremisten“ auf den Demos gegen die AfD warnen? Es wäre ihnen entgegenzuhalten, dass die Linken nicht erst seit gestern gegen den Faschismus auf die Straße gehen. Während etliche Konservative und Rechtsliberale die Rhetorik der Rechten bedienen, um ihnen Stimmen abzugraben, haben linke, antifaschistische Gruppen sich der Faschisierung der Gesellschaft in den Weg gestellt. Ihnen verdankt sich auch das meiste Wissen über die Netzwerke und Strategien der radikalen und extremen Rechten. Die „normale Mitte“ schuldet ihnen Dank, keine Ausgrenzung.
Unser Gastautor Tom Uhlig ist politischer Referent in Frankfurt und gemeinsam mit Eva Berendsen und Katha Rhein Herausgeber des Bandes „Extrem unbrauchbar. Über Gleichsetzungen von links und rechts“ (Verbrecher Verlag,304 Seiten, 19 Euro).