Gründet Hausgruppen und Mieter*innengewerkschaften! – Ein Einwurf zur Feuerwerksdebatte
Disclaimer: Der Text wurde von einigen Menschen der OAV geschrieben und spiegelt nicht die Meinung der gesamten Gruppe wider.
Der Text sollte eigentlich anhand der Erfahrungen, die wir im letzten Jahr gemacht haben, erscheinen. Er ist aber gewissermaßen auch eine Antwort auf die Debatte um die Sinnhaftigkeit von Hausbesetzungen, welche durch die gescheitere Besetzung des Heliums entstanden ist. Im ersten Artikel „Schluss mit Feuerwerk-Politik – Warum Leipzig nicht besetzt werden kann“ wurde (zurecht) das ständige Scheitern von längerfristigen Hausbesetzungen durch „Leipzig Besetzen“ benannt. Als positives Gegenbeispiel wurde daraufhin die Kampagne „Vonovia enteignen“ aufgeführt.[1] Die Kritik an „Vonovia Enteignen“, welche die Mieter*innen-Bewegung 2019 ausgelöscht hat, wird treffend in dem Artikel „Bericht vom Massencornern zur Verteidigung der Feuer(wehr)politik vorm revolutionären Reformismus“ beschrieben. Der Text wiederlegt viele Falschdarstellungen der bürgerlichen Presse zu dem Abend und zeigt die Wichtigkeit der Zusammenkunft auf der Straße auf.[2] Die meisten der anderen kleineren Ungereimtheiten des Feuerwerk-Textes wurden dann im Artikel „the world is on fire“ akribisch widerlegt.[3] Eine interessente Idee zur Verschränkung von Militanz und Legalismus wurde durch den Artikel „Ein Einwurf aus Berlin zum „Feuerwehr“-Beitrag“ eingebracht, auch wenn dabei übersehen wurde, dass dieses Konzept von „Leipzig Besetzen“ seit 3 Jahren gefahren wird. Das Konzept ist aber an sich vielversprechend und quasi der Grundstein autonomer Politik der 80er, siehe bspw. die Verschränkung von friedlichem und militantem Aktivismus gegen AKWs. Das Erreichen von politischen Zielen durch Massenbewegungen in Verbindungen mit zivilem Ungehorsam und militanten Aktionen ist also grundsätzlich sinnvoll und möglich.[4]
Wozu nun dieser Text? Die Kritik an der Sinnlosigkeit von neuen Hausbesetzungen und dem Verfeuern von Menschen stimmt, auch wenn andererseits Riots vielen Spaß macht und neue Menschen politisiert. Dafür muss dann aber kein Haus besetzt werden. Wer Bock auf Riot hat, kann eine Sponti oder einen Angriff auf eine Bank oder die Cops planen. Die Alternatividee von „Verstaatlichungen“ ist wiederrum aber schlichtweg staatstreu und nicht umsetzbar, wie sich in Berlin gezeigt hat. Verstaatlichung ist nichts wofür sich Autonome, Anarchist*innen oder Rätekommunist*innen einsetzen sollten. Wie in der DDR gesehen wurde oder auch bei jetzigen staatlichen Projekten, erfolgt bei Verstaatlichung weiterhin keine Produktion oder Verwaltung anhand der Bedürfnisse der Menschen, sondern die Folge sind Misswirtschaft und Bürokratie (siehe den berühmten Berliner Flughafen oder den Wohnungsbau in der DDR). Daher sollen hier ein paar neue Ideen in die Debatte eingebracht werden, damit diese nicht im „Nein – Doch – Ohhh“ Kreis verbleibt.
Der Text soll wieder an die Ideen von Mietsstreiks, Kollektivierung und selbstbestimmter Mietverweigerung erinnern, welch insbesondere durch die autonome Bewegung in Italien der 1960er und 1970er erfolgreich von mehreren Millionen Menschen praktiziert wurden, aber auch schon vor dem zweiten Weltkrieg erfolgreich angewendet wurden.[5] Es geht darum wieder eine linke Perspektive auf die Wohnungsfrage abseits von Szene-Freiräumen und Kampagnenpolitik zu entwickeln, welche die meisten Menschen eh nicht ansprechen.[6] Der Text ist somit auch eine Fortsetzung der Diskussion um den Umgang von Anarchist*innen mit Vonovia und der Kampagne „Deutsche Wohnen enteignen“[7]. Inspiriert wurde der Text auch von dem Konzept der „Kiezkommune“ und der Stadtteilinitiativen, welche in mehreren Städten als Antwort auf die Wohnungsproblematik ausprobiert werden, soll diese aber auch kritisieren.[8]
Für eine neue Herangehensweise!
Wir müssen uns für unser jetziges Handeln erst einmal bewusstwerden, dass wir komplett isoliert sind und eine Sprache sprechen, die entweder akademisch und postmodern oder alt und phrasenreich ist, so dass diese von den meisten Menschen nicht ernst genommen wird. Wir treten ihnen gegenüber in der Regel als akademisch-arrogante Moralapostel mit einem Fetisch für Sprachhygiene auf oder wollen sie messianisch von einer 150 Jahre alten Lehre überzeugen, die sie schon in der Schule gelernt haben. Wir wissen nichts von den Sorgen und Nöten oder gar politischen Einstellungen der normalen Menschen, also der konkreten Menschen, welche um uns herum arbeiten, wohnen oder Bahn fahren. Genau deswegen werden wir ständig als „Szene“ bezeichnet. Wir müssen erst wieder lernen so zu reden wie die meisten Menschen und auch über das zu reden was die meisten Menschen interessiert. Wir können uns an der Stelle freuen, dass die Geschichte und Theorie unserer Bewegung uns dafür Werkzeuge an die Hand gegeben hat, denn auch vor 150 Jahren steckte die linke Bewegung noch in ihren Kinderschuhen und musste erst aus ihrer Nische herauskommen.
Ein einfaches Mittel, um den Kontakt zu den Massen aufzubauen, ein Selbstbewusstsein über deren Lage herzustellen und Themenschwerpunkte für revolutionäre Aktivitäten festzulegen war der „Fragebogen für Arbeiter“, der 1880 von Karl Marx herausgegeben wurde. In dem Fragebogen sollen die Arbeiter*innen selbstständig über ihre Löhne, Arbeitsplätze und Mietskasernen berichten.[9] Ein Konzept was übrigens auch die Autonomen in den 1960er in Italien als „Militante Untersuchungen“ wieder aufgegriffen haben.[10] Das Konzept hat auch Michael Bakunin als „Militante Erziehung“ propagiert, wenn es darum ging, wie Anarchist*innen in Kontakt mit den normalen Menschen kommen sollen. Die „Militante Erziehung“ sieht vor, dass anstatt über die „Große Theorie“ eher über die kleinen Probleme der Arbeiter*innen wie Löhne, Wohnungsbedingungen und Vorarbeiter*innen geredet wird. [11] Wir müssen also den Menschen nicht die Welt erklären oder Feindbilder heraufbeschwören, sondern sie einfach kennenlernen und mit ihnen über ihre alltäglichen Probleme reden. Wir können dadurch eine Politik machen, die direkt an den Interessen der Menschen ansetzt und Organisationsformen aufbauen die sinnvoll sind. Oder anders gesagt: Ja der Schwatz mit der Nachbarin im Treppenhaus ist politisch, genauso wie die Familie nebenan an einem Sonntag nach Eiern zu fragen.
Ein aktueller Ansatzpunkt ist, wie die die „Antifa Kritik und Klassenkampf“[12] und „Gruppe Kollektiv“[13] aus Bremen das erkannt haben, das Wohnungsthema, da die Arbeitsverhältnisse in Deutschland sozialpartnerschaftlich stark befriedet sind. Die Organisierung am Wohnort ist also nicht nur eine Antwort auf die heute nicht mehr mögliche Strategie der Hausbesetzungen, sondern generell ein Konfliktpunk mit positiven Aussichten für revolutionäre Organisierung.
Die Gründung einer Hausgruppe
Eine gute Möglichkeit, um die Menschen im eigenen Haus kennenzulernen sind Hausgruppen auf Whatsapp. Backt am besten einen Kuchen, wenn ihr irgendwo einzieht und geht mit einem*r Mitbewohner*in nachmittags von Stockwerk zu Stockwerk und stellt euch vor. Sprecht erstmal recht unverbindlichen darüber eine Whatsapp-Hausgruppe zu gründen. (Richtet am besten auch einen E-Mail-Verteiler ein, da viele ältere Menschen keine Smartphones haben). Nennt als Gründe erstmal banale unpolitische Sachen, wie „schnelle Kommunikation, falls Menschen zu laut sind, Post-Pakete abzuholen sind oder mal jmd. Hilfe brauch“. Die meisten Menschen sind sehr überrascht und erfreut über solche Angebote, da sich viele nach mehr Hilfe und Kollektivität sehnen. Strittige Themen wie Corona, sollten eher ausgelassen werden und mensch muss sich schon mal darauf einstellen, dass sich übers Gendern lustig gemacht wird oder etwas gegen Ausländer gesagt wird. Willkommen in echtem Leben, mit all seinen Widersprüchen, Kompromissen und Konfliktlinien die gezogen werden müssen.[14]
Die Politisierung des Hauses sollte nun langsam beginnen. Steckt mal unauffällig Flyer für Nazi-Blockaden in die Briefkäste oder Aufrufe für eine Anti-Gentrifizierungsdemo. Es können so langsam politische Gesprächsthemen geschaffen werden. Man kann beiläufig beim Small Talk auf der Treppe fragen, ob der gleiche Flyer im Briefkasten gelandet ist. So können langsam Nachbarschaften politisiert werden, bis eine widerständige Nachbarschaft geschaffen ist, die Barrikadenmaterial am 1. Mai herausstellt. Es können so auch, wenn die Verankerung im Viertel groß genug ist, öffentliche Nachbarschaftsversammlungen abgehalten und Widerstandskomitees gegründet werden. Organisierung im Haus ist also nicht nur für Organisationsfetischist*innen sinnvoll.
Mit einhundertprozentiger Sicherheit wird die nächste Mieterhöhung in der Gruppe öffentlich gemacht oder ihr könnt diese öffentlich machen. Jedenfalls hatte eine durch uns geschaffene Hausgruppe diesen Effekt. Ein gemeinsames Interesse und ein Punkt der Aufregung ist damit gefunden. Hier könnt ihr zu einer Nachbarschaftsversammlung aufrufen und gemeinsam zur Mietberatung gehen. Seid aber natürlich nicht enttäuscht, wenn das Interesse am Anfang gering ausfällt oder die Kämpfe nur individuell, auf rechtlicher Basis geführt werden wollen. Informiert eure Nachbar*innen auf jeden Fall darüber, dass Widerstand gegen Mieterhöhungen möglich ist und es Initiativen gibt, die sich dagegen organisieren wie beispielsweise die „Mietergemeinschaft Schönefelder Höfe“ in Leipzig.
Die „Mietergemeinschaft Schönefelder Höfe“ trifft sich jeden ersten Montag im Monat. Sie schauen sich die Nebenkostenrechnungen von Einzelpersonen an und stellen Gegenrechnungen auf. Ein Skill den sie sich schnell selbst beigebracht haben und den wir uns auch beibringen müssen. Sie raten oft dazu gewisse Erhöhungen nicht zu bezahlen. Die Initiative begleitet Menschen zu Gerichtsterminen und wirbt von Tür zu Tür dafür bei Mieterhöhungen zu ihnen zu kommen. So sieht eine widerständige Praxis aus, die etwas bewirkt und die auf die Leute zugeht (wenn auch die fehlende revolutionäre Perspektive bei diesem Projekt kritisiert werden muss).
Ein Streik steht, wenn mensch ihn macht!
Eine längerfristige Organisierung setzt nun genau an dieser Perspektive des Kennenlernens, der normalen Sprache und der Politisierung mittels Fragebogen an. Eine revolutionäre Organisierung kann nur durch Basisarbeit stattfinden, die entweder von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz oder von Tür zu Tür geht und die Menschen zu ihrer Arbeits- oder Wohnsituation befragt, um mögliche Konflikt- und Organisierungsfelder herauszufinden, ähnlich wie es die Gruppe „Kiezkommune Wedding“ in Berlin getan hat.[15]
Um aber nicht in Sozialarbeit oder Staatsfetischismus zu versinken, muss eine bundesweite Mieter*innengewerkschaft gegründet werden, die ähnlich wie die „Mietergemeinschaft Schönefelder Höfe“, „Kiezkommune Wedding“ oder der „Mieterschutzbund“ funktioniert. Die Stadtteil-Initiativen haben zwar den Punkt einer fehlenden bundesweiten Vernetzung kritisiert, aber bisher nicht die fehlende Ursache dafür erkannt.[16] Der entscheidende Punkt ist, ein gemeinsames Ziel und eine Methode zur Erreichung dieses Ziels. Wozu sollten sich Menschen in den zahlreichen Stadtteil-Initiativen oder Kiezkommunen engagieren, wenn diese überhaupt nicht handlungsfähig sind und kein wirkliches Konzept haben? Als Gegenentwurf sollte eine Mieter*innen-Gewerkschaft das Ziel besitzen, die Häuser zu kollektivieren mittels Mietstreiks. Eine Organisation mit festen Mitgliedslisten und Mitgliedsbeiträge schafft eine Messbarkeit, wann ein Streik möglich ist. Die Organisation kann so auch eigene Strukturen schaffen und muss nicht auf staatliche Räume für Beratungsangebote und Plena zurückgreifen, wie dies bei einigen Initiativen der Fall ist.[17] Menschen können so auch wirklich mit finanziellen Ressourcen unterstützt werden, wenn es bspw. zu juristischen Klärungen von Mieterhöhungen oder Zwangsräumungen kommt.
Eine Mieter*innengwerkschaft muss also regelmäßige offene Treffen abhalten und Rechtsschutz und Beratung gegen einen kleinen Mitgliedsbeitrag anbieten. Wenn genügend Mitglieder*innen bei einem Unternehmen (wie Vonovia) oder in einem Haus vorhanden sind, können Mietstreiks gestartet werden, um Mieterhöhungen zu verhindern oder um die Häuser zu kollektivieren. Da Mietstreiks rechtlich illegal sind und Räumungen zu erwarten sind, sollten auch kollektivierte Häuser Teil der Mieter*innen-Gewerkschaft werden, damit diese Ersatzwohnungen für Zwangsgeräumte stellen. Es ist aber erwartbar, dass bei Mietstreiks ein so großer ökonomischer Druck auf die Vermieter*innen aufgebaut wird, dass es zu einem schnellen Einlenken kommen wird. Das Risiko sinkt auch dadurch, wenn nur teilweise Mieterhöhungen nicht gezahlt werden, da so keine Kündigungen möglich sind. Wir brauchen also Know-How, Organisierung und eine große Portion Hoffnung, wenn wir wirklich etwas erreichen wollen. Aber dass es so bleibt wie es jetzt ist, ist keine Alternative.
Lasst jedes Haus zu einem Ort des Zusammenkommens und Widerstands werden!
Häuser kollektivieren!
Mietstreiks organisieren!
Baut Hausgruppen und Mieter*innengewerkschaften auf!
PS Zur Frage der Gewalt: Wenn ab und zu mal ein kleines Zeichen der Lebendigkeit aufblitzt oder bei einem Mietstreik ein Bankfenster eingeknallt wird, dann kann dies jedem Menschen nur ein Lächeln ins Gesicht zaubern 😉
[1] Gruppe Enteignen: „Schluss mit Feuerwerk-Politik – Warum Leipzig nicht besetzt werden kann“, am 27. September 2023, unter: https://knack.news/6822 [2] Gruppe Selbstermächtigung: „Bericht vom Massencornern zur Verteidigung der Feuer(wehr)politik vorm revolutionären Reformismus“, am 30. September 2023, unter: https://knack.news/6851 [3] Firefighting politics: „because the world is on fire – eine Antwort auf „Schluss mit Feuerwehrpolitik““, am
- Oktober 2023, unter: https://knack.news/6858
Kritik & Perspektiven um Organisierung und revolutionäre Praxis“, S. 10-11.
[14] Berg Fidel Solidarisch und Rosa – Münster, in: Tutto: „Revolutionär Stadtteilarbeit“, S. 45-46. [15] Kiezkommune Wedding – Berlin, in: Tutto: „Revolutionär Stadtteilarbeit“, S. 158-159. [16] Solidarisch in Gröplingen und Kollektiv – Bremen, in: Tutto: „Revolutionär Stadtteilarbeit“, S. 86. [17] Berg Fidel Solidarisch und Rosa – Münster, in: Tutto: „Revolutionär Stadtteilarbeit“, S. 29-30.