Provinz vergessen? Waldheimer beklagen fehlende Unterstützung bei Anti-AfD-Demos
Auch in Waldheim haben zuletzt Menschen gegen die AfD demonstriert. Der Gegenprotest war in dem Ort aber größer. Die Organisatoren beklagen fehlende Unterstützung aus den Großstädten.
Mehr als eine Million Menschen in Deutschland demonstrierten allein am letzten Januar-Wochenende gegen Rechtsextremismus und die AfD. Die Proteste gab es nicht nur in den großen, sondern auch den mittleren und kleinen Städten des Landes. Also da, so sehen das vor allem in Sachsen viele, wo es besonders wichtig ist – wo die Wahlergebnisse für die AfD schon jahrelang höher sind als anderswo und Proteste meist von rechten und rechtsextremen Akteuren organisiert werden.
Waldheim bei Döbeln ist so ein Ort. 9000 Einwohner hat die Kleinstadt und eine Tradition von weit nach rechts offenen Montagsdemonstrationen gegen Corona-Maßnahmen und Asylpolitik. Seit den Correctiv-Recherchen zu einem Treffen von unter anderem AfD-Vertretern und Rechtsextremisten gibt es in Waldheim montagabends auch eine andere Demonstration – unter dem Motto „Waldheim bleibt bunt“.
Am vergangenen Montag sahen sich die vom Waldheimer Bündnis „Bunte Perlen“ versammelten rund 250 Menschen etwa 300 Gegendemonstranten gegenüber. Die hatte unter anderem die örtliche AfD zusammengetrommelt. „Wir sind enttäuscht und fühlen uns allein gelassen“, schrieben hinterher die Organisatoren der „Bunte Perlen“-Demo auf ihrem Instagram-Profil. Es sei keine „nennenswerte Unterstützung aus den Großstädten nach Waldheim“ gekommen.
Geht also dem Anti-AfD-Protest ausgerechnet da die Luft aus, wo er womöglich am dringendsten gebraucht wird?
Leipziger Demo-Organisator: „Kann den Frust verstehen“
Jaspar Reimann ist einer, der das eigentlich verhindern wollte. Er lebt in Leipzig und engagiert sich in der „Solidarischen Vernetzung Sachsen“, die im Jahr der Landtagswahl freistaatweite Protestaktionen organisieren will. „Ich kann deren Frust auf jeden Fall verstehen“, sagt Reimann in Richtung Waldheimer. „Es ist aber nicht ganz so einfach, überall in Sachsen präsent zu sein.“ Das klappe eigentlich ganz gut, aber neben Waldheim gebe es noch andere Orte, die viel Unterstützung benötigen, Görlitz etwa.
Für Montagabend, wenn die „Bunten Perlen“ in Waldheim wieder zu einer Demonstration aufrufen, sind nun gemeinsame Zuganreisen von Menschen aus Leipzig geplant. Auch Reimann will kommen. Das Leipziger Aktionsnetzwerk „Leipzig nimm Platz“ hat einen Kleinbus organisiert. Aber, so heißt es von da: Man müsse auch die Region selbst stärken und Menschen vor Ort zur Demo-Teilnahme motivieren. Noch nicht überall seien die Kirchen eingebunden, die Parteien.
Waldheimer denken über neue Formate nach
Cindy Reimer von den „Bunten Perlen Waldheim“ sagt, dass sie sich um eine lokale Vernetzung bemühe – mancher Verein diese aber auch schon abgelehnt habe. „Vor Ort ist es schwer, Menschen zu mobilisieren“, sagt sie. Dennoch habe man die Zahl der Protestierenden schon steigern können. „Aber wir sind darauf angewiesen, dass Leute aus den großen Städten kommen“, sagt Reimer.
Auch, wenn das nicht passiere, wollen die „Bunten Perlen“ weiter machen. Mit Demonstrationen, aber auch mit anderen Formaten – Lesungen etwa, vielleicht einem Sommerfest. Damit, sagt Reimer, könne man womöglich auch Menschen ansprechen, die sich auf einer Demonstration nicht so wohl fühlten.
Quelle: https://www.lvz.de/mitteldeutschland/provinz-protest-waldheim-beklagt-fehlende-hilfe-bei-anti-afd-demos-DJ5YBG7L3RH7VFZK3MVCE3VKPM.html
Thomas Sparrer 30.01.2024
Waldheim soll eine bunte Perle bleiben – AfD-Aufzug hält dagegen
Ein breites Bürgerbündnis unter dem Namen „Bunte Perlen“ demonstrierte am Montagabend auf dem Waldheimer Obermarkt für Demokratie. Die AfD hatte eine Gegenveranstaltung angemeldet und marschierte durch die Stadt.
„Waldheim bleibt bunt“ unter diesem Motto demonstrierten am Montagabend viele Menschen in Waldheim für Demokratie und gegen Rassismus. Die Polizei zählte zu Beginn der vom Waldheimer Stadtrat Eyk Fechner (Fraktion Linke/SPD) im Namen der „Bunten Perlen Waldheims“ angemeldeten Demonstration rund 180 Frauen und Männer auf dem Obermarkt.
„Seit Monaten spazieren AfD und Freie Sachsen ungestört durch unsere Stadt. Ein Großteil der Waldheimer denkt aber anders. Es wird Zeit, dass die Menschen in Waldheim und Umgebung Flagge zeigen. Waldheim ist eine bunte Perle im Zschopautal und Waldheim bleibt bunt“, so Eyk Fechner. Viele Waldheimer aller Altersgruppen und verschiedener politischer Ansichten waren gekommen. Darunter engagierte Heimatfreunde, Stadträte wie Apotheker Dr. Andreas Liebau (CDU), Ingo Ließke (FDP) und Waldheims Bürgermeister Steffen Ernst (FDP).
Ebenso Versammlungsbesucher aus Döbeln, wie die Gruppe „Omas gegen Rechts“ und Menschen aus der Waldheimer Umgebung. Auch der ehemalige Stadtrat, Stadtführer und Heimathistoriker Albrecht Bergmann hatte sich unter die Menschen auf dem Obermarkt gemischt. „Ich habe als kleiner Junge einen Teil der Nazi-Zeit erlebt. Ich möchte das nicht wieder haben. Manches, was ich heute von Rechtsaußen höre, klingt aber genau so.“ Der 84-Jährige lehnt Argumente ab, wie: „Lasst die von der AfD doch mal machen. Die entzaubern sich schon selbst.“ Er kann solchen Leichtsinn nicht nachvollziehen. „Die wird man doch nicht wieder los, wenn die einmal an der Macht sind.“
Wahlen 2024 könnten Kipppunkt sein
Der Döbelner SPD-Landtagsabgeordnete Henning Homann lobte, dass so viele Bürgerinnen und Bürger der Region gekommen sind. „Teile der AfD und extrem rechte Kräfte haben uns in Potsdam alle zu Feinden erklärt. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass dort ein Masterplan für die Deportation von Menschen aus unserer Mitte entworfen wurde.“ Homann ging auch auf die Wirtschaftspolitik der AfD ein: „Wenn AfD-Chefin Alice Weidel einen Austritt Deutschlands aus der EU fordert, dann ist das ein Angriff auf unseren Wohlstand.
Jeder fünfte Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom Export innerhalb Europas ab. Die AfD würde uns in die Zeiten von Massenarbeitslosigkeit wie in den 1990er Jahren zurückbefördern“ warnt Homann. Silvio Lang, Sprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Sachsen, betonte, dass die AfD zwar demokratisch gewählt, aber deshalb keinesfalls eine demokratische Partei sei. Die Wahlen 2024 könnten für Sachsen ein Kipppunkt sein. „Demokraten müssen jede Wahl gewinnen. Faschisten müssen dagegen nur eine Wahl gewinnen, um die Demokratie abzuschalten.“
Demokratie nicht aufs Spiel setzen
Waldheims Bürgermeister Steffen Ernst (FDP) rief den Versammelten auf dem Obermarkt zu: „Wir sind in den Farben unserer Parteien vielleicht getrennt. Aber wir sind uns einig, dass die Demokratie erhalten bleiben muss.“ 1989 sei er mit Tausenden Menschen auf der Straße gewesen, um Freiheit, Frieden und Demokratie zu erkämpfen. Das dürfe nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. „Als Bürgermeister bin ich für ein buntes vielfältiges Waldheim angetreten, in dem sich junge Familien gern ansiedeln. Genau dafür braucht unsere Stadt Demokratie und Offenheit.“
Gegenüber in Hör- und Rufweite auf dem Niedermarkt hatte der AfD-Landtagsabgeordnete Lars Kuppi eine Gegenversammlung mit dem Titel „Gemeinsam gegen Rot-Grüne-Hetze“ angemeldet. Mit Buh- und Zwischenrufen sowie AfD-Fahnen und Plakaten machten sich die Demonstranten lautstark bemerkbar. Danach setzte sich, wie an vielen Montagen zuvor, ein Aufzug durch die Stadt in Bewegung. Die Polizei zählte auf der AfD-Veranstaltung etwa 200 Teilnehmer. Polizisten des Einsatzzuges der Inspektion Zentrale Dienste bei der Polizeidirektion Chemnitz sicherten beide Demonstrationen ab.
Quelle: https://www.lvz.de/lokales/mittelsachsen/waldheim/waldheim-soll-eine-bunte-perle-bleiben-afd-aufzug-haelt-dagegen-5M6ZBSGVTRDBVG5DS7VFMGUWYA.html
Denise Peikert 23.01.2024
Proteste in Sachsen: „Wir sind mehr“ – aber wer sind wir?
Das Jahr hat turbulent begonnen, die Massenproteste gegen die AfD, wütende Bauern und jetzt auch noch der „Sachsen-Monitor.“ In welchem Freistaat leben wir eigentlich? Eine persönliche Annäherung.
Der Auftakt in dieses Jahr stellt gleich eine komplizierte Frage: Wer ist das Volk? Die kinderwagenschiebende, gehstockgestützte, zigarettendrehende, wie zufällig beieinanderstehende Menge aus Jungen und Alten, Paaren und Familien am Sonntag in Leipzig, auf einer der vielen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus im ganzen Land? Oder sind es die, die in Richtung jener Protestierenden in den sozialen Netzwerken schreiben, ein paar Hunderttausend Noch-nicht-Erwachte hielten sich wohl für die Mehrheit? Wenn die Menge, die da auf den Straßen lief – so heißen die aufgekratztesten Kommentare zu den Protesten – nicht mal sowieso gekauft, regierungsgelenkt oder herbeiretuschiert gewesen sei!
Mehrere Gruppen nehmen zum Auftakt dieses Jahres für sich in Anspruch, für die Mehrheit zu stehen – oder hoffen jedenfalls, dass es so ist. Vergangene Woche dominierten die Massenproteste gegen die AfD in der öffentlichen Wahrnehmung – wenige Tage später zeigt der „Sachsen-Monitor“ ein ganz anderes Meinungsbild zu den sensibelsten Themen in diesem Wahljahr.
Schweigende Mehrheit – eine unüberprüfbare Behauptung
Für eine Mehrheit zu sprechen, die sich nach und nach selbst traue, ihr Schweigen zu brechen, behauptet die AfD schon länger. Auch noch klarer rechtsextreme Kräfte reden davon. Die „Freien Sachsen“ nennen es schon „Bürgerprotest“, wenn in zehn Orten je 50 Leute wegen irgendwas zusammenkommen.
Zu all dem ist nun eine in Sachsen lange nicht gehörte Gegenstimme laut geworden auf den Massenprotesten gegen die AfD. Zur Demo in Leipzig kamen am Sonntag viele, um zu zeigen, dass Rechtsextreme, Demokratiefeinde und Rassisten in der Gesellschaft in der Minderheit seien. Und schienen selbst überrascht, dass mit ihnen zusammen so viele andere ebenfalls da waren, aus denselben Gründen. „Jetzt“, so sagt es auch der Leipziger Protestforscher Alexander Leistner, „bekommen Stimmen Raum oder nehmen ihn sich selbst, die auf der politischen Agenda kaum noch abgebildet waren“. Die „schweigende Mehrheit“ habe sich aufgerafft, beschwören Politikerinnen aus mehreren Parteien.
Für die schweigende Mehrheit zu sprechen, ist eine beliebte Behauptung. Weil es natürlich unüberprüfbar ist, wer in Mehrheit schweigt und was diese Mehrheit sagen würde, würde sie sprechen. Aber diese Tage ermöglichen eine Annäherung, von zwei Seiten.
Ungewöhnlich auf Sachsens Straßen: Niemand ist wütend
Auf den Anti-AfD-Demos versammelte sich ein bei Protesten in Sachsen ungewohnter Pulk: nicht wütend, nichts fordernd, politisch schwammig, aber in einem Punkt einig: Es stehe schlecht um Demokratie und Zusammenhalt, wenn AfD-Politiker mit Rechtsextremen über Ideen nachsinnen, wie Zehntausende Ausländer und Deutsche aus dem Land vertrieben werden könnten.
Zur Demo in Leipzig kamen geschätzt bis zu 70.000 Menschen, in Pirna bis zu 1000, in Döbeln waren es 400. Alles keine Mehrheiten, das haben die Mathematikerinnen unter den AfD-Anhängern schnell ausgerechnet und das Ergebnis fleißig unter Demo-Fotos in den sozialen Netzwerken gepostet. Eh klar: Bei Protesten gehen keine rechnerischen Mehrheiten auf die Straße. Aber dass die Demonstrationen groß waren, ist unbestreitbar.
Stabile Mehrheiten unter Demokratieskeptikern
Es gibt also viele Menschen, die glauben, die Demokratie sei bedroht und man müsse sie verteidigen. Eine gut untersuchte Mehrheit in Sachsen sieht das aber anders – und blickt auch ganz anders auf Migration und Asyl. Das legt jedenfalls der aktuelle „Sachsen-Monitor“ nahe, eine repräsentative Studie, die regelmäßig nachfühlt, wie die Menschen im Freistaat denken. Demnach sind 59 Prozent mit der „Art und Weise, wie die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland in der Praxis funktioniert“, eher oder sehr unzufrieden. 64 Prozent stimmen eher oder voll der Aussage zu, „die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer gefährlich überfremdet“. Beides stabile Mehrheiten, neuerdings jedenfalls: Das Bejahen dieser Aussagen ist seit der „Sachsen-Monitor“-Erhebung vor anderthalb Jahren um 20 beziehungsweise 24 Prozentpunkte gewachsen.
Wer also ist das Volk? Nach Jahren mit Pegida, Corona-Demos und Protesten vor Flüchtlingsheimen ist auf den Straßen in Sachsen in diesem Protestjanuar eine Stimme dazugekommen, die mitreden will. Kein Ersatz, sondern eine Addition, eine Verbreiterung der wahrnehmbaren Stimmung. Nicht, weil sich eine abgehobene Elite mehr emotionale Abstufungen jenseits von Frust und Wut wünschen würde. Sondern weil es sie gibt.
Quelle: https://www.lvz.de/mitteldeutschland/leipzig-anti-afd-demos-und-sachsen-monitor-eine-analyse-SQL3SVZB3VHHXFOJ3UKQO5OR3Y.html