Aus für queere Bildungsarbeit in Leipzig, Nordsachsen und Landkreis Leipzig
Der RosaLinde Leipzig e.V. hat zum Jahresbeginn eine Ablehnung seines Antrags auf Förderung queerer Bildungsarbeit an Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe in Leipzig, dem Landkreis Leipzig und Nordsachsen erhalten. Entsprechende Angebote des Vereins fallen ersatzlos weg. Hierzu zählen jährlich rund 100 Workshops für Schulklassen, in denen junge Ehrenamtliche ihre Coming-out-Geschichten erzählen, 50 Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte, die Koordination von gut 30 Regenbogen-AGs und die Betreuung von mittlerweile vier “Schulen der Vielfalt”.
Beantragt wurden die Formate im Fördertopf “Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz” des Sächsischen Sozialministeriums. Für die Fördermittelvergabe ist die Sächsische Aufbaubank vom Freistaat beauftragt.
“Mit Bestürzung haben wir den Ablehnungsbescheid zur Kenntnis genommen,” sagt Stefanie Krüger, die bisher im RosaLinde Leipzig e.V. für Fortbildungen von pädagogischen Fachkräften sowie Koordination von queeren AGs im schulischen Ganztag zuständig war. “Fast 30 Jahre existierte unser zunehmend nachgefragtes Angebot und damit soll jetzt plötzlich Schluss sein? Das können wir nicht nachvollziehen, gerade vor dem Hintergrund der anstehenden Landtagswahlen und der politischen Entwicklungen in diesem Bundesland.”
Schule gilt als queerfeindlicher Ort, der sexuelle Orientierungen und Geschlechtlichkeiten jenseits von Heteronormativität zu wenig berücksichtigt. So findet sich in der Lebenslagenstudie des Landes Sachsen die Schule nach Polizei/Justiz sowie der Öffentlichkeit auf dem dritten Platz der Orte, an denen am häufigsten Diskriminierung stattfindet.
Jugendliche und Familien, welche die Beratung des Vereins aufsuchen, berichten regelmäßig von entsprechenden Erfahrungen im schulischen Kontext. “Viele Schulen setzen auf uns, weil sie überfordert im Umgang mit queeren Themen sind. Nicht selten werden wir kurzfristig angefragt, weil sich jemand in der Klasse z.B. als trans geoutet hat, ‘schwul’ inflationär
als Schimpfwort gebraucht wird oder queerfeindliches Mobbing stattfindet. Dabei haben wir mittlerweile lange Wartezeiten.
Eigentlich sind wir bis zu den Sommerferien komplett ausgebucht gewesen”, ergänzt Kollegin Johanna Heinrich, die nun vor der Aufgabe steht, allen Schulen abzusagen und gut 30 Ehrenamtlichen zu erklären, dass ihre sinnvolle und dringend benötigte Arbeit vom Freistaat nicht mehr gewollt ist “Dabei sind queere Jugendliche eine überaus vulnerable Gruppe, für die die Schulzeit eine besondere Belastung darstellen kann, wenn ihre Bedarfe nicht berücksichtigt werden und kein inklusives Lernumfeld bereitgestellt wird.
Das reicht von Leistungsabfall und Schulschwänzen bis hin zur Entwicklung psychischer Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen. Auch die Suizidalität ist bei queeren Jugendlichen erhöht ”, weiß Adam Williams, zuständig für die Schulen der Vielfalt. Der Verein hat sein Angebot in den letzten Jahren in Richtung des bundesweit agierenden Netzwerks ausgebaut.
“Wir können die Schulen nicht mehr betreuen und mit den Angeboten versorgen, die sie brauchen, um Teil des Netzwerks zu bleiben. Diese Situation gab es in anderen Bundesländern zuvor noch nicht. Sachsen nimmt hier eine traurige Vorreiterrolle ein.”
Der Verein bedauert, dass Lehrkräfte und Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe nun mit queeren Themen allein gelassen werden, da es keine alternativen Angebote in diesem Bereich gibt. “Vor allem das Arbeiten mit den eigenen Coming-out-Erzählungen ist einmalig in Leipzig und den angrenzenden Landkreisen“, konstatiert Johanna Heinrich.
Ihre Kollegin Stefanie Krüger fügt hinzu: “Schlussendlich sind auch Lehrer*innen hier mal wieder die Leidtragenden. In ihrer Ausbildung haben sie in der Regel nicht gelernt, wie sie queere Themen behandeln können. Vor dem Hintergrund der Überlastung dieses Berufsstands und des Lehrkräftemangels ist das fatal.”
Der Fördertopf “Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz” des Sächsischen Sozialministeriums, über welchen die Bildungsarbeit des Vereins in den letzten Jahren finanziert wurde, steht schon länger in der Kritik, weil er mehrfach überzeichnet ist, das Fördervolumen also nicht im Ansatz ausreicht, um die vielen, qualitativ hochwertigen und notwendigen Projekte, die Anträge stellen, zu bewilligen.
Bereits zu Beginn des Jahres 2022 erging es dem Partnerverein Gerede e.V. in Dresden genauso. Die fehlende Förderung durch den Freistaat führte dazu, dass in der Region keine queere Bildungsarbeit stattfinden konnte.
Dem RosaLinde Leipzig e.V. fehlen durch die Ablehnung in diesem Jahr 200.000 Euro und das obwohl es im Sächsischen Haushalt eine Widmung für die queere Bildungsarbeit des Vereins gibt. ”Unser Vertrauen in Absprachen ist nachhaltig gestört, wenn uns einerseits Geld per Haushaltsvermerk zugesichert, andererseits aber unser Antrag abgelehnt wird,” unterstreicht Adam Williams.
“Der Sächsischen Aufbaubank (SAB) als bescheidender Institution fehlt hier ganz klar die Sensibilität für die Förderlogik sozialer Angebote und die herrschenden Bedarfe in Sachsen. Denn diese sind ungebrochen vorhanden. Mit Blick auf die politische Lage in diesem Bundesland steht uns da eine düstere Zeit bevor.”
Durch das Wegbrechen einer wichtigen Säule der bisherigen Vereinsarbeit ist auch der Gesamtverein betroffen, da beispielsweise Miete und Verwaltungskostenpauschale anteilig wegfallen. Deswegen fordert der RosaLinde Leipzig e.V. eine Regelförderung für Angebote, die seit Jahrzehnten etabliert und nachgefragt sind. Die Sicherstellung der Förderung queerer Bildungsangebote sollte unbedingt Teil der Koalitionsverhandlungen der nächsten Landesregierung werden.
Hintergrund:
1995 gab es die ersten Besuche in Schulklassen durch Mitglieder der Jugendgruppen des Rosa Linde Leipzig e.V. Seitdem fand ein kontinuierlicher Ausbau des Angebots statt. Die Besonderheit des Formats besteht darin, dass junge Ehrenamtliche Workshops in Schulklassen durchführen und in diesen auch über ihre eigenen Coming-out-Erfahrungen sprechen.
Das Angebot folgt dabei der Kontakthypothese, welche besagt, dass sich Vorurteile über persönlichen Kontakt reduzieren lassen. Ähnliches gilt bei anderen Diskriminierungsformen, wie z.B. Rassismus.
Flankiert wird dieses Angebot durch Fortbildungen für Lehrkräfte und Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe, um Institutionen wie Schulen oder Jugendclubs zu sensibilisieren, damit diese besser auf Diskriminierungen reagieren können. Hinzu kommen außerdem sog. Regenbogen-AGs, die regelmäßig im schulischen Ganztag stattfinden und eine thematische Ausrichtung auf queere Themen im Schulalltag haben. AG-Mitglieder gestalten z.B. Plakate zu queeren Themen oder führen Befragungen an ihrer Schule durch.
So sorgen sie für Sichtbarkeit und bieten eine Anlaufstelle für Jugendliche im Coming-out.
Mit der Weiterentwicklung hin zu Schule der Vielfalt hat der Verein in den letzten drei Jahren daran gearbeitet, Schulen dauerhaft queerfreundlicher zu machen. Dem Vorbild des bundesweiten Netzwerkes folgend, mussten Schulen bestimmte Qualitätsstandards erfüllen. Das Reclam-Gymnasium in Leipzig war 2022 die erste Schule in den neuen Bundesländern, die in einem Festakt zur Schule der Vielfalt ernannt wurde.
Der RosaLinde Leipzig e.V. existiert seit 1990 und ist mit verschiedenen Angeboten im Bereich queere Begegnung, Bildung und Beratung aktiv.