Ex-Abgeordneter Teichmann: Sachsens AfD ist nicht regierungsfähig
Interview der LVZ mit „Aussteiger“, mehr über Ivo Teichmann unter dem LVZ-Artikel:
Der Landtagsabgeordnete Ivo Teichmann war acht Jahre in der sächsischen AfD – er kritisierte die Zusammenarbeit mit Rechtsextremen und sah schließlich keine andere Möglichkeit, als zu gehen.
Wenn Ivo Teichmann über die AfD sprechen soll, dann bringt er immer einen Stapel Papiere mit – Ausdrucke von Chatverläufen, die zeigen, wie sich die Partei radikalisiert hat, wie wenig Rückhalt er für Widerspruch bekommen hat.
Ende 2022 ist er schließlich aus der Partei ausgetreten. Jetzt sitzt Teichmann als Fraktionsloser im sächsischen Landtag, sein Büro befindet sich direkt neben den früheren Fraktionskollegen.
„Nicht alle über einen Kamm scheren“
Herr Teichmann, was halten Sie davon, dass jetzt Hunderttausende gegen die Partei demonstrieren, in der sie acht Jahre Mitglied waren?
Man sollte in der AfD nicht alle über einen Kamm scheren: Da sind Überzeugungstäter am Werk, Opportunisten, aber auch Menschen, die einfach eine Kurskorrektur und mitgestalten wollen. Und wer jetzt gegen die Partei demonstriert, muss sich klar machen: Man erledigt die PR der AfD. Die muss gar nichts tun, trotzdem geht es immer um sie.
Anlass der Proteste sind Recherchen des Journalisten-Kollektivs „Correctiv“. Demnach ging es darum, Pläne zur „Remigration“, also zur Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund zu schmieden.
Ich finde es wichtig, darüber zu reden, wie man mit Ausreisepflichtigen umgeht. Aber Menschen auszuweisen, die sich integriert haben, wertvolle Fachkräfte sind, dafür habe ich kein Verständnis. Ich bin mir aber nicht mal sicher, ob es wirklich um diese Gruppe ging. Ich kenne die Teilnehmer des Treffens nicht, weiß nicht, was da gesprochen wurde.
„Ich wollte aufrütteln“
Mit dabei war Martin Sellner, ein bekannter Rechtsextremist aus Österreich – hat Sie das überrascht?
Die AfD hält sich schon lange nicht mehr an ihren Unvereinbarkeitsbeschluss: Bei der hiesigen Landratswahl traten AfD-Politiker gemeinsam mit den rechtsextremen „Freien Sachsen“ auf. Darüber habe ich mit dem Landesvorsitzenden und Generalsekretär gesprochen. Der Verfassungsschutz stuft die AfD mittlerweile als gesichert rechtsextrem ein – diese Entwicklung wollte ich damals noch verhindern. Ich wollte aufrütteln.
Bei Facebook nannten Sie die „Freien Sachsen“ eine „NPD im neuen Gewand“.
Führende AfD-Politiker haben mir gesagt: Du hast ja recht, aber an der Basis können wir nur schwer vermitteln, dass wir nicht mit denen zusammenarbeiten.
„Es gibt unterschiedliche Meinungen in der AfD“
Björn Höcke machte das NS-Gedenken 2018 verächtlich. 2019 nannte der damalige Bundesvorsitzende Gauland die NS-Zeit einen „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte. Warum hat es bis Ende 2022 gedauert, bis Sie ausgetreten sind?
In der NS-Zeit sind schlimme Verbrechen passiert, aber das ist ja tatsächlich ein kurzer Abschnitt deutscher Geschichte. Ich glaube, das wollte Gauland sagen.
Hat er aber nicht.
Ich weiß nicht, ob er provozieren wollte. Ich habe nicht mit ihm darüber gesprochen – Sie können aber davon ausgehen, dass die AfD nicht gleichgeschaltet ist, dass es unterschiedliche Meinungen gibt.
„Jemand hat mir den Tod gewünscht“
Warum sind Sie denn schließlich ausgetreten?
Das war ein längerer Prozess. Ich wurde in meinem eigenen Wahlkreis nicht mehr von anderen AfD-Mandatsträgern zu Veranstaltungen eingeladen. Betroffen gemacht haben mich auch die Reaktionen auf meine Corona-Infektion: Ich lag schwer krank im Bett, musste beatmet werden. Als ich das öffentlich machte, bekam ich Rückmeldungen wie: Corona gibt es doch gar nicht, was redest du für ’nen Unfug. Jemand hat mir den Tod gewünscht.
In ihrem Brief, den Sie zu Ihrem Austritt veröffentlicht haben, schreiben Sie auch von „extremen Äußerungen“ in Chat-Gruppen, was wurde da geschrieben?
Sprüche wie „Zwei Dinge sollten immer weiß sein: Weihnachten und Deutschland“. Umsturzfantasien von Reichsbürgern wurden beklatscht.
„Ich bin kein Nazi“
Sie haben vor Ihrer Politik-Karriere in der Verwaltung gearbeitet, Ihr Beamtenstatus ruht, solange Sie Abgeordneter sind. Ihnen war offenbar klar, dass Sie Probleme kriegen könnten, wenn die AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft wird. Wollten Sie sich mit dem Austritt vielleicht einfach selbst schützen?
Ich habe die Entscheidung aus Überzeugung getroffen: Ich bin kein Nazi – und deswegen will ich nicht mal in den Verdacht kommen, einer zu sein.
Mittlerweile gibt es eine neue Umfrage, die zeigt, dass die Zustimmung für die AfD ungebrochen ist – obwohl der Landesverband als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde. Wie erklären Sie sich das?
Die Leute haben die Schnauze voll. Egal, ob in der Flüchtlings- oder Energiepolitik: Man hat das Gefühl, dass ihnen nicht mehr zugehört wird, dass sie ausgegrenzt werden, wenn sie eine andere Meinung haben.
Leute wählen AfD weil es die NPD nicht mehr gibt
Aber Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) macht doch seit Jahren kaum noch was anderes, als mit den Leuten zu reden.
Kretschmer macht Wahlkampf. Der Höhenflug der AfD hat etwas mit dem Versagen der etablierten Parteien zu tun. Bei mir im Wahlkreis sagen die Leute: Ich wähle AfD, weil es die NPD nicht mehr gibt. Ich kann das verstehen. Die Leute wählen laut, weil sie glauben, nicht anders gehört zu werden.
Glauben Sie, die AfD könnte deren Bedürfnisse als Regierungspartei befrieden?
Die AfD ist nicht regierungsfähig. Die Personaldecke ist zu dünn – die hatten in der Vergangenheit Probleme, Kommunalämter zu besetzen. Vielleicht wäre es deswegen auch gar nicht schlecht, wenn die Partei in Verantwortung käme – sie würde sich entzaubern.
Zur Person
Ivo Teichmann (56) ist gelernter Elektriker und lebt in Königstein. Seit über 30 Jahren engagiert er sich in der Kommunalpolitik. 2014 trat er in die AfD ein. Bei der Landtagswahl 2019 im Wahlkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge holte Teichmann das Direktmandat und wurde im Landtag kommunalpolitischer Sprecher der Partei. Im Dezember 2022 macht er seinen Austritt aus der AfD öffentlich – heute ist er Mitglied bei der Kleinstpartei „Bündnis für Deutschland“ und will zur nächsten Landtagswahl als deren Kandidat antreten.
Teichmann und die Nazis
Am Himmelfahrtstag haben Neonazis in der Sächsischen Schweiz die Polizei angegriffen. Der AfD-Politiker Ivo Teichmann behauptet, dass alles ganz anders war, und nimmt die mutmaßlichen Täter in Schutz. Neue Recherchen zeigen, dass der Landtagsabgeordnete mit der rechten Szene keine Berührungsängste hat: Erst vor kurzem bot er einer gewaltbereiten Gruppe, die in Griechenland auf Geflüchtete losgehen wollte, seine Unterstützung an.
Die sogenannte Feier
Der Himmelfahrtstag neigt sich, als die Polizei alarmiert wird. Es geht um Lärm bei einer Feier in der Sächsischen Schweiz, im Touristenort Königstein, Ortsteil Pfaffendorf. Kaum 300 Menschen leben dort in einer pittoresken Landschaft. Einige Beamt*innen der Bereitschaftspolizei machen sich am frühen Abend auf den Weg dorthin. Als sie eintreffen, werden sie überrumpelt und „unvermittelt von 20 bis 25 Personen attackiert“, die zu der Zeit klar in der Überzahl sind, so schildert es später die zuständige Polizeidirektion. Gläser und Flaschen fliegen auf die Einsatzkräfte, Holzlatten und Stahlrohre werden geschwungen, ein Dienstfahrzeug beschädigt. Dazu erschallen „Sieg Heil“-Rufe.
Während die Polizei Verstärkung heranfunkt, zerstreuen sich die Angreifer*innen, einige verstecken sich in der Nähe, manche fliehen übers offene Feld in Richtung Wald. Doch insgesamt 30 Verdächtige können gestellt und festgenommen werden. Einige von ihnen sind keine unbeschriebenen Blätter, sondern bereits wegen rechtsmotivierter Straftaten aktenkundig geworden. Jetzt kommen neue Vorwürfe hinzu: Landfriedensbruch, Sachbeschädigung und Bedrohung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Als Beifang wird nun außerdem wegen Waffen- und Drogenfunden ermittelt.
Nach Angaben der Sächsischen Zeitung hatten sich die Verdächtigen in Pfaffendorf für eine braune Männertagsfeier in einer Art „Neonazi-Klubhaus“ getroffen, drapiert mit „eindeutiger Dekoration im Inneren, ein Stahlhelm als Lampenschirm etwa, Propagandaplakate der Wehrmacht, Totenkopfsymbole, Orden aus dem Dritten Reich, eine Übungshandgranate, die Attrappe einer Panzergranate, Einhandmesser und diverses anderes rechtsextremes Propagandamaterial.“
Einige der Verdächtigen sollen aus dem Umfeld „Skinheads Sächsische Schweiz“ kommen. Die wegen ihrer Gewaltbereitschaft berüchtigte Kameradschaft, kurz als SSS bekannt, wurde 2001 verboten. Auf einem Pressefoto ist einer der Festgenommenen zu sehen, auf seiner Hose befindet sich ein kleiner Aufnäher, der einen Comicvogel zeigt. Es ist das Logo der „Peckerwood Brotherhood“, eine der heute in der Region aktiven Neonazi-Gruppen, die das Erbe der SSS angetreten haben.
Das „andere Bild“
Es war ein schwerwiegender Vorfall, der auch einen ortsansässigen Landtagsabgeordneten beschäftigt: Ivo Teichmann von der AfD. Seit vergangenem Jahr sitzt er im Parlament, holte im Wahlkreis fast 37 Prozent der Stimmen, gehörte bis vor kurzem auch zum Landesvorstand der Partei. Er hat sich in den letzten anderthalb Wochen mehrfach zu den Ausschreitungen am Himmelfahrtstag geäußert, nachzulesen auf seiner Facebook-Seite. Dort beklagt er ausführlich die „Stimmungsmache“ durch Medien, die sich „gegen Königsteiner und eine ganze Region“ richten würde. Ein „Bashing“ sei das, „tourismusschädlich“ außerdem. Einen Linken-Abgeordneten, der die Ausschreitungen verurteilt hat, nennt er „nestbeschmutzend“.
Es gehe ihm darum, sagt Teichmann über sich, „vorschnelle (Fehl-) Urteile gegenüber den 30 Personen und letztlich unserem Ort“ zu verhindern. Als „Betroffene“ bezeichnet er die Tatverdächtigen. „Selbstverständlich wäre jede Form rechtsextremen Treibens und Gewalt gegen Polizeibeamte abzulehnen“, betont er auch. Aber hat es die überhaupt gegeben? Teichmann zweifelt, leugnet: „Meine Recherchen ergaben ein anderes Bild vom Geschehen.“ Er erläutert das nicht näher. Persönlich vor Ort, das betont er eigens, war er am Tatabend nicht.
Warum äußert sich Teichmann so? Es gibt zwei mögliche Antworten auf diese Frage. Die erste Antwort lautet: Der Abgeordnete hat ein geschäftliches Interesse am guten Ruf des Ortes, in dem er selber lebt. Er ist bereits seit 2003 Vorsitzender des Tourismusvereins Elbsandsteingebirge und damit Lobbyist eines derzeit stark gebeutelten Gewerbes. Auch auf seinem eigenen Grundstück werden Ferienwohnungen vermietet. Offiziell erledigt das seine Ehefrau. Doch wer sich bei Familie Teichmann einmieten will, wendet sich an eine E-Mail-Adresse, die der AfD-Politiker auf Parteidokumenten als seine persönliche Erreichbarkeit angibt.
Der Gastgeber
Die andere mögliche Erklärung für Teichmanns Äußerungen ist weit unangenehmer. Bekannt ist sein belastetes Verhältnis zur Polizei, bei der er jahrelang als Verwaltungsbeamter gearbeitet hat. Erst Anfang des Jahres soll er in Dresden mehrere Beamt*innen beleidigt haben, weil sie ihren Dienstwagen nicht schnell genug auftankten (idas berichtete). Er trat virtuell nach und veröffentlichte auf seiner Facebook-Seite das komplette Kennzeichen des zivilen Einsatzfahrzeugs, wegen dem er sich beim Tanken gedulden musste. Teichmanns rüde Umgangsformen sind ebenfalls nichts Neues, erst vor wenigen Wochen outete er eine mit dem Corona-Virus infizierte Frau, die in Königstein arbeitet. Es war ihm wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Betroffene nicht so einheimisch ist wie er, sondern eine gebürtige Tschechin.
Nie ein Geheimnis war auch Teichmanns irritierende Nähe zu einem bekannten NPD-Politiker, dem 2006 tödlich verunglückten Uwe Leichsenring. Teichmann, damals noch bei der SPD, zollte ihm seine „Hochachtung“ und sinnierte schon Ende der Neunzigerjahre öffentlich über eine Zusammenarbeit mit der Neonazipartei, wenn sie im Kreistag Ideen aufbrachte, denen er etwas abgewinnen konnte. Er nahm schließlich auch an Leichsenrings Beerdigung teil – genauso wie rund 300 Neonazis, viele von ihnen bekannte Gesichter der „Skinheads Sächsische Schweiz“. Leichsenring war so etwas wie ein geistiger Vater dieser Gruppe gewesen.
Es ist genau die SSS, die jetzt in Pfaffendorf ein krawalliges Lebenszeichen von sich gegeben hat. Tatsächlich gehörten der SSS damals so einige junge Männer aus Pfaffendorf an. Einer davon heißt Lars Ulbrich, heute ist er 39 Jahre alt. Seit einer Weile betreibt er in Pfaffendorf ein kleines Baugewerbe, reißt Industrieanlagen ab und handelt mit Metallschrott. Wer sich umsehen möchte, kann sich schnell durchfragen und gelangt dann zu dem Grundstück, an dem am Himmelfahrtstag „Sieg Heil“-Rufe erklangen und die Polizei attackiert wurde, dort, wo ein Neonazi-Klubhaus steht. Ulbrich war Gastgeber der Feier gewesen, er war auch unter den Festgenommenen.
Die Nachbarschaft
Vom Tatort aus sind es nur wenige Minuten zu Fuß in die Pfaffendorfer Straße. Es ist dort hübsch, auf etlichen Grundstücken werden Ferienhäuschen vermietet. Von hier kommt Lars Ulbrich, seine Adresse ist bekannt, sie wurde im Laufe der Jahre immer wieder notiert und überprüft, häufig bei Ermittlungen zu SSS-Aktionen. Weitere Mitglieder der Gruppe kommen aus derselben Straße, Ulbrich ist geblieben.
Aus Sicht der Polizei ist er ein rechtsmotivierter Intensivstraftäter, seit seiner Jugend wurde gegen ihn mindestens zwei Dutzend mal ermittelt, unter anderem wegen Bedrohungen und Sachbeschädigungen, einem Hausfriedensbruch und mehreren Landfriedensbrüchen, außerdem in etlichen Fällen der Körperverletzung und wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Ulbrich blieb der SSS auch nach dem Verbot der Gruppe verbunden, wirklich zerschlagen wurde sie ohnehin nie. Der Gruppenkern traf sich noch jahrelang regelmäßig, aber zunehmend konspirativ.
Die verdeckten Treffen fanden auch in der Pfaffendorfer Straße statt, wo Ulbrich wohnt. Von dort aus muss man nur noch ein kurzes Stück weiterlaufen, an fünf, sechs anderen Häusern vorbei, und steht dann vor der Tür von – Ivo Teichmann. Er und Ulbrich sind beinahe Nachbarn, sie teilen sich das gleiche „Nest“, das Teichmann nicht beschmutzt sehen will. Die beiden Männer sind auch bei Facebook miteinander befreundet. Dass der Abgeordnete regelrecht verharmlost, gar leugnet, was neulich bei Ulbrich los war, erscheint so in einem etwas anderen und gewiss keinem günstigeren Licht: Teichmann deckt den Neonazi von nebenan.
Der Griechenland-Konvoi
Auch ein anderer aktueller Fall legt nahe, dass Teichmann keine Berührungsängste mit der extremen Rechten hat. Dafür spricht eine einschlägige Neonazi-Chatgruppe, die Anfang März beim Messengerdienst Telegram eingerichtet wurde und nur wenigen, ausgewählten Personen zugänglich war. Teichmann war offenbar einer davon. Aus der inzwischen wieder gelöschten Gruppe wurden idas zahlreiche Screenshots sowie eine Kopie des kompletten Nachrichtenverlaufs zugespielt. Demnach planten Anhänger*innen der rechten Szene aus verschiedenen Regionen Deutschlands Aktionen unter dem Motto „Auf nach Griechenland“.
Zu dieser Zeit trafen auf der Insel Lesbos zahlreiche Geflüchtete ein, dort machten Rassist*innen Front gegen sie und gegen Hilfsorganisationen. Angestachelt von rechten Übergriffen kursierten bald auch in Deutschland Aufrufe, griechische Häfen sowie die Landgrenze zur Türkei zu „verteidigen“. In der Chatgruppe nahm man das wörtlich und verabredete sich, „die Griechen bei der Grenzsicherung zu unterstützen“ und zu „helfen das die Flüchtlinge nicht über die Grenze komm“. Geplant war ein „Konvoi von mindestens 5 voll besetzten Fahrzeugen“, mit dem man nach Griechenland fahren wollte, um „jeden Protest“ zu unterstützen und einzuspringen, wo es an Polizei- und Militärkräften fehlt.
Die Regie führten zwei Personen: Eine war eine junge, AfD-nahe Aktivistin aus Thüringen („Prinzessin T“), die ihren echten Namen nicht nennen wollte, aber Fotos von sich herumschickte, auf denen sie unter anderem mit dem Flügel-Anführer Björn Höcke und dem Pegida-Chef Lutz Bachmann zu sehen ist. Ihr echter Name: Charlotte Töpfer. Der andere war der Neonazi Sven Böhme aus Düsseldorf, der im Umfeld der NPD, bei der Partei „Pro Deutschland“ und zuletzt bei den „Patrioten NRW“ aktiv war. Ihre Chatpartner*innen gaben sich Namen germanischer Gottheiten, schmückten sich mit den Reichsfarben Schwarz, Weiß und Rot, grüßten sich als „Kameraden“. Einer schrieb, es gehe ihm um die „Pflege der eigene Rasse“. Das wollte man in Griechenland erledigen und dafür die direkte Konfrontation mit Geflüchteten suchen.
Der MdL „von der AfD“
In der Gruppe wurde abgestimmt, wer sich der Fahrt anschließen möchte, wer Geld geben könnte. Gefragt wurde unter anderem nach Zelten, um in Grenznähe ein Camp aufzuschlagen. Es gab bereits einen Zielort, den man gemeinsam ansteuern wollte. Doch es fehlte an Erfahrungen und an Ausstattung. Hilfesuchend wandten sich Chatbeteiligte an rechtsradikale Youtuber, der Name Klemens Kilic fiel. Man bemühte sich um Kontakt zu bekannten Szeneaktivisten wie Eric Graziani, zu Mitgliedern der verfassungsfeindlichen Identitären, zu nicht näher bezeichneten „Bikergruppen“ – und schließlich zu AfD-Verbänden.
Von Sven Böhme kam schon an dem Tag, an dem die Gruppe eingerichtet wurde, die Idee, „über die AFD Sachsen Kontakt nach Griechenland zu Leuten“ zu erhalten. Am frühen Abend war es dann so weit: Ein Nutzer namens „Ivo“ trat der erst einige Stunden alten Chatgruppe bei. „Guten Abend aus Sachsen“, schrieb er. „Ich würde als MdL gern mit vor Ort helfen.“ MdL heißt Mitglied des Landtages. Einer der Nutzer wusste sofort, dass jener Ivo „von der AfD“ ist. Wer das zugehörige Profil anklickte, um sich zu überzeugen, bekam ein Foto zu sehen, das tatsächlich Ivo Teichmann zeigt und mit einer Handynummer verknüpft ist.
Teichmans Profilangaben bei Telegram sind bis heute unverändert geblieben, und wer die hinterlegte Nummer anruft, erreicht den Abgeordneten persönlich. Sein Unterstützungsangebot im Neonazi-Chat hatte nur eine Bedingung: „Allerdings muss dies legal und wirksam sein.“ Was mit „wirksam“ gemeint war, erläuterte Teichmann nicht. Mit der Frage, was „legal“ ist, ging man flexibel um: Ein User, der zu Mäßigung und Gewaltverzicht riet, wurde verspottet und sofort wieder aus der Gruppe geworfen. Ein anderer schrieb, dass „illegal Einreisende jede Repressalie selbst zu verantworten“ hätten, „solange ihnen ohne Gegenwehr das Leben bleibt“. Alles geht, außer Töten. Niemand widersprach, auch nicht Teichmann.
Die kalten Füße
Dass bald Bedenken aufkamen, lag nicht an der Aussicht auf eigene, sondern an der Furcht vor fremder Gewalt: Mehrere User schilderten die Lage in Griechenland so drastisch, dass Sorgen um die eigene Unversehrtheit in Spiel kamen. Als dann noch Fotos die Runde machten, die blutende deutsche Neonazis in Griechenland zeigen, nahm man an, dass die Antifa schon vor Ort warten würde. Teichmann postete schließlich eine abfotografierte Teletext-Seite, der zufolge sich deutsche Sicherheitsbehörden plötzlich für „rechtsextreme Inhalte“ bei Telegram interessieren – für Chats wie diesen.
In der Gruppe bekam man kalte Füße. Die ersehnte Abreise nach Griechenland verzögerte sich Tag um Tag. So lange, bis die Pandemiezeit anbrach und alle Pläne zunichte machte. Ob Teichmann bis dahin sein Angebot umgesetzt hat, „wirksam“ zu helfen, ist unklar.
Quelle: https://idas.noblogs.org/?p=2045