Redebeitrag zur Demonstration „Gemeinsam gegen Rechts“ am 21.01.24 in Leipzig
Wir sind die AVL, eine antifaschistische Vernetzung linksradikaler Gruppen aus Leipzig. Wir freuen uns, dass heute in Leipzig schon zum zweiten Mal und bundesweit tausende Menschen auf die Straße gehen, um sich gegen die faschistische AfD und deren rassistische Abschiebepläne unter dem Titel der „Remigration“ zu positionieren. Es war überfällig, dass die Bedrohung, die von dieser Partei, ihren Verstrickungen in den bürgerlichen Konservatismus wie in die Neonazi-Szene, breit anerkannt und thematisiert wird.
Wir empfinden allerdings auch wachsendes Unbehagen, wenn wir uns das Demonstrationsgeschehen genauer anschauen. Konkret: Es macht uns wütend, wenn sich Parteifunktionäre, Ministerpräsidenten und Bürgermeister*innen wie heute Burkhard Jung unter die Demonstrationen mischen oder sie gönnerhaft loben. Wenn Politiker*innen, deren Parteien vor wenigen Tagen die „Remigration Light“ unter dem Titel „Rückführungsverbesserungsgesetz“ verabschiedet haben, versuchen Demonstrationen zu vereinnahmen. Die Abschiebehaft wurde damit von 10 auf 28 Tage verlängert. Abgeschoben wird jetzt ohne vorherige Benachrichtung, von einem Tag auf den anderen. Gleichzeitig werden Polizei und Justiz mehr Mittel zur Verfügung gestellt, um in die Grundrechte Geflüchteter einzugreifen. Zivile Seenotrettung wurde noch weiter kriminalisiert. Expert*innen stufen das Gesetz als potentiell verfassungswidrig ein, trotzdem wurde es verabschiedet. Und das war vorgestern!
Alex Steier von der Seenotrettungs-Organisation Mission Lifeline hat diese Woche dazu gesagt:
„Die Feinde der Demokratie und der Menschenrechte, sie sind in Amt und Würden. SPD, Grüne, FDP, auch gegen diese muss demonstriert werden, denn es ist eigentlich egal ob die AfD an der Macht ist oder nicht, wenn ihre Politik jetzt schon gemacht wird.“
Der Erfolg der AfD liegt eben schon darin, dass fast alle andere Parteien ihre rassistische, nationalistische und menschenverachtende Anti-Migrations-Rhetorik unbehelligt übernehmen. Das Gefährliche daran: In Regierungsverantwortung können diese Parteien AfD-Positionen ganz geräuschlos in Gesetze gießen und Realität werden lassen. Und genau das tun sie.
Aber wo waren die Großdemonstrationen, als letztes Jahr die EU-Asylrechtsreform beschlossen wurde? Ein Herzstück dieses Projekts ist es, Geflüchtete in Lagern an der EU-Außengrenze einzusperren, weit weg von zivilgesellschaftlicher und medialer Kontrolle. Wo waren die Großdemonstrationen, als die Ampelregierung anfing die Umsetzung des sogeannten „Ruanda-Modells“ nach britischem Vorbild prüfen zu lassen? Auch dabei ginge es darum, Geflüchtete aus Deutschland nach Nordafrika abzuschieben, um diese Menschen fernab der Öffentlichkeit in einem Lagersystem danach zu filtern, welche „Wert“ sie für die deutsche Wirtschaft haben. Dass in diesen Modellen faire Asylverfahren und menschenwürdige Unterbringung gewährleistet werden können, glaubt wohl niemand. Trotzdem blieb es still.
Sind wir also nur dann gegen Lager und Massenabschiebungen, wenn die AfD sie fordert und als „Remigration“ bezeichnet? Nein, wir müssen unsere rote Linie schon dort ziehen, wo die die Ampel sie umsetzt. Wir dürfen nicht nur aus Sorge vor der AfD gemeinsam auf der Straße stehen, sondern weil die Bundesregierung die Lebensbedingungen von Geflüchteten gerade noch einmal drastisch verschlechtert hat.
Als Antifaschist*innen solidarisieren wir uns mit allen von Gefängnis und Abschiebung bedrohten Menschen, egal ob oder welchen Pass sie besitzen! Für uns beginnt der Skandal nicht erst bei den Deportationsträumen einiger Nazischweine aus CDU und AfD, sondern bereits bei der ganz realen unmenschlichen Abschottungs- und Abschiebepolitik Deutschlands und der EU, die jeden Tag Menschen einsperren, ertrinken, erfrieren und verdursten lassen. Wir fordern: Stoppt die AfD mit allen Mitteln und nieder mit der Festung Europa! Bleiberecht für alle und Schluss mit den Lager- und Stacheldrahtplänen der Ampel-Regierung!
Und genau diese Forderung nach einem konsequenten Vorgehen gegen Faschist*innen und einer klaren Ablehnung der rassistischen staatlichen Institutionen bringt Menschen immer wieder in die Situation, dass sie selbst Ziel staatlicher Gewalt werden. Deshalb sagen wir: Eure Solidarität brauchen wir dringend auch dann, wenn es bundesweit Hausdurchsuchungen gegen Antifaschist*innen gibt, wie zum Beispiel bei denen, die sich am 1. Mai in Gera den Neonazis gegenübergestellt haben! Eure Empörung muss auch dann unüberhörbar sein, wenn wie im vergangenen Juni in Leipzig die Versammlungsfreiheit außer Kraft gesetzt und über 1300 größtenteils junge Antifaschist*innen über Nacht und unter katastrophalen Bedingungen in einem Kessel gefangen gehalten werden.
Diese Maßnahmen reihen sich ein in die schwerste Welle von Repression gegen Antifaschist*innen seit langem, die gerade auch hier in Leipzig spürbar ist und die immer mit traumatischen Erfahrungen einhergeht. Wir zählen in den kommenden Monaten auf diejenigen, die auch in solchen Momenten mit uns fühlen und uns unterstützen. Wir zählen auf euch, dir ihr euch heute entschieden habt, gegen Faschist:innen auf die Straße zu gehen. Denn konsequent antifaschistisch handeln, das können wir nur mit unserer gemeinsamen Stärke.
Auf wen wir uns ganz sicher nicht verlassen? Auf die, die solche Maßnahmen veranlassen und trotzdem die Dreisitigkeit besitzen hier aufzuschlagen. An Leipzigs Bürgermeister Burkhard Jung – an alle SPDler, Grüne, CDUler und FDPler – euer Zeichen gegen Rechts könnt ihr euch sparen, wenn ihr den Menschen, die sich wirklich tagtäglich gegen Neonazis behaupten müssen, immer wieder in den Rücken fallt, sobald es sich anbietet. Denn dann ist dieses Zeichen verlogen.
Die Geschichte zeigt uns, dass man sich im Kampf gegen Neonazis niemals auf den Staat und seine Organe verlassen darf. Wir dürfen uns nicht mit der stille Hoffnung beruhigen, dass die vielen Politiker*innen, die heute hier sind, im Kampf gegen Nazis und deren Ideologie eine wirkliche Stütze sind. Den Kampf gegen strukturellen Rassismus in Staat und Gesellschaft, gegen faschistische Kräfte – denn müssen wir selbst organisieren. Es wird niemand für uns machen. Organisiert Solizimmer für Geflüchtete, helft Leuten einen Aufenthaltsstatus zu bekommen. Sammelt Sachspenden, sammelt Geld für Anwaltskosten und Bleiberechtsverfahren. Vernetzt euch mit Freund*innen, unterstützt lokale Initiativen, gründet antifaschistische und antirassitische Gruppen.
Informiert euch darüber, was in eurer Stadt passiert und wie ihr selbst gegen Nazistrukturen aktiv werden könnt. Widersprecht, wenn antifaschistische Praxis deligitimiert wird. Lasst euch nicht sagen, welche Mittel im Kampf gegen den rassistischen Normalzustand und Faschismus angemessen sind.
Und natürlich bedeutet das auch weiterhin einen breiten, gemeinsamen Protest gegen die AfD wie hier und heute. Wir gehen einen wichtigen Schritt. Aber lasst uns aber nicht aus den Augen verlieren, dass unser Problem nicht nur die AfD, sondern die autoritäre Formierung und Faschisierung der gesamten Gesellschaft ist. Breiter Protest muss nicht heißen, dass wir die Menschenfeinde aus CDU und Ampelparteien damit davonkommen lassen sollten, den völkischen Träumen der AfD seit Jahren den realpolitischen Weg zu bereiten und antifaschistische Arbeit zu kriminalisieren. Der Kampf hat erst begonnen! Schließt euch zusammen und kämpft für eine echte Alternative – zu den völkischen Fantasien der AfD wie zum rassistischen Normalzustand, den die Regierung uns als menschenwürdig und demokratisch verkaufen möchte.
Zu Boden mit den Rechten und dem autoritären Staat! Freiheit und Glück an alle Untergetauchten und an alle Gefährt*innen im Knast! Lang lebe die antifaschistische Aktion! Alle zusammen gegen den Faschismus!