Gegen den Feiertagsaktivismus!
Disclaimer: Der Artikel wurde von einigen Leuten aus der OAV geschrieben und spiegelt nicht die Meinung der gesamten OAV wider.
Während in den 90ern noch die reine Kampagnenarbeit der Autonomen kritisiert wurde, (Stichwort Heinz-Schenk-Debatte)[1] sind wir nun einen Schritt weiter in der taktischen Verwahrlosung und betreiben einen Feiertagsaktivismus. Während früher noch Ein-Themen-Kampagnen gefahren wurden (wie die Anti-Shell-Kampagne, Flüchtlingsaktivismus, Anti-Knastarbeit usw.) oder wenigstens von einer Gruppe mehrere Veranstaltungen zu einem Thema gemacht wurden (wie Antisemitismus in der radikalen Linken, Soliabende zu den Zapatistas, Perspektiven antikapitalistischer Ökonomie), richtet sich heute unser Aktivismus nur noch nach dem Kalender. Fairerweise muss mensch gestehen, dass linksradikaler Aktivismus sich auch noch zusammensetzt aus (antifaschistischer) Feuerwehrpolitik, Szene-Selbst-Bespaßung, Randale und nächtlichen Aktionen. Zu dem Sinn und Unsinn dieser Aktionen wurde schon viel geschrieben. Dagegen wurde bisher kaum etwas zum Feiertagsaktivismus gesagt. Dazu ein paar kurze Gedanken.
Das Jahr beginnt am 27.01 mit der Ausschwitzbefreiung. Am 8. März ist Flinta*- oder Frauen-Kampftag. Am 15. März dann der Tag gegen Polizeigewalt. Am 18. März folgt sogleich der Tag der politischen Gefangenen. Am 30.04 ist Take-Back-the-Night und am 1. Mai gibt es dann die Babylon Berlin Aufführung mit dem ritualisiertem 30 minütigen Steineschmeißen. Gleich 7 Tage später folgt die Feier zum Sieg gegen den Nationalsozialismus. Am 09.11 ist dann der Tag zum Gedenken an die Reichspogromnacht. Schließlich ist am 25.11 der Tag der Gewalt gegen Frauen. Genauso sinnvoll wie das Jahr anfängt, endet es dann auch mit der 13.12 Demo. All den angegebenen Tagen ist gemein, dass sie von der großen Öffentlichkeit absolut unbemerkt stattfinden. Fragt doch mal euren Nachbarn, Arbeitskollegen oder Mitschüler ob er schon mal was vom „Tag der politischen Gefangen“ gehört hat. Natürlich nicht, denn öffentlichkeitswirksame Demonstrationen und Pressearbeit sind ja bürgerlich und reformistisch. In der Regel wird daher oftmals nur zum „Gemeinsamen Briefe an Gefangene schreiben“ oder Küfa eingeladen, bei denen genau die gleichen 10-15 Menschen aufkreuzen, die auch schon auf dem Plena der unbedeutenden Kleingruppe saßen, welche die Selbstbespaßung plante.
Bei den historisch tradierten Tagen wie dem 8. März oder 1. Mai sieht es anders aus. Da dominieren reformistische und rot-rote Gruppen die Demonstrationen. In der Regel wird es noch nicht einmal geschafft, einen autonomen oder geschweige denn anarchistischen Block auf die Beine zu stellen. Ansonsten müsste ja die Notwendigkeit von offener Organisierung und verbindlicher Arbeit zugegeben werden. Es wird daher brav in dem Block mitgelaufen, der am schwärzesten gekleidet ist.
Zu all den Demos erscheinen Linksradikale in genau der gleichen Art und Weise: Schlecht bis mäßig vermummt und mit den immer gleichen Transpis. Auf den Transpis sind Molotvcocktails oder Steinschleuder abgebildet, dazu oft noch eine vermummte Person. In der Regel steht noch ein Spruch dabei, der eigentlich keinerlei wirkliche Bedeutung hat. Wie „Freiheit beginnt, wo Herrschaft aufhört“, „Fight the System“ oder „Flintas die kämpfen sind Flintas die leben“. Die Sprüche sollen eigentlich martialisch wirken, aufgrund der Begleitumstände und dem Fakt, dass diese schon seit 50 Jahre lals Phrasen verwendet werden, aber nur noch langweilig wirken. Eine realpolitische Bedeutung, Forderung, Analyse oder sonst irgendein erkennbarer Sinn, verbirgt sich eh nicht hinter den Sprüchen. Sie dienen der Selbstvergewisserung einer kleinen Gruppe und sind aus dem Mangel an Kreativität und Theorie entstanden. Eigene anarchistische oder antideutsche Inhalte werden ansonsten gesetzt durch die Übertönung von „Hoch die internationale Solidarität“ durch „Hoch die antinationale Solidarität“.
Es gibt aber noch die 1-2 organisierten autonomen und anarchistischen Gruppen. Bei diesen wurde über die Demo ein bis zwei Wochen davor auf dem Plenum informiert. (Wer hätte es auch ahnen können, dass der 15. März dieses Jahr wieder kommt?) Alle sind sich einig, dass etwas gemacht werden muss. Aus Mangel an Vorbereitungszeit wird ein Flyer geschrieben und mit einem Drucker, der eigentlich schon weggeschmissen werden sollte und daher praktischerweise kostenlos zugänglich war, ca. 50 schwarz-weiß Exemplare mit Farbflecken gedruckt. In dem Text, an dem 1-2 Personen mitgeschrieben haben, wird auf das Event hingewiesen und der Reformismus der Veranstaltung kritisiert. Als Lösung wird „Bildet Banden“ oder „Überlegt euch selbst, was ihr dagegen machen könnt“ angegeben.
Das gute an all diesen Feiertagsdemos ist, dass sie sowieso niemanden interessieren. Ähnlich wie wiederkehrende Demonstrationen in der DDR oder Gedenktage in der BRD sind sie absolut belanglos. Warum sollte mensch auch ritualisiert irgendwo mitlatschen? Inhalte und Forderungen sind eh nicht vorhanden. Es wird demonstriert, weil es der Kalender will und nicht irgendein Anlass. Wer findet denn solche Tage wirklich toll? Seid ehrlich, wenn ihr in der Straßenbahn lest, dass heute der „Tag des Schweines“ oder „Tag der Gefahren des Lungenkrebses“ ist, findet ihr das interessant? Nein, es nervt einfach nur. Die politische Strategie, sich Tage rauszusuchen und an denen auf irgendwelche Gefahren, Notwendigkeiten, Unglücke oder Siege hinzuweisen ist absolut nervtötend. Ausnahmen wären hier vlt. noch große Jahrestage, da an denen wirklich kontinuierlich das Jahr über Veranstaltungen von mehreren Gruppen stattfinden.
Was also bleibt als Lösungsvorschlag? Lassen wir die Feiertage hinter uns! Wenn ihr Themenschwerpunkte habt, dann macht Kampagnen dazu, also mehrere Veranstaltungen und Vorträge. Legt euch auf 2-3 Themen das Jahr fest. Oftmals gibt es so viel antifaschistische Feuerwehrpolitik und Repression, dass ihr eh nicht zu mehr kommt. Lest gemeinsam Texte zu den Themen und arbeitet dann gemeinsam Positionen aus. Wenn ihr beispielsweise wirklich politischen Gefangenen helfen wollt, dann macht dazu öffentlichkeitswirksame Kampagnen und sammelt Gelder oder baut durch militante Aktionen Druck auf. Lasst uns also wieder zu den eigentlichen Aufgaben zurückkommen: Massenbewegungen aufzubauen und zu unterstützen. Die radikale Linke ist entstanden, um Streiks zu supporten oder andere notwendige Kämpfe wie zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen oder Homosexualität. Wir haben auch jetzt genügend dringliche Probleme und aktuelle Kämpfe, auf die wir uns lange vorbereiten und gegebenfalls schnell intervenieren müssen.
Lassen wir die Feiertage hinter uns!
PS: Auch viele große post-autonome oder bürgerliche antifaschistische Gruppen wie beispielsweise die Interventionistische Linke oder Leipzig nimmt Platz betreiben so einen Feiertagsaktivismus. Die Kritik richtet sich auch dezidiert an Gruppen, die ansonsten Kampagnenarbeit oder kontinuierliche Aufbauarbeit leisten! Hört auf mit gezwungenermaßen jeden Feiertag zu zelebrieren!
[1] Heinz Schenk: Wir sind doch kein Kampagnenheinz, unter: https://offeneanarchistischevernetzungleipzig.blackblogs.org/2024/01/11/heinz-schenk-debatte/