Verwandte von Marinus van der Lubbe in Leipzig: – Leipzig: Würdige letzte Ruhestätte für Marinus van der Lubbe
Bei der Einweihung einer neuen Grabstätte für Marinus van der Lubbe loben dessen Verwandte das Leipziger Engagement für einen jungen Niederländer, der 1933 den deutschen Reichstag angezündet haben soll.
Trotz bitterer Kälte herrschte eine heitere Stimmung bei der Einweihung am Mittwoch auf dem Südfriedhof. Allen Rednern war eine gewisse Erleichterung anzumerken, dass Marinus van der Lubbe nun „erstmals sein eigenes Grab hat“, wie Alfred E. Otto Paul von der Leipziger Paul-Benndorf-Gesellschaft sagte. Auf den Tag genau 90 Jahre nach seiner Hinrichtung ende damit die Zeit, in welcher der junge Mann aus den Niederlanden nur anonym bestattet war. „Teils galt der mutmaßliche Täter des Reichstagsbrandes sogar als unerwünschte Person.“
Zur Einweihung der neuen Grabanlage waren auch drei der vier letzten direkten Verwandten van der Lubbes nach Leipzig gekommen. Patrick Onel, der eine kleine Maschinenbaufirma in Amsterdam betreibt, fasste ihre Sicht und Gefühle zusammen – auch weil er als einziger sehr gut Deutsch spricht. „Mein Großvater war der Bruder von Marinus van der Lubbe. Auch eine Nichte meiner Mutter und ein Neffe sind heute aus Spanien und den Niederlanden angereist, weil uns dieser Tag besonders wichtig ist.“ Nur die Mutter der Nichte habe aus Altersgründen zu Hause bleiben müssen.
Kritik in den Niederlanden
Der Familie habe es sehr gutgetan, zu sehen, wie sich in Leipzig um die letzte Ruhestätte van der Lubbes gekümmert wurde, sagte Onel. „In den Niederlanden gab es auch Stimmen, die die Graböffnung vor einem Jahr eher kritisch sahen. Doch dazu gehörten nicht wir als direkte Verwandte. Wir wurden hier vorab gefragt, ob wir damit einverstanden sind. Wir haben immer dafür gestanden, dass die Wahrheit nach oben kommen muss. Die Geschichte hat das Recht, nach der Wahrheit zu suchen.“
Tatsächlich seien die Stadt Leipzig, die Paul-Benndorf-Gesellschaft und das Institut für Rechtsmedizin der hiesigen Universität dann sehr rücksichtsvoll und professionell bei der Exhumierung vorgegangen, lobte der Verwandte. Er selbst hatte eine Speichelprobe für die DNA-Analyse zur Verfügung gestellt. Diese wurde mit Proben der Gebeine in einem bislang anonymen Grab verglichen. Unter anderem im Abgleich mit einem Zahn konnte so zweifelsfrei bewiesen werden, dass die sterblichen Überreste in dem Eichensarg von Marinus van der Lubbe stammen. In dieser zentralen Frage gab es zuvor keine Sicherheit.
Andere Punkte – zum Beispiel ob der erst 24 Jahre alte Maurer bei seinem Strafprozess am Leipziger Reichsgericht unter Drogen gesetzt wurde – konnte die forensische Untersuchung allerdings nicht klären. Für Onel ist das kein Problem. „Jetzt können wir in jedem Fall sagen, es wurde alles versucht, um die Wahrheit aufzuklären. Es sind alle Mühen vollbracht, um der Geschichte Gerechtigkeit zu tun. Dafür möchten wir uns bei allen Beteiligten hier in Leipzig sehr bedanken.“
Wie wichtig das Wissen um die Geschichte sei, zeige auch das Schicksal um die Familie seiner Ehefrau, so der Besucher aus Amsterdam. „Ihre jüdische Familie hat während der Nazi-Zeit 90 Mitglieder verloren.“ Van der Lubbe habe zu den mutigen Menschen gehört, welche die Machtübernahme der Faschisten in Deutschland 1933 verhindern wollten. Besonders tragisch sei, dass Hitlers Helfer den Reichstagsbrand dann zum Vorwand nahmen, um ihre Diktatur zu errichten. „Ich glaube aber, dass die Jugend heute klüger ist. Sie wird sich daran erinnern, wie viel Leid solche Diktaturen über die Menschen bringen.“
Die Geradlinigkeit des jungen Mannes, der um seine Ansichten, Ziele und Taten auch bei den damaligen Ermittlungen von Justiz und Polizei keinen Hehl machte, dürften noch heute als gutes Vorbild taugen, meinte Friedhofsforscher Alfred E. Otto Paul. Lange Zeit habe der Sarg van der Lubbes unter Urnengräbern versteckt gelegen. Nun gebe es eine gut sichtbare, würdige Grabstätte mit einem besonderen Gedenkstein und einer Informationsstele. „Wir als Paul-Benndorf-Gesellschaft werden dieses Grab ganz selbstverständlich wie für einen Bruder pflegen und ehren“, sagte der Vorsitzende dieses Vereins mit fast 300 Mitgliedern, der sich der Pflege und Erforschung historischer Grabstätten verschrieben hat.
Friedhöfe als Erinnerungskultur
Verwaltungsbürgermeister Ulrich Hörning (SPD) hob hervor, dass Friedhöfe ein wichtiger Teil der Erinnerungskultur seien. Der Zettel mit Erläuterungen auf der neuen Informationsstele sei noch etwas provisorisch, werde aber zeitnah durch eine wetterfeste Variante ersetzt. Der niederländische Künstler Ronnie Sluik erzählte, wie es zum 90. Geburtstag Marinus van der Lubbes zur Aufstellung eines Gedenksteins auf dem Leipziger Südfriedhof kam – damals aber noch nicht direkt am Sarg. „Der Stein besteht aus dem gleichen Material wie der Reichstag. Darauf sind auch Verse aus einem Gedicht zu lesen, das van der Lubbe während seiner Haft in Leipzig schrieb. Er war ein Einzelgänger, ein Anarcho-Kommunist, zugleich ein kluger und belesener junger Mann.“
Am 10. Januar 1934 wurde van der Lubbe im Hof des Landgerichts (an der heutigen Harkortstraße) hingerichtet und dann anonym bestattet. Laut dem Historiker und Linken-Stadtrat Volker Külow war das Todesurteil ein politisch motivierter Justizskandal. „Es war eine absichtliche Missachtung von seit Langem gültigen Rechtsstaatsprinzipien, weil die Todesstrafe extra für van der Lubbe rückwirkend eingeführt wurde.“ Die nun endlich vollständige Grabstätte sei auch eine Mahnung gegen staatliche Willkür, meinte Külow bei einem wissenschaftlichen Symposium in der Friedhofskapelle.