Zu möglichen Vorzügen unangemeldeter Demos.
Bisher unter anderem:
Eine Auswertung zur Demonstration „Freiheit für alle Antifaschist*innen“ am 31. Mai 2023
Ich bin nicht aktivistisch organisiert, sehe das meiste nur von außen.
Da ich deshalb wenig bis keinen Einblick habe, weiß ich nicht, inwiefern ich bereits reflektiertes wiederhole. Da ich mich in den meisten Dingen wiederfinden kann, schreibe ich, wenn es um die antiautoritäre linke Szene geht, in der „Wir“ Form.
Mir ist bewusst, dass angemeldete Demos auch ihre Vorteile haben. Im Folgenden soll es aber um mögliche Vorteile von unangemeldeten Demos gehen – und ein bisschen um Demonstrationskultur allgemein. Eine allgemeine Auseinandersetzung scheint mir angemessen, wenn man über Anmelden oder nicht Anmelden diskutiert.
Ob Demo, Kundgebung oder Soli-Konzert: Es wird angemeldet. Anstatt sich den Raum zu nehmen. Damit machen wir uns kleiner als wir sind. Es wird teilweise davon ausgegangen, dass es nur so möglich ist, sich „sicher“ zu versammeln. „Die Bullen werden uns nichts tun, weil wir vom Versammlungsrecht geschützt sind“. Einmal stimmt das so nicht und zweitens kann das doch nicht ernsthaft die Perspektive sein. Selbstschutz zu etablieren wäre doch mal eine Perspektive, unabhängig ob angemeldet oder nicht. Also die Menschen darin zu bestärken, sich selbstbewusst zu versammeln, aufeinander aufzupassen, Verantwortung zu übernehmen. Sich nicht an Ordner*innen gewöhnen, sondern selbst aufpassen, dass z.B. die Demo der Tram nicht zu nah kommt.
Durch die Anmeldung ordnest du dich nicht nur den Gesetzen und Verordnungen der Behörden unter, es bestärkt auch eine Art von Konsummentalität. Selbstorganisation und Spontanität z.B. durch Einzelpersonen oder Bezugsgruppen ist eingeschränkter möglich. Schwächt man sich dadurch nicht selbst? Es fühlt sich teilweise etwas zahnlos an, was bei einer angemeldeten Demo passiert. Es wird erlaubt „einmal um den Block“ zu laufen – aber dann ist es auch gut! Ich bin ja schon jedes mal hart genervt, wenn ich die ganzen Auflagen am Anfang einer Demo höre. Es fühlt sich nach „klein halten“ an. Genau das soll es ja auch im Endeffekt bezwecken. Grundsätzlich kontrollieren die Ordnungsbehörden Versammlungen, um alles was dem Staat gefährlich werden könnte klein zu halten, bzw. erstmal zu verhindern, dass überhaupt eine Bewegung/Kraft entstehen kann, die widerständig gegenüber dem Staat ist und für Autonomie kämpft. Hat sich die Praxis Versammlungen anzumelden einfach so eingespielt? War es mal anders in Leipzig? Was ist seitdem passiert? Bestimmt können ältere Gefährt*innen etwas dazu erzählen. Eine gelungene, unangemeldete Demo kann auf jeden Fall das Selbstbewusstsein der Menschen stärken und lokal bis überregional die Bewegung/Szene.
Eine Dynamik kann entstehen, die dafür sorgt, dass das Momentum auf unsere Seite kippt. Unkontrollierte Versammlungen können einen anderen Druck erzeugen. Die Bereitschaft / das Bekenntnis von Menschen sich notfalls mit Gewalt durchzusetzen, wird erleichtert. Und diese Bereitschaft ist wertvoll: „(…) der zur Schau getragene Unwille, sich in Konflikt notfalls mit Gewalt zu behaupten, machen die Linke gerade in Zeiten der Zuspitzung gesellschaftlicher Spannungsverhältnisse unattraktiv.“
Wenn angemeldet wird, erscheint es zumindest so, dass viele Leute mit angezogener Handbremse agieren. Ein Grund könnte sein, dass man sich Dinge zweimal überlegt, um zu vermeiden, dass die Person die angemeldet hat, im Nachgang Stress bekommt.
Latschdemos: Es gibt ja das Phänomen dass Leute kein Bock mehr auf klassische Latschdemos haben. Oder nur auf die Straße gehen wenn die Sache verspricht größer oder dynamisch zu werden. „Nicht wenige sehen in sich schon eine gewisse Prominenz, die nur dann die Straße betritt, wenn einiges geboten wird.“
Wenn also Latschdemos beliebter sein könnten, was tun? Dazu kommt dass klassische Latschdemos manchmal eher einem niedergeschlagenen Gefühl als einem Aufstehen gleichen. Vllt können unangemeldete Demos Voraussetzungen schaffen, um Dynamiken aufzubrechen und neue Potentiale freizumachen. Die Lust am gemeinsamen Herumlaufen kann wieder entdeckt werden, kollektive Stärke neu erlebt werden, die Konfrontation, das Aufbegehren, spontane Routenwechsel, kleine und größere Reibereien mit den cops, das Blockieren von cops, den cops einen Schritt voraus sein, direkte Aktionen…
All das ist (einfacher) möglich, wenn nicht angemeldet wird. In Bezug auf Selbstorganisation können Teilnehmer*innen innerhalb unangemeldeter Demos anders Erfahrungen machen. Aus dem simplen Grund, weil sie notwendiger ist, um sich auf der Straße gegenüber den cops zu behaupten. Eine besser funktionierende Bezugsgruppenpraxis, deren Wichtigkeit ja regelmäßig betont wird, könnte also ein positiver Nebeneffekt sein: „Weil eine funktionierende Bezugsgruppenpraxis meiner Wahrnehmung nach bei weitem zu wenig ausgeprägt ist, kommt es dann doch immer wieder zu den bekannten Latschdemos.“ [1]
Versammlungsgesetz: Überall werden Versammlungsgesetze verschärft. Wird dann einfach zukünftig jede Verschärfung abgenickt, zB Personalien von Ordner*innen weiterzugeben? Oder mal grundsätzlich das Spiel nicht mehr mitspielen?
Möglicher Ausblick: Langfristig ist es theoretisch möglich, eine Kultur des Nicht-Anmeldens zu etablieren. Dafür ist es hilfreich, wenn der Großteil der linken Szene mitzieht, es also „ganz alltäglich“ wird. Denkbar wäre auch, dass es für die cops auf Dauer zu stressig ist, immer wieder unangemeldete Demos zu verhindern, nur weil sie unangemeldet sind. Die Potentiale oder Nicht-Potentiale von unangemeldeten Demos können ja Menschen ja mal diskutieren. Sollte das realistisch werden, gilt es auf jeden Fall das Narrativ „Unangemeldet = Eskalation“ abzubauen. Es muss klargestellt werden, dass unangemeldet erstmal gar nichts über den etwaigen Charakter einer Demo aussagt, außer dass diese halt eben unangemeldet ist. Es kann bestimmt nicht schaden, einen Erfahrungsaustausch mit Strukturen aus Freiburg aufzunehmen. Auch wenn dort der Umgang der Behörden und cops mit Demos weniger repressiv ist. Es gab z.B.: teilweise Leute aus der Demo Orga, die während der Demos mit den cops und Ordnungsamt verhandelten. Optimal wäre, wenn die Identität des Verhandlungs-Team gegenüber den Cops geschützt wird, also dass keine Personalien angegeben werden.
Rechtliche Konsequenzen und das Für und Wider müssen sorgfältig abgewogen werden. Das kann und soll dieser Text nicht leisten. Dieser ist eher als eine Ergänzung und Impuls zu verstehen.
[1] https://paradox-a.de/texte/talk-about-our-demonstrations-2/Foto: https://www.flickr.com/photos/agfreiburg/5616925471/in/album-72157626492474484/