Über den Abgrund

Die letzten Zeiten haben deutlich gemacht, dass die bürgerliche Gesellschaft in einer schlechten Verfassung ist. Nicht nur, dass sie von einer Ausnahmesituation in die nächste stolpert, sie zeigt sich auch unfähig diese abschließend zu bewältigen. So kommt es, dass in der Konfrontation mit neuen Problemen, die alten Probleme fortdauern und sich zu den neuen hinzuaddieren. Dies führt in der Summe dazu, dass die Gesellschaft sich in eine Krise hineinbewegt.

Dabei ist diese Krise weniger das, was in Medien und Politik alles als Krise bezeichnet wird: Energiekrise, Coronakrise, Finanzkrise, Flüchtlingskrise und was nicht alles noch, waren jedenfalls zu Beginn keine wirklichen Krisen; es waren im weitesten Sinne handhabbare Probleme. Probleme sind keine Krise, sie werden dazu erst, wenn die Kraft für die Bewältigung der Probleme in der Gesellschaft nicht mehr reicht.

Dass die Kraft nicht mehr reicht zeigt sich nicht daran, dass es Menschen schlecht geht oder an allgemeiner Verelendung. Gerade dagegen zeigte sich die bürgerliche Gesellschaft schon immer gleichgültig; so lange, wie die Elenden sich nicht wesentlich beklagen, gibt es kein Problem mit Verelendung. Selbst aus Elend gespeister Protest kann ganz allgemein und für lange Zeit ignoriert werden.

Vielmehr zeigt sich das Versiegen gesellschaftlicher Kraft daran, dass scheinbar antagonistische Kräfte erstarken, die die bürgerliche Gesellschaft bedrohen, ihr in offener Feindschaft gegenübertreten und einen zersetzenden Effekt ausüben, sowohl auf das soziale, wie auch auf das strukturelle Gefüge der Gesellschaft. Um einem Missverständnis direkt vorzubeugen: Gemeint ist nicht eine progressive linke Bewegung, die den Weg in eine hoffnungsvolle Zukunft weist. Es geht hier um Kräfte, die die Krise als Machwerk schlechter Menschen interpretieren und die glauben, dass sich diese Probleme durch Gewalt und Diktatur beseitigen lassen. Die Krise zeigt sich darin, dass sich zunehmend Menschen bedroht fühlen von einer überlegenen und geheimen Kaste, die ihren Wohlstand von oben her aufsaugen will und einer minderwertigen Schar von Bettler:innen, die auf den Wohlstand kein Anrecht hat. Dieses Denken und das daraus resultierende Handeln ist in aller Kürze der Faschismus.

Das bringt autonome Politik in eine Zwickmühle. Denn in dem Moment, wo die bürgerliche Gesellschaft vom Faschismus bedroht wird, muss sie gegen diesen verteidigt werden. Zugleich bleibt die Notwendigkeit, selbst Front zu machen gegen den Staat und seine bürgerliche Ideologie. Nicht, weil einzelne oder konkrete Probleme dazu drängen, sondern weil es die bürgerliche Gesellschaft selbst ist, die sowohl die Probleme, in der Folge die Krise, als auch den Faschismus hervorbringt.

Es bringt autonome Politik aber auch in eine Konfliktstellung mit anderen linken Kräften, da diese – egal ob liberal oder radikal – dazu tendieren, sich mit der bürgerlichen Gesellschaft und deren Interessen zu identifizieren, beziehungsweise nicht die Kraft aufbrachten, überhaupt eine inhaltliche Trennschärfe zu entfalten. Im Angesicht der Krise werden Anstrengungen unternommen gegen einzelne Probleme vorzugehen, als wären sie lösbar. Die Rechnung dahinter ist denkbar schlicht: Ist die Krise die Summe an nicht mehr zu bewältigenden Problemen, müssen Probleme beseitigt werden, damit es in der Summe nicht zur Krise kommt. Damit aber verfolgt linke Politik den gleichen Ansatz wie bürgerliche Politik. Das als Vorbereitung für eine fortschrittliche Überwindung der bürgerliche Gesellschaft notwendige antagonistische Verhältnis zum Bestehenden wird nicht erreicht.

Autonome Politik zielte schon immer auch darauf ab, die Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft deutlich zu machen, gerade da, wo sie verschleiert werden sollen; ebenso die Gewalt des Bestehenden aufzuzeigen, indem durch Verdrängung und Verdunklung unsichtbar gewordene Konflikte wieder ins Konkrete zurückgeholt werden. Angesichts der Krise aber fällt der Schleier wie von selbst, die Gewalt der bürgerlichen Gesellschaft tritt ganz offen zutage. Dies ist der Moment autonomer Neubestimmung; hierzu ist der Blick nötig auf die bürgerliche Gesellschaft, den Faschismus, die Linke und uns selbst.

 

#Bürgerliche Gesellschaft

I

Die bürgerliche Gesellschaft konnte über viele Jahre von sich selbst behaupten, die fortschrittlichste Gesellschaftsform der Welt zu sein. Das hat wesentlich den Grund darin, dass mit der industriellen Revolution eine weltweite Überlegenheit bezüglich der Entwicklung neuer Technologien entstand. Dabei ist der Fokus auf technischen Fortschritt als Ausdruck von ganz allgemeiner Fortschrittlichkeit kein exklusiver Aspekt bürgerlicher Ideologie: technischer Fortschritt sichert Überlegenheit auch im Militärischen. In einer unfriedlichen Welt, die durch Unterwerfung und Herrschaft geprägt war, ist dies ein sehr relevanter Faktor. So ist es auch wenig verwunderlich, dass sich mit dem technischen Fortschritt die europäische Expansion entfaltet und ganze Kontinente unterworfen wurden. Die Unterwerfung fand dabei allerdings nicht in einer gänzlichen Übernahme lokaler Herrschaftsstrukturen statt, sondern vielmehr – nachdem diese ihre Unterlegenheit eingeräumt hatten – in Kooperation mit diesen.

Der erste wirkliche und ernstzunehmende Konkurrent und Widersacher trat mit Beginn der Revolution in Russland 1917 bis zu ihrem Untergang Anfang der 1990er Jahre mit der Sowjetunion auf den Plan. Die Sowjetunion wehrte sich sowohl gegen die Expansion der bürgerlichen Gesellschaft, als auch hielt sie ein noch fortschrittlicher gedachtes Gesellschaftssystem entgegen. In dieser Deutlichkeit gelang dies lange Zeit niemandem. Das führte auch dazu, dass nach dem Untergang der Sowjetunion ein verfrühtes Siegesgefühl in den bürgerliche Gesellschaften einsetzte; es wurde angenommen, dass sich das überlegene Gesellschaftsmodell durchgesetzt habe – und zwar nicht nur im Konflikt zwischen der Sowjetunion und der bürgerlichen Gesellschaft, sondern das fortschrittlichste Gesellschaftsmodell überhaupt. Die schwärmerische und romantische Vorstellung über sich selbst, mit welcher sich die bürgerliche Gesellschaft seit je her über all ihre Schandtaten hinwegtäuscht, nahm durch diesen „Sieg“ wieder an Fahrt auf: durch die immer weiter fortschreitende Ausbreitung des Kapitalismus sollten sich zugleich weltweit die Grundprinzipien von Demokratie und Menschenrechten verwirklichen. Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes sah man auch das Ende vieler Probleme gekommen, oder wie es manchmal heißt: das Ende der Geschichte.

II

Der Konflikt, der sich aus der Vorstellung vom „Ende der Geschichte“ und der gesellschaftlichen Realität ergab, zeigte sich insbesondere im Verhältnis des BRD-Bürgertums zum deutschen Osten: In Deutschland folgte auf das Ende der Sowjetunion ein regelrechter Überfall der bürgerlichen Gesellschaft der BRD auf das ehemalige Gebiet der DDR. Alle Strukturen und Gefüge, die noch an das alte System erinnerten, wurden zerschlagen, ganz gleich, ob sie wesentlich mit dem SED-Regime zusammenhingen oder nicht. Die sogenannten „Volkseigenen Betriebe“ wurden über die Treuhandanstalt privatisiert und in weiten Teilen ruiniert, etliche Beschäftigte verloren ihre Arbeit und Existenzgrundlage. Pläne, wie sie etwa die Gruppierung „Demokratie Jetzt“, die später in das „Neue Forum“ überging, verfolgte, den Beschäftigten Betriebsanteile zukommen zu lassen, wurden nie realisiert. Gerade in diesen und ähnlichen Strukturen aber kam der Teil des Bürgertums, der in der DDR als Rest überwintert hatte, zum Vorschein, wenn auch verwandelt: Sozialistische Ideen wurden hier gar nicht per se abgelehnt. Auf diese Weise gefiel das DDR-Bürgertum, auf welches sich der deutsche Westen zuerst bezogen hatte, dem West-Bürgertum aber gar nicht. Das West-Bürgertum musste die ehemalige DDR regelrecht „besetzen“. Etliche Ämter wurden mit Westpersonal besetzt, zahlreiche klassisch-bürgerliche Berufe wurden von West-Deutschen übernommen. Das „Ende der Geschichte“ sollte auf diese Weise nicht nur in der Welt der Vorstellung , sondern auch objektiv herbeigeführt werden. Die wesentlichen Stichpunkte hierbei waren und sind: Privateigentum und Privatisierung, Handel und freie Marktwirtschaft, Zweckrationalität und als Ideologie der Verschleierung von Widersprüchen: die Menschenrechte. In der Summe sollte sich hieraus die freie bürgerliche Weltgemeinschaft errechnen lassen.

Dass diese Rechnung nicht aufging, bedarf kaum noch der Erwähnung. Dass der Kapitalismus die Krise in sich trägt; dass die bürgerliche Ideologie voller Widersprüche ist, die sie nicht wahrhaben will; dass neue Technologien das Leben nicht nur einfach immer besser machen, sondern zerstörerisches Potential in sich tragen, das alles wird als Kritik an die bürgerliche Gesellschaft herangetragen seit der Zeit ihres Entstehens.

Aber die bürgerliche Gesellschaft wollte das nie wahrhaben. Probleme, die aus ihrer eigenen Verfasstheit herauskamen, wurden externalisiert; entweder die Probleme wurden zu Problemen derer gemacht, die die Probleme ansprachen, oder aber sie wurden dem Ringen mit „unvernünftigeren“ politischen Kräften aus dem In- und Ausland zugeschrieben. Immer blieb es bei der Annahme: Wenn dies erstmal ein Ende haben würde, dann würden auch alle Probleme sich regeln lassen. Für eine ganze Weile haben die Erfolge, welche die bürgerliche Gesellschaft für sich verbuchen konnte, dies wahr erscheinen lassen. Der wesentliche Erfolg dabei war die sogenannte Globalisierung. Diese förderte die Durchlässigkeit nationaler Grenzen und das Entstehen internationaler immer weit verzweigterer Handelsnetze, welche die Verbindungen zwischen den Staaten festigen sollten. Konflikte sollten sich in Luft auflösen durch das gemeinsame Interesse an technischem Fortschritt und wirtschaftlichem Wohlstand. Und es war wohl auch dieser Fortschritt und die Sogkraft, die er ausübte, dass revolutionäre Bestrebungen rückläufig waren. Stattdessen wollten alle doch irgendwie ein Stück vom Kuchen abhaben. Selbst kritische Stimmen mochten sich in ihrer Kritik nicht mehr ganz glauben. Das Bild, welches die bürgerliche Gesellschaft über sich selbst erzeugen konnte, mit einem doch relativ hohen Luxus für alle, die an ihr partizipieren konnten, gefiel einfach zu gut; vor allem auch der Besitz von technischem Firlefanz wurde zu einem Ziel, das zu verfolgen sich lohnte, sich auf jedenfalls mehr lohnte, als sich wesentlich dafür einzusetzen, eine andere Welt einzurichten.

III

Heute aber, wo Krisen und Probleme jeder Leistung der bürgerliche Gesellschaft spotten, taugt kein Kitt mehr, um das schöne Bild zusammenzuhalten. Zwar hat sich daran, dass ein Großteil der Menschen immer noch davon träumen, möglichst viel modernen Plunder zu besitzen, wenig geändert. Aber es will doch kaum mehr gelingen, den Verfall, die Probleme und Konflikte, die durch die Produktion dieses Plunders entstehen, zu überdecken – die friedliche Fassade zerbricht. Dies stürzt die bürgerliche Gesellschaft in eine schwerwiegende Legitimationskrise. Schließlich hat sie von sich das Selbstbild, dass es ihre Aufgabe und zugleich ihr Vermögen ist, eine vernünftige Welt einzurichten. Eine Welt, die gut ist; eine Welt, die gerecht ist; eine Welt, die wächst und gedeiht. Doch hinter der Fassade west die Realität vor sich hin und sie ist weder gut, gerecht, noch voller Leben; sie ist böse, ungerecht und voller Tod.

In ihrer Verzweiflung unternimmt die bürgerliche Gesellschaft einen Rettungsversuch. Anstatt sich mit der eigenen Unzulänglichkeit zu konfrontieren, bemüht sie sich, einzulösen, was nie gelang: Die Verwirklichung und das offensive Eintreten für die Menschenrechte. Die bürgerliche Gesellschaft zeigt sich als progressiv und divers. Ein noch nie dagewesenes Aufgreifen aller Aspekte der Antidiskriminierung sollen dazu führen, dass der Glaube in die Kraft des Bürgertums erhalten bleibt. Vor allem auch das Bürgertum selbst will daran glauben und damit es dran glauben kann, muss es die Anderen glauben machen. Unter dem Blick derer, die das Bürgertum und seine aufklärerische Ideen, sein Postulieren der selbst nie wirklich eingelösten Menschenrechte schon immer gehasst haben, wird sich noch einmal herausgeputzt; die Verantwortung für den Schaden, den die Rücksichtslosigkeit und Fixiertheit auf eigene Interessen des Bürgertums angerichtet hat, soll kaschiert werden durch demonstratives und damit lächerliches Einfühlungsvermögen und ein „wir haben Verstanden“-Gehabe. Das freilich steigert nur die Verachtung derer, die dem Bürgertum die Führungsrolle in der Welt immer schon neideten und an dessen Stelle autokratische Regime setzen wollen. Die Grausamkeit und Ausbeutung, die die bürgerliche Gesellschaft der Welt antaten, lösten beim Bürgertum noch Scham aus; kaschiert werden sollten alle herzlosen Taten durch finanziellen Ablass; die Ausgebeuteten und Geschundenen bekamen ein paar Münzen hingeworfen, auch wenn diejenigen, die ganz unten waren und sind, diese immer schon nur in der Ferne klimpern hören konnten. Mit der Scham jedoch ist es bei den regressiven Feinden des Bürgertums vorbei. Was dem Bürgertum zumindest manchmal noch die Wangen rot werden ließ, wollen jene ganz ungehemmt umsetzen. Bedroht wird die bürgerliche Gesellschaft durch Gesellschaftsformen, in welchen der Widerstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung nicht durch schöne Fassaden, sondern durch offene Gewalt unterworfen werden soll. Dem stand lange Zeit die Rationalität des Kapitalismus gegenüber. Sich auf fortschrittliche Weise bereichern zu wollen, wurde als Motiv vorausgesetzt. Alle sind immer und überall Geschäftspartner:innen; unter der Perspektive, dass alle einen guten Deal machen wollen, entfaltete sich die Vorstellung, dass der Frieden in der Welt erzeugt werden könne durch den Wunsch nach stabilem Handel und das dies eine Welt sei, in der alle ständig zunehmende Vorteile haben würden. Aber das Versprechen wurde nicht eingelöst und die Anzahl derjenigen steigt, die sich zwar ganz kapitalistisch bereichern wollen, aber dafür auf andere Wege setzen, als den vermeintlich friedlichen Handel mit vermeintlich guten Waren.

 

#Faschismus

I

War der Faschismus im letzten Jahrhundert Begriff für reale Gesellschaften, deren Gefahr man nach militärischen Siegen für die Zukunft durch Analyse zu bannen versuchte, ist Faschismus heute Begriff für den sich ankündigenden namenlosen Schrecken, den alle spüren, aber nicht sehen wollen. In ihm verdichtet sich sowohl das schon vom Bürgertum angerichteten Elend zusammen mit dem noch anzurichtenden Elend derer, die, um Ausbeutung und Zerstörung noch zu steigen, das Bürgertum von seinem Posten stoßen wollen. Mit der in diesem Konflikt versammelten unfassbaren Unvernunft steht die Zukunft in Gänze auf dem Spiel. Zu Zeiten des Kalten Krieges war die Drohung atomarer Massenvernichtung nicht mehr steigerbare Dystopie. Unvorstellbar, dass sie sich noch steigern ließ; zur möglichen atomaren Vernichtung sind weitere Drohungen, die sich kaum mehr umkehren lassen, hinzugetreten. Nicht jedoch, dass dies Einsicht vermitteln würde; stattdessen ist auch die Drohung des atomaren Krieges präsent wie lange nicht mehr. Erschreckend ebenso, dass jene, die die Kontrolle über Bomben und Raketen haben wollen, um mit Gewalt die eigenen Interessen durchzusetzen, nicht mal mehr einen Schleier vor ihre desktruktiven Absichten ziehen müssen; stattdessen werden sie von ihrer wachsenden Anhängerschaft genau für diese Absichten an die Macht gehoben. Angesichts der sich anbahnenden Krise tendieren ganze Gesellschaften dazu, die Krise mit noch erhöhter Geschwindigkeit herbeizuführen, anstatt zu versuchen, sie zu verhindern. Die Menschen wollen die Destruktion. Das freilich ist Zeichen für das Elend in dem sie sich schon befinden; der unverstandene äußere Zwang, der allgemeine gesellschaftliche Druck, die Alltäglichkeit der Brutalität, erschafft ein Ganzes, welches erscheint, als ob ihm nur noch durch mehr Gewalt beizukommen wäre. Die faschistische Tendenz, die sich in immer mehr Menschen herausbildet, ist schon vorher da.

II

Die Zerteilung des gordischen Knotens durch Alexander wird zur Universallösung gegenüber den nicht mehr fassbaren Verhältnissen. Dabei ist entscheidend, dass diese Gedankenfigur nicht nur bei offenen Rechtsextremisten anzutreffen ist, sondern überall. Bei den Faschisten klappt es bloß am besten. War es immer schon Ziel für die radikale Linke, nicht nur ein Thema zu verfolgen, sondern im revolutionären Prozess einzelne Themen zu verbinden, ist dies erst bei den aktuellen faschistische Aufmärschen zur Wirklichkeit geworden. „Amis raus“, „Nein zur GEZ“, „Meditation und Liebe“, „Coronadiktatur“, „Bill Gates Fernsteuerung“, „Microchip gespritzt“, gehen auf den aktuellen Demos wunderbar mit, auch wenn es dort vordergründig und zugleich um Preissteigerungen gehen soll. Die Willkür an Themen verweist auf das zerklüftete Bewusstsein, dass Zusammenhänge widersinnig konstruieren muss, anstatt sie in der Wirklichkeit aufzuspüren. Zugleich ist bei allem Irrsinn zumindest bei manchem noch ein wahrer Kern zu finden. Dieser wenn auch nur noch in Resten vorhandene Realitätsbezug gilt als Beweis für die Realität des Wahnhaften. Dass man meint, selbst kein Schäfchen zu sein, das dumm in der Herde mitläuft, macht blind davor, dass man ebenTeil genau dieser blökenden Schafsherde wird, in der durch die Gegend getrabt wird.

Je ferner die so entstehenden Massen von der Wirklichkeit sind, desto gefährlicher werden sie, ebenso desto anziehender. Denn je mehr Menschen sich der Realität entziehen, indem sie gegen deren verzerrte Gestalt opponieren, desto glaubhafter wird der Unsinn, der aller realen Ohnmacht zum trotz reale Handlungsmöglichkeiten verspricht. Die Gefahr ist aber nicht nur die wachsende Zahl, sondern darüber hinaus die wachsende Realitätsferne. Denn im verzerrten Weltbild bleibt vom anderen Menschen nur noch eine Fratze, die als solche zur Personifizierung des unverstandenen Schlimmen wird. Wer noch wagt, dass Bild des Blödsinns zu überführen, verdient es schon, mit Gewalt beseitigt zu werden. Diese wird als solche kaum noch wahrgenommen, weil jedes Gefühl außer Wut und Hass ohnehin verschwunden ist. Dazu passt, dass ständig Plakate mit „Liebe“ oder „Frieden“ hochgehalten werden; das, was offensichtlich nicht vorhanden ist, wird schlicht behauptet, damit die Versammelten sich über ihre eigene Schreckgestalt hinwegtäuschen können. Der mitgeführte Galgen wird auf diese Weise erträglich, doch zeigt er zugleich an, dass für den behaupteten Zweck jedes Mittel recht ist. Die Schafsherde ist in Wirklichkeit eine Wolfsherde.

III

So bricht sich das in der bürgerlichen Gesellschaft aufgestaute und verdrängte Irrationale Bahn. Genau weil es verdrängt wird, bekommt es scheußliche Gestalt. Damit konfrontiert weiß das Bürgertum nicht, was zu tun ist. Es schwankt zwischen Repression, was der erneuten Verdrängung gleichkommt, in der Hoffnung, das stärkere Wälle dem Druck standhalten können, und zwischen Toleranz, in der Hoffnung, dass damit dem Verdrängten die Wucht genommen würde. Ganz so, wie es auch in der Psychotherapie gepredigt wird: man müsse seine Wut nur annehmen, das würde sie schon kleiner machen und schließlich verschwinden lassen. Wut soll durch Trainings und ach so einfühlsam drüber Schwätzen zu etwas werden, was sie nicht ist; nicht Widerstand gegen die Hilflosigkeit gegenüber unbezwingbaren Problemen, sondern selbst ein Problem, das sich bezwingen lässt. Ziel ist, nicht mal mehr die Verdrängung der Wut wahrzunehmen. Übrig bleiben als Ausdruck des reaktiven Restes nur Milde und Strenge. Oft als Gegensätze gehandelt, sind beide nur Aggressionen gegen das Auftauchen des Unpassenden; der Strenge muss man zu Gute halten, dass sie noch weiß, was sie hasst, der Milde, dass sie vorm Hassen noch eine Scheu hat.

Wut, ob in der Psychotherapie oder in der Gesellschaft, ist nicht durch Verdrängung zu heilen, stattdessen ist sie auf ihren Grund zu erforschen. Der Zusammenhang zu dem, was sie hervorbringt, ist zu erhellen. Wut wird aus der Stumpfheit der bürgerlichen Gesellschaft selbst geboren, aus deren vermeintlich klarem Blick auf alles und jeden, aus der Arroganz der Macht, aus dem Glauben, dass Unterwerfung keine Unterworfenen hervorbringt. Sie speist sich aus vermeintlicher Ohnmacht und empfundener Lust gegenüber der eigenen Destruktivität. Faschismus ist die Wut der bürgerlichen Gesellschaft über alles, was sie verdrängen muss, um sich selbst bewundern zu können. Die faschistische Wut, die jederzeit bereit ist, in faschistische Gewalt umzuschlagen, ist die größte Kennziffer dafür, dass die bürgerliche Gesellschaft nicht das Ende der Geschichte ist; so lange es sie gibt, geht sie mit dem Rückfall in die Barbarei schwanger; nicht weil diese sie von außen bedroht, sondern weil sie von ihrem Wesen dieser nicht fremd ist. Sie ist selbst ein Stück Barbarei.

IV

So lange wie die bürgerliche Gesellschaft dies aber nicht über sich weiß, wird sie immer hilflos und ohnmächtig gegenüber faschistischen Bewegungen bleiben. Niemals wird sie ein adäquates Mittel in die Hand bekommen, um sie zu bekämpfen; das adäquate Mittel wäre freilich auch nur eins, dass die bürgerliche Gesellschaft überwindet. Dazu aber ist das Bürgertum nicht bereit. Ohnmächtig gegenüber den Verhältnissen, klammert es sich an dieses, selbst in dem Moment, wo das Ende sich an allen Ecke ankündigt. Der Gedanke an eine freiere Gesellschaft, in der das Elend der Menschen nicht verbannt, sondern tatsächlich aufgehoben ist, wird mehr gescheut als die faschistische Bewegung. Nicht zuletzt kommt dies daher, dass die bürgerliche Gesellschaft im Blick auf den Faschismus auch immer ein Moment von Reflexion erlebt, sie erkennt in denen, die sie nicht will, sich selbst. Weil die bürgerliche Gesellschaft sich selber nicht versteht und fremd bleibt gegenüber den Gründen der von ihr verursachten Schrecken, teilt sie den Wunsch nach Ausbruch des Irrationalen, wenn auch unbewusst. Dass dieser Wunsch unbewusst ist, steigert zusätzlich die Hilflosigkeit gegenüber der faschistischen Bewegung. Unabdingbar aber bleibt, dass die bürgerliche Gesellschaft begreift, dass der Faschismus eine Bewegtheit ihrer selbst ist, eine von ihr erzeugte und ausgeführte Bewegung. Dies drückt sich vor allem auch darin aus, dass die faschistische Bewegung wesentlich vom Bürgertum getragen wird, welches dann seine gut ausgearbeitete instrumentelle Vernunft gebraucht, um andere ebenfalls in Bewegung zu setzen und damit in die faschistische Bewegung zu integrieren.

 

#Die Linke

I

In dieser Situation ist die Bedingung für autonome Politik schlecht. Dies liegt daran, dass sich im Kontext gesellschaftlicher Zuspitzung weite Teile der Linken, sowohl ihre liberalen sowie ihre radikalen Teile, ihrer bürgerlichen Herkunft versichern, im Mindesten aber die Fantasie haben, die gesellschaftliche Sammlung und damit wesentlich die der bürgerlichen Kräfte herbeizuführen, um der Krise Herr zu werden. Gerade dieses „Herr-sein“ ist bleibende und wesentliche Fantasie der Progressiven, aller Reflexionen auf das Patriarchat zum Trotz. Vielmehr haben diese Reflexionenherbeigeführt, als dass der Platz der Herren, der traditionell männlich und weiß besetzt war, zum Aushängeschild der progressiven und diversen Maskerade geworden ist. Alle sollen nun auf diesem Platz sitzen dürfen und keine Diskriminierung soll noch Schranke sein. Voraussetzung ist wesentlich die Vereidigung darauf, dass wer auch immer den Platz des Herren einnimmt,die bürgerliche Maskerade aufrechterhält und miterzeugt.

Egal ob liberal oder radikal, die politische Linke fühlt sich gern als Teil der gesellschaftlichen Avantgarde, wobei hier weniger als im rechts-konservativen Teil der Gesellschaft das Geld im Vordergrund steht, sondern moralische Integrität und Überlegenheit. Es wird sich angestrengt, Beteiligung am Elend der Welt so weit von sich zu weisen, wie es nur geht, als ob am Ende noch jemand kommen würde, um einem ein Fleißkärtchen zu geben. Zumindest aber lässt sich der Blick derer, die durch die bürgerliche Gesellschaft erzeugtes Elend zugrunde gehen, besser ertragen. Dies allerdings ist der Linken zugute zu halten: dass der in diesem Blick enthaltene Schmerz überhaupt noch gesehen wird. Doch wird er transformiert in einen allgemeinen Vorwurf aus verdichteten Schuldgefühlen, die man, um sie selber nicht mehr zu spüren, versucht anderen zu machen; der wahre Gehalt, das Leiden der Unterworfenen, wird dadurch verdunkelt. Ein Gefühl von Schuld aber kann Erkenntnis wenn überhaupt nur da vermitteln, wo sie verspürt wird. Jene, die hart oder blind sind gegen das Leiden, werden sie sich nicht einreden lassen. Dies freilich ist der Linken längst aufgegangen; wenn auch nicht aus Verständnis so doch aus Erfahrung heraus, welche vor allem an der eigenen Erfolglosigkeit gemacht wird. Eine wesentliche Strategie zur Abwehr eigener Schuld, ist ein demonstratives Schuldeingeständnis. Durch dieses ist man sogleich entlastet im Gegensatz zu denen, die sie abwehren; die eigene Schuldlosigkeit beweist sich dann darin, diese zur Einsicht zu drängen.

II

Politisches Ziel ist das Herbeiführen sozialer Ächtung, Mittel hierfür ist mittlerweile vor allem das Internet mit seinen „sozialen Netzwerken“. Ohne dessen Reichweite bliebe die soziale Ächtung wirkungslos. Zu klein wäre der Kreis derer, die überhaupt Notiz davon nehmen würden, zu bedeutungslos die Ächtenden, zu gering deren Stellung. „Soziale Netzwerke“ aber erlauben, Bedeutung zu generieren, in dem durch massenhafte Postings „Followers“ gesammelt werden. Übersetzt wird followers mit „Folgende“, doch ist es vielmehr „Gefolge“; „Anhänger:innen“ wäre der passendere Begriff. Wer auf den diversen Internetplattformen Anhänger:innen vorzuweisen hat, ist mit moralisierenden Posts eine Bedrohung für jene, gegen die sie sich richten. Dabei wird die Öffentlichkeit nur imaginiert, sie entsteht erst dadurch, dass sie von allen gleichzeitig imaginiert wird. Unfähig, die Funktions- und Wirkungsweisen von Social Media zu durchblicken, wird die Annahme der empörten Öffentlichkeit mit deren Existenz verwechselt. Da alle Teil dieser bloß imaginierten Öffentlichkeit sein und auf keinen Fall gegen diese stehen wollen, entsteht eine Öffentlichkeit, die zwar keine eigene Empörung kennt, wohl aber so tut, als verspürte sie welche. Wesentlich ist aber die Angst vor der Verachtung der anderen.

Das Erzeugen einer solchen Pseudoempörung wird auch von rechte Kreisen versucht. Allerdings wird hier weniger versucht, den Schuldzusammenhang zu erzeugen, sondern vielmehr den Zusammenhang aus Verachtung. Während beim Vorwurf der Schuld der „Schuldige“ immer auf einem Platz weiter oben verortet wird, wird bei der Verachtung der andere auf einem Platz ganz unten angenommen, beziehungsweise durch die Verachtung dorthin verwiesen. Es bleibt ein Unterschied zwischen dem „blaming“ der Rechten und dem „shaming“ der Linken; rechte Kräfte werden durch Verachtung, linke Kräfte durch Schuld angetrieben.

III

Trotz dieser gefundenen Möglichkeit der gesellschaftlichen Einflussnahme bleiben linke Kräfte weit hinter den Erfolgen rechter Kräfte zurück. Was den einen das Internet ist den anderen die Straße. Auf dieser lässt sich aufgestaute Verachtung und Hass leichter als Vehikel nutzen als aufgestaute Schuld. Als Abhilfe soll der explitzite Bezug auf „Wut“ helfen – kaum mehr ein Aufruf, in dem nicht irgendein Bezug auf die Wut genommen wird, die man angeblich verspüren würde und die es nun auf die Straße zu tragen gelte. Man wünscht sich kraftvolle Demonstrationen, ohne das man richtig weiß, wieso. Denn wenn auch manches manchmal wütend macht, ist dies doch in vielen Fällen bloße Floskel; vielmehr sind es oft Kummer, Mutlosigkeit, Resignation und Perspektivlosigkeit, die ihren Griff halten, als dass die Wut einen auf die Straße treibt. „Die Wut auf die Straße tragen“ ist keine real verspürte Wut, es ist der Wunsch nach Wut, zu welcher, weil man sie selbst nicht verspürt, andere stimuliert werden sollen. Wut verspricht Kraft und Kraft verspricht große Taten. An diesen großen Taten will man Anteil haben, wenn schon nicht dadurch, dass man selbst zu ihnen fähig ist, dann dadurch, dass man sie angeleiert hat, oder zumindest nebenherlaufen konnte, um später mitzureden und alles zu berichten, als ob man es selbst gewesen wäre. Durch die ständige Wiederholung von Wut als Floskel hat sich diese vergeistigt. Bestimmte Ereignisse lösen den Gedanken an Wut aus, nicht aber Wut.

Wut verspricht, dass sie, sofern sie auf die Straße getragen wird, bedrückenden und feindseligen Entwicklung Einhalt gebieten kann. Ein Beispiel: In Anbetracht anhaltender Repression soll die Wut auf die Straße getragen werden. Die Hoffnung dahinter ist, dass die Repressionsbehörden sich von der Wut zur Zurückhaltung genötigt fühlen. Zur Zurückhaltung aber könnte wenn überhaupt nur die tatsächlich auf die Straße getragene Wut nötigen. Die auf die Straße getragene Wut aber ist nicht deshalb eine, weil dazu aufgerufen und ein oder gleich mehrere Ausrufezeichen dahinter gesetzt wird. Wut zeichnet sich aus durch Rücksichtslosigkeit, gerade auch sich selbst gegenüber; man ist blind vor Wut. Wäre die Wut über die Repressionsbehörden echt, hätte sie sich so gesteigert, dass sie sich nun am Erstbesten entladen würde, ungeachtet der Konsequenzen. Wut, die durch vernünftige Regeln und Gedanken eingepflegt wird, entlädt sich nicht. Sie mag vielleicht noch eine geplante Aktion hervorbringen, aber dann ist es auch genau das: Eine eher aus vernünftiger Planung resultierende Tat.

Eine Ahnung davon, dass man die Wut wünscht, sie aber nicht da ist, lässt sich in vielen Texten und Aufrufen finden – zwar immer da, wo der anzugreifende Sachverhalt aufs Gröbste vereinfacht wird. Die für die sprechende Wut nötige Blindheit soll künstlich herbeigeführt werden, wo sie nicht durch das affektierte Gefühl zustande kommt. Dazu gibt man den Dingen eine Wut entfachende und Wut zulassende Gestalt. Gerechtfertigt wird diese Verzerrung dadurch, dass ein hehres Ziel im Hintergrund steht, auch wenn der Unwahrheit damit Vorschub geleistet wird. Die Legitimation kommt aus dem Gefühl im Recht zu sein, aber ins Recht setzt man sich selbst:Das gelingt, weil man sich dem verinnerlichten Zwang unterwirft und diesendurch die Verinnerlichung mit der Wirklichkeit verwechselt wird. Aber Zwang ist auch immer Hemmnis; um die übersteigerte Moral aus dem Weg zu räumen, muss Wut selbst zum moralischen Gefühl stilisiert werden. Dabei bleibt gerade durch das Zusammenspiel von Schuld und Moral kaum mehr Wut übrig; als billiger Ersatz bleibt die Empörung. Empörung ist die fehlende Übereinstimmung der Ereignisse mit den Leitsätzen der Moral, und sei es nur der Eigenen. „Unerhört und skandalös!“ sind die entsprechenden Ausdrücke. Der Empörung haftet das Schwächliche an, der Wut die Stärke; zugleich aber wird die der Wut anhaftende Stärke abgewehrt. Die Wut soll heraus, aber zugleich auch nicht; die Art, wie sie erscheinen darf, ist schon vor ihrem Erscheinen reglementiert. Am Ende reduziert sie sich darauf, dass im begrenzten Rahmen Feuerwerk gezündet werden darf; dieses aber auch nur, wenn nicht auch dadurch schon Grenzen überschritten werden. Was bleibt ist das Rufen von Parolen. Parolen entfalten ihr Potential durch den in ihnen angekündigten Angriff, schwach aber wird alles Rufen, wenn der Angriff von vornherein ausgeschlossen wurde. Wer im Vorhinein seine Friedfertigkeit beteuert hat, der kann Rufen so laut er will. Der Ruf, der seine Konsequenzen abschneidet, wird zum Ausdruck ohnmächtiger Wut. Wut, die von sich weiß, dass sie im Subjekt verharrt, Wut, von der alle wissen, dass sie im Subjekt verharrt. In dieser Lage werden Parolen eher zu Gebetsfersen, die die Rufenden an ihre moralische und innere Festigkeit mahnen sollen, gesungen von einer Gruppe von „Followern“, die jederzeit ohne Gegenwehr auseinander gejagt werden kann.

IV

Am Auseinander-Jagen aber wächst das Interesse all derjenigen, die sich nicht als Teil der Linken verstehen, während wie es scheint, linke Kräfte weniger Zulauf erhalten als trotz aller Schwäche wünschenswert ist. Doch hängt dies wohl zusammen: der zur Schau getragene Unwille, sich in Konflikt notfalls mit Gewalt zu behaupten, machen die Linke gerade in Zeiten der Zuspitzung gesellschaftlicher Spanungsverhältnisse unattraktiv. Groteskerweise werden innerhalb der Linken immer wieder gerade jene als Problem assoziiert, die diese Bereitschaft besitzen und artikulieren wollen. Diesen wird die Schädigung des Anliegens zugerechnet. Dabei liegt das Schwinden der Linken vor allem daran, dass Moral für revolutionäre Politik nichts taugt, gerade nicht unter der Perspektive, dass diese eingeforderte Moral von niemandem durchgehalten wird. Anstatt aber darauf zu reflektieren und sich von linker Moral als politischem Inhalt abzuwenden, werden immer weitere Verrenkungen angestellt, immer krampfhaftere politische Ableitungen gemacht, um sich doch weiter an der ohnehin bloß nur noch als Imago der eigenen Blase existierenden Spitze der gesellschaftlichen Progression verorten zu können.

Das ist alles umso unangemessener und fataler, als dass aktuell die gesellschaftliche Probleme zunehmen und die Zukunft eine Bedrohung gegen die Gegenwart geworden ist. Die Linke hat es aber versäumt, die von ihr zu Zeiten der Stärke entwickelten theoretischen Ansätze weiterzuverfolgen. Stattdessen wurde sich von diesen ab- und Theorien der bürgerlichen Gesellschaft zugewandt. Dies führt dazu, dass versucht wird, die bürgerliche Gesellschaft mit ihren eigenen Mitteln zu heilen, mit den Mitteln also, die überhaupt erst die Wunde reißen und zugleich selbst Wunde sind. Selbst an der durch das Bürgertum umgesetzten Transformation linker Theorien in Geschichte wird sich orientiert, anstatt die Anstrengung zu unternehmen, diese der Geschichte zu entreißen und in Reflexion auf das Heute wieder fruchtbar zu machen. Dadurch entsteht eine verdrehte Vorstellung von Radikalität. Radikal-links ist heute ein Gedanke, wenn er den bürgerlich-linken Gedanken einfach nur überhöht oder vervielfältigt. Wenn in der bürgerlichen Linken irgendeine Idee für den Umgang mit den von der Gesellschaft selbst herbeigeführten Problemen irgendeinen Zeitstempel erhält, dann wird er in der radikalen Linken mit der Forderung „Jetzt sofort!“ auf Null gesetzt. Ebenso irgendwelche von der bürgerlichen Linken berechneten Kosten für Ideen werden in der radikalen Forderung auf null reduziert. Es erscheint als radikal, wenn die tatsächlichen gesellschaftlichen Bedingungen mit den im Grundgesetz verbürgten Bürgerrechten oder allgemeiner mit den Menschenrechten verglichen werden und dann festgestellt wird, dass sie nicht verwirklicht sind. Darüber hinaus erscheint radikal, anstatt Bedingtheit nachzuverfolgen, Freiheit zu behaupten. Links zu sein hat sich so weit nach rechts verschoben, dass das bloße Wiederholen der bürgerlichen Idealvorstellung von Gesellschaft schon als linksradikal gilt. Um aber über diesen Verdacht erhaben zu sein und den Punkt an der Spitze der Spitze zu fühlen, wird das alles noch mit Floskeln gespickt, die auf „bekämpfen“, „abschalten“ und „abschaffen“ enden. Als Floskel aber, so sehr sie auch etwas Richtiges zumindest streifen, sind sie nichts wert, wenn dahinter ein bürgerlicher Inhalt steht.

V

Dem zu entziehen versuchen sich zumindest kommunistische Gruppen; allerdings nur um allzuoft den Ursprung ihrer Theorien zu verraten und sich an sich selbst kommunistisch bezeichnenden (Ex-)Staaten zu orientieren. Sie schwärmen von „Arbeitermacht“, wo keine ist; sie sehen „zahlreiche Menschen“, die zu ihren Infoständen kommen, um sich dort „interessiert“ mit Material einzudecken, obwohl sie nur selber gekommen sind; es lässt sie „die Stimme der Arbeiterjugend“ hören, wo nur die ihre und die ihrer Freund:innen ist. Die Kraft, die kommunistische Gruppen derzeit zu entwickeln scheinen, beziehen sie daher, dass sie sich in eine Fantasiewelt flüchten, in der das reale Elend durch die von ihnen in der Fantasie vereinte Arbeiterschaft zu überwinden ist. Dabei ist es völlig egal, ob über die eigene Arbeit hinaus überhaupt Verbindungen zur „Arbeiterschaft“ bestehen. Überall ist immer das große Ganze im Entstehen. Eine Traumwelt, die erzeugt wird, indem einfach alle Tätigkeit noch mit dem Attribut „Arbeiter“ versehen wird. Aus ganz belanglosem Sport wird „Arbeitersport“, aus dem Lesen eines Buches wird „Arbeiterbildung“, aus dem Urlaub wird die „Arbeiterfreizeit“. Hierin unterscheiden sie sich allerdings nicht von jenen, die sich immerzu auf den „Pfaden der Partisanen“ wähnen, wenn sie in Italien Urlaub machen, oder Saufen in Barcelona zum „Knüpfen von wichtigen Kontakten“ umdeuten.

Im weitesten Sinne geht es immer darum, sich eine Welt herbeizufantasieren, in der die eigene gegenüber den herrschenden Bedingungen völlig bedeutungslose Existenz doch noch Ort sinnvollen Handelns sein kann; in der es möglich ist, etwas zu unternehmen, um die Katastrophe abzuwenden – dies funktioniert so gut, wie das Vertreiben imaginierter Elefanten durch Klatschen. Die einzige Grundlage aber die Welt zu verändern, ist es, sich sowohl seiner eigenen Nichtigkeit, als auch der Schrecklichkeit der Welt so wie sie ist zu stellen. Dabei ist die Welt aber ein verschlossener und versperrter Ort. Sie sich zu erschließen ist Grundlage dafür, nicht selbst Teil der Katastrophe zu sein. Über den Abgrund führt keine Fantasie, nicht die Einbildung unglaublicher Sprungkraft, keine Rede darüber, dass er weiter aussieht als er ist, auch kein Beleidigen des Abgrundes, kein lautes Rufen und dergleichen. Wer den Abgrund überqueren will, muss in ihn hineinblicken können, sich seiner Tiefe stellen, ohne sich von ihr herabziehen zu lassen und ebenso, sich der Möglichkeit stellen, dass es gar keinen Weg über den Abgrund gibt. Wer das nicht kann, der mag sich zwar in seiner Hoffnungslosigkeit zu immer neuen Taten motivieren, aber alles bleibt hoffnungslos. Hoffnung jedenfalls ist keine Einstellungsfrage, sondern ein tatsächlicher Umstand, der sich einstellt, wenn etwas reale Hoffnung gibt.

 

# Autonomie

I

Die Hoffnung, die aus autonomer Politik erwuchs, war vor allem die nicht nur verbalisierte Unversöhnlichkeit. Autonome Politik richtete sich nicht zentral auf Einflussnahme in der bürgerlichen Gesellschaft und wollte diese nicht verbessern. Ihr Ziel war nicht, die Verschleierung gesellschaftlicher Widersprüche mit voran zu treiben, nicht die Gewalt der Gesellschaft zu kaschieren, sondern sie überhaupt erst ins gesellschaftliche und individuelle Bewusstsein zu holen. Autonomie drückte sich dabei auch darin aus, dass nicht nach der Pfeife der bürgerlichen Gesellschaft getanzt wurde, sondern das der Tanz zu einer Musik, die schlicht scheiße ist, verweigert wurde; vielmehr wurden die Partys derer, die vom Schlechten nichts wissen wollen, damit ihre Feierlaune nicht verloren geht, Ziel des Angriffs.

Was sich jetzt geändert hat ist, dass der Schleier, den die bürgerliche Gesellschaft vor ihre Gewalttätigkeit und ihre Widersprüchlichkeit ziehen will, löchrig geworden ist: Die Party ist zuende. Alles liegt offen zutage, eine Enthüllung ist kaum mehr notwendig. Im Gegenteil scheint das „Enthüllen“ von „Tatsachen“ über das wahre Antlitz der bürgerlichen Gesellschaft Hochkonjunktur zu haben; alle dürfen sich etwas ausdenken oder herauspicken, wie es gerade passt. Die bürgerliche Gesellschaft wird aus allen Richtungen mit Schmutz beworfen und ob im Einzelnen zurecht oder nicht – mittlerweile bleibt so viel kleben, dass es nicht mehr der selbstgewählte Schleier der bürgerlichen Gesellschaft ist, der sie bedeckt, sondern dass, was Menschen über sie meinen und erfinden. Die Klagen über die bürgerliche Gesellschaft sind es nun, die diese verdunkelt. Jeder ist heute ein „Truther“, der etwas entdeckt haben will. Aber da, wo das Elend am gegenwärtigen Zustand blind der bürgerlichen Gesellschaft, oder wahlweise deren Eliten, zugeschrieben wird, ist diese Zuschreibung nur Verwunderung oder Missfallen über ihr Scheitern. Wesentlich die Beschwerde darüber soll die Veränderung herbeiführen. Dieser Weg ist zwar zum Scheitern verurteilt, wohl aber kann er dafür taugen im tobenden Machtkampf als Player aufzutauchen.

Demgegenüber darf autonome Politik nicht abstumpfen. Da, wo Politik zum oberflächlichen Meinungs- und Ansichtskampf geworden ist, ist kein Blumentopf zu gewinnen; selbst in ihn mit einzusteigen, ist der Mühe nicht wert. Wo alle den Weg des Angriffs wählen, wo alle versuchen, in Anbetracht der Schwäche der bürgerlichen Gesellschaft einen Vorstoß zu machen, ist der Angriff falsch. Nicht die Spitze gilt es zu erreichen, sondern den Boden unter den Füßen zu behalten, den allgemeinen Taumel zu verstehen, nicht aber, in ihn mit einzufallen.

II

Aber auch bei manchen, die sich dem Gedanken der Autonomie und der Bewegung der Autonomen zugehörig fühlen, zeigt sich der allgemeine geistige Verfall, der den aktuellen Zustand kennzeichnet. Unklar ist geworden, welche Richtung zu wählen, welchem der etlichen Probleme überhaupt sich zuzuwenden ist. Auch dies ist neu, denn die – und sei`s bloß scheinbare – Stabilität der bürgerlichen Gesellschaft, die sich ab Mitte der 1990er entfaltete, hatte den Vorzug mit sich gebracht, dass die politischen Themen erschienen wie ein Warenregal, aus dem sich je nach eigenem Gusto etwas herauszunehmen war. Große Ereignisse waren die Ausnahme, was eine lange Vorbereitung erlaubte. Und mehr: Es machte die politische Tätigkeit – egal ob praktisch oder inhaltlich – zu einer Beschäftigung unter vielen. Wie viel Relevanz jemand etwa dem Widerstand gegen den Castor-Transport, gegen die Gipfeltreffen, gegen Rassismus, Sexismus, oder was auch immer beimaß, war jedem selbst überlassen. Die Enttäuschung darüber, dass andere dem eigens gewählten Thema keine oder nur geringe Beachtung schenkten, dürfte allen bekannt sein. Denn eines war gewiss: Außerhalb dessen, was „linke Szene“ genannt wurde, wurde dem, was gemacht wurde, ohnehin wenig oder gar keine Bedeutung zuerkannt. Die Szene aber war zu klein; mit der Aufteilung auf etliche Themen war es schwierig, die Kräfte zu bündeln, was die Idee vom Bündeln der Kämpfe stark machte. Dazu war aber kaum jemand wirklich bereit. Zu groß waren wohl die Abstriche, die zu machen gewesen wären, zu sperrig politische Differenzen, die die unterschiedlichen thematischen Orientierungen mit sich brachten. Wirklich zusammen gearbeitet wurde entweder aus der Not, weil die lokal so geringe Zahl kaum andere Optionen ließen, oder im Vorfeld der schon angesprochenen Großereignisse. Diese versprachen schon immer den Hauch des Umbruchs zu verspüren, vor allem da, wo militante Massen einen – wenn auch nur kurzen – Auftritt hatten.

III

Militanz – ein wesentliches Markenzeichen der Autonomen – war und ist bis heute zugleich auch für die Autonomen ein Konfliktthema. Das militante Spektakel, der Ausdruck von Feuer und Steinen, übt Schrecken und Faszination aus – auch über den kleinen Kreis der Autonomen hinaus. Aber ihr Auftreten war für lange Zeit sehr selten geworden. Die Angebote und Verlockungen der immer moderner werdenden bürgerlichen Gesellschaft, mit ihren etlichen bezahlten Stellen für eine, wenn auch abgemagerte politische Praxis, die vorher ohne Entlohnung zu leisten war, lockte viele an die Rechtstreue heran. Die Belastung, die der Rechtsbruch mit sich brachte, war vielen zu hoch und das eben gerade bei denen, die vom Staat und seinen Projekten ordentlich gefüttert wurden. Dies führte dazu, dass die Militanzdebatte eine krude Wendung bekam: Militant sollte nun einfach alles sein, was überhaupt politische Praxis war. Begründet wurde dies immer gleich: Zum einen sei das in anderen Ländern auch so, dort würde der Begriff einfach allgemein als Aktivismus verstanden, zum anderen wäre eine Hierarchisierung der Aktionsformen falsch, insbesondere eine Hierarchie, in welcher Militanz ganz oben angesiedelt würde. Dies ist unter anderem Ausdruck davon, dass das individuelle Glück einen höheren Stellenwert eingenommen hatte, als der Kampf für eine freie Welt. Zugleich wurde das schlechte Gewissen, welches damit einherging, damit kaschiert, dass man gerne überall dabei war, ohne wirklich dabei zu sein.

Demgegenüber hörte Militanz auf, einfach soziale Praxis zu sein. Sie wurde in autonomen Kreisen zu einer Spezialtätigkeit für Spezialist:innen. Dazu hat sicher auch die zunehmende Repression beigetragen: In Anbetracht von DNA-Analysen und Kameraüberwachung wurde sie sicher immer schwieriger. Zugleich aber ist das, was auf Militanz zutrifft, auch in allen möglichen anderen Bereichen zu beobachten. Auch die autonome Bewegung ist betroffen von dem Outsourcen eigentlich gewöhnlicher eigener Fähigkeiten an Dritte. Security, Mediation, Awareness-Strukturen, Sportgruppen, usw. sind Ausdruck davon, dass die Tendenzen der bürgerlichen Gesellschaft, die Individuen aufzuspalten und durch Spezialisierung immer weniger Fähigkeiten zu lassen, sich in die autonome Bewegung hinein fortgesetzt hat. Etliche Techniken der bürgerlichen Gesellschaft, wie sich Menschen und ganze Gruppen künstlich aussöhnen lassen, obwohl die Widersprüche weiterbestehen, haben über die Universität den Einzug ganz allgemein in linke Strukturen erhalten und zersetzen den widerständigen Geist da, wo er eines seiner wenigen Heime hat.

Dass, was vormals einfach zu erledigen war, soll nun eine ganz bestimmte Form haben, in der es stattfinden darf und kann. Wie miteinander geredet, gestritten, was auch immer wird, hat sich dem aus dem Bürgerlichen kommenden Schemata zu fügen – erstaunlich daran ist, dass dies vielen sogar noch als Fortschritt, an dem sie sich beteiligen wollen, vorkommt, beziehungsweise einige ganz und gar unfähig sind zu erkennen, dass die bürgerlichen Strukturen solche sind und eben nicht die Entdeckung linker Strukturen.

Dies trifft nun auch die militante Praxis. Sie soll sich ebenso vernünftigen Regeln beugen. Dass aber erstickt sie vom Grunde her, denn die militante Praxis, gerade da, wo sie von einer Masse getragen wird, trägt immer ein Moment des Irrationalen und Unvernünftigen in sich. Wo sie bloß Programm sein soll, wird sie immer schwach bleiben, die Vorwürfe gegen sie hingegen bleiben die gleichen, egal wie sie ausgeübt wird.

Demgegenüber ist es gerade auch das Irrationale, was ihre Faszination ausmacht; das Ausbrechen aus dem Zwang, die Unverschämtheit gegenüber den Zuständen trotz aller Gefahr und Aussichtslosigkeit, der trotzige Angriff auf das, was als unbesiegbar sich präsentiert.

IV

Zum Gedanken an Militanz gehört auch immer der Gedanke an Massenmilitanz. Der Aufstand ist das Ziel; damit dieser kommt, reicht es nicht, wenn nur ein kleiner Haufen von zumindest in Deutschland oft nicht mehr als vielleicht hundert Menschen ihn im kleinen vorwegnehmen. Er entfaltet sich erst ab einer größeren Zahl, oder besser gesagt einer deutlich größeren Zahl an mehr als einem Ort. Dies führt anhaltend zu der Frage, wo denn diese Masse herzubekommen sei und führt zu einem suchenden Blick, der dann in allen, die sich zu einem irgendwie wichtigen Thema in größerer Zahl versammeln, diese Masse entdeckt. So etwa beim Thema Klima: Das Thema kam für viele vor allem dadurch auf die Agenda, dass Massen sich daran beteiligten, Massen, die sich unter Umständen für einen Aufstand gewinnen ließen. Dass die Rettung des Klimas hier aber einem selbst doch eher zweitrangig bleibt und es jenen aber erstrangig ist, ist egal. Mit dem Umstand, dass die „Klimastreikenden“ den Aufstand nicht wollen, sondern „bloß“ das mehr Anstrengungen unternommen werden, dass 1,5 Grad-Ziel zu erreichen, oder was auch immer, wird sich nur am Rande beschäftigt. Denn: Wenn sich der Protest gegen die Zerstörung des Klimas radikalisieren ließe, dann würden die Beteiligten erkennen, dass es eben nicht nur um das Klima geht, sondern dass dessen Zerstörung wesentlich mit den „drei großen Themen“ zusammenhängt, und das sind in Deutschland seit den 1990ern Sexismus, Rassismus, Kapitalismus. In dieser Zeit hatte sich der „triple oppression“-Ansatz des US-amerikanischen „Combahee River Collectives“ auch in autonomen Kreisen durchgesetzt, vor allem nach dem Erscheinen des Buches „Drei zu Eins. Klassenwiderspruch, Rassismus und Sexismus“, in welchem sich vom Hauptwiderspruch Kapitalismus verabschiedet wurde. Sich am „triple-oppression“-Ansatz zu orientieren mag einmal fortschrittlich gewesen sein. Allerdings wurde das Benennen der Themen zum schnellen und oberflächlichen Bekenntnis herabgewürdigt.Heute ist hierfür gar keine Radikalisierung mehr nötig; die Radikalisierung wurde bereits durch das Bürgertum vollzogen. Radikal-bürgerlich zu sein heißt heute eben auch gegen Rassismus, Sexismus und den „Raubtier“-Kapitalismus zu sein, sich deren Verwicklungen bewusst zu sein und überhaupt intersektional zu denken. Die Prominenz des Gedankens des Intersektionalität ist dabei kein Erfolg der radikalen Linken, sondern des akademischen Bürgertums, von dort aus entfaltet er sich in die radikale Linke hinein. Für das Bürgertum aber soll gerade die Beschäftigung damit ermöglichen, dass der bürgerliche Wohlstand weiter wächst und gedeiht. Wenn also Autonome heute davon ausgehen, dass eine aufständische Radikalisierung durch das Herantragen von den Verwicklungen der verschiedenen gesellschaftlichen Widersprüche zu erreichen wäre, dann kommen sie heute viel zu spät; diejenigen, an die diese ehemals wenig verbreitete Theorie herangetragen werden soll, um ihre Radikalisierung herbeizuführen, kennen diese schon, sie ist Teil von dem, wogegen sie eigentlich aufstehen sollen.

Die Fokussierung auf das Gewinnen der Massen führt dazu, dass sich vor der realen Verfasstheit dieser Massen blind gemacht wird. Sie werden sich so zurechtgebogen, dass sie fortschrittlich sind, oder zumindest dabei sind, fortschrittlich zu werden und somit zum adäquaten Gegenstand der eigenen aufständischen Ideen taugen. Widerstrebende Tendenzen werden geleugnet oder umgedeutet, sodass am Ende ein passables Ergebnis herauskommt, ohne aber, dass es irgendetwas nützen würde. Die „Masse“ interessiert sich für autonome Vorstellungen des Aufstandes kaum oder gar nicht. Das aber führt nicht selten dazu, dass die eigenen Vorstellungen vom Aufstand aufgegeben und an den Vorstellungen der real Aufständischen orientiert werden. Die Begründung liefert die aktuelle Zeit: Man solle sich mal nicht so aufspielen und mit seiner bürgerlichen (weißen, männlichen, was auch immer) Sicht an die Sache rangehen. Der autonome Aufstand aber ist nicht der männlich, weiße, bürgerliche Aufstand. Ein solcherwird konkret sichtbar in den Demonstrationen faschistischer Kräfte, deren „aufständisches Verhalten“ sich darin zeigt, auf Schwächere loszugehen. Ein autonomer Aufstand richtet sich aber gerade gegen das, was das Bürgerliche, Männliche, Weiße als Objekte speist oder diese beschützt, wie etwa Statussymbole, Verkehrswege, Faschisten, Bullenund dergleichen. Er versucht wenn auch nur temporär die Selbstverständlichkeit der bestehenden Ordnung zu unterbrechen. Darin unterscheidet er sich nicht von einer ganzen Reihe anderer Aufstände; zentraler Unterschied ist die inhaltliche Ausrichtung derer, die den Aufstand proben, die Themen, welche den Aufstand begleiten. Diese aufzugeben, um sich einer aufständischen Masse anzugleichen, um eine aufständische Masse zur Verwirklichung der eigenen Aufstandsfantasien zu machen, ist ein so zum Himmel schreiender Fehler, dass es im Grunde unerklärlich ist, wieso er ständig gemacht wird. Erklärlich wird es dadurch, dass die inhaltliche Orientierung nicht so bedeutsam ist, als dass sie sich nicht angesichts des Aufstandes hinten über kippen ließe. Gewiss ist, dass für den Aufstand gilt, was für Militanz gilt. Auch er trägt das Irrationale, Abschreckende, Hässliche in sich. Den Aufstand im Vorfeld bestimmten Regeln zu unterwerfen, verunmöglicht ihn. Trotz allem sind nicht alle Aufstände irgendwie gleich, auch wenn sie sich gegen ähnliche Ziele richten und sich an verständlichen Begebenheiten entzünden. Das bedeutet: Der autonome Aufstand unterscheidet sich von anderen Aufständen vor allem dadurch, dass er von Autonomen gemacht wird. Autonom ist ein Aufstand, wenn er den Zwang durchbricht und nicht mit neuem Zwang aufläuft; er ist autonom, wenn der Unwahrheit durch Handeln getrotzt wird und nicht neue Unwahrheit verbreitet wird; wenn er das Noch-Mensch-sein behauptet gegen die Unmenschlichkeit und keine neue Unmenschlichkeit vorbereitet oder mit sich bringt.

V

Zu diesen Zeiten überhaupt von autonomem Aufstand zu sprechen, hat etwas lächerliches. Eine Reihe von Aufständen, die derzeit stattfinden, tragen eine faschistische Tendenz in sich, auch wenn sie es anders behaupten. Die Autonomen sind nur wenige und die Wenigen sind zu erheblichen Teilen von Selbstzweifel sowohl an sich als auch an den anderen geplagt – Gründe jedenfalls gibt es dafür genug. Im Moment der allgemeinen Bedrohlichkeit treten Bedrohlichkeiten überhaupt stärker hervor – diese können ausgehen selbst von vermeintlich vertrauten Genoss:innen und das in einer Zeit, wo gerade Vertrauen wichtig ist, um die Verhältnisse zu konfrontieren. Vertrauen aber ist keine Einstellung, keine menschliche Qualität, sondern ein Zustand, ein Zustand der eintritt, wenn sich aus Freundschaft und Bekanntschaft reale Sicherheit und Stärke ergibt. Wer aber aktuell von Sicherheit und Stärke, die aus der autonomen Bewegung heraus spricht, redet, der ist blind gegenüber deren Verfasstheit; gewagt schon, überhaupt noch von Bewegung zu sprechen. Bewegung kommt von bewegen ist mehr als nur ein Verslein: Die autonome Bewegung verdient dann ihren Namen, wenn viele autonom in Bewegung sind. Dies aber ist nur wenig der Fall. Wenn es eine wesentliche Bewegung gibt, dann die des Rückzugs, ein Rückzug wohlgemerkt, der nicht einfach aus persönlichem Mangel durchgeführt wird, sondern weil die Verhältnisse zum Rückzug pressen: Das Schlechte ist in der Offensive. Auf diese Weise in die Enge gedrückt, ist auch der Druck nach innen größer, was es schwerer macht, den Blick nach außen zu richten. Das feindliche Außen walz aber fort und entfaltet sich mit all seiner Schwere. Täglich, so scheint es, vergrößert sich die Enge und Enge, sei sie konkret, sei sie gedanklich, ist der Todfeind aller Autonomie. Vielmehr zwingt sie zur Anpassung, zur Anpassung an den falschen Zustand selbst, oder zur Anpassung an Strukturen, die eine widerständige Masse versprechen. Gerade das Versprechen der großen Zahl an Menschen, die widerständig sind, macht die Anpassung attraktiv. Denn in der Masse ist es möglich, aufzugehen, im Aufgehen in der Masse verschwinden Enge und Bedrückung und sei es nur als Gefühl. Dies bringt auch eine Identifizierung mit widerständigen Massen mit sich, auch da, wo man nicht selbst darin aufgehen kann. Irgendwie zumindest möchte man sich diesen verbunden fühlen, irgendwie soll diese Verbindung hergestellt werden. Zumindest vom Gefühl will man Teil der Widerständigen der Welt sein, auch wenn diese als Einheit nicht existieren. Das Konstruieren dieser Einheit und das Aufgehen in diesem Konstrukt ist aber nicht der Beginn sondern das Ende aller Autonomie.

VI

Autonomie aber ist kein Selbstzweck und niemand braucht sich einer verkümmerten autonomen Bewegung zugehörig zu fühlen, wenn die Verlockung von Größe und Stärke einen anderweitig hinzieht. Autonomie ist kein Zwang, sondern wesentlich Resultat, dass sich einstellt, wenn sich von der Welt ein Begriff gemacht wird, wenn also der Widerwille gegen das Oberflächliche und die bloße Meinung, bei der es nur um Zustimmung oder Ablehnung geht, Raum bekommt. Es ist der anhaltende Wunsch, zu verstehen, was los ist, anstatt zu behaupten schon zu wissen, was los ist, der Widerstand gegen die feste Meinung oder Ansicht. Genau diese beiden aber sind es, woraus viele ihre Stärke beziehen, das Festhalten an einmal als für wahr befundenen Gedanken gilt als Ausdruck davon. Autonomie aber zieht ihre Kraft aus dem Festhalten am Zweifel. Gerade im Angesicht großer gesellschaftlicher Gefahren nicht daran zu glauben, diese seien durch Festhalten am vermeintlich immer schon Gewusstem und damit Erledigtem zu überwinden. Überhaupt sind Größe und Stärke nicht ihr Ding, sondern der Widerstand gegen diese. Das Wissen darum, in dieser Welt nur klein und schwach zu sein, ist ihre Sache. Das Unstete, nicht Feste, Wankelmütige ist ihr vertraut. Autonomie bedarf keines Spezialwissens, keiner Codes, keiner Reglementierung, sie bedarf vielmehr der Skepsis gegen solche, auch wenn sie bei dieser Skepsis nicht stehenbleiben darf. Diese wird sonst beliebig, sie wird ein „Ich zweifel alles an“- Geschwätz. Der Skepsis muss nachgespürt, sie muss auf ihren objektiven Gehalt hin überprüft werden.

Entgegen der allgemeinen Annahme ist Autonomie nicht die Unabhängigkeit von anderen, sondern gerade das Wissen um die Abhängigkeiten. Nicht sich selbst alleinstehend zum Strahlen bringen ist ihr Ziel, sondern das zum Leuchten bringen der Anderen und des Netzwerks, das sie mit einem verbindet. Die eigene Stärke zeigt sich darin, wieviel Kraft anderen gegeben werden kann und nicht darin, wieviel Kraft man auf sich selbst vereinigt bekommt. Sie beginnt da, wo man allein ist mit seinem Unglück und erkennt, dass es zugleich das Unglück der Anderen ist, welches sich in einem selbst niederschlägt; dass es das Unglück des allgemeinen Zustandes ist, dass alle niederdrückt; niedergedrückt kennen alle nur das Niederringen, darüber hinauszusteigen ist Ausdruck der Autonomie.

VII

Weiter: Autonomie ist nicht das Handeln nach Rezept, nicht das Abarbeiten von Plänen. Autonomie ist gerade das Potential, ohne Konzepte handeln zu können und auf Unvorhergesehenes zu reagieren. Das ist keine Frage der Charakterdisposition, nach welcher manche lieber das Planvolle, manche lieber das Spontane lieben. Es ist vielmehr eine Frage des Vertrauens: Vertrauen in sich selbst und in die Anderen. Vertrauen, dass die eigenen Fähigkeiten im Verbund mit den Anderen reichen werden, sich auch mit Schwierigem zu konfrontieren. Fähigkeiten auszubilden, ohne dass sie zu einem großen Plan gehören, ist hierfür Voraussetzung. Was aber gewählt wird, da folge jeder dem eigenen Interesse. Denn auch das ist Autonomie: Nicht erst zu warten, bis eine Welt eintritt, in der wir ohne Angst verschieden sein können, sondern schon jetzt – und sei es angstvoll – verschieden zu sein. Nicht erst zu warten, bis die Welt so ist, dass jeder nach seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten leben kann, sondern schon jetzt auf die eigenen Bedürfnisse und Fähigkeiten zu schauen und letztere zu entfalten.

Wer glaubt, durch große Pläne Ordnung in Verworrenes zu bringen, irrt. Das Planen von zukünftigem Handeln lähmt im Jetzt, wer aber jetzt schon gelähmt ist, wird später nicht mehr laufen können, egal welche dramatischen Vorstellungen von Zukünftigem einen über die bedrohliche Gegenwart hinaustragen mögen. Es bedarf keines Plans für das Handeln im Angesicht des noch Schlimmeren: die Gegenwart ist schon das Schlimmere. Jetzt Handeln ist es, was zu leisten ist, nicht morgen. Verständlich ist es, sich auf das Morgen vorbereiten zu wollen; die beste Vorbereitung aber für das bedrohliche Morgen ist es, sich mit der Gegenwart zu konfrontieren und in Bewegung zu kommen.

Allzuoft erschweren gerade Pläne den Ablauf: Weil das, was eintritt, nur ungefähr dem ähnelt, wie man es sich bei der Planung gedacht hat, entsteht Unklarheit darüber, ob die Pläne zu halten sind oder nicht. Schon kleine Abweichungen können alles durcheinanderbringen. Leichter wäre es dann gewesen, spontan zu reagieren und zu agieren, vorausgesetzt, dass es ein lebendiges autonomes Netzwerk ist, welches zu handeln bereit ist. Das Netzwerk zwischen den Einzelnen und ihren Zusammenhängen jetzt zu kräftigen, sich jetzt zum Handeln zu befähigen, ist die beste Vorbereitung. Dabei muss es gar nicht immer um etwas gehen, wo es zischt und knallt, auch kleine, einfache Aktionen und Ähnliches taugen dafür. Gerade durch diese wächst das Vertrauen für Größeres. Vertrauen erwächst eben nicht aus dem Fokus auf große und spektakuläre Dinge, aus dem sich Zusammenraufen in Anbetracht großer Ereignisse, aus dem starken Wunsch nach gemeinsamen und großen Aktionen, sondern daraus, dass sich Fähigkeiten und gemeinsames Handeln aus gemeinsamer Praxis entwickelt haben. Autonomes Handeln zeichnet sich auch durch eine Art der Leichtigkeit aus. Fehlt diese, ist dies ein Zeichen dafür, dass man überfordert wird, ob durch sich selbst oder durch andere.

Autonomes Handeln drückt sich im Reagieren auf Konkretes aus, nicht im ausgedachten Reagieren auf ein ausgedachtes Zukünftiges. Das Konkrete ist aber immer das konkret Gegenwärtige. Wenn sich aus dem Gegenwärtigen aber solche Schwierigkeiten ergeben, dass man gar nicht mehr weiß, wie damit umzugehen, dann ist es umso verkehrter, zu denken, dass man es in der Zukunft schaffen wird. Man denkt sich eine Zukunft, man bereitet sich auf eine Zukunft vor, um so wieder „vor die Lage“ zu kommen. Tatsächlich fällt man aber noch hinter die Lage zurück. Vielmehr ist es dann wichtig, zu verstehen, wieso es einem derzeit nicht gelingt. Oft liegt es daran, dass es nicht an Ideen, sondern an Orientierung mangelt, nicht an Fähigkeiten, sondern an Kraft, nicht Angst einen zurückhält, sondern Perspektivlosigkeit. Diese aber hält auch die Zukunft nicht bereit, sondern nur wir selbst: Kraft, Orientierung, Perspektive ergeben sich erst durch das Handeln, nicht vor dem Handeln. Schwäche, Desorientierung, Perspektivlosigkeit ergeben sich aber wesentlich aus einem Umstand: Isolation. Nicht umsonst ist dies das Ziel, welches Repression erreichen soll, entweder durch die faktische Zerschlagung von Strukturen und Netzwerken durch Inhaftierung Einzelner, sondern auch durch Einschüchterung und Drohung, dass derjenige, welcher sich noch bewegt, der Nächste ist. Dies gilt es zu durchbrechen. Auch die Beschäftigung mit Repression aus dem Interesse ihr zu trotzen, kann sich ins Gegenteil verkehren. Die Beschäftigung ist wichtig und unausweichlich, aber sie muss sich, so weit es geht, an dem orientieren, was an Repression passiert ist, nicht an dem, was noch passieren kann, vor allem und gerade da nicht, wo es sich wesentlich unserem Einfluss entzieht. Autonome Strukturen besitzen in der Regel schon einen hohen Schutz. Auf diesen muss sich verlassen werden, nachbessern lässt sich ohnehin kaum mehr etwas. Wer sich zu viel mit kommender Repression beschäftigt, zermürbt sich selbst. Am Ende ist man schon fertig, bevor überhaupt Repression eintritt, oder besser gesagt: Repression tritt schon ein, ohne dass sie konkret sein muss. So gerechtfertigt und sinnvoll es sein mag, im einzelnen vor Repression in Deckung zu gehen, so sinnloser und ungerechtfertigter ist es in vielen Fällen. Damit aus Repression kein „es geht nicht mehr“ wird, sondern ein „trotz alledem weiter“, muss es ein lebendiges Verhältnis zwischen den Betroffenen und den Nicht-Betroffenen geben. Wenn dieses nicht besteht, oder es sogar (ob aus guten oder schlechte Gründen) zerbricht, dann ist der Schaden für alle da. Dieser Schaden ist aber wesentlich das, was diejenigen, die Repression organisieren, erreichen wollen. Es ist ihr Erfolg, während wir gelähmt werden. Unsere Isolation ist ihr Ziel.

Isolation ist der Zustand, der die autonome Bewegung final hemmen kann. Sie zu durchbrechen ist wesentlich, aber sie zu durchbrechen ist mehr, als mit Anderen zusammenzukommen. Es ist wesentlich die Frage, wie zusammengekommen wird. Eine bloße Begegnung mit noch so vielen Menschen, ein Treffen, dass um die falschen Themen kreist, durchbricht die Isolation nicht, sondern steigert diese. Isolation zu durchbrechen gelingt nur da, wo Wesentliches zur Sprache kommt. Wesentlich ist aber das, was sich mit der Krise konfrontiert und ihr standhalten kann, sei`s auch für`s Erste nur im Austausch darüber. Wer nur dem Impuls folgt, über das Angenehme zu sprechen, über das eigene Spezialthema, über Gefälliges oder das, was ohnehin schon bejaht wird, der wird Isolation und Einsamkeit nur vordergründig entkommen. Genauso verkehrt ist es aber auch, sich das Gegenwärtige immer wieder aufzuzählen, ohne im Grunde standhalten zu können. Die Wucht des Schlimmen wird so nur gesteigert.

VIII

Das Wichtigste für die Bewegung ist immer die Straße. Aber die Straße zu betreten ist zugleich ein Hemmnis. „Wir wollen uns die Straße nehmen“, „Wir haben uns die Straße genommen“ sind Ausdruck davon, dass die Straße kein selbstverständlicher Ort ist und wesentlich jemand anderem gehört. Das liegt aber nicht nur an irgendwelchen Schwierigkeiten, sich die Straße zu nehmen; dieses ist im Grunde leicht. Es liegt auch wesentlich daran, dass eigentlich kaum jemand gern auf die Straße geht. Nicht wenige sehen in sich schon eine gewisse Prominenz, die nur dann die Straße betritt, wenn einiges geboten wird. Für die sogenannte Latschdemo sind den meisten doch die Füße zu schade; statt an diesen teilzunehmen, legt man jene doch lieber hoch oder lässt sich von ihnen zu irgendwelchen vergnüglicheren Sachen tragen. Sicher: Für manche mag es gute Gründe geben gerade nicht auf Demonstrationen sichtbar zu werden; für die meisten aber gilt das nicht. Trotzdem ist der Widerwille gegen das Latschen groß; freuen tut man sich allerdings trotzdem, wenn andere es tun. Dabei ist das Latschen deutlich weniger schlecht als sein Ruf. Wer viel latscht, kann auch rennen oder zutreten, wenn es sein muss, dies gilt umso mehr, wenn durch das regelmäßige gemeinsame Herumlatschen Bekanntschaft und Vertrauen gewachsen ist.

Welchen Effekt das bloße Latschen haben kann und das es Grundlage ist für mehr, sehen wir derzeit an den Bewegungen der Faschisten und ihrer Anhänger. Kaum vorstellbar mehr, dass eine autonome Bewegung so viel Potential entfalten könnte. Wenn überhaupt wird es gehen, wenn Autonome wieder ohne Scham und also ganz unverschämt mit den eigenen Themen auf die Straße gehen. Nur wer selbst in Bewegung kommt, wird andere und anderes in Bewegung bringen können.

An die Stelle von hohen Erwartungen an das, was bei dieser oder jenen Demonstration passieren soll oder könnte, muss die Gewissheit treten, dass viel passieren kann, wenn sich bewegt wird. Der Fokus muss weg vom einzelnen Event, hin zu einer Stetigkeit im öffentlichen Auftreten. Der Kampf um die Straße jedenfalls hat neue Heftigkeit erreicht, ihn zu gewinnen scheint aktuell fast aussichtslos. Das aber heißt nicht, dass er nicht zu führen ist; um Aussicht zu erlangen, ist er trotzdem aufzunehmen. Das bedeutet allerdings nicht, dass es nur um die Konfrontation mit der erstarkenden faschistischen Bewegung geht; der Kampf wird auch überall da geführt, wo wir in unseren Angelegenheiten auf die Straße kommen. Wichtig ist, dass sich dabei nicht am Bürgertum und seinen armseligen Positionen orientiert wird, erst recht nicht an seiner feel-good und Appeasement-Politik. Genau anders herum muss ein Schuh daraus werden; autonome Politik muss zum Orientierungspunkt avancieren. Gerade das erreichen wir aber nicht durch angleichen und begrenzen der eigenen Ziele, sondern nur dann, wenn wir selbst orientiert sind; wenn wir das angehen, was wir wollen: eine gute Welt; es bedeutet: Verteidigung gegen die schlechte Welt; es bedeutet: Angriff auf die schlechte Welt.