Polizeipräsident René Demmler: „Stärke zu zeigen, kann auch deeskalierend wirken“

Leipzigs Polizeipräsident René Demmler spricht am Tag nach dem „Tag X“ über den Einsatz der 3000 Beamten und reagiert auf die Kritik an ihrer Strategie.

Ein Bild, das einschüchterte: 3000 Polizeibeamte und mehrere Wasserwerfer prägten am Samstag das Leipziger Stadtbild. Der Einsatz rund um den von der autonomen Szene angekündigten „Tag X“ war für Leipzigs Polizeipräsidenten René Demmler eine große Bewährungsprobe. Entsprechend wenig hatte er in den Nächten zuvor geschlafen. Am Sonntag empfängt er in seinem Büro, an den Wänden hängen kleine Gemälde mit Szenen, die sehr an die letzten Tage erinnern: Polizisten mit Helmen, Wasserwerfer, dazwischen ein Journalist mit Helm.

Ungefähr 3000 Beamte aus verschiedenen Bundesländern, acht Wasserwerfer, ein Räumpanzer waren am Wochenende im Einsatz – wie passt das zu der von Ihnen ausgegebenen Strategie der Deeskalation?

Stärke zu zeigen, kann auch deeskalierend wirken. Die Lage-Einschätzung war einfach die, dass es Androhungen gab, mehrere Millionen Euro Sachschaden zu verursachen. Das lässt sich einfach nicht mit den klassischen Mitteln der Deeskalation verhindern, mit Kooperationsgesprächen. In der Regel ist es ja auch so, dass es keine Kooperation mit der Szene gibt – da wird jemand vorgeschickt, der eine Versammlung anmeldet, und die wird dann zur Plattform für Gewaltbereite.

Sie meinen die Ankündigungen zu einem „Tag X“. Die entsprechende Versammlung wurde verboten. Stattdessen sollte es eine Demonstration zum Thema Versammlungsrecht geben, organisiert von Mitgliedern von SPD und Grünen. Und auch dort gab es ein ziemliches Aufgebot.

Beim Kooperationsgespräch habe ich klar gesagt, dass die Gefahr besteht, dass diese Demonstration als Ersatzveranstaltung für den „Tag X“ dienen könnte – trotzdem hatte ich die Hoffnung, dass wir das gut über die Bühne bringen, dass es gute Absprachen gibt, die Versammlungsleitung im Zweifel Einfluss nimmt auf Teilnehmer. Wir haben über mögliche Routenänderungen gesprochen, falls sich die Situation ändert. Auch über die Möglichkeit einer stehenden Versammlung, sollte etwa die Teilnehmerzahl weit höher sein oder ein bestimmtes Klientel auftauchen.

Angemeldet war die Demonstration mit etwa 100 Personen, gekommen sind mehrere Tausend – anfangs war es durchaus friedlich.

Das stimmt – aber es kippte, als immer mehr Personen kamen, es immer mehr Vermummte gab. Wir haben dann intensive Gespräche mit dem Ordnungsamt und der Versammlungsleitung geführt. Letztere bestand auf einer Route und versuchte, auf die Teilnehmer Einfluss zu nehmen. Uns schien es, als seien die schlecht aufgestellt, etwa durch den kleinen Lautsprecherwagen. Man konnte nicht mit allen kommunizieren – und in der Versammlung kam es immer mehr zur Vermummung, Personen haben die Kleidung gewechselt, Steine gesammelt.

Am Ende gab es auch Ausschreitungen. Oberbürgermeister Burkhard Jung bescheinigte den Organisatoren eine gewisse Naivität, vor allem Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek. Gehen Sie da mit?

Die Versammlungsleitung hat die Situation unter- und die eigene Rolle überschätzt.

Aber haben Sie durch die Entscheidung, die Versammlung nicht laufen zu lassen, zusätzlich Druck und Frust erzeugt?

Was wäre denn die Alternative gewesen? Die hätten uns alles zerscherbelt, und wir hätten noch massiver handeln müssen. Das wieder einzufangen, wäre unfassbar schwierig gewesen.

Dieser Einsatz war eine Herausforderung, sind Sie zufrieden?

Wir wollten eine klare Botschaft senden: Bleibt weg, wir sind gut aufgestellt. Damit haben wir sicher einige abgeschreckt. Trotzdem bin ich nicht zufrieden. Beamte wurden verletzt – es gab sinnlose Gewalt, Connewitz wurde wieder als Bühne missbraucht.

Mehr als 1000 Personen standen bis zu elf Stunden lang im Park am Alexis-Schumann-Platz, weil ihre Personalien überprüft werden mussten. Darunter auch Minderjährige – warum?

Wir haben unterschätzt, wie viele Leute in dem Park waren. Das wurde uns erst beim Blick auf die Wärmebildkamera klar. Wir mussten die Identität feststellen, dann schauen, wer schon mal auffällig war. Anschließend wurden die Leute teilweise in die Gefangenensammelstelle gebracht. Minderjährige wurden mit Priorität behandelt.

Während die Leute im Kessel standen, blieb es in Connewitz vergleichsweise ruhig – steckte da auch ein Stück weit Taktik dahinter?

Durch die Umschließung des Parks konnten wir weitere Störlagen verhindern, die Kraft war genommen. Zwar gab es in Connewitz ein paar Barrikaden – gezielte Angriffe blieben aber aus. Vermutlich, weil sich die Klientel in der Umschließung befand. Aber das ist einfach eine Feststellung, die wir heute machen. Dass der Einsatz schließlich elf Stunden dauerte, liegt daran, dass es nicht schneller ging.

Bei Gesprächen mit friedlichen Demonstranten war ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der Polizei zu spüren: Dass man hier die Falschen mit übertriebenen Mitteln ins Visier nimmt. Die dürften sich nach dem Samstag bestätigt fühlen, oder?

Es kann schon sein, dass sich da Einstellungen verfestigt haben – aber ich weise darauf hin, dass wir bei einer „Querdenken“-Demonstration 2021 ähnlich vorgegangen sind. Und wir gehen hier immer wieder ins Gespräch mit Personen, die montags regelmäßig demonstrieren und Polizeigewalt monieren. Seitdem versuchen wir, bei den Einsätzen etwas gelassener zu sein. Gleichzeitig bitten wir um Verständnis für unsere Arbeit.