Ich habe beschlossen nicht in den Knast zu gehen…
So banal sich dieser Satz anhört und so wenig möglich es aktuell in Anbetracht von Überwachung, staatlicher Verfolgung und ausufernder Repression gegen Linke scheint – wir können eine Entscheidung treffen, die zwischen einem Zurück in den bequemen Schoß der bürgerlichen Gesellschaft und dem Knast eine Alternative aufmacht.
Im vergangenen Oktober 2022 wurde ich in einem Sammelprozess zu einer Haftstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Vorgeworfen wurde eine Beteiligung an der sog. „Stuttgarter Krawallnacht“, ein Angriff auf den IB’ler Anderson Gama am Rande einer der ersten Querdenken-Demonstrationen Anfang Mai 2020 und ein tätlicher Angriff rund um eine Aktion gegen den Bundestagswahlkampf der Grünen. Zusätzlich gibt es noch weitere Verurteilungen, wegen einer Spontandemonstration nach den Morden in Hanau 2020 und einem Outing eines führenden IB-Kaders aus Schwaben. Hinzu kommen dann noch weitere offene Ermittlungsverfahren mit einem ungewissen Ausgang – so bin ich beispielsweise auch Teil des im Januar 2020 pausierten Rondenbarg-Pilotverfahrens anlässlich des G20 Gipfels 2017 in Hamburg.
Das alles summiert sich dann bereits jetzt zu einer Haftstrafe von 4 Jahren. Zwar waren die Urteile noch nicht alle rechtskräftig, es blieb jedoch absehbar, dass eine langjährige Haftstrafe am Ende einer kommenden jahrelangen juristischen Auseinandersetzung stehen bleiben würde und die weiteren Verfahren diese noch weiter verlängern würden. Am Ende der Diskussion habe ich mich dann dazu entschieden, mich bereits jetzt der Haftstrafe und der möglichen Gefahr von Haftbefehlen vor der endgültigen Rechtskraft der Urteile zu entziehen und unterzutauchen. Ich glaube, dass dieser Schritt nicht nur einer der individuellen Freiheit ist, sondern weit mehr sein kann. Er ist für mich einerseits die Konsequenz einer konsequenten revolutionären Linie in Theorie und Praxis und schafft andererseits neue Perspektiven und Potentiale für die revolutionäre Linke.
Vielleicht hat am Ende auch ein kleines bisschen Dogmatismus eine Rolle gespielt: Kommunist:innen liefern sich nicht freiwillig der Klassenjustiz aus. Punkt. Nicht wenn es Alternativen gibt, wie sie besser, lebendiger, dynamischer Teil des revolutionären Prozesses sein können als hinter hohen Mauern. Aktuell ist es wichtig, die legalen Möglichkeiten so weit wie möglich zu nutzen, um revolutionäre Organisierung möglichst breit aufzustellen. Bei längeren Haftstrafen relativiert sich das aber schnell und die möglichen Potentiale einer Alternative überwiegen. Das heißt sich außerhalb des Radars zu bewegen, wenn nicht mehr die Möglichkeit besteht, im legalen Bereich politisch aktiv zu sein.
Eine Sache ist mir auch nochmal wichtig zu betonen: ich habe mich dagegen entschieden in den Knast zu gehen, aus prinzipiellen Gründen aber auch weil ich glaube, dass es im Knast gerade wenig Möglichkeiten gibt, Teil eines revolutionären Prozesses zu bleiben bzw. ich in der Alternative einfach deutlich mehr Potential und eine Zukunft sehe. Das muss nicht heißen, dass Genoss:innen, die sich dazu entscheiden in den Knast zu gehen, eine falsche Entscheidung treffen. Es kann Gründe hierfür geben. Als politischer Mensch im Knast sich selbst, seine Überzeugungen und sein politisches Bewusstsein zu bewahren ist unter den aktuellen Bedingungen nicht einfach. Man ist einer konstanten Konfrontation ausgesetzt, ohne die Möglichkeit sich aus dieser zurückziehen zu können. Hier nicht einzuknicken, sondern auch aufrecht wieder aus dem Knast rauszukommen ist eine große Herausforderung und ich habe großen Respekt vor allen Genoss:innen, die aktuell in dieser Situation sind.
Alles hat einen Anfang
Meine Entscheidung kommt nicht von ungefähr – sie ist auch eine Konsequenz meiner bisherigen politischen Aktivitäten und Erfahrungen. Die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus, das Zerstörungspotential imperialistischer Konkurrenz und Kriege; warum er Unterdrückung und Ausbeutung, Krieg und Umweltzerstörung bedeutet; warum er schlichtweg dem allergrößten Teil der Menschen keine lebenswerte Zukunft bietet; das alles breite ich jetzt nicht lange aus. Diese Beobachtung von Unterdrückung und sozialem Missstand ist meistens Ausgangspunkt einer politischen Praxis. Bei mir anfangs gegen Pegida, Demo für Alle, die AfD, Rechtsruck und Faschismus. Doch schnell findet eine Suche nach den Hintergründen und Ursachen statt. Es beginnt ein politischer Prozess in seiner Vielschichtigkeit die Praxisfelder werden breiter und es entwickelt sich ein Bewusstsein für die Notwendigkeit eines revolutionären Bruches mit dem Kapitalismus.
Der Staat und seine Organe, angefangen bei Polizei und Armee, bis hin zum Parlament, sind in dieser Auseinandersetzung ein Instrument der kapitalistischen Klasse. Er ist historisch aus dem Widerspruch zwischen der kapitalistischen Klasse, den Besitzenden an Produktionsmitteln, die sich die Erzeugnisse der gesellschaftlichen Produktion privat aneignen und dem Proletariat, dem Großteil der Menschheit, der gezwungen ist seine Arbeitskraft zum Überleben zu verkaufen – entweder unmittelbar in der Produktion oder indirekt im gesamtheitlich betrachteten Wertschöpfungsprozess. Dabei ist seine Aufgabe die Befriedung dieses Klassenkonfliktes. Nicht jedoch im Sinne eines Interessenaustauschs zwischen den Klassen, sondern gerade um die Bedingungen zu erhalten unter denen die herrschende Klasse im Wesentlichen ihre Interessen durchsetzen kann.
Um dieses Interesse durchzusetzen ist die Bundeswehr überall auf der Welt im Einsatz und garantieren Recht, Gesetz und die bewaffnete Gewalt der Polizei das Privateigentum. Aber natürlich ist kapitalistische Herrschaft dabei noch um einiges vielschichtiger und zieht sich durch quasi alle Lebensbereiche. Am greifbarsten wird sie bei Zwangsräumungen, Abschiebungen, rassistischer Polizeigewalt oder dem Durchknüppeln von Naziaufmärschen; wenn die Pandemie benutzt wird, um Krisenfolgen auf unseren Rücken abzuladen, wir wegen der steigenden Inflation den Gürtel enger schnallen müssen und parallel in den Unternehmen wiederholt milliardenschwere Gewinne ausgeschüttet werden.
Große Teile aktueller revolutionärer Praxis finden in einem legalen Rahmen statt. Allerdings wird unsere Praxis dort nicht mehr revolutionär, wo sie sich auf diesen Rahmen beschränkt und ihn als legitim akzeptiert. Das lässt sich aber nur in der Praxis überprüfen. Erst dort, wo es zu einer Konfrontation mit dem Staat und kapitalistischer Herrschaft kommt, zeigt und bestätigt sich ein revolutionärer Charakter wirklich. Genau deshalb muss revolutionäre Politik einem staatlichen, einem bürgerlichen Rahmen immer verlassen. Reformen haben vielleicht ihre Berechtigung in der Schaffung von einzelnen Verbesserungen der Lebensbedingungen unserer Klasse. Daneben können wir als Revolutionär:innen in den Kämpfen unserer Klasse um einzelne Verbesserungen in der Klasse wirken, Klassenbewusstsein entwickeln und Bruchpunkte zum Kapitalismus aufzeigen. Aber Reformen verschleiern immer auch die Unterdrückung nur weiter und sind niemals in der Lage, grundsätzliche Änderungen zu schaffen.
Als Kommunist strebe ich aber genau das an. Eine sozialistische Revolution, die den Kapitalismus endgültig auf den Müllhaufen der Geschichte wirft. Das setzt zwangsläufig eine Konfrontation mit dem Staat voraus: er sichert kapitalistische Herrschaft, ich will sie und damit den kapitalistischen Staat abschaffen.
Die strategische Orientierung heißt Bruch mit dem Kapitalismus und Revolution!
Das sind große Worte und die Realität der revolutionär-kommunistischen Bewegung in der BRD ist gerade eine andere. Aber, sobald wir in eine Konfrontation mit kapitalistischer Herrschaft gehen – was eine Organisation mit einem revolutionären Anspruch bereits abstrakt macht – , indem wir ihr Gewaltmonopol nicht anerkennen oder konkret in direkten Auseinandersetzungen mit ihr , werden wir mit Repression konfrontiert.
Die Repression, die aktuell linke Bewegungen prägt drückt sich vor allem durch Geld- oder Bewährungsstrafen und Gewalt auf der Straße aus. Aber zeitgleich zeigen sich an verschiedenen Stellen auf unterschiedlichen Ebenen Verschärfungen: in den vergangen Jahren wurden in eigentlich allen Bundesländern die Polizeigesetze verschärft. Mit der Einführung des §114 StGB „tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte“ besteht ein Instrument, Widerstand auf der Straße einfach und hart zu sanktionieren. Das Antifa-Ost-Verfahren, aber auch das §129-Verfahren gegen den Roten Aufbau Hamburg stellen Verschärfungen in der Anwendung der 129-Paragraphen dar. Es gibt erste Ansätze, dass sich Repression quasi „verbreitert“: Führerscheine werden verweigert oder DNA präventiv entnommen. Es kommt zu generell härteren Strafen und mehr Haftstrafen. Long story short: es wird auch nicht besser.
Aber gleichzeitig sollten wir – denke ich – nicht aufhören zu kämpfen, uns nicht im Angesicht dieser Entwicklungen zurückziehen, was aber auch nicht heißt, einfach mit dem Kopf durch die Wand einfach so weiterzumachen. Eine revolutionäre Linie sollte immer auf den Moment des Bruches ausgerichtet sein – das ist das strategische Ziel. Auf dem Weg dahin dürfen wir uns nicht im Hier und Jetzt verrennen und damit die revolutionäre Perspektive aus den Augen verlieren. Gleichzeitig heißt es aber auch, nicht nur auf die Zukunft zu warten, sondern ausgehend von der aktuellen Situation konkrete Schritte zu gehen.
Bereits heute gibt es genügend Punkte, an denen eine revolutionäre Linke, Widersprüche mit dem System zu Bruchpunkten mit dem Kapitalismus vertiefen kann: Wenn Streiks verboten werden wie im Hamburger Hafen, weil bürokratische Formalitäten nicht erfüllt worden sein sollen ist damit ja nicht die Legitimität des Lohnkampfes vom Tisch, sondern zeigt sich viel mehr, dass wir zur Durchsetzung unserer Interessen eben im Zweifel andere Wege gehen müssen. Wenn überall gespart wird und es zu einer steigenden Verarmung unserer Klasse kommt, aber 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ohne weiteres zur Verfügung stehen. In den politischen Widerstandsfeldern finden aktuell Kämpfe statt, in denen sich Menschen politisieren und an den erfahrenen Widersprüchen politisieren. Dabei kommt man schnell in eine Konfrontation mit dem Staat und seinen Gewaltmonopolen. Er schützt die sinnlose Umweltzerstörung für Kapitalinteressen in Lützerath mit Gewalt, verteidigt Nazi-Aufmärsche und geht gegen kämpferischen Protest und Widerstand sowohl auf der Straße als auch vor den Gerichten vor. Neben der Klimagerechtigkeitsbewegung erfährt aktuell vor allem ein militanter Antifaschismus Repression. Er greift durch das handfeste Zurückdrängen der Faschisten das staatliche Gewaltmonopol an, in in ihm bilden sich Erfahrungen und ein militantes Potential, das auch in der Lage sein kann, andere soziale Widersprüche zuzuspitzen.
In diesen Kämpfen als revolutionäre Kommunist:innen nach dem Bruchpunkt zu suchen, bedeutet diese Widersprüche zuzuspitzen, die erfahrenen Widersprüche zu politisieren und gemeinsam mit den Menschen an Alternativen zu kämpfen. Hierfür braucht es dann Strukturen, die dazu in der Lage sind, gemachte Erfahrungen zu sammeln, auszuwerten und zu kollektivieren. Die in der Lage sind, eine revolutionäre Linie in die Widerstandsfelder und unsere Klasse zu tragen, Orientierung und Führung zu bieten, aber immer aus einer direkten Beteiligung, um das in der Praxis zu beweisen. Deswegen sollten wir immer dort sein, wo gekämpft wird, sollten wir immer vorne mit dabei sein.
Dass eine solche Praxis dann Repression und Knaststrafen zur Folge hat, ist eine logische Konsequenz. Damit ist dieser Schritt für mich die Fortführung einer konsequent revolutionären Linie in Theorie und Praxis. Ihn nicht zu gehen, würde bedeuten, an einer Praxis festzuhalten, die im Knast endet, ohne nach Alternativen zu suchen, ohne zu überprüfen, ob ich außerhalb des Knastes nicht einen größeren Beitrag leisten kann, ohne den Versuch zu wagen, den nächsten qualitativen Sprung zu machen. In letzter Konsequenz wäredas eine Abkehr von der strategischen Orientierung auf die Revolution.
Betrachten wir die Gesetzesverschärfungen und Repressionsentwicklungen der letzten Jahre, die Entwicklung in der Anwendung der §§ 129a/b STGB, beispielsweise gegen den „Roten Aufbau Hamburg“ dem explizit der formulierte revolutionäre Anspruch – unabhängig dessen konkreter Umsetzung – vorgeworfen wird, im Kontext aktueller Krisenentwicklung, kann es in den kommenden Jahren schnell passieren, dass immer mehr revolutionäre Praxis und Organisierung – ohne dass sie direkt nach den Gesetzbüchern illegal sein muss – kriminalisiert wird. Dann muss eine revolutionäre Bewegung auch in der Lage sein sich anzupassen und Organisationsformen, die lediglich darauf setzen, dem Staat möglichst wenig Einblicke zu gewähren, sind nicht mehr ausreichend.
… und mache mich als Reisender der Revolution auf die Suche
Individuell gesehen bedeutet dieser Schritt, dass ich erst einmal sehr vieles, was mich an ein bürgerliches Leben gebunden hat (Familie, Freunde, Genoss:innen, Job etc.) hinter mir gelassen habe und mich in einer Situation befinde, in der damit mein revolutionäres Bewusstsein auf dem Prüfstand steht. Wir haben als Revolutionär:innen in den europäischen Metropolen individuell viel an den Bequemlichkeiten des kapitalistischen Lebens zu verlieren, sich hiervon zu trennen ist nicht so einfach wie das schnell gesagt ist. Gleichwohl schafft ein solcher Schritt dann auch eine Form der Klarheit, weil er einen Bruch darstellt und einem die Möglichkeit sich unbewusst mit den bestehenden Verhältnissen zu arrangieren weitgehend genommen sind. Erst mal nicht die schlechtesten Bedingungen um revolutionäres Bewusstsein zu entfalten. Die Bedeutung dieser Auseinandersetzung, als Individuum mit revolutionärem Anspruch, das dann im Idealfall auch Teil eines kollektiven Prozesses ist, dürfen wir nicht unterschätzen.
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