Prozess wegen linksextremer Gewalt – Plädoyers im Fall Lina E.: Nur „Sport, Spaß und soziale Kontakte? – Versionen

Die LVZ hat den Artikel gestern 3 mal geändert, das war Variante 1 , es folgen unten Variante 2 und 3, daher oben auch die Uhrzeit-Angaben dabei.


Josa Mania-Schlegel und Denise Peikert

20.04.2023, 16:09 Uhr

Prozess wegen linksextremer Gewalt – Plädoyers im Fall Lina E.: Nur „Sport, Spaß und soziale Kontakte?”

Am zweiten Tag ihrer Schlussreden blickt die Verteidigung auf Urteile gegen Neonazis zurück – und rechtfertigt die Taten, die Lina E. und den Angeklagten vorgeworfen werden. Dann taucht überraschend ein neuer Zeuge auf.

Wann immer der Prozess gegen Lina E. auf ein Ende zuzugehen scheint, nimmt alles eine neue Wendung. So ist es nun wieder. Nachdem am Mittwoch die Verteidiger von Lina E. vor dem Oberlandesgericht Dresden (OLG) ihre Plädoyers gehalten hatten, war der Donnerstag für die Anwälte der übrigen drei Angeklagten reserviert.

Rita Belter, die Anwältin von Lennart A., einem 28 Jahre alten Leipziger, trat ans Pult und kritisierte den Prozess an sich. In diesem wird ihrem Mandanten, zwei weiteren Männern und der Hauptangeklagten Lina E. vorgeworfen, vermeintliche und tatsächliche Neonazis überfallen und eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Sie und ihre Kollegen, so Rechtsanwältin Belter, fühlten sich „in eine Position gedrängt, in der wir beweisen müssen, dass die Annahmen der Polizei nicht stimmen.“ Das in dubio pro reo, also „im Zweifel für den Angeklagten“, gelte erst bei einem stichfesten Alibi. Und selbst diese würden von den Ermittlern allzu streng hinterfragt: Um ein Alibi möglicherweise in Zweifel zu ziehen, fuhren Ermittler im Auto in Höchstgeschwindigkeit von Leipzig zu einem der Tatorte in Eisenach.

Belter nutzt ihr Plädoyer auch dafür, die Taten, die den Angeklagten vorgeworfen werden, zu rechtfertigen. Dafür zitiert sie auch die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano: „Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen.“ Belter zählt zurückliegende Urteile gegen Neonazis auf, bei denen es – in ihren Augen – zu milde Strafen gegeben habe. Wer angesichts solcher Urteile harte Strafen gegen Antifaschisten fordere, so Belter, der „verkennt die Machtverhältnisse auf ostdeutschen Straßen“. Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor acht Jahre Haft für Lina E. gefordert.

Beweisaufnahme während Plädoyers wieder aufgenommen

Dann, plötzlich, eröffnet der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats überraschend noch einmal die Beweisaufnahme. Der Grund dafür ist ein wenig kompliziert: Rita Belter habe in ihrem Plädoyer behauptet, so der Richter, dass ein wichtiger Zeuge des Prozesses gegen Lina E. – der Kronzeuge Johannes D. – in einem parallel laufenden Verfahren widersprüchliche Aussagen gemacht habe.

Konkret geht es um Kampfsporttrainings. Lina E. und ihren Mitangeklagten sollen unter anderem in einem linken Hausprojekt in der Leipziger Gießerstraße gezielt Angriffe auf Neonazis trainiert haben, bei sogenannten „Szenariotrainings“. So hatte es Johannes D. in dem Prozess vor dem OLG in Dresden ausgesagt. Aber, so Anwältin Belter, bei einem Prozess gegen sich selbst am Landgericht Meiningen habe D. etwas anderes gesagt: Es habe sich bloß um normale Kampfsporttrainings gehandelt.

Vortrag von Anwältin Belter nach LVZ-Informationen fraglich

Für die Verhandlung in Dresden wäre das entscheidend. Denn die Anklage stützt sich wesentlich auf die Aussagen des Kronzeugen D., der mit seinen Beschreibungen einen ungekannten Einblick in die linksextreme, gewalttätige Szene gab.

Vor Gericht sagt er heute: Die Textpassage sei „ein großer Fehler” gewesen. Kronzeuge Johannes D. habe vor dem Gericht in Meiningen etwas anderes berichtet. Er sei zu den Trainings gefahren, in der Erwartung, es gehe dort darum, für Angriffe auf Neonazis zu trainieren. Das sei dann nicht so gewesen. Stattdessen habe D. das Training in drei Wörtern zusammengefasst: „Sport, Spaß und soziale Kontakte”. Das Wort „Szenariotrainings” sei nicht gefallen. Schon gar nicht sei es um „Angriffe auf Neonazis” gegangen.

Trifft die Behauptung der Anwältin zu? Nach Informationen der Leipziger Volkszeitung ist das fraglich. Zwar ging es in der Vernehmung Ende Februar am Landgericht Meiningen zunächst um Kampfsporttrainings. Aber der dort Angeklagte Johannes D. führte gegenüber dem Richter auch aus: Es sei „kein gewöhnliches Training“ gewesen, an dem er in Leipzig teilnahm. „Da ging es darum, Neonazis zielgerichtet und mit möglichst hoher Effektivität zu überfallen“, sagte er. Dies sei „Teil des Ausdrucks militanter Politik“.

Spontan vernommener Zeuge kann Widerspruch nicht aufklären

Um weiter Klarheit in die Sache zu bringen, beantragte die Verteidigung von Lina E. am Donnerstagnachmittag einen neuen Zeugen: Den Autor eines Protokolls des Meininger Verfahrens, das auf einer Internetseite von Unterstützern der Angeklagten im Fall Lina E. erschienen ist. Der Mann kann kurzfristig aussagen. Denn zufälligerweise sitzt er am Donnerstag auch im Publikum. In seinem Protokoll zu Meininger Prozess schreibt der Autor: „2017 sollen Kampfsporttrainings als Vorbereitung auf Überfälle gegen Neonazis stattgefunden haben.”

Den Widerspruch zwischen Protokoll und Aussage kann der Zeuge nicht auflösen. Einer der Richter hakt noch einmal nach: „Das ist nach meinem Verständnis das genaue Gegenteil. Das müssen Sie mir erklären.“ – „Das weiß ich auch nicht.“ Nach einigem Hin und Her liefert der Zeuge schließlich eine Erklärung: „Ja, dann ist das grammatikalisch falsch.


Josa Mania-Schlegel und Denise Peikert

20.04.2023, 17:32 Uhr

Prozess wegen linksextremer Gewalt – Plädoyers im Fall Lina E.: Nur „Sport, Spaß und soziale Kontakte?”

Am zweiten Tag ihrer Schlussreden blickt die Verteidigung auf Urteile gegen Neonazis zurück – und rechtfertigt die Taten, die Lina E. und den Angeklagten vorgeworfen werden. Dann taucht überraschend ein neuer Zeuge auf.

Wann immer der Prozess gegen Lina E. auf ein Ende zuzugehen scheint, nimmt alles eine neue Wendung. So ist es nun wieder. Nachdem am Mittwoch die Verteidiger von Lina E. vor dem Oberlandesgericht Dresden (OLG) ihre Plädoyers gehalten hatten, war der Donnerstag für die Anwälte der übrigen drei Angeklagten reserviert.

Rita Belter, die Anwältin von Lennart A., einem 28 Jahre alten Leipziger, trat ans Pult und kritisierte den Prozess an sich. In diesem wird ihrem Mandanten, zwei weiteren Männern und der Hauptangeklagten Lina E. vorgeworfen, vermeintliche und tatsächliche Neonazis überfallen und eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Sie und ihre Kollegen, so Rechtsanwältin Belter, fühlten sich „in eine Position gedrängt, in der wir beweisen müssen, dass die Annahmen der Polizei nicht stimmen.“ Das in dubio pro reo, also „im Zweifel für den Angeklagten“, gelte erst bei einem stichfesten Alibi. Und selbst diese würden von den Ermittlern allzu streng hinterfragt: Um ein Alibi möglicherweise in Zweifel zu ziehen, fuhren Ermittler im Auto in Höchstgeschwindigkeit von Leipzig zu einem der Tatorte in Eisenach.

Belter nutzt ihr Plädoyer auch dafür, die Taten, die den Angeklagten vorgeworfen werden, zu rechtfertigen. Dafür zitiert sie auch die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano: „Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen.“ Belter zählt zurückliegende Urteile gegen Neonazis auf, bei denen es – in ihren Augen – zu milde Strafen gegeben habe. Wer angesichts solcher Urteile harte Strafen gegen Antifaschisten fordere, so Belter, der „verkennt die Machtverhältnisse auf ostdeutschen Straßen“. Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor acht Jahre

Vor Gericht sagt er heute: Die Textpassage sei „ein großer Fehler” gewesen. Kronzeuge Johannes D. habe vor dem Gericht in Meiningen etwas anderes berichtet. Er sei zu den Trainings gefahren, in der Erwartung, es gehe dort darum, für Angriffe auf Neonazis zu trainieren. Das sei dann nicht so gewesen. Stattdessen habe D. das Training in drei Wörtern zusammengefasst: „Sport, Spaß und soziale Kontakte”. Das Wort „Szenariotrainings” sei nicht gefallen. Schon gar nicht sei es um „Angriffe auf Neonazis” gegangen.

Den Widerspruch zwischen Protokoll und Aussage kann der Zeuge nicht auflösen. Einer der Richter hakt noch einmal nach: „Das ist nach meinem Verständnis das genaue Gegenteil. Das müssen Sie mir erklären.“ – „Das weiß ich auch nicht.“ Nach einigem Hin und Her liefert der Zeuge schließlich eine Erklärung: „Ja, dann ist das grammatikalisch falsch.“

Haft für Lina E. gefordert.

Beweisaufnahme während Plädoyers wieder aufgenommen

Dann, plötzlich, eröffnet der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats überraschend noch einmal die Beweisaufnahme. Der Grund dafür ist ein wenig kompliziert: Rita Belter habe in ihrem Plädoyer behauptet, so der Richter, dass ein wichtiger Zeuge des Prozesses gegen Lina E. – der Kronzeuge Johannes D. – in einem parallel laufenden Verfahren widersprüchliche Aussagen gemacht habe.

Konkret geht es um Kampfsporttrainings. Lina E. und ihre Mitangeklagten sollen unter anderem in einem linken Hausprojekt in der Leipziger Gießerstraße gezielt Angriffe auf Neonazis trainiert haben, bei sogenannten „Szenariotrainings“. So hatte es Johannes D. in dem Prozess vor dem OLG in Dresden ausgesagt. Aber, so Anwältin Belter, bei einem Prozess gegen sich selbst am Landgericht Meiningen habe D. etwas anderes gesagt: Es habe sich bloß um normale Kampfsporttrainings gehandelt.

Vortrag von Anwältin Belter nach LVZ-Informationen fraglich

Für die Verhandlung in Dresden wäre das entscheidend. Denn die Anklage stützt sich wesentlich auf die Aussagen des Kronzeugen D., der mit seinen Beschreibungen einen ungekannten Einblick in die linksextreme, gewalttätige Szene gab.

Trifft die Behauptung der Anwältin zu? Nach Informationen der Leipziger Volkszeitung ist das fraglich. Zwar ging es in der Vernehmung Ende Februar am Landgericht Meiningen zunächst um Kampfsporttrainings. Aber der dort Angeklagte Johannes D. führte gegenüber dem Richter auch aus: Es sei „kein gewöhnliches Training“ gewesen, an dem er in Leipzig teilnahm. „Da ging es darum, Neonazis zielgerichtet und mit möglichst hoher Effektivität zu überfallen“, sagte er. Dies sei „Teil des Ausdrucks militanter Politik“.

Spontan vernommener Zeuge kann Widerspruch nicht aufklären

Um weiter Klarheit in die Sache zu bringen, beantragte die Verteidigung von Lina E. am Donnerstagnachmittag einen neuen Zeugen: Den Autor eines Protokolls des Meininger Verfahrens, das auf einer Internetseite von Unterstützern der Angeklagten im Fall Lina E. erschienen ist. Der Mann kann kurzfristig aussagen. Denn zufälligerweise sitzt er am Donnerstag auch im Publikum. In seinem Protokoll zu Meininger Prozess schreibt der Autor: „2017 sollen Kampfsporttrainings als Vorbereitung auf Überfälle gegen Neonazis stattgefunden haben.”