Leipziger Südfriedhof: Leiche des mutmaßlichen Reichstagsbrandstifters exhumiert

Marinus van der Lubbe liegt auf dem Leipziger Südfriedhof begraben. Jetzt wurde der Leichnam des mutmaßlichen Reichstagsbrandstifters exhumiert; die Rechtsmedizin untersucht ihn fast 90 Jahre nach der Bestattung. Was hat das alles zu bedeuten, wonach wird hier geforscht?

Auf dem Leipziger Südfriedhof könnte ein Stück deutscher Geschichte neu geschrieben werden. Hier liegt Marinus van der Lubbe begraben, der den folgenreichen Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 gelegt haben soll und zum Tod mit dem Fallbeil verurteilt worden war. Fast genau 90 Jahre später wurde der Leichnam des niederländischen Kommunisten exhumiert.

Am Morgen des 25. Januar 2023 hat Alfred E. Otto Paul das Grab geöffnet. Er ist Vorsitzender der Paul-Benndorf-Gesellschaft, die sich um den Erhalt und die Pflege kunsthistorisch oder geschichtlich bedeutsamer Grabstätten auf Leipziger Friedhöfen kümmert. Zuerst wurde ein tonnenschwerer Stein mit einem Bagger von der Grabstelle gehoben, berichtet Paul. „Und dann mussten wir mit Fingerspitzengefühl weitermachen – mit Spaten und zum Teil mit einer ganz kleinen Schaufel.“

Der Leichnam sei unbekleidet gewesen, der Kopf habe daneben gelegen. Zusammen mit Dr. Carsten Babian, leitender Oberarzt am Institut für Rechtsmedizin der Universität Leipzig, wurden der Kopf und mehrere Knochen aus der Grube befördert.

„Herr Dr. Babian hat dann den Schädel geöffnet und das Gehirn herausgeholt – es war sehr gut erhalten“, erzählt Friedhofsforscher Paul, „ein Bilderbuchgehirn.“ Auch der Sarg habe sich nach rund 90 Jahren in einem guten Zustand befunden. Hirn und einige Skelettteile liegen nun im Institut für Rechtsmedizin der Universität Leipzig. „Alles andere haben wir wieder bestattet, die weiteren Gebeine wurden wieder beigesetzt und das Grab verschlossen“, so Paul.

Van der Lubbe hatte die Tat vor dem Leipziger Reichsgericht gestanden. Doch immer wieder wurden Zweifel laut – unter anderem daran, dass er allein für die Tat verantwortlich gewesen sein soll. Vielleicht, so eine These, legten auch die Nazis selbst Hand an. Im Prozess hatte der 24-Jährige einen geistig verwirrten Eindruck gemacht. Das nährt bis heute Spekulationen, dass van der Lubbe unter Drogeneinfluss gesetzt worden sein könnte oder Gift verabreicht bekam. Ob das wirklich so war – darüber soll ein toxikologisches Gutachten Aufschluss geben, das derzeit am Institut für Rechtsmedizin erstellt wird.

Dieses Gutachten war aber nicht der eigentliche Anlass für die jetzige Exhumierung des Leichnams, der am 10. Januar 1934 anonym bestattet worden war. 1999 stellten holländische Künstler einen Grabstein in dreifacher Ausführung her – ein Exemplar steht in van der Lubbes Geburtsstadt Leiden, eines in Berlin, dem Ort des Reichstagsbrandes, und eines in Leipzig, wo er hingerichtet worden war.

Doch den Leipziger Stein konnten die Künstler seinerzeit nicht auf das Grab setzen, weil zwischenzeitig ein Urnengrab an derselben Stelle entstanden war. Inzwischen ist aber die Ruhefrist dieses Grabs abgelaufen – man konnte sich wieder mit Marinus van der Lubbe befassen und seinen Stein, wie schon 1999 vorgesehen, an den richtigen Platz schaffen. Doch bevor das passiert, wollte Friedhofsforscher Paul Gewissheit. „Ich habe gesagt: Wir müssen nachsehen, ob er überhaupt noch dort liegt.“ Für ihn steht nach der Exhumierung „ohne jeden Zweifel“ fest, dass es sich tatsächlich um den Leichnam van der Lubbes handelt. „Der dritte Halswirbel wurde abgetrennt wie mit einer Rasierklinge.“

Ergebnis wird für April erwartet

Im Rahmen der Planungen habe man außerdem entschieden, das Institut für Rechtsmedizin mit einem toxikologischen Gutachten zu beauftragen, erklärt Friedhofsforscher Paul. Wegen der Fragezeichen rund um van der Lubbes Geständnis und seine Täterschaft. Bis zum Abschluss der laufenden Untersuchungen werde es keine Zwischenstände oder weitere Informationen geben, sagt David Quosdorf, Referent im Rathaus der Stadt Leipzig, der der Südfriedhof gehört. Das Ergebnis wird für April erwartet, wie die Pressestelle der Medizinischen Fakultät mitteilt. „Dann wissen wir alles“, erklärt Paul, „und dann werden auch die untersuchten Teile des Leichnams wieder beigesetzt.“

Fest steht aus Sicht des Friedhofsforschers aber schon jetzt, dass mindestens Teile der Geschichte „van der Lubbe“ neu geschrieben werden müssten. „Es wurde berichtet, er habe bei der Enthauptung nicht still gehalten und das Fallbeil habe den Unterkiefer durchtrennt“, so Paul. „Das stimmt aber nicht – der Unterkiefer ist in bestem Zustand.“ Van der Lubbe sei auch nicht, wie teils berichtet, in doppelter, sondern nur in einfacher Grabestiefe beerdigt worden.

Der Reichstagsbrand

Am Abend des 27. Februar 1933 ging der Berliner Reichstag in Flammen auf. Die vier Wochen zuvor an die Macht gekommenen Nazis behaupteten, die Kommunisten hätten das Gebäude angezündet. Reichspräsident Paul von Hindenburg (1847–1934) gab mit einer Notverordnung der NSDAP freie Hand, den angeblichen Umsturzversuch niederzuschlagen. Die Grundrechte der Verfassung wurden außer Kraft gesetzt, Nazi-Gegner von einer Terrorwelle überrollt.

Vor dem Leipziger Reichsgericht begann am 21. September 1933 der Reichstagsbrandprozess. An 57 Verhandlungstagen befragte der IV. Strafsenat 254 Zeugen und sieben Sachverständige. Zeitweise zogen die Richter in einen unzerstörten Reichstagssaal nach Berlin, um sich ein Bild vom Tatort zu machen. Am 23. Dezember sprach der Senat die bulgarischen Kommunisten Georgi Dimitroff (1882–1949), Blagoi Popow (1902–1968) und Wassil Tanew (1897–1941) frei, sie fanden danach Aufnahme in der Sowjetunion. KPD-Funktionär Ernst Torgler (1893–1963) blieb trotz Freispruchs bis 1935 in Haft. Der Holländer Marinus van der Lubbe (1909–1934) wurde schuldig gesprochen und am 10. Januar hingerichtet. 2007 hob die Bundesanwaltschaft das Urteil auf, weil es auf NS-Unrecht beruhte.


29.08.2019 LVZ

Das Leipziger Reichsgericht im NS-Staat

Vor nahezu 140 Jahren, am 1. Oktober 1879, wurde das Reichsgericht in Leipzig feierlich eröffnet. Teil 3 der LVZ-Serie beschreibt die NS-Zeit.

Leipzig. In der NS-Zeit war das Reichsgericht Teil des Unrechtsstaats. Es wirkt bedrohlich, wie bereitwillig auch die höchsten deutschen Richter, die zuvor in der Weimarer Republik die Unabhängigkeit der Justiz beschworen hatten, die Urteile in Anwendung der nationalsozialistischen Gesetzgebung fällten.

Präsident Bumke ließ Porträts eines jüdischen Vorgängers entfernen

Der 1929 zum Reichsgerichtspräsidenten ernannte Erwin Bumke blieb die zwölf Jahre nationalsozialistischer Diktatur im Amt. Etwa 14 Tage nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler reiste Bumke Mitte Februar 1933 zum Antrittsbesuch nach Berlin und sicherte dem Nationalsozialisten seine Unterstützung zu. Der Verdrängung der Richter jüdischer Herkunft am Reichsgericht aus ihren Ämtern und der Gesellschaft, die bereits Mitte März 1933 einsetzte, setzte der Reichsgerichtspräsident nichts entgegen. Im Gegenteil, er schwenkte schnell auf die antisemitische Staatspolitik ein und ließ zuerst zwei Ölgemälde, Portraits des ersten Reichsgerichtspräsidenten Eduard von Simson, der jüdischer Herkunft war, aus dem Festsaal und einem Verhandlungssaal entfernen.

Reichstagsbrandprozess verlief nicht im Sinne der Nationalsozialisten

Nicht im Sinne der Nationalsozialisten verlief 1933 der am Reichsgericht verhandelte Reichstagsbrandprozess. Vier der fünf Angeklagten wurden aufgrund der Beweislage freigesprochen, darunter der bulgarische Kommunist Georgi Dimitroff. Dagegen verurteilte der IV. Strafsenat den Mitangeklagten Niederländer Marinus van der Lubbe aufgrund eines nach dem Reichstagsbrand erlassenen Gesetzes zum Tode. In einem direkten Zusammenhang mit dem Gesamturteil stand die Bildung des Volksgerichtshofes im Frühjahr 1934, der dann sämtliche Fälle von Hoch- und Landesverrat verhandelte.

Luftangriffe beschädigen Gebäude

Von den Luftangriffen auf Leipzig war auch das Reichsgerichtsgebäude betroffen. Zu ersten leichten Schäden kam es am 20. Februar 1944. Bis zum April 1945 kamen weitere Bombenschäden hinzu. Am schwersten traf es die Südseite des Gebäudes mit den Wohn- und Arbeitsbereichen des Reichsgerichtspräsidenten und dem Festsaal.

US-Truppen beenden Gerichtsarbeit

Die Tätigkeit des Reichsgerichts endete mit dem Einmarsch von Truppen der US-Armee in Leipzig am 18. April 1945. Zwei Tage später beging Reichsgerichtspräsident Bumke Selbstmord.


25.07.2019 RND

SA-Mann will beim Reichstagsbrand 1933 geholfen haben

Ein bislang unbekannter Mittäter belastet sich selbst in einer eidesstattlichen Versicherung von 1955. Laut Dokument wurde der angebliche Einzeltäter Marinus von der Lubbe zum Reichstag chauffiert.

Hannover. Ein neu aufgetauchtes Dokument deutet auf eine Beteiligung der Nationalsozialisten beim Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933.

Die Hannoversche Allgemeine Zeitung (alles dazu lesen Sie hier) berichtet über eine entsprechende eidesstattliche Versicherung eines früheren SA-Mannes. Das Dokument aus dem Jahr 1955 liegt der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vor. Es lagerte bislang unerkannt im Archiv des Amtsgerichts Hannover.

Dem Dokument zufolge sagte der ehemalige SA-Mann, er selbst habe den später als Brandstifter zum Tode verurteilten Marinus van der Lubbe „zwischen 20 und 21 Uhr“ mit einem Auto zum Reichstag gefahren. Bereits bei der Ankunft dort sei ihnen aufgefallen, dass „ein eigenartiger Brandgeruch herrschte, und dass auch schwache Rauchschwaden durch die Zimmer hindurchzogen“.

Die eidesstattliche Versicherung stammt von Hans-Martin Lennings, geboren 1904 im heutigen Wuppertal und gestorben 1962. Seine Erklärung hatte er notariell abfassen lassen für den Fall einer damals diskutierten posthumen Wiederaufnahme des Prozesses gegen Marinus van der Lubbe. Das Papier dokumentiert erstmalig die eigene Aussage eines früheren Mitglieds der NSDSAP, an der Brandstiftung mitgewirkt zu haben.

Wendepunkt in der deutschen Geschichte

Der Reichstagsbrand gilt als Einschnitt in der deutschen Geschichte; er markiert den Übergang zur Gewalt- und Willkürherrschaft der NSDAP. Die am nächsten Tag erlassene Notstandsverordnung erlaubte es, rigoros gegen Kommunisten und Andersdenkende vorzugehen.

Die meisten Historiker gehen bislang davon aus, dass Marinus van der Lubbe ein Alleintäter war. Diese These geht unter anderem auf den niedersächsischen Ministerialrat und Hobby-Historiker Fritz Tobias zurück, der dazu 1959/60 eine elfteilige Serie im „Spiegel“ publizierte. Aus dem Nachlass von Fritz Tobias, der weitgehend im Bundesarchiv liegt, geht hervor, dass er die jetzt aufgetauchte eidesstattliche Versicherung von 1955 gekannt hat – sie aber nicht publiziert hat, weil sie nicht in seine Theorie von der Alleintäterschaft passte.

Einige Historiker dagegen zweifeln schon lange an der Darstellung von der Alleintäterschaft. Zuletzt hatte der New Yorker Historiker Benjamin C. Hett in seinem 2016 auf Deutsch veröffentlichten Buch über den Reichstagsbrand Belege dafür zusammengetragen, dass der Reichstagsbrand nicht von Marinus van der Lubbe allein gelegt worden sein kann. Über das jetzt in Hannover aufgetauchte Papier sagte Hett der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung: „Ein Dokument wie diese Erklärung hätte ich gern für mein Buch gehabt.“

Von RND