Maßregelvollzug in Sachsen steht kurz vor der Überbelegung
Die Situation im Maßregelvollzug ist angespannt. Immer wieder werden Menschen in Deutschland trotz hoher Haftstrafe vorzeitig entlassen. In elf von 16 Bundesländern sind die Anstalten überbelegt. So ist die Lage in Sachsen.
Der Fall hat bundesweit für Aufregung gesorgt: Ein Krimineller, der schwere Straftaten begangen hat, wurde in Berlin vorzeitig aus der Haft entlassen. Muhamed R. war wegen eines Überfalls auf einen Geldtransporter am Berliner Ku‘damm zu einer siebenjährigen Haft verurteilt worden.
Einen Teil seiner Strafe sollte R. wegen seiner notorischen Kokainsucht im sogenannten Maßregelvollzug verbringen – also in einem überwachten Krankenhaus hinter Gittern. Aus dem wurde der Mann, der Mitglied eines berüchtigten Berliner Clans ist, ein Jahr nach dem Urteil wieder entlassen. Der Grund: Der Kokain-Entzug war wegen fehlender Plätze nicht möglich. Nach Berichten von Spiegel-TV soll R. unmittelbar nach seiner Entlassung in die Türkei gereist sein.
Eine Abfrage der Gesundheits- und Sozialministerien durch das RND ergibt ein klares Bild: Nicht nur Berlin kämpft mit diesem Problem. In elf der 16 Bundesländer sind die Maßregelvollzugsanstalten überbelegt – das heißt sie haben mehr Patienten als Betten.
Überbelegung im Maßregelvollzug: So ist die Lage in Sachsen
Die Situation in den Maßvollzugseinrichtungen in Sachsen spitzt sich zu. Die Kliniken für psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter im Freistaat stehen kurz vor der Überlastung und beobachteten zuletzt einen starken Belegungsanstieg. Zum 31. Januar befanden sich, bei einer Kapazität von 466 Plätzen, 461 Patienten in den sächsischen Kliniken für Forensische Psychiatrie. Das ergibt eine Auslastung von 98,9 Prozent.
Darunter fallen jedoch auch Patienten, die zur Vorbereitung auf eine Entlassung im sogenannten „Probeurlaub“ sind und sich nicht durchgängig in einer der Einrichtungen befinden. Im Jahr 2022, wie auch in den Jahren zuvor, konnte somit noch allen Straftätern auf Ersuchen der Staatsanwaltschaften des Freistaates Sachsen im erforderlichen Zeitraum ein Platz im Maßregelvollzug zugewiesen werden.
Kliniken in Sachsen-Anhalt und Thüringen bereits überlastet
Anders sieht es hingegen in den Nachbarbundesländern aus. In Sachsen-Anhalt sind die Maßregelvollzugseinrichtungen durchschnittlich zu 114,7 Prozent belegt. Auf 443 Betten kommen 508 Patienten. Das sei nur möglich, da nicht permanent alle Plätze besetzt werden, wenn etwa für Patienten bestimmte Lockerungen greifen und sie zur Vorbereitung auf eine Entlassung im „Probeurlaub“ sind, erklärt eine Sprecherin des Sozialministeriums. 47 der insgesamt 508 Patienten in Sachsen-Anhalt sind sogenannte „Probewohner“ außerhalb der Einrichtung.
Belässt man diese Personen unberücksichtigt, liegt die Auslastung in den Einrichtungen bei 104,1 Prozent. „Die Überbelegung in den Maßregelvollzugseinrichtungen ist nur unter Aufbettung von Patientenzimmern, teilweise durch Nutzung von Doppelstockbetten, sowie durch Umwidmung von Besucherräumen zu Patientenzimmern zu bewältigen“, teilt das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung mit.
Auch in Thüringen sind die drei Maßvollzugseinrichtungen überbelegt – im Schnitt zu 110,9 Prozent. Auf 311 Plätze kamen im Jahr 2022 durchschnittlich 345 Patienten. Die Einrichtungen halten darüber hinaus insgesamt 26 Reserveplätze vor. „Dass es zu zeitweisen Überbelegungen kommen kann, ist nicht ausgeschlossen. Es werden aber jeweils auch Reserveplätze vorgehalten.“ Signifikante Überbelegungen seien dem Ministerium nicht bekannt.
Immer mehr Suchtkranke im Maßregelvollzug
Insbesondere die nach Paragraf 64 des Strafgesetzbuches (StGB) untergebrachten Patienten scheinen in vielen Krankenhäusern eine Rolle zu spielen. Zur Erklärung: Ein Gericht kann in seinem Urteil gemäß Paragraf 64 StGB neben der Strafe anordnen, dass der Täter in einer Entziehungsanstalt untergebracht wird, wenn er eine Tat aufgrund eines Hanges zu Rauschmitteln begangen hat. Neben den therapiebedürftigen, psychisch kranken Straftätern finden sich bundesweit in den speziellen Krankenhäusern immer häufiger auch Suchtkranke. 1995 waren bundesweit knapp 1400 Personen untergebracht. Im Jahr 2019 hat sich die Zahl mit 4300 Personen mehr als verdreifacht, mit weiter steigender Tendenz.
In Berlin beispielsweise seien offenbar oft Personen untergebracht, „die in der Entziehungsanstalt gar nicht richtig aufgehoben sind, sondern zum Teil sogar den Therapieverlauf der wirklich behandlungsbedürftigen Personen behindern“, so eine Senatssprecherin. Die Berliner Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) hatte bereits Ende November 2022 auf die „unhaltbare und seit Jahren bekannte Situation im Krankenhaus des Maßregelvollzugs“ hingewiesen.
Obwohl viele Landesregierungen auf diese Entwicklung reagiert und zusätzliche Plätze geschaffen haben, ist die Situation in nahezu allen Ländern weiterhin angespannt. Bereits jetzt behelfen sich viele Kliniken mit einer Verdichtung der Belegung, sodass mehr Patientinnen und Patienten versorgt werden können, als Planbetten ausgewiesen sind.