Verfassungsschutz beobachtet – Rechtsrock in Staupitz: Rechtsextremismus hinter Rollläden

Staupitz hat sich zur zentralen Pilgerstätte für Rechtsextreme entwickelt. Doch das Innenministerium will dem Treiben nach 14 Jahren endlich ein Ende bereiten.

Staupitz/Leipzig. Staupitz ist ein verschlafenes 300-Seelen-Dörfchen, umgeben von Feldern und Wäldern. An diesem Nachmittag bringt ein Schulbus Kinder nach Hause, ein Traktor rollt vorbei, hinter einem Gartenzaun bellt ein Hund. Typisches Dorfidyll. Doch am Wochenende werden auf den Waldwegen Autos mit auswärtigen Kennzeichen stehen, da findet zwischen gepflegten Vorgärten ein Rechtsrock-Konzert statt. Da treten im „Alten Gasthof“ Bands auf wie „Spreegeschwader“ aus Berlin oder „Thematik 25“ aus Leipzig.

Sachsen, aber speziell Staupitz gilt als einer der wichtigsten Pilger-Orte für die rechtsextreme Musikszene. 2019, vor der Corona-Pandemie, zählten die Sicherheitsbehörden 24 Konzerte im Freistaat, zehn davon fanden allein in Staupitz statt. Der Ort taucht regelmäßig im Verfassungsschutzbericht auf.

Der „Alte Gasthof“ gehört dem Neonazi Andreas B. und dient schon seit 2008 als regelmäßiger Treffpunkt. Das Gebäude steht direkt an der Hauptstraße, ein verrammelter Bau: Die Rollläden sind heruntergelassen, viele Fenster zugemauert. Ein hoher Zaun mit Sichtschutz schottet Eingang und Hof vor neugierigen Blicken ab. Warnschilder weisen darauf hin, dass Kameras jeden filmen, der sich dem Gebäude nähert.

Vor zwei Jahren hatte B. Stacheldraht um den Hof gezogen. Als sich Anwohner über den Anblick beschwerten, schaltete sich die Stadtverwaltung ein. „Das sah aus wie ein Knast – schlimm!“, erzählt eine Rentnerin, die mit ihrem Hund unterwegs ist. Dass bekennende Rechtsextreme und Neonazis hier regelmäßig Konzerte veranstalten, stört sie hingegen wenig: „Wir bekommen davon gar nichts mit. Die Leute hinterlassen keinen Müll und verursachen keinen Lärm.“ In Staupitz hat man sich mit den regelmäßigen Besuchen der Rechtsextremen arrangiert, so scheint es.

Zehn Konzerte im Jahr sind erlaubt

Henrik Simon ist seit Juli 2022 neuer Oberbürgermeister in Torgau. Er muss sich seitdem mit dem Ärztemangel und der klammen Haushaltslage auseinandersetzen – aber eben auch mit dem Geschehen im Ortsteil Staupitz. „Ich sehe das Konzertgeschehen kritisch“, sagt Simon und schiebt nach: „Das ist aber meine persönliche Meinung.“ Der Oberbürgermeister ist bei dem Thema vorsichtig. Bei dem Treffen im Rathaus wägt er jeden seiner Sätze ab. Er lobt die Verwaltung. Die habe aus seiner Sicht schon einiges unternommen. „Im Rahmen dessen, was rechtlich möglich ist.“

Tatsächlich ist es schwer, Konzertabende wie in Staupitz komplett zu untersagen, es gibt keine öffentliche Werbung, die Gäste kommen praktisch nur auf Einladung rein. Die Konzerte gelten damit als privat. Die Stadt Torgau hat für die Veranstaltungen im „Alten Gasthof“ Auflagen gemacht: Zehn Konzerte im Jahr sind erlaubt, mit maximal 230 Besuchern. Begründet wird das mit dem Baurecht. Andreas B. hält sich an diese und andere Regeln. Ein Konzert mitten in der Corona-Pandemie fand „ohne Störungen unter Einhaltung der Hygieneregeln statt“, heißt es im Verfassungsschutzbericht.

Ohne vorherige Aufforderung reicht Andreas B. die Namen der Bands ein, ebenso die Texte von Liedern, die gespielt werden sollen. Die Stadt gibt die Informationen an Landratsamt und Polizei weiter. Dort werden sie geprüft. Zum genauen Verfahren will man nichts sagen, aber offenbar schaut man durchaus genau hin: Im November 2022 durfte die rechtsextreme Band „Sniper“ drei ihrer Titel nicht spielen, wegen des Verdachts auf Volksverhetzung. Andreas B. nahm auch das hin. Torgaus Oberbürgermeister Simon hat zum Gespräch auch die Leiterin des Ordnungsamts mitgebracht. Sie fasst das Verhältnis mit Herrn B. so zusammen: „Er arbeitet über das Maß mit den Behörden konstruktiv zusammen.“ Es habe auch regelmäßige Kontrollen im „Alten Gasthof“ gegeben. Das Ordnungsamt schaue sich immer wieder die Parksituation an, prüfe eine mögliche Lärm- und Müll-Belastung. Es sei aber nichts zu beanstanden gewesen.

Die rechtsextreme Band „Thematik 25“ singt in einem ihrer Lieder: „Tanzen wir diesem Staat weiter auf der Nase“. Genau das tun Andreas B. und seine Kumpels. Indem sie brave Bürger mimen. Auch in Staupitz mag kaum jemand etwas Schlechtes über sie sagen. Man wolle sich kein Urteil erlauben, erklärt ein Ehepaar. Eine Frau erinnert sich an die Zeit, als ein Konzert mit dem Herbstfest im Dorf zusammenfiel. „Da kamen die dazu. Es war sehr nett. Die haben mit uns Erbsensuppe gegessen und sind beim Umzug mitgelaufen.“ Aber es gibt auch sie: Menschen, denen das Treiben hinter den zugemauerten Fenstern des „Alten Gasthofs“ nicht völlig egal ist. „Es ist eine Schande für Staupitz, dass sich hier Menschen mit so einer Gesinnung versammeln und feiern“, sagt eine Nachbarin. Sie will, dass die Behörden stärker eingreifen. Doch Oberbürgermeister Simon sagt: „Als Kommune sind uns deutliche Grenzen gesetzt.“ Es klingt ratlos.

Wie konkret der Expertenpool arbeitet, lässt sich schwer sagen

Dabei gibt es Beispiele aus Thüringen, aber auch Sachsen, bei denen es gelungen ist, rechtsextreme Veranstaltungen zumindest zu vermiesen. Beim „Schild & Schwert“- Festival in Ostritz wurden ein Alkoholverbot verhängt, die Zufahrten zum Veranstaltungsort für Autos gesperrt, Gäste kontrolliert. 2020 verschoben die Veranstalter das Festival, sagten es dann komplett ab. Die Erfahrungen aus Ostritz sollten eigentlich als Blaupause für andere Kommunen dienen. Die Beratung von Bürgermeistern und Landräten ist mittlerweile Bestandteil des „Gesamtkonzepts gegen Rechtsextremismus“ des Freistaat Sachsen.

Im Februar 2020 wurde offiziell ein entsprechender Expertenpool eingerichtet, dem auch Verfassungsschutz und Landeskriminalamt angehören. Verantwortlich ist das Innenministerium, die eigentliche Arbeit liegt aber bei der Landesdirektion. Dort sitzen Experten, die sich in verschiedenen rechtlichen Fragen auskennen, etwa bei Gebäuden oder Naturschutz. Die Koordinierung des Expertenpool hat der Leiter des Referats 24 übernommen, zusätzlich zu sieben anderen Aufgabenbereichen. Auf Nachfrage erklärt das Innenministerium, dass der Bereich „weiter gestärkt“ werden soll.

Wie konkret der Expertenpool arbeitet, lässt sich schwer sagen. In einem Zwischenbericht vom Dezember 2022 heißt es, das Gremium habe seine Arbeit aufgenommen und weitergeführt. Das Innenministerium verweist jedoch auf Nachfrage auf ein Konzert, das in der Lausitz verhindert wurde. Auch in Sachen Staupitz steht das Landratsamt Nordsachsen schon länger im Austausch. Im Januar gab es offenbar zwei Treffen. Man wolle unter Anwendung aller bestehenden rechtlichen Möglichkeiten auf die Nutzungen des Objektes in Staupitz Einfluss nehmen, heißt es. Ziel sei es „die Nutzung durch Rechtsextremisten künftig zu unterbinden.“ Genauer will sich das Innenministerium aber nicht äußern.

Das Konzert am 4. Februar wird jedenfalls erst mal stattfinden. Die Polizei wird diesmal mit mehr Beamten vor Ort sein als sonst. Zwölf sollen es sein. Sie werden Verkehrskontrollen durchführen. „Beeinträchtigungen“, so heißt es von einer Sprecherin, hätten die Anwohner von Staupitz aber nicht zu befürchten.