Rechtes Schloss in Sachsen: Ein Königreich für einen Koch

In Sachsen beziehen ReichsbürgerInnen gerade zwei Schlösser. Interne Mails belegen, woher ihr Geld kommt – und wer von ihm profitiert.

Auf dem Bärwalder Schloss ist viel los an diesem Frühlingstag Mitte Mai. Männer werkeln mit einer Hebebühne am Dach, andere räumen vor den ehemaligen Ställen zwischen Holz und Metallschrott auf. Unter den schattigen Bäumen der Einfahrt fegt eine Frau in langem Rock Laub zusammen. Kinder toben über Hof und Wiese.

Lange Zeit war es still um das Anwesen in Boxberg in der Oberlausitz – ein 100 Jahre altes Schloss mit einer Reithalle, Stallungen, Grünanlagen. Zuletzt hatte es der Besitzer vernachlässigt, davon zeugen die wuchernden Gräser und Hecken. Er wollte es schon länger verkaufen, bis heute steht es für 1,4 Millionen Euro auf einem Immobilienportal.

Seit Ende Februar allerdings wird es langsam wieder bevölkert: ein Wohnwagen und zehn Autos stehen an diesem Tag im Mai in der Einfahrt, dazu Campingzelte und Biertischgarnituren. Rund zwei Dutzend Leute sind auf dem Gelände, manche sonnen sich, andere packen mit an. Es könnte auch das Sommertreffen einer Hausgemeinschaft sein, nur ist dies nicht irgendeine Gemeinschaft: Wer die Zaunpforte durchschreitet, verlässt in den Augen der Anwesenden die Bundesrepublik und betritt das „Königreich Deutschland“ – einen Fantasiestaat. Dessen AnhängerInnen bezeichnen sich selbst als „Zusammenschluss von weltoffenen“ Menschen, sie seien weder links noch rechts und wollten eine „friedliche Alternative“ zur Bundesrepublik errichten.

Schaut man sich aber an, wie diese Alternative zur Bundesrepublik aussieht und wer an ihrer Spitze steht, erkennt man schnell: Auf dem Bärwalder Schloss haben sich rechte ReichsbürgerInnen eingerichtet, AnhängerInnen des selbsternannten „Obersten Souveräns“ Peter Fitzek. Fitzek, 56 Jahre alt, geboren in Halle an der Saale, hohe Stirn, markanter Pferdeschwanz, war früher einmal Koch und Karatelehrer. Heute schafft er es mit brauner Esoterik, Verschwörungsideologie und nationalem Erweckungsglauben immer wieder in die Schlagzeilen. Im Jahr 2012 rief er in Wittenberg sein Königreich aus, vor Hunderten Gästen in einem bizarren Hokuspokusritual samt Zepter, Schwert und Reichsapfel.

Ein weiteres Schloss im Erzgebirge

Nicht nur in der Oberlausitz haben Fitzek und seine AnhängerInnen ein Schloss bezogen. Für 2,3 Millionen Euro haben sie in Eibenstock im Erzgebirgen das Wolfsgrüner Schlösschen gekauft, ein Herrenhaus im Jugendstil mit Parkanlage.

Fitzek gewinnt zunehmend AnhängerInnen, die ihn mit viel Geld unterstützen. Die taz konnte über zehntausend interne Mails einsehen, die belegen, dass reihenweise fünfstellige Beträge als Eintrittsgeld in das vermeintliche Königreich geflossen sind.

Wenn das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen an diesem Dienstag in Dresden seinen neuen Bericht vorgestellt, soll das Problem ausführlich Thema werden: Die Anzahl der ReichsbürgerInnen in Sachsen hat sich im vergangenen Jahr beinahe verdoppelt und ist um 850 auf 1.900 angestiegen. Bundesweit zählte das Amt 2020 rund 20.000 ReichsbürgerInnen und SelbstverwalterInnen. Rund 5 Prozent von ihnen wertet der Verfassungsschutz als rechtsextrem.

Das Landesamt für Verfassungsschutz hat bereits mehrfach vor Grundstückskäufen durch die rechten Staatsfeinde um Fitzek gewarnt. Bundesweit verfolgen auch andere VertreterInnen der rechten Szene solche Siedlungsprojekte, vornehmlich in Gegenden, in denen mit wenig zivilgesellschaftlichem Protest zu rechnen ist.

Werbung für den Totalausstieg

Doch Fitzek propagiert den Totalausstieg – und breitet sich aus. Er hält die Bundesrepublik für nicht legitimiert, vermisst einen Friedensvertrag mit den alliierten Siegermächten, rekurriert auf Gesetze des Deutschen Reichs. Für seinen Erfolg wird er in der rechtsextremen Szene durchaus beneidet, bekommt etwa Besuch von Nikolai Nerling, der als Videoblogger namens „Volkslehrer“ bekannt ist und für die Leugnung des Holocausts verurteilt wurde. Fitzek hat Kontakte in die rechte Szene, aber organisiert keine politischen Demonstrationen und fiel bislang auch nicht dadurch auf, Waffen zu horten. Dennoch zählt er zu den Reichsbürgern, wobei bei ihm die Grenze zur esoterischen Sekte fließend ist. Er beansprucht Fähigkeiten zur Geistheilung und gibt sich selbst gern den messianischen Namenszusatz „Menschensohn“. Der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt beobachtet ihn.

Für sein „Königreich Deutschland“ hat er eine eigene Gesundheitskasse, eine Rentenkasse und die „Königliche Reichsbank“ gegründet. Ganze Unternehmen können dem Fantasiereich beitreten, es gibt eine Alternativwährung mit eigenem Onlinemarktplatz. Die Zentrale seines „Königreichs“ liegt auf einem Gelände in Wittenberg, Filialen seiner „Gemeinwohlkasse“ gab es in Menden, Dresden und Ulm. Schon länger will er expandieren. Für die Gründung sogenannter Gemeinwohldörfer suchen er und seine AnhängerInnen passende Immobilien in ganz Deutschland, und sie wurden mit den beiden Schlössern in Sachsen fündig.

Mit all dem zieht Fitzek Menschen in seinen Bann. Im vergangenen Jahr sei die Zahl von Leuten, die Fitzek folgen, von 1.500 auf 4.000 gestiegen, sagt Fitzeks Pressesprecher. Auch unabhängige Stellen beobachten ein steigendes Interesse am „Königreich Deutschland“: Laut einer Analyse des Cemas (Center für Monitoring, Analyse und Strategie) wuchs die Zahl der AbonnentInnen des öffentlichen Telegram-Kanals des „Königreichs Deutschland“ von 1.300 im März 2020 auf über 10.000 heute. Auffällig sei, sagt Jan Rathje vom Cemas, dass gerade während der Pandemie auf dem Telegram-Kanal des „Königsreichs“ ein beständiges Wachstum stattgefunden habe.

Dass es Überschneidungen gibt zwischen ReichsbürgerInnen und CoronaleugnerInnen, ist nicht überraschend: So lehnen viele AnhängerInnen Fitzeks beispielsweise auch das Impfen gegen Corona ab. Im Kernteam des „Königreichs“ dürfen nur Ungeimpfte mitarbeiten.

Reichsbürger und Coronaleugner

Im November 2020 traf sich Fitzek außerdem mit einer Gruppe um den Querdenken-Organisator Michael Ballweg in einem Restaurant in Saalfeld, das selbst von einem Reichsbürger betrieben wurde. Wegen Nichteinhaltung der Coronaregeln schritt die Polizei ein.

Zwischen dem Reichsbürger Fitzek und dem Querdenken-Organisator Ballweg besteht Einigkeit im Misstrauen gegenüber Staat, Schulmedizin, Pharmalobby, Impfungen und aufgeklärtem Denken. Seit Jahren vertritt Fitzek in Anlehnung an die Ideologie der „Germanischen Neuen Medizin“ des ehemaligen Arztes und Antisemiten Ryke Geerd Hamer die Auffassung, dass eigentlich Gedanken und Gefühle die Ursachen für körperliche Probleme seien. Schon im ehemaligen Zentrum Fitzeks in Wittenberg wurden zu Gesundheitsthemen entsprechende Seminare angeboten.

Nun soll aus dem Wolfsgrüner Schlösschen ein Seminar- und Gesundheitszentrum werden. Auf dem Bärwalder Schloss hingegen ist ein „Gemeinwohldorf“ geplant: Wohnen, arbeiten, wirtschaften, leben – vermeintlich außerhalb der BRD.

Platz für 150 EinwohnerInnen solle hier geschaffen werden, erklärt Benjamin Müller, der am Bärwalder Schloss für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Freundlich bittet er herein, nachdem ihn eine Frau mit einem Funkgerät über den Besuch informiert hatte.

Ein Schloss mit Baustelle

Müller führt durch das Gebäude: durch den Kaminsaal mit schmuckem Gewölbe und durch die Nebenhäuser, wo der Putz von den Wänden bröckelt. In einem großen Saal mit Zugang zur Landstraße seien Veranstaltungen geplant. Die Gebäude umranden einen grasbewachsenen Innenhof mit hohen Bäumen. Schubkarren stehen bereit, Eimer, Werkzeug, Kabeltrommeln. Dazwischen stolzieren Gänse und ein Hahn. „Das wird der Dorfplatz“, erklärt Müller.

Fünf Hektar umfasst das Gelände. Zur Zeit der ehemaligen DDR war hier eine Lungenklinik. Durch einen kleinen Torbogen gelangt man auf eine Wiese, auf der das Gerippe eines Gewächshauses verrottet. Es wäre Platz für Lebensmittelanbau, Versorgung mit Solar- oder Biogasanlagen. Müller sagt, die Menschen hier streben Autarkie an, aber nicht mit dem einen Standort allein, sondern für alle Projekte zusammen.

Doch woher kommt das Geld dafür? Die internen Mails, die die taz einsehen konnte, geben Einblick in den Zahlungsverkehr mit UnterstützerInnen aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland. Sie stammen aus der Zeit zwischen 2016 und Mai 2022, das Hackerkollektiv Anonymous Deutschland hat sie erbeutet.

AnhängerInnen können sich demnach in Fitzeks Projekte gestaffelt einkaufen. In einer Mail zu den „Gemeinwohldörfern“ schreibt Fitzeks Team, man könne diese „durch eine Spende oder eine Kapitalüberlassung in beliebiger Höhe“ unterstützen. Allerdings: Das Recht, in einem Dorfprojekt auch zu wohnen und mitzuwirken, erhält nur, wer mindestens 20.000 Euro für einen „Gemeinschaftsanteil“ ausgibt. Kinder zahlen die Hälfte. Wer nur wohnen und nicht mitarbeiten will, zahlt mindestens 150.000 Euro.

„Der oberste Souverän“ profitiert

UnterstützerInnen sollen dafür einen sogenannten Kapitalüberlassungs-Vertrag unterzeichnen – gleichzeitig Beitrittserklärung ins Königreich und Bekenntnis zu dessen „Verfassung“.

Als Kapitalempfänger (KE) eingetragen ist dabei „Der Oberste Souverän“, also Peter Fitzek. Dieser hat laut Vertrag quasi freie Hand. Wörtlich heißt es: „Die Verwendung der Mittel liegt vollständig im freien Ermessen des KE.“ Ohnehin: „Der Hauptzweck der Kapitalüberlassung besteht in erster Linie in der Unterstützung der Ziele des KE.“ Der Geldgeber kann Rückzahlungen erhalten, nimmt aber im Zweifel „den Totalverlust der Euro-Gelder in Kauf“.

Nach zahlreichen Strafverfahren weiß Fitzek, wie er agieren muss, um rechtlich sicher zu sein. Das wird in einer Mail an den Verkäufer des Wolfsgrüner Schlösschens im Erzgebirge deutlich, die Ende Dezember 2021 aus einem von Fitzeks persönlichen Postfächern gesendet wurde. Es geht um die Frage, wie die große Kaufsumme für das Schlösschen auf dem Konto des Verkäufers landen kann. Fitzek führt aus, dass dies „ohne einen BRD-Notarvertrag und ohne ein Notarunterkonto“ zu Problemen führen könnte: Geldwäscheverdachtsfall, unerlaubtes Einlagengeschäft, Konto dicht, Geld festgesetzt. „Ich habe all das schon erlebt“, heißt es in der Mail. Als offizieller Käufer solle ein Vertrauter auftreten.

Ab Mitte Februar 2022 werben „Peter und das Dorfprojekt-Team“ in einer Mail an UnterstützerInnen dann damit, dass für das Wolfsgrüner Schlösschen der Kaufvertrag unterschrieben wurde. Interessierte sollen ihr Geld direkt an den Verkäufer überweisen. Und das tun sie. Reihenweise landen danach Kopien der Überweisungen im Postfach des Königreiches: 1.000, 5.000, 7.000, 10.000 Euro. Ein Mann schickt einen Beleg von einer österreichischen Bank über 45.000 Euro. Ein anderes Foto zeigt sogar einen Überweisungsschein über 250.000 Euro, Betreff: „Immobilienkauf Gesundheits- und Seminarhaus“.

Interessierte im In- und Ausland

Aus der ganzen Bundesrepublik melden sich Leute, um bei Fitzeks Projekten dabei zu sein. Sie wollen sich finanziell beteiligen – teilweise mit ihren gesamten Ersparnissen.

Eine Heilpraktikerin aus dem Berliner Umland etwa schreibt Ende März an die „Königliche Reichsbank“, sie sehe das Dorfprojekt „als einzige Lebensform“ und wünsche sich auch, dass ihre Familie später mitkommt. Sie schreibt: „Ich möchte all das Geld, was ich habe, einbringen, es sind mehr als 20.000 Euro.“

Eine Rentnerin aus Bielefeld schreibt Anfang Februar, es sei ihr Traum, in einem kleinen Holzhaus in einem Gemeinwohldorf zu wohnen. Da sie schon lange mit dem Zusammenbruch des Geldsystems rechne, wolle sie drei Eigentumswohnungen verkaufen und den Erlös dann als „Investition in ihre Zukunft“ einzahlen. Sie erwarte einen Betrag von bis zu 300.000 Euro. „Ich bin schon
 fast 68 Jahre alt und Rentnerin, aber noch für allerlei Arbeiten zu gebrauchen“, schreibt sie, dass sie aber verstehen könne, wenn zuerst junge Menschen aufgenommen würden. Ihr Antrag auf Staatsangehörigkeit laufe noch.

Es sind vor allem Fitzeks Geldgeschäfte, die die Behörden auf den Plan rufen. Aber wo sie es versuchen, tun sich sowohl die Kommunen wie Strafverfolgungsbehörden bislang schwer, ihn nachhaltig zu stoppen. Schon vor Jahren, als Fitzek in Sachsen-Anhalt startete, war es vornehmlich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), die ihm zusetzte.

Gestärkt aus Gerichtsverfahren hervorgegangen

Bereits 2013, ein Jahr nach der Gründungsfeier, hatte die Bankenaufsicht eine Razzia unter anderem auf einem Grundstück in Wittenberg in Sachsen-Anhalt veranlasst, das bis dahin als „Königreich“ fungierte. Zahlreiche Verfahren gegen Fitzek folgten, unter anderem wegen unerlaubten Fahrens ohne Führerschein.

Doch letztlich vermochte es Fitzek, aus den Gerichtsverfahren gestärkt hervorzugehen. Unter anderem saß er zwei Jahre in Haft. Im März 2017 war er vom Landgericht Halle zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er rund 1,3 Millionen Euro von AnlegerInnen veruntreut hatte. Er ging in Revision. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil 2018 in vollem Umfang auf und forderte ein neues Verfahren. Doch die Staatsanwaltschaft beantragte letztendlich die Einstellung.

Von diesem Ausgang zehren die ReichsbürgerInnen bis heute – Fitzek verweist in seinen Mails darauf, dass mit dem BGH-Urteil die Vorwürfe gegen ihn haltlos seien.

Von der Bankenaufsicht indes heißt es auf taz-Nachfrage: „Herr Fitzek tritt immer wieder als Betreiber oder Hintermann unerlaubter Bank- und Versicherungsgeschäfte in Erscheinung. Die erforderliche Erlaubnis hatte er nicht und hat er nicht.“ Im März 2021 untersagte die Bafin den Betrieb einer „Gemeinwohlkasse“ in Ulm, wo auch der Querdenken-Organisator Michael Ballweg einen geringen Betrag einzahlte. Zuletzt musste im August 2021 ein Bäckermeister aufhören, aus einer Filiale in Dresden für Fitzek Bankgeschäfte zu betreiben.

Warnung vom Verfassungsschutz

Andere Behörden setzen auf Appelle und Warnungen. Der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen, Dirk-Martin Christian, sagt, wer Peter Fitzek seine Ersparnisse anvertraue, gerate nicht nur in existenzielle Abhängigkeit vom selbsternannten „König“ „beziehungsweise ‚Diktator‘“, sondern auch in den Strudel extremistischer Ideologien.

Gegenstrategien zu entwickeln sei nicht immer einfach, sagt Dirk-Martin Christian. Bei Grundstückskäufen scheine es etwa, als werde der wahre Käufer durch Strohmänner verschleiert, teilweise würde auch die Möglichkeit propagiert, Grundstücke zu stiften. „Die Kommunen haben da kaum eine rechtliche Handhabe, können solche Verkäufe also grundsätzlich nicht verhindern“, erklärt Christian.

Tatsächlich gibt es in Sachsen eine Gruppe von ExpertInnen, die die Kommunen bei extremistischen Veranstaltungen unterstützen soll und bei Grundstückskäufen berät. Dazu gehören ExpertInnen für Versammlungsrecht, Baurecht, Naturschutzrecht, vom Verfassungsschutz und dem Landeskriminalamt.

Auch die VertreterInnen der Gemeinden Boxberg und Eibenstock saßen wegen der beiden Schlösser hier am Tisch. Sie hätten womöglich ein Vorkaufsrecht gehabt. Doch Denkmalschutz hin oder her: Mehrere Millionen für renovierungsbedürftige Schlösser ausgeben, ohne sie wirklich nutzen zu wollen? Das wollte und konnte sich keine öffentliche Stelle leisten.