„Super-Recognizer“ in Sachsen: Polizisten, die kein Gesicht vergessen
Sachsen hat Hunderte Beamte auf ganz besondere Fähigkeiten geprüft. In 18 Fällen war man dabei am Ende erfolgreich.
Manchmal lohnt es sich, hartnäckig zu bleiben. Als sich die Leipziger Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Linke) erstmals nach einem unbekannten Spezialprojekt der sächsischen Polizei erkundigte, hagelte es noch Absagen. Der Staatsregierung sei dazu nichts bekannt, es sei nichts Derartiges geplant und außerdem wäre man nicht verpflichtet, zu dem Thema eine Bewertung abzugeben, beschied ihr Innen- und Polizeiminister Roland Wöller (CDU).
Doch die Politikerin hakte mit parlamentarischen Anfragen nach und plötzlich räumte der Minister ein, dass es tatsächlich Pläne gibt, auch innerhalb Sachsens Polizei nach sogenannten „Super-Recognizern“ zu suchen. Dabei handelt es sich um Menschen mit besonderen Fähigkeiten. Sie erkennen ein Gesicht unter tausend anderen – egal, ob geschminkt, verkleidet, plötzlich mit Bart oder um einige Jahre gealtert.
Super-Recognizer oder auf Deutsch „Super-Erkenner“ können sich Gesichter extrem gut einprägen und wiedererkennen. Weniger als ein Prozent der Bevölkerung hat diese Fähigkeit. Gerade für die Polizei ist diese Gabe von großer Bedeutung. Denn im Gegensatz zu digitalen Gesichtserkennungssystemen braucht es dabei keine hoch aufgelösten Fotos vom Tatort.
Spezialeinheit seit Januar im Einsatz
Und als sich im Sommer 2021 bestätigte, dass es im Freistaat doch ein entsprechendes Pilotprojekt gibt, rückte der Minister auch mit mehr Details heraus. So sollte die Suche nach entsprechend begabten Polizisten eigentlich schon 2020 innerhalb der Polizeidirektion Leipzig beginnen. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung in dem Bereich – unter anderem durch die Absicherung des EU-China-Gipfels, der zunächst für September 2020 geplant war und dann wegen Corona verschoben werden musste – übernahm das Pilotprojekt später die Polizeidirektion Chemnitz.
Ab Juli 2021 haben sich dort insgesamt 823 Bedienstete freiwillig auf Super-Recognizer-Fähigkeiten testen lassen. Dabei bekamen die Beamten für zehn Sekunden das Bild einer Person gezeigt, die sie unter acht verschiedenen Porträtfotos wiederfinden mussten. Die Testergebnisse wurden an der Universität Greenwich in London ausgewertet. Das vom dortigen Psychologie-Professor Josh Davis entwickelte Verfahren wird auch von anderen deutschen Polizeidirektionen genutzt. Im Internet kann man den Test sogar selbst einmal ausprobieren.
Am Ende konnte bei 18 Polizeibeamten tatsächlich die Fähigkeit festgestellt werden, als Super-Recognizer zu arbeiten. Ein Sucherfolg, dem unterm Strich 5.000 Euro an Kosten gegenüberstanden. Seit 1. Januar dieses Jahres gibt es nun in der Polizeidirektion Chemnitz eine eigene „Koordinierungsstelle Wiedererkennung“. Diese soll alle Polizeieinheiten der Direktion, aber auch andere sächsische Dienststellen bei der Ermittlung unbekannter Tatverdächtiger unterstützen.
Ministerium hält Einsatz für vielversprechend
Die Hoffnung, die auf der neuen Gruppe liegen, sind jedenfalls groß. Gute Erfahrungen hat man mit diesen Spezialisten bereits in Hessen, Bayern und Baden-Württemberg gemacht. So sind mittlerweile allein im Polizeipräsidium Stuttgart rund 50 Super-Recognizer im Einsatz. Die Erkenntnisse der Polizeien der anderen Bundesländer, beispielsweise im Zusammenhang mit der Silvesternacht 2015, dem Oktoberfest in München oder dem G20-Gipfel in Hamburg, hätten gezeigt, dass Super-Recognizer für die Ermittlungsunterstützung von besonderer Bedeutung sind, heißt es aus der Chemnitzer Direktion.
Aber auch das Innenministerium hält den Einsatz inzwischen für vielversprechend. Ob aber künftig landesweit derartige Spezialistengruppen gebildet werden, sei noch nicht entschieden. Im Rahmen des seit Jahresanfang laufenden Chemnitzer Projekts würde die Einsatzmöglichkeiten der Super-Recognizer zunächst bis Ende 2022 geprüft, teilte Minister Wöller mit. Bis dahin seien auch keine weiteren entsprechenden Testungen von sächsischen Polizeibeamten geplant.
Die Abgeordnete Nagel will das nun „ergebnisoffen“ beobachten. Prinzipiell seien solche „humane Erkennungsmöglichkeiten“ datensparsamer und treffsicherer als entsprechende Software. Weil die Polizisten dabei aber auf umfangreiches Material zurückgreifen, das aus der Überwachung von Versammlungen oder öffentlichen Räumen stammt, sei stets Vorsicht angebracht. So müsste bei Ermittlungen oder Strafprozessen berücksichtigt werden, dass sich auch Super-Recognizer irren können.