Prozessberichte 21, 22 & 23 im Antifa-Ost-Verfahren
Hier die Prozessberichte der letzten drei Verhandlungstage im Antifa-Ost-Verfahren. Alle weiteren Berichte gibt es hier: https://www.soli-antifa-ost.org/prozessberichte/
Bericht vom 21. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 22.12.21
Am 21. und damit letzten Verhandlungstag des Jahres begann das tatsächliche Prozessgeschehen mit bisher unübertroffener Verspätung. Es wurde stundenlang erfolglos auf den Zeugen Lucas Zahner gewartet. Hunderte Fotos von den Wohnungsdurchsuchungen bei zwei der Angeklagten wurden in Augenschein genommen, ebenso wie diverse Videos von den Zugüberwachungskameras im Zug von Dresden nach Wurzen am 15.02.2020. Außerdem wurde ein behandelnder Arzt bezüglich der Verletzungen Enrico Böhms als sachverständiger Zeuge befragt und die neu angesetzten Verhandlungstermine bis Ende Juni 2022 wurden angekündigt.
Am 21. Prozesstag sollte der Zeuge Lucas Zahner zum Tatkomplex Wurzen II aussagen. Zu Beginn der Verhandlung verkündete der Vorsitzende, dass sich der Verhandlungsbeginn verzögern werde, da der Zeuge an der falschen Gerichtsadresse erschienen sei. Da Zahner nach einer Stunde immer noch nicht erschienen war, eröffnete der vorsitzende Richter Schlüter-Staats die Verhandlung gegen 10.30 Uhr ohne dessen Anwesenheit.
Zunächst verkündete der Vorsitzende weitere Verhandlungstermine für die Fortsetzung des Verfahrens ab dem 6. April bis zum 30. Juni des kommenden Jahres. Dabei werden die Prozesstermine weiterhin jeweils wöchentlich mittwochs und donnerstags angesetzt.
Rechtsanwalt Aufurth führte im Anschluss an, dass er durch seinen Kanzleikollegen, der einen Beschuldigten im abgetrennten §129-Verfahren vertritt, erfahren hat, dass das Verfahren bezüglich seines Mandanten vom Generalbundesanwalt an die Staatsanwaltschaft Gera abgegeben worden sei. Ob das bedeute, dass nun kein Vorwurf einer kriminellen Vereinigung im Sinne des §129 mehr vorliege, wollte Aufurth von Alexandra Geilhorn, der Staatsanwältin der Bundesanwaltschaft wissen. Geilhorn erwiderte, in ihrer Verfügung werde deutlich werden, aus welchem Grund dieses Verfahren abgebeben wurde, sie lege diese zu den Akten. Auch eine Antwort auf die Frage von Rechtsanwältin Weyers, ob dies noch mehr Personen als den genannten Beschuldigten betreffe, verweigerte Geilhorn und verwies erneut auf die Verfügung.
Es folgte eine kurze Abwägung, wie viel Zeit potenziell für die Vernehmung Zahners eingeplant werden müsse. Der Vositzende betonte, dass es aus seiner Sicht keine Rolle spiele, wer alles bei dem Angriff in Wurzen dabei gewesen sei. Es gehe um eine Gruppenstraftat, da sei es gleichgültig, „ob fünf, sieben, oder zehn Personen dabei waren.“ Rechtsanwalt Werner betonte, von welcher Bedeutung die Vernehmung Zahners ist, da sich daraus neue Ermittlungserkenntnisse ergeben könnten.
Es folgte eine weitere Pause, für die Lina E. den Gerichtssaal verlassen und in den Keller musste, damit sie sich nicht mit den anderen Angeklagten unterhalten konnte, so die Anordnung des Gerichts. Nach der Unterbrechung gab der Vorsitzende bekannt, dass es immer noch keinerlei Anhaltspunkte für den Aufenthaltsort des Zeugen Zahner gebe. Mittlerweile sei nun auch die Mailbox des Vaters aus, der sonst zuvor immer erreichbar gewesen sei, ging es um die Vorladung seines Sohnes. So habe er bereits vor dem letzten Ladungstermin angerufen und das Fernbleiben seines Sohnes mit einer Corona-Quarantäne entschuldigt. Noch vor zwei Tagen hätte sich Zahner wegen eines Zeugenbeistandes beim Gericht gemeldet. Schlüter-Staats äußerte seine Sorge über das Nichterscheinen Zahners: Man könne nur hoffen, dass nichts passiert sei, Zahner keinen Unfall oder ähnliches gehabt habe.
Nach einer eineinhalbstündigen Mittagspause gab der Vorsitzende verärgert bekannt, dass Zahner laut Eigenaussage vor dem Gerichtsgebäude im Hammerweg abfotografiert worden und aus Angst wieder abgefahren sei. Auf Nachfrage von Rechtsanwalt Zünbül erklärte Schlüter-Staats, Zahner habe vor Ort Menschen, die er „der Antifa“ zuordne, identifiziert und sich nicht mehr sicher gefühlt. Rechtsanwalt Werner merkte an, dass es die hier Beschuldigten offensichtlich nicht gewesen sein könnten. Das Recht am eigenen Bild werde wohl unterschiedlich wichtig genommen – „manche scheinen zu denken, dass dies nur für manche gelte“ – monierte Schlüter-Staats, ohne dabei die Darstellung Zahners infrage zu stellen oder auf die Möglichkeit einzugehen, dass möglicherweise das anwesende Filmteam der Presse Bild- oder Videoaufnahmen vor dem Gerichtsgebäude angefertigt haben könnte. Unmut darüber machte sich auch im Zuschauer:innenraum breit.
Nach einer Pause beschloss der Senat, gegen Lucas Zahner ein Ordnungsgeld in Höhe von einhundert Euro für seine Abwesenheit zu verhängen, sowie die selbstständige Kostenübernahme seiner Auslagen für den heutigen Verhandlungstag. „Antifa-Fotografie“, wie der vorsitzende Richter es nannte, sei keine hinreichende Begründung für ein Nichterscheinen, er hätte ohne weiteres Kontakt mit dem Gericht aufnehmen können.
Da sich die Zeugenbefragung Zahners für diesen Verhandlungstag damit endgültig erledigt hatte und abgesehen von dieser Erkenntnis bis 13 Uhr keinerlei inhaltliches Vorankommen im Prozess vorgewiesen werden konnte, entschied sich das Gericht für ein „Alternativprogramm“. Dieses begann mit der Sichtung von Bildaufnahmen zweier Hausdurchsuchungen.
Zunächst wurden etwa hundert Fotos der Wohnungsdurchsuchung vom November 2020 bei einem der Angeklagten in Augenschein genommen. Detailliert wurden dabei auch jegliche in der Wohnung gefundene Plakate und Sticker mit antifaschistischen Botschaften dokumentiert. Hier sorgte vor allem das ausführliche Verlesen so mancher Bildunterschrift durch den Richter für Erheiterung des Publikums.
Rechtsanwalt Mucha kündigte eine Erklärung zu den gezeigten Bildern zum nächsten Prozesstag an.
Im Anschluss folgte die Inaugenscheinnahme von Bildern der Durchsuchung des Wohnraums eines weiteren Angeklagten. Die Wohnungsdurchsuchung am 10. Juni 2020 sei durch Beamt:innen der Bereitschaftspolizei erfolgt, die Lichtbildmappe umfasste einen nicht-maßstabsgetreuen Grundriss der Wohnung, eine Masse an Bildern aus der Wohnung inklusive eines, auf dem der Angeklagte mit einer Verletzung im Gesicht zu sehen sei, sowie eine Übersicht der beschlagnahmten Asservate.
Die Inaugenscheinnahme der Fotos wurde für die nächste Zeugenaussage unterbrochen: Dr. Stefan K., Facharzt für Chirurgie und Sachverständiger sollte zu Böhms Verletzungen nach dem Angriff auf ihn in Leipzig aussagen.
Er habe Böhm zwei Tage nach dessen Entlassung aus der Klinik im Oktober 2018 behandelt. Dr. K. sei jedoch nicht Böhms Hausarzt, wie dieser zuvor behauptet hatte. Böhm sei damals schlecht gehfähig gewesen, habe eine Knie-Orthese benötigt. Beide Knie seien unterblutet gewesen. Er habe Böhm zum MRT überwiesen, dort zeigten sich sogennante Mikrofrakturen im Knochengewebe. Stefan K. stellte klar, dass es sich dabei keineswegs um einen Bruch gehandelt habe, Mikrofrakturen seien ohne MRT gar nicht erkennbar und würden meist durch Ruhigstellen therapiert. Böhm hatte ausgesagt, mehere Brüche in der Kniescheibe erlitten zu haben. Dieser Aussage widersprach Stefan K. deutlich. Es habe sich dann ein guter Heilungsverlauf durch Entlastung des Beines eingestellt. Böhm hatte ebenfalls ausgesagt, dass sein Knie ein halbes Jahr hätte punktiert werden müssen. Auf Nachfrage des Senats erklärte K., dass Böhm bei ihm nur drei Mal in Behandlung gewesen sei. Im Januar 2019 sei die Behandlung abgeschlossen und keine Nachsorge von Nöten gewesen.
Nach Nachfragen von Bundesanwältin Geilhorn, die erneut auf die angebliche Schwere der Verletzungen hinauswollte, wurde der Zeuge nach einer knappen halben Stunde entlassen.
Im Anschluss legte Rechtsanwalt Werner Widerspruch gegen die Einführung eines Briefes in die Hauptverhandlung ein. Dieser wurde im Juni 2020 von Beamt:innen beschlagnahmt. Der Brief behandelt diverse Aspekte zwischenmenschlicher Beziehungen, betrifft damit die Intimsphäre des Empfängers und fällt in den Kernbereich persönlicher Lebensgestaltung. Zudem war bereits die Beschlagnahmung des Briefes rechtswidrig, erklärte Verteidiger Werner. Im Durchsuchungsbeschluss wurde explizit die Beschlagnahmung von Schriftstücken, die zur Tatvorbereitung gedient haben könnten, angeordnet. Der Brief lieferte jedoch keinen Hinweis auf begangene oder mögliche Straftaten, sodass bereits die Beweiserhebung rechtswidrig erfolgte. Die gesamte Verteidigung schloss sich dem Verwertungswiderspruch an.
Bundesanwältin Geilhorn widersprach der Darstellung Werners vehement. Sie gehe davon aus, dass kein Beweisverwertungsverbot bestehe und die Beschlagnahmung des Briefes ihrer Meinung nach somit rechtskonform erfolgt sei. Zudem habe dieser ja auch offen in der Wohnung rumgelegen und sei nicht etwa „weggeschlossen, gesichert oder gekennzeichnet“ gewesen. Werner entgegnete daraufhin, dass man persönliche Gegenstände in der eigenen Wohnung nicht verstecken und Briefe nicht in einem Tresor aufbewahren muss.
Über den Widerspruch werde das Gericht bis zum nächsten Prozesstag entscheiden, kündigte der Vorsitzende an und drohte, dass man den Inhalt des Briefes sonst auch auf anderem Wege in die Verhandlung einführen und den:die Verfasser:in zeugenschaftlich vernehmen könnte – was für offensichtliche Zustimmung auf Seiten der Bundesanwaltschaft sorgte.
Anschließend wurde die Sichtung der Bilder der Hausdurchsuchung fortgesetzt, was sich insgesamt über zwei Stunden zog, da mehr als 300 Bilder gezeigt wurden.
Zum Schluss wurden noch „ein paar Filmchen gekuckt“ – in den Worten des Vorsitzenden und damit der letzte Teil des Alternativprogramms. Insgesamt zwölf Ausschnitte einer Zugüberwachungskamera wurden im Saal abgespielt. Darauf sollen angeblich eine derzeit angeklagte Person und eine gesondert Verfolgte am 15.02.2020 im Zug von Dresden nach Wurzen zu sehen sein. Was die Ermittler:innen der Soko LinX als „konspiratives Verhalten“ ansehen – zwar, dass eine Person ihren Sitzplatz verlässt und zur Zugtoilette läuft – kommentiert Rechtsanwalt Aufurth: Ein Toilettengang ist nicht besonders konspirativ, ebensowenig das Verhalten der Person, als der Zug in Wurzen einfährt und die Person sich bewegt. Von jener Position im Zug aus hat man den Bahnhof auch gar nicht im Blick, so Aufurth. Zudem kritisierte die Verteidigung die verfälschte Farbwiedergabe der Videos. So waren beispielsweise die Halte-Knöpfe, Notbremsen und Türen im Zug nicht rot, sondern auf der Aufnahme in strahlendem Pink zu sehen.
Rechtsanwalt Werner kündigte zum Schluss eine Erklärung nach §257 StPO zu den Videoaufnahmen für den nächsten Prozesstag an, sowie eine Gegendarstellung zum Beschluss der Beanstandung der Frage zum Modus Operandi. Der vorsitzende Richter bemühte sich, sein Interesse stark zu machen, dies aus der Hauptverhandlung auszulagern, während Werner dagegenhielt, dass er dies gerne in der Hauptverhandlung behandeln möchte.
Der Prozesstag endete gegen 16:45 Uhr mit Weihnachtsgrüßen an die Angeklagten aus dem Zuschauer:innenraum, die das Lied „In der Weihnachtsbäckerei“ anstimmten, während Bundesanwältin Geilhorn sich sichtlich darüber aufregte.
Der nächste Prozesstag ist der 05.01.2021 – 09:30 Uhr.
Bericht vom 22. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 05.01.22
Der erste Prozesstag in diesem Jahr begann in gewohnter Manier um 09:40 Uhr etwas verspätet. Die Verteidigung bat darum, Anträge, Gegenvorstellungen und Erklärungen zu verlesen und im Anschluss wurde Lucas Wolfgang Zahner, einer der geschädigten Neonazis aus Wurzen, vernommen. Der Vorsitzende verhielt sich erneut respektlos gegenüber der Verteidigung und speziell einer Verteidigerin. Der Zeuge widersprach sich mehrfach selbst, wobei der Eindruck entstand, er würde den Senat an der Nase herumführen. Weiterhin gibt die Mitgliedschaft selbsterklärter Monarchisten bei den Jungen Nationalisten (Jugendorganisation der NPD) in der Verhandlung Rätsel auf.
Die erste Erklärung der Verteidigung bezog sich auf die Videoauswertung aus dem Regionalexpress 50 von Dresden nach Leipzig über Wurzen nach dem jährlich im Februar stattfindenden sogenannten “Trauermarsch” zahlreicher Faschisten und Geschichtsrevisionisten in der Landeshauptstadt. Anhand des Materials soll eine beschuldigte und eine angeklagte Person im hiesigen Verfahren identifiziert worden sein. In den Fokus gerieten sie angeblich, weil sie sich konspirativ verhalten haben sollen. Die Verteidigung erklärte ausführlich, warum das Verhalten der Personen keineswegs konspirativ ist und stellt heraus, dass sich die angeblich identifizierten Personen nicht für das Geschehen im Zug oder auf den Bahnsteigen interessierten und forderte weitere Videobeweise an, um dies weiter zu belegen.
Die folgenden Erklärungen hatten die Hausdurchsuchungen bei zwei Angeklagten zum Thema, zum einen ging es um die rechtliche Grundlage der Beschlagnahmung diverser Asservate, zum anderen auch um die Verwertung der beschlagnahmten Gegenstände. Diesen Erklärungen wurde sowohl von Staatsanwältin Geilhorn, als auch von dem Vorsitzenden widersprochen und es kam zu einer Auseinandersetzung, in der sich letzterer erneut beleidigend und respektlos gegenüber einer Verteidigerin zeigte: Er habe den Eindruck, sie mache so etwas zum ersten Mal und würde propagandistisch argumentieren.
Das Verhalten wurde von den anderen Verteidiger:innen scharf kritisiert und als Rückfall bezeichnet. Die Verteidigung agiert als Sockelverteidigung. Das bedeutet sie arbeiten kollektiv und wenn eine von ihnen angegriffen wird, ist dies ein Angriff auf alle Verteidiger:innen.
Im Anschluss verlas ein Verteidiger eine Gegenvorstellung zum richterlichen Beschluss bezüglich der Fragen, die zum von der Soko LinX konstruierten Modus Operandi (nicht mehr) gestellt werden dürfen.
Die ermittelnden Behörden nutzen den sogenannten Modus Operandi als Hilfsmittel, um eine Vereinigung zu konstruieren. Alle beteiligten Ermittlungsbehörden, sowohl Polizei als auch Bundesanwaltschaft, beziehen sich auf den Modus Operandi, weshalb allein darum die Frage danach zulässig und verfahrensrelevant ist. Die Konstruktion der Vereinigung ist ein Werturteil seitens des GBA und die Fragen nach dem Weg zu diesem Werturteil sind für die Verteidigung notwendig. Diese muss die Ermittlungshypothese(n) prüfen und angreifen können, vor allem sofern es keine Alternativhypothesen gibt. Die Art und Weise, wie hier ermittelt wurde, subsumierte der Verteidiger als den „Pygmalion-Effekt“, wodurch vorweggenommene Erwartungen die nachfolgende Einschätzung entsprechend der Erwartungen bestätigen.
Der Vorsitzende widersprach und erklärte, die angenommene Vereinigung basiere nicht auf der Einschätzung eines Modus Operandi und dieser “tue hier weiter nichts zur Sache”.
Hierauf erwiderte ein weiterer Verteidiger, dass die Inschutznahme der Polizei durch den Vorsitzenden besser zu ertragen wäre, wenn Suggestiv-Behauptungen der Polizei auch einmal ausgewogen kommentiert werden würden.
Anschließend wurde die Verhandlung unterbrochen, um auf den nächsten Zeugen zu warten.
Nach der Unterbrechung versuchte der Vorsitzende einen Kompromissvorschlag bezüglich eines Beweismittels, welches die Verteidigung nicht in die Verhandlung aufnehmen will, kundzutun. Hierbei handelt es sich um Notizen zu einem privaten Brief, aus dem er lediglich ein paar Zeilen streichen möchte. Die Verteidigung kündigte an, sich dazu erneut zu äußern.
Darauf folgend wurde der 27-jährige Lucas „Lulu“ Wolfgang Zahner in den Saal gerufen, mit seiner Ankunft setzte sich ein Neonazi Kamerad des Zahner in den Zuschauer:innenraum.
Zunächst schilderte Zahner, dass er sich mit Ben Heller, Benjamin Schwelnus und Cedric Scholz um 11: 00 Uhr in Wurzen verabredet habe, um gemeinsam nach Dresden zu fahren; die anderen Mitfahrer habe er nicht gekannt. Der Vorsitzende überhörte hierbei offensichtlich die Aussage, dass Cedric Scholz Teil der Gruppe gewesen sei und musste von der Verteidigung darauf hingewiesen werden. Es stellte sich im Nachgang heraus, dass Scholz die komplette Organisation der Fahrt übernommen habe und eine führende lokale Persona der faschistischen Szene sei. Die Demonstration in Dresden sei ruhig verlaufen und es hätte kaum Zwischenfälle gegeben, die Polizei hätte alles gut gesichert. Nach der Demonstration soll Scholz erklärt haben, dass der erste Zug „ihrer“ sei, womit er die Teilnehmenden an der Nazidemo gemeint habe. Zahner gab an, dass in dem Zug keine Gegendemonstrant:innen gesessen haben, es hätte nur eine Person gegeben, die sich komisch verhalten hätte.
Auf die Frage, ob er Enrico Böhm kenne, antwortete der Zeuge zunächst mit „gar nicht“. Es stellte sich jedoch heraus, dass Zahner noch am selben Abend eine Sprachnachricht an Böhm geschickt habe. Diese Information stamme aus dem Telefon Böhms, welches aufgrund von Ermittlungen gegen selbigen, beschlagnahmt und durch das LKA ausgewertet wurde. Zahner meinte, dies könne eine Nachricht an eine Threema-Gruppe, für die Cedric Scholz die Administratorenrechte habe, gewesen sein. Der Vorsitzende pochte jedoch darauf, dass es sich um ein WhatsApp-Format gehandelt habe. Zahner konnte oder wollte nichts betreffend eines direkten Kontakts zu Böhm sagen, ruderte jedoch zurück und gab an, ihn zu kennen.
Auf Fragen in Bezug auf seine politische Überzeugung wollte Zahner zunächst keine Antwort geben, wurde jedoch belehrt, dass er diesbezüglich antworten müsse. Er gab an, dass er Mitglied der JN sei und deren Idee sei es, Deutschland zu verändern. Auf Nachfrage des Vorsitzenden, ob es auch Monarchisten innerhalb der Gruppe gäbe, sagte Zahner „gar nicht“ und es überrasche ihn, dass Heller angegeben habe, einer zu sein.
Dann schilderte Zahner das Geschehen am Wurzener Bahnhof und berichtete, dass er gesehen habe, wie „Matscher“ (Mathias Leder) angegriffen worden sei, er selbst versucht habe, wegzurennen und letztlich dennoch niedergestreckt worden sei. Beim Angriff sei ihm seine schwarz-weiß-rote Fahne entzogen worden. Der Vorsitzende wollte wissen, welche Bedeutung diese Fahne habe, was Zahner erneut nicht beantworten wollte. Nach zähem Nachfragen stimmte er zu, dass sie auch als Symbol für die Nazizeit herhalte. Zudem gab er an, dass einer der Angreifer zu ihm gesagt habe: „Lulu, das ist deine Rache“. Aus dieser Aussage schloss er, dass es sich um seinen „Ausstieg“ aus der Punkrockszene und sein Überlaufen zu den Nazis handeln würde, da er mehrfach hierfür kritisiert wurde. Er wäre 14-15 Jahre in der Punkrockszene aktiv gewesen, habe in einer Band gespielt und sich viel in Wurzens alternativem Treffpunkt “D5” aufgehalten.
Da die Vernehmung schleppend und anstrengend verlief, wurde sie durch die Mittagspause unterbrochen.
Während der gut einstündigen Pause mussten die Prozessbegleitenden den Platz vor dem Gerichtsgebäude verlassen, weil einige solidarische Menschen vorhatten bei derart niedrigen Temperaturen, Tee zu verteilen. Dies bedürfe laut anwesender Bereitschaftspolizei einer Genehmigung.
Nach der Pause wechselte die Belegschaft auf der Nebenklagebank, RA Tripp, welcher bis dahin im Saal war, kam nicht zurück und RA Frank Hannig war nun anwesend. Zudem setzte sich ein anderer Faschist, ebenfalls ein Wurzener Kamerad des Zeugen Zahner, mit ins Publikum.
Die Vernehmung wurde mit Fragen zu seinem „Ausstieg“ fortgesetzt. Er sei 2018 aus der Punkrockszene ausgestiegen, da er nichts mit politischen Leuten “der Antifa” zu tun haben wollte. Im Anschluss nannte er eine Reihe von Personen, die er verdächtigte, an dem Angriff auf ihn beteiligt gewesen zu sein. Hierzu teilte er seine eigenen Einschätzungen zu deren Radikalisierung mit und erklärte, dass auch andere Personen Vermutungen zu deren Beteiligung am Angriff geäußert hätten. Er habe auch noch Kontakt zu Personen, die sich weiterhin in der D5 aufhalten würden und Kontakt zu eben diesen Leuten hätten.
Als die Verteidigung die Befragung übernahm, wollte sie wissen, ob Zahner unmittelbar nach dem Ausstieg aus der Punkrockszene Nationalist geworden ist. Dies verneinte er, er sei Patriot. Auf die verwirrte Nachfrage, ob JN nicht Junge Nationalisten bedeutet, hatte Zahner nichts mehr zu sagen. Der Nebenklagevertreter Hannig versuchte bei dieser Befragung zu intervenieren und wurde aufgeklärt, dass vor seinem Erscheinen schon bestätigt wurde, dass der Zeuge Mitglied der JN ist. Hannig musste sich daraufhin für seine völlig unangebrachte Intervention bei RA Zünbül entschuldigen.
Danach wurde der Zeuge nach Ermittlungs- beziehungsweise Strafverfahren gefragt, die gegen ihn laufen oder liefen. Zunächst behauptete dieser, es gäbe keine Verfahren. Auf mehrere Nachfragen behauptete er, es gäbe doch Verfahren, er wisse jedoch nicht mehr, warum. Ihm fiel dann lediglich ein Verfahren wegen Beleidigung eines Beamten bei einer Demonstration gegen die Coronaschutzmaßnahmen ein. Die Verteidigung gab daraufhin weitere Hinweise zu anderen Verfahren und er erwiderte, es gäbe wohl ein Verfahren wegen des Fundes von „explosionsgefährlichen Stoffen“ bei einer Razzia. Außerdem hätte er 2020 mal in der Innenstadt randaliert, Mülltonnen beschädigt, Aufkleber zum Dresdengedenken an Hausfassaden geklebt. Zudem wurde er wegen eines Angriffs auf das vormals schon mehrfach erwähnte D5 angezeigt und erhielt deswegen auch einen Strafbefehl.
Zum Abschluss ging es noch einmal um Zahners Bekanntschaft mit Böhm und es wurden Bilder aus dem Zug gezeigt und erfragt, ob er ihn da erkenne, was der Zeuge bejahte. Auf den Bildern war deutlich zu sehen, dass Böhm mit ihm und seiner “Reisegruppe” gesprochen hat. Er habe gesagt, dass sie beim Rausgehen aufpassen und gucken sollen, ob da Linke sind und dann “Meldung machen”.
Um 15:35 wurde der Zeuge unvereidigt entlassen. Ein Ordnungsgeld für das Nichterscheinen beim letzten Mal muss er trotzdem zahlen.
Anschließend ging es noch um die tagebuchähnlichen Aufzeichnungen aus den Hausdurchsuchungen, gegen die die Verteidigung Widerspruch einlegte. Der Vorsitzende bat OStA Geilhorn von der Bundesanwaltschaft ihre „kurzen und knackigen“ Stellungnahmen zu verlesen. In diesen Stellungnahmen widersprach sie vier Anträgen der Verteidigung aus dem Dezember, in denen vor allem die Hinzuziehung von Zeug:innen zu verschiedenen Tatkomplexen gefordert wurde.
Um 16:00 war der Prozesstag beendet. Die Verhandlung wird am 06.01.22 um 09:30 Uhr am OLG Dresden fortgesetzt.
Bericht vom 23. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 06.01.22
An diesem Prozesstag waren zwei rassistisch geprägte Polizeizeuginnen geladen, welche ihre Arbeiten im Tatkomplex Enrico Böhm und zu dem Kanalreiniger mit neonazistischer Mütze vorstellen sollten. Zwischen den Aussagen wurden Widersprüche in Bezug auf die Einführung und Verwertung privater Dokumente diskutiert und die Verhandlung wurde verhältnismäßig früh unterbrochen.
Zu Beginn des 23. Prozesstages drohte der Vorsitzende einem der Angeklagten mit einem Ordnungsgeld, da er sich nicht respektvoll erhoben hat, als die Richter:innenschaft den Saal betrat.
Als Nebenklagevertreter war erneut ausschließlich der Nazianwalt Manuel Tripp anwesend.
Die erste Zeugin war die 49-Jährige Kriminalhauptkommissarin Nicole Schmidt aus Leipzig. Sie war zuständig für die Erstellung eines Phantombilds einer Person, welche an dem Angriff auf Böhm beteiligt gewesen sein soll. Die Zeugin, welche die Beschreibung für das Bild abgab, wurde bereits gehört.
KHM‘in Schmidt konnte sich an die Vernehmung der Zeugin und an das Erstellen des Bildes nicht mehr erinnern und sich lediglich auf ihre Aufzeichnungen beziehen.
Aus diesen geht hervor, dass das Phantombild unvollständig sei, sich die Zeugin weder an die Mund- noch Nasenpartie erinnern konnte und die Augenpartie der Erinnerung nur nahe kam, sie sich jedoch nicht sicher gewesen sei. Die Beamtin habe kaum Einblick in die Fälle, sie werde nur von den Sachbearbeitenden angerufen, um mit den Zeug:innen zusammen die Phantombilder zu erstellen. Hierzu hat sie Zugriff auf die vorangegangene Vernehmung und die jeweils getätigte Personenbeschreibung. Anschließend wurde sie zu ihrer Arbeitsweise und dem Programm befragt, mit dem sie die Bilder erstellen würde. Sie sagte aus, in Sachsen nutze die Polizei das Programm „Facette“ für Phantombilderstellungen. Die Ermittler:innen könnten hierfür verschiedene Vorauswahlen treffen, zum Teil mit rassistischer Konnotation. Auf die Frage der Verteidigung, ob die Zeugin auch mit dem Programm (ISIS), das das BKA nutze, vertraut sei, gab sie an, dass sie nur Schulungen zu Facette gehabt hätte. Mit welcher Version sie arbeite, konnte sie erst im Zuge einer Vorführung des Programms beantworten.
Sie demonstrierte dann das Programm für die Verfahrensbeteiligten und erklärte, dass dieses nur Bilder in schwarz-weiß erstellen könne und neben den Vorauswahlen noch verschiedene Einschränkungen hinzu kämen, die die Auswahl verringern können. Bei den Augen gäbe es die meisten Varianten, hierzu wurden verschiedene Zahlen genannt, es waren jedoch über 600. Sobald sie jedoch „mandelförmig“ als Vorauswahl treffe, würden nur noch etwa 15 Augenpaare angezeigt. Vor allem bei dieser Erläuterung äußerte sich die Zeugin wiederholt unbedacht rassistisch.
Für die Erstellung eines Phantombilds mit allen einzelnen Komponenten und deren individueller Anpassung, wie schmaler, breiter, enger etc., brauche sie in der Regel eine Stunde. Sobald es länger dauere, würde es meist „Mist“. Auf die Frage der Verteidigung, ob dann etwa eine Dreiviertelstunde nur für die Augenpartie hochgerechnet nicht auch „Mist“ sei, antwortete sie, dass sie das so nicht sagen könne, Augen bräuchten immer am längsten. Laut ihrer Aussage seien Kinder und alte Menschen die besten Zeug:innen. Nach der Erstellung würde das Bild an die Sachbearbeitenden zurückgeschickt und dort archiviert, die einzelnen Schritte der Erstellung würden jedoch nicht gespeichert. Zusätzlich zu Komponenten im Gesicht, könnten noch Haare, Mützen, Schals, Kapuzen usw. hinzugefügt werden.
Der Vorsitzende versuchte während der gesamten Befragung die Zeugin dazu zu bringen, herauszufinden, welche Komponenten für das Phantombild genutzt wurden, das eine der angeklagten Personen darstellen soll. Hierfür verlangte er Screenshots von der Auswahl der Mützen und Augen (mandelförmig).
Während der Befragung durch die Verteidigung kam es erneut zu einer Auseinandersetzung zwischen dieser und der BAW, die versuchte Fragen der Verteidigung mit kleinkarierten Beanstandungen zu behindern.
Die Zeugin wurde gegen 11:40 Uhr entlassen.
Im Anschluss an diese Vernehmung verlas eine der Verteidiger:innen einen Widerspruch gegen die Einführung und Verwertung persönlicher und intimer Schriftstücke, die keinen Bezug zu Tatvorwürfen haben. Der Vorsitzende merkte hierzu nur kritisch an, dass seine am Vortag angekündigten Einschränkungen bei der Einführung dieser Unterlagen wohl nicht reichen würden.
Es folgte eine Diskussion darüber, was unverhältnismäßig sei, was als intim gelte und worauf sich der Begriff der „tagebuchähnlichen“ Aufzeichnungen beziehe.
Sowohl die BAW als auch der Vorsitzende widersprachen den Einschätzungen der Verteidigung und anschließend wurde die Verhandlung für die Mittagspause unterbrochen.
Nach der Pause verkündete der Vorsitzende, dass er keine Veranlassung sehe, der Gegenvorstellung der Verteidigung bezüglich des Modus Operandi nachzukommen. In Bezug auf die privaten Unterlagen kam er der Forderung den Brief auszunehmen nicht nach, blieb bei seinen Einschränkungen und stimmte zu, Notizzettel auszunehmen, jedoch betonte er, dass er nicht der Begründung nachkomme und sie nicht unzulässig wären.
Hiernach wurde eine weitere Zeugin geladen, die 31-Jährige Polizeibeamtin Nadine Elsner aus Leipzig. Sie war Sachbearbeiterin in den ersten Ermittlungen zu dem Kanalarbeiter mit neonazistischer Mütze und wurde geladen, um ihre Ermittlungen darzustellen und über vergleichbare Taten im Zeitraum 2016-2018 zu sprechen.
Sie war zwei Monate lang für den Fall zuständig, bis sie diesen dem sächsischen Staatsschutz übergeben musste. In dieser Zeit habe sie alle Zeug:innen vernommen und Hintergrundrecherchen zu ihren Erkenntnissen vorgenommen. Der Vorsitzende bat darum, die Verknüpfung zwischen dieser Tat und anderen darzustellen, woraufhin die Zeugin ihre rassistische Ermittlungsarbeit darlegte. Hierdurch geriet eine Person in den Ermittlungsfokus allein aufgrund des Geburtsortes, die Zeugin betonte jedoch, dass die Ermittlungen gegen diese Person mittlerweile eingestellt seien. In Bezug auf ähnliche Taten in der Gegend und in dem Zeitraum gab die Zeugin zunächst an, nicht viel zu wissen, es käme jedoch häufiger vor, dass es Körperverletzungen und Sachbeschädigungen aufgrund von politischen Kleidungsstücken oder Kennzeichen mit rechten Szenecodes und Aufklebern auf Autos gäbe. Einige dieser Taten wurden detaillierter geschildert und es stellte sich heraus, dass diese variantenreich auftreten.
In Hinsicht auf das hiesige Verfahren arbeitete sie an dem Fall zu Cedric Scholz, indem sie vor Ort Bilder machte, Videoaufnahmen der Bahn auswertete und Zeug:innen befragte. Sie konnte sich jedoch nicht erinnern, dass sie auch zu dem Fall Böhm gearbeitet hätte. Einer der Richter wies sie darauf hin, dass sie in diesem Fall ebenso Überwachungsbilder aus einer S-Bahn beantragt habe und diese auch bekommen hätte, es handelte sich jedoch um die falsche Bahn. Trotz dieser Schilderung konnte sie sich nicht an diesen Fall erinnern.
Der Vorsitzende stellte nach dieser Befragung enttäuscht fest, dass er anderes von der Aussage erwartet hätte und dachte, die Zeugin hätte einen umfassenden Überblick zu Straftaten mit politischen Hintergrund im Süden Leipzigs und könne diesen teilen.
Die Verhandlung wurde somit schon um 14:20 Uhr unterbrochen. Fortsetzungstermin ist der 12.01.2022 um 09:30 am OLG Dresden.