Im deutschsprachigen Raum findet fast keine relevante Diskussion über offenkundig Notwendiges statt

Achim Szepanski hat uns einen Schatz hinterlassen, so groß, dass es wohl Jahre dauern wird, diesen zu heben. Aber irgendwo kann man ja anfangen und da sind die drei Essays ‚Imperialismus, Staatsfaschisierung und die Kriegsmaschinen des Kapitals‘ (2018) – sowie unten verlinktes Interview mit dem Autonomie Magazin (auch 2018) ein guter Start. Als Appetithäppchen hier die Zusammenfassung des dritten Essays ‚Staatsfaschisierung und Rechtspopulismus‘ vom Autor selbst:

„Der kommende Faschismus, der als solcher in Anführungszeichen zu setzen ist, wird durch die staatliche Politik des präemptiven Krisen- und Risikomanagements forciert, das, angetrieben von Präventionspolitiken und hypertechnologisierten Paranoia-Aggregaten, das Chaos oder einen Systemfeind überall und nirgends vermutet und deshalb mit immer drastischeren Mitteln eingreifen muss, um das – nach Ansicht des Staates Schlimmste – zu verhindern. In Engführung mit den globalen Kriegsmaschinen des Kapitals adressiert der Staat längst nicht nur die Terroristen als Feinde, vielmehr sichtet er überall und nirgends Feinde, und das heißt, in der Gestalt eines Unternehmens sowie einer motorisierten Exekutivmaschine von Direktiven fungiert er als ein Instrument der Ausbeutung, der Kontrolle und der Disziplinierung einer längst globalisierten Arbeitskraft. Und es kommt, was kommen musste: Die nach der Finanzkrise von 2008 von den Staaten selbst institutionalisierte Klaviatur der Rassismen und Nationalismen wird heute immer stärker von den rechtspopulistischen Bewegungen bespielt, welche die Staatsfaschisierung in Richtung eines offenen Bürgerkrieges treiben wollen, der als seine primären Feinde Flüchtlinge, Muslime und die Fremden im Generellen definiert, um
schließlich, im engen Schulterschluss mit dem Staat, einen derart hochexplosiven Zustand zu erreichen, an dem die Politik der Gefühle um des eigenen Glücks willen den Genozid an der Surplus-Bevölkerung im globalen Süden einfordert.“

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Zum Einstieg in das Werk von Achim Szepanski eignet sich auch die Einleitung zur Erinnerungsfeier von Karl-Heinz Dellwo:

„Mit Achim konnte man sich über alles unterhalten. Über die Beschränktheit des traditionellen Kommunismus, über die Beschränktheit einer woken Linken, über die Ohnmacht, die uns allen gleich ist, wenn wir die Aufgabe setzten, die fortschreitende Destruktion und Selbstdestruktion eines untergehenden Zeitalters aufzuhalten und vieles andere mehr. Aber eines kennzeichnete Achim: er hätte nie aufhören können, über den strukturellen Hintergrund und seine negative Prozesshaftigkeit nachzudenken und zu schreiben. Oft war er deprimiert darüber, dass so wenig Diskussionen stattfanden, vielleicht auch, dass er ignoriert wird. Ich habe ihn oft zu trösten versucht, indem ich ihm sagte, dass dieses ignoriert-werden nicht ihm gelte, sondern ein Versuch ist, über die eigene Ohnmacht hinweg zu tanzen. Wir kennen das von früher: Über Dinge, die unveränderbar scheinen, nichts weiter wissen zu wollen. Man muss aber sagen: das ist etwas spezielles in der deutschen Diskussion.
Im englischsprachigen Raum gibt es eine lebhafte marxistische Diskussion, es ist dort normal, sie zu führen. Achims Auflagen dort waren bald vergriffen. In China wurde seine Analyse über Kapital und Macht vom zweitgrößten chinesischen Staatsverlag für marxistische Theorien ins chinesische übersetzt und mit großen Brimborium von fünf marxistischen Professoren der dortigen Öffentlichkeit vorgestellt. Achim hat das gefallen. Wie so oft gilt: Der Prophet gilt wenig im eigenen Land. Er hat diese Würdigung auch verdient. Im deutschsprachigen Raum herrscht nur ein geistloser Mainstream und findet keine relevante Diskussion über das offenkundig Notwendige statt: Das historische Ende einer Epoche wird so behandelt, als könne alles einfach immer weiter verlängert werden. Dabei gerät alles Zivilisatorische des politischen Systems des Kapitalismus unter die Räder.
(…)
Ja, es bleiben noch die ideologischen Faschisten von der AFD mit ihrem Führerimitaten, als da: In der Entwertung aller Werte durch die sich vollendende Totalität der Lebensverwertung betrachten auch die unten, euphemistisch »Das Volk« genannt, alle Werte auch nur noch als instrumentell für ihre eigenen Zwecke. Auch das ist kein Fundament für einen neuen alten Faschismus. Auch den ideologischen Faschisten wird ihre Grundlage brüchig. Aber es ist die Grundlage für die Barbarei des Interesses. Jedes Interesse ist strukturell reaktionär. Für die, die hier noch eine Bemerkung zu DIE LINKE vermissen, achja, die kann man gerade vergessen. Achim wusste das und bestand deshalb darauf, dass wir uns über das Grundsätzliche Gedanken machen, dass wir die Prozesse verstehen müssen, die uns verohnmächtigen und in den Untergang treiben. Manche werfen Achim vor, dass er kompliziert geschrieben hat. Ja, stimmt, es ist nicht alles einfach konsumierbar und erhellt gleich unser Begreifen. Aber auch das hat historisch seine Gründe, wenn etwas noch nicht so einfach auftritt wie eine Neue Welt, die man irgendwann vor seinen Augen sieht und sich dann verblüfft fragt: ‚Wieso habe ich so lange dazu gebraucht‘. Dazu muss wahrscheinlich viel zerfallen sein vorher. Aber das zumindest ist unsere Pflicht: zu sehen, dass etwas zerfällt und wir nichts darin retten können.“

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Wenn das Interesse geweckt ist, folgendes Interview aus dem Jahr 2018 ist weiterhin zum Verständnis unserer Zeit relevant und spricht wichtige Themen an:

>>Die Surplusbevölkerung vegetiert heute auf dem schmalen Grat zwischen Überleben und Liquidierung.<< Interview mit Achim Szepanski

Kurzer Ausschnitt:

„Das Großkapital ist international aufgestellt, braucht für die Logistik offene Grenzen, während kleinere Unternehmen eher die Konkurrenz fürchten müssen. Was bedeutet dies für die Tendenz zur Faschisierung?

Das heißt zunächst einmal, dass die Gefahren für das Entstehen eines alten »vollen« Faschismus gering sind. Allerdings hat gerade die spezifisch kapitalistische Globalisierung in den kapitalistischen Kernländern aufgrund einer langanhaltenden ökonomischen Stagnation, die eben mit der Globalisierung zusammenhängt (Teile des produktiven Kapitals wurden nach China ausgelagert und ermöglichten dort schnelles Wachstum), dafür gesorgt, dass der Staat die Mittel einer keyneasianischen Nachfragestimulierung nicht mehr aufbringen kann, sodass seine Funktion als Institution des Interessenausgleichs zwischen Kapital und Arbeit eingeschränkt ist. Stattdessen wird seine Funktion als soziale Polizei und Überwachungsorgan hochgefahren und erweitert. Dies begünstigt wiederum Faschisierungsprozesse im Staat selbst.“

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Quellen:

Imperialismus, Staatsfaschisierung und die Kriegsmaschinen des Kapitals. Drei Essays: https://non-milleplateaux.de/wp-content/uploads/2018/11/Dokument0.pdf

Karl-Heinz Dellwo’s Einleitung und viele weitere Widmungen:

Für Achim