Schulen in Sachsen: Hakenkreuze, Mobbing und Hitlergrüße

Wie viel Hitler steckt in Sachsens Schulen? Nach Warnungen von Lehrenden schlagen jetzt auch Schüler:innen selbst Alarm: Es vergehe kein Tag ohne rechtsextreme Vorfälle, viele Mitschüler:innen radikalisierten sich. Über den Rechtsruck an Schulen und Neonazismus als Popkultur.

Eigentlich hatten wir EINEN Artikel über Rechtsextremismus an Schulen geplant. Bei unserer Recherche zeigte sich jedoch, wie groß die Dimension des Themas mittlerweile ist. Viele Lehrkräfte sind eingeschüchtert und haben Angst, sich öffentlich zu äußern, Schulverwaltungen schweigen. Eine verzweifelte Lehrkraft bat eine Redaktion sogar darum, einen Artikel aus dem Netz zu nehmen, weil die Anfeindungen zu groß wurden. Gleichzeitig warnen Schüler:innen inständig und kritisieren, es gebe viel zu wenig Fortbildungen im Umgang mit Rechtsextremismus.

Wir werden in den kommenden KATAPULTSachsen-Ausgaben weiter berichten – aus Sicht der Lehrenden, Schuldirektor:innen, Schulverwaltungen, des Ministeriums und der Schulsozialarbeiter: innen. Ihr könnt Euch dazu gern – auch anonym – bei uns melden.

Landesschülersprecherin Amy Kirchhoff liegt eigentlich längst am Strand. Direkt nach der Zeugnisausgabe ist sie mit ihrem Chor zum Urlaub an die Ostsee gedüst. Endlich ausspannen und singen. Durchatmen. Frischluft. Bis das Telefon klingelt – natürlich hat sie Zeit. Wenn es um Rechtsextremismus in den Schulen geht, kennt sie keine Ferien. Dieses Thema ist wichtig, dringend, hochbrisant. Kirchhoff warnt schon lange und wird es weiter tun. Denn es muss etwas passieren: damit Schulen nicht „kippen“ und Rechtsextremismus keine mehrheitsfähige Normalität wird.

„Kein Tag ohne rechtsextreme Vorfälle“

„Es vergeht kein Tag an Sachsens Schulen ohne rechtsextreme Vorfälle mit Hitlergrüßen, Naziparolen und Mobbing“, erklärt die Vorsitzende des Landesschülerrates sofort. „Wir sehen ganz viele Schüler:innen, die rechtsextreme Vorstellungen von zu Hause mitbringen und wir sehen ganz viele Schüler:innen, die sich überSocial Media radikalisieren. Schule ist immer ein Spiegel der Gesellschaft – und Rechtsextremismus im Klassenzimmer längst sichtbar.“

Offene Hitlergrüße sind kein Randphänomen

Kirchhoff muss bei diesem Thema nicht lange überlegen: Hakenkreuze, Nazi- und Hitlerbilder auf dem Handy, in Chats, in Klassen- und Jahrgangsgruppen und auch offen gezeigte Hitlergrüße seien längst kein Randphänomenmehr. „Wir erleben auch in Diskussionen rechtsextremes Gedankengut. Schüler bringen das mit, was zu Hause am Küchentisch besprochen wird. Das merken wir, wenn Eltern ihre Kinder bei rechtsextremen Vorfällen in Schutz nehmen“, sagt sie. „Nicht alle Jugendliche haben eine tief verankerte ideologische Gesinnung. Aber ein Hitlergruß bleibt ein Hitlergruß und zeigt letztlich, wie mehrheitsfähig Rechtsextremismus geworden ist“.

154 gemeldete rechtsextreme Vorfälle

Laut einer Anfrage der Linken erfassten die Schulaufsichtsbehörden in Sachsen im Jahr 2024 insgesamt 154 rechtsextreme Vorfälle.1 Im Jahr 2023 waren es 149 Fälle. In den Vorjahren schwankten die Fallzahlen zwischen 48 (2022) und 91 (2021).2 Beim Landeskriminalamt wurden für 2024 sogar 185 rechtsextreme Straftaten gemeldet – und das sind nur die vorläufigen Zahlen. „Wir gehen von einer sehr hohen Dunkelziffer aus“, sagt Kirchhoff. „Entweder melden Lehrkräfte es nicht oder sie bekommen diese Vorfälle nicht mit. Wenn wir nur danach gehen, was uns jeden Tag erzählt wird, können wir uns ausmalen, wie gravierend die Dimension ist.“

„Wir gehen von einer extremen Dunkelziffer aus. Entweder melden Lehrkräfte es nicht oder sie bekommen die Vorfälle nicht mit. Wenn wir danach gehen, was uns jeden Tag erzählt wird, können wir uns ausmalen, wie gravierend die Dimension ist.“

„Großteil der Lehrer überfordert“

Kirchhoff schildert, wie unsicher viele Lehrende sind. „Ein Großteil der Lehrer ist überfordert, entweder fehlt ihnen das Wissen und die Zeit“, sagt die Vorsitzende des Landesschülerrates. Viele seien eingeschüchtert. Zudem hätten die AfD-Meldeportale viele in ihrem Verständnis von Neutralität erschüttert.3 „Doch Lehrer müssen nicht neutral sein. Nach dem Beutelsbacher Konsens ist es ihre Aufgabe und auch Pflicht für den Erhalt unserer demokratischen Grundordnung einzustehen. Dazu gehört auch, gegen Verfassungsfeinde Stellung zu beziehen.“
Landesschülerrat fordert: Keine verfassungsfeindlichen AfD-Lehrer

Auf seiner Landesdeligiertenkonferenz hat sich der Landesschülerrat Sachsen deswegen auf eine klare Linie verständigt. „Wir fordern als Landesschülerrat: Alle AfD-Lehrkräfte sollten keine Lehrkräfte mehr sein“, sagt Kirchhoff. Die AfD in Sachsen ist durch das sächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) in Bautzen seit Januar endgültig als gesichert rechtsextremistisch bestätigt.4 Nun fordern Sachsens Schüler, dieser Einstufung gerecht zu werden. Rheinland-Pfalz jedenfalls zeigt, wie es gehen kann. Das Bundesland kündigte Mitte Juli an, keine AfD-Mitglieder mehr in den Staatsdienst einzustellen.

In Sachsen gibt es hier wenig Bewegung. Wie das Kultusministerium auf Anfrage mitteilte, wird bei der Einstellung von Lehrkräften keine Parteizugehörigkeit abgefragt. Verfassungsfeindlichkeit müsse im Einzelfall nachgewiesen sein. Eine bloße Mitgliedschaft in einer als rechtsextrem eingestuften Partei reiche nicht aus, um nicht mehr an einer Schule zu arbeiten zu dürfen.

„Wir als Landesschülerrat fordern: Alle AfD-Lehrkräfte sollten keine Lehrkräfte mehr sein.“

Schüler wollen mehr Fortbildungen und eine Beschwerdestelle

Landesschülersprecherin Kirchhoff erklärt: „An den Schulen wird sehr verschieden mit Rechtsextremismus umgegangen, sehr abhängig wie viel Zeit die Lehrkräfte haben und wie geschult sie im Umgang mit extremistischen und menschenfeindlichen Positionen sind.“ Natürlich hätten auch die Schüler Verantwortung. „Wir wissen jedoch nicht alles und es macht einfach einen Unterschied, ob sich eine Lehrkraft als Autorität vor der Klasse positioniert und aufklärt. Hier brauchen wir eine niederschwellige Beschwerdestelle, Hilfsangebote und gute Schulungen für Lehrkräfte.“

Eklat um durchgestrichenes Hakenkreuz

Wie hilflos, ungeschult oder auch problemignorant Lehrkräfte und Verwaltung sein können, hatte erst im April ein Eklat an einer Schule in Chemnitz gezeigt, der sogar europaweit Schlagzeilen machte.5 Weil ein Grundschüler durchgestrichene Hakenkreuze in sein Heft malte, wollte ihn seine Schule wegen der Verbreitung „staatsfeindlicher Symbolik“ strafversetzen und der Schule verweisen.6 Die Beschwerde der Mutter blieb zunächst ungehört. Erst nach breiten öffentlichen Protesten nahm das Schulamt die Strafe zurück. „Dem Chemnitzer Schüler, der ein durchgestrichenes Hakenkreuz in sein Heft gemalt hat, wurde Unrecht getan“, erklärte Kultusminister Conrad Clemens gegenüber der Taz.7

Schulamt bot vorher Verschwiegenheitserklärung an

Zuvor hatte die Schule dem Schüler wegen des durchgestrichenen Hakenkreuzes in seinem Heft einen Verweis zugestellt und ihn in eine Parallelklasse strafversetzt – alles ohne seine Familie vorher anzuhören. Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs 2007 sind durchgestrichene Hakenkreuze erlaubt, wenn sie „eindeutig und offenkundig die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus deutlich machen“. Das nahm die Mutter für ihren Sohn in Anspruch und forderte den Verweis zurückzunehmen. Sie betonte auch den Fall eines Klassenkameraden, der im Schulgebäude echte Hakenkreuze zeichnete – ohne bestraft zu werden. Bei einer Beratung hatte das Schulamt der Mutter zudem eine Verschwiegenheitserklärung angeboten, welche diese jedoch abgelehnte.8

„Der Lehrauftrag heißt Demokratiebildung“

Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) ergibt sich hier ein ganz klarer Auftrag. „Wir als GEW verurteilen jede Form von Extremismus. Lehrer sind nicht neutral. Im Gegenteil, sie sind unserer demokratischen Grundordnung verpflichtet und müssen für diese eintreten. Der Lehrauftrag heißt Demokratiebildung“, erklärte Astrid Axmann, die stellvertretende Landesvorsitzende für Jugendhilfe und Sozialarbeit bei der GEW.9 „Mit Rechtsextremismus müssen sich alle unsere Lehrkräfte auseinandersetzen. Es gibt eine große Unsicherheit. Viele ducken sich weg, oft wird das Thema kleingeredet.“

„Mit Rechtsextremismus müssen sich unsere Lehrkräfte auseinandersetzen. Das Thema betrifft alle. Es gibt eine große Unsicherheit. Viele ducken sich fest, oft wird das Thema kleingeredet.“

GEW: Der Freistaat muss handeln

Um Hilfestellungen zu geben, bietet die GEW seit 2024 in Zusammenarbeit mit dem Kulturbüro Sachen e.V. Fortbildungen an – unter anderem zur „Handlungssicherheit im Umgang mit antidemokratischen Einstellungen“. Axmann sagt: „Diese sind stark nachgefragt. Doch es reicht nicht, wenn die GEW Seminare anbietet. Der Freistaat ist in der Pflicht, er muss handeln. Es ist Aufgabe des Landes, Lehrer im Umgang mit Rechtsextremismus fit zu machen. Hier ist noch ganz viel Luft nach oben.“

Kultusminister: „Nicht die Fehler der 90iger wiederholen“

Das Kultusministerium verweist auf den Fortbildungskatalog des Landesamtes für Schule und Bildung (LaSuB) mit Seminaren wie „Argumentieren gegen Rechtsextremismus“. Gleichzeitig gebe es eine Fallbeispielsammlung10 überarbeitete Fachlehrpläne, das neue Handlungskonzept „W wie Werte“ sowie das Programm „Starke Lehrer – Starke Schüler“ zur Stärkung von Pädagogen bei gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Schulen können sich laut Ministerium auch durch das Demokratiezentrum Sachsen beraten lassen und mit Netzwerken und Stiftungen zusammenarbeiten.

„Wir dürfen nicht die Fehler der 1990er Jahre wiederholen und müssen klar Position beziehen. Keine Toleranz gegenüber Rechtsextremismus!“, sagte Kultusminister Conrad Clemens (CDU) auf Nachfrage von KATAPULT Sachsen. Über das Formular “Meldung besonderer Vorkommnisse“ könnten Vorfälle direkt gemeldet werden. Allerdings war dieses Anfang August wegen einer Überarbeitung zunächst online nicht verfügbar. Laut Kultus können sich SchulleiterInnen zur schnellen Unterstützung auch direkt an die ReferentInnen des LaSuB wenden.

Aktivistin: Ohne Druck wäre nichts passiert

Das LaSuB war es aber auch, welches dem Grundschüler wegen des durchgestrichenen Hakenkreuzes den Verweis aussprach. Eine Entschuldigung für die falsche Bestrafung erreichte bislang jedoch weder Mutter noch den Schüler – nicht vom LaSuB und nicht vom Kultusministerium. „Im Gegenteil, uns wurde vorgeworfen, dass wir einen Shitstorm über die Schule gebracht hätten“, sagte Jennifer Follmann von der Initiative „Safe Space Chemnitz“ im Gespräch mit KATAPULT Sachsen. „Das Landesschulamt erklärte sogar, man habe den Verweis nur der Form wegen zurückgenommen. Man behalte sich rechtliche Schritte gegen mich vor.“ Aktivistin Follmann ist sich sicher: „Ohne Druck wäre nichts passiert“. Nach der Veröffentlichung des Vorfalls gerät sie selbst ins Fadenkreuz von Rechtsextremen: Sie bekommt Morddrohungen und wird körperlich angegriffen. Heute lebt sie unter Polizeischutz.

Limbach-Oberfrohna: „Es gibt Klassen, die sind komplett rechts“

Über Sprachlosigkeit, Nicht-Positionierung oder auch Ignoranz kann Robert Weis, Gründungsmitglied der Sozialen und politischen Bildungsvereinigung Limbach-Oberfrohna e.V. ein Lied singen. Er hat selbst rechte Gewalt erlebt, wurde in seiner Jugend oft zusammengeschlagen. Weis gründete das Jugendzentrum „Doro 40“ mit, das „La. Bombonera“ sowie den „Eckladen“. Zu ihm kommen regelmäßig die SozialarbeiterInnen der Schulen. Sie wollen sich selbst nicht äußern, weil sie Angst vor Anfeindungen haben. Weis erklärt: „Viele machen sich große Sorgen. Es gibt Klassen, die sind komplett rechts, da wird keine andere Meinung geduldet. Beim Thema Geflüchtete wird gelacht, Nazicodes sind an der Tagesordnung. Doch viele Schulverwaltungen wollen alles unter den Teppich kehren. Sie schweigen, weil sie keinen schlechten Ruf möchten.“

Schülis gegen rechts: „Riesiges Rechtsextremismus-Problem“

Der 16-jährige Anton Festag will nicht länger warten, bis Erwachsene handeln. Er engagiert sich bei „Schülis gegen rechts“ und fordert verpflichtende Fortbildungen für LehrerInnen und SchülerInnen, politische Bildung, die viel früher beginnt und ein Ende des Schweigens an Sachsens Schulen. „Wir haben ein riesiges Rechtsextremismus-Problem. Schon in der Schule werden junge Menschen von rechtsextremen Parteien wie der AfD oder der Heimat (ehemals NPD) nach rechts außen indoktriniert“, warnt Festag. „Ich kenne niemanden, der noch nie einen Hitlergruß an der Schule gesehen hat. Ich glaube, es ist 2.000 Mal schlimmer als in allen Artikeln beschrieben.“

Radikalisierung bis zum Terrorismus

Festag beschönigt nicht, er alarmiert. “Die Radikalisierung geht so weit, dass Jugendliche in meinem Alter zu Terroristen werden – bereit, Menschen brutal zu ermorden, nur weil sie anderer Meinung sind. Wir brauchen unbedingt Aufklärung an unseren Schulen, sonst sehe ich schwarz!“, sagte er und verweist dabei auf Enthüllungen des Stern und von RTL, zu jungen rechtsextremen Terrorzellen die unter anderem einen Brandanschlag auf eine Asylunterkunft im brandenburgischen Senftenberg planten.11

Kongress in Dresden

Zusammen mit anderen Schulfreunden organisierte er im September einen Kongress in Dresden. „Schülis gegen rechts wurden vor einem dreiviertel Jahr in Dresden, Leipzig, Chemnitz und Regensburg gegründet. Wir sind bundesweit im Aufbau“, erklärt Festag. „Mit dem Kongress wollten wir Menschen vernetzen, um bundesweit größer zu werden. Wir wollen Schulen unter Druck setzen, damit mehr gegen Rechtsextremismus getan wird, es viel zu wenig gemacht.“

Extremismus-Turbo-Beschleuniger Social Media

Auch Verfassungsschützer schlagen im aktuellen Verfassungsschutzbericht Alarm, und sogar CSU-Bundesinnenminister Alexander Dobrindt spricht von einem „dramatischen Befund“: Das rechtsextreme Personenpotenzial habe sich um 20.000 auf 50.000 Personen vergrößert, also fast verdoppelt.12 Soziologe David Begrich spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer „epidemischen Ausbreitung“ von radikalisierten Jugendlichen. Während der Krisen der vergangenen Jahre hat eine Flucht in Social Media stattgefunden, in der rechte Influencer „nur einen Klick entfernt sind“. Das kennt Schüler Anton Festag sehr gut. „Die Beeinflussung durch Social Media ist extrem“, sagt er.

Social-Media vermittelt Rechtsextremisms als normale Weltanschauung

Das bestätigt auch Landesschülersprecherin Kirchhoff: „Social Media spielt eine riesige Rolle. Wenn ich Instagram und Tiktok anmache, habe ich das Gefühl, dass Rechtsextremismus eine normale Weltanschauung ist.“ Komplexe Inhalte funktionierten leider überhaupt nicht. „Die AfD passt wahnsinnig gut in die Algorithmen. Sie und andere Rechtsextreme machen mit emotionalisierenden Memes, Reels und Bilder wahnsinnig gut funktionierende Inhalte, die schnell viral gehen“, erklärt Kirchoff. Zwar habe die Linke mit Heidi Reichinnik ziemlich gut aufgeholt. „Doch die AfD als Gesamtpartei funktioniert noch immer besser, weil sie viel länger dabei ist.“

„Wenn ich Instagram und Tiktok anmache, habe ich das Gefühl, dass Rechtsextremismus eine normale Weltanschauung ist.“

Deutschlandtrikot mit Spielernamen „Führer“

Mehrere Studien haben bereits gezeigt, dass die rechtsextreme AfD von den Algorithmen bei Tiktok und X überproportional profitiert. Unterstützt werden sie dabei oft von anonymen Accounts, die mittels KI ständig neue rechtsextreme Inhalte einspeisen und somit das Netz fluten.13 Accounts mit zahlreichen Hitler-Namensvariationen, Hitlerbildchen, SS-Wortspielereien, das Deutschlandtrikot mit SS und dem Spielernamen „Führer“ – die Social-Media-Kanäle quellen förmlich über mit rechtsextremen Inhalten. Der Wissenschaftler Simon Strick spricht hier von rechter Ideologie als Schwarmtätigkeit und Mitmach-Propaganda.14 Hier entstehe „weniger eine ideologische Gleichschaltung als ein geteilter Gefühlsraum der Bedrohung. Eher ein Flächeneffekt als ein Führerbefehl“.

Keine Gemeinschaftsräume für Jugendliche

Kirchhoff spricht einen weiteren Aspekt an, vor dem Experten seit Jahren vor dem Hintergrund sinkender Jugendhilfe und Förderung warnen. „Es gibt keine Räume für Jugendliche, keine Gemeinschaftsorte, wenig Strukturen für Heranwachsende. Die Rechtsextremisten stoßen in diese Lücke. Sie setzen auf Gemeinschaftsgefühl, organisieren Ausflüge, gehen in die Sportvereine. Damit holen sie wahnsinnig viele Jugendliche ab“, warnt sie. Das zeige sich an vielen auch neu gegründeten Neonazi-Jugendorganisationen wie beispielsweise die „Elblandrevolte“ in Dresden, die den SPD-Europapolitiker Matthias Ecke zusammenschlug und schwer verletzte. Der Fall hatte 2024 europaweit Schlagzeilen gemacht. Soziologe Begrich hingegen sieht auch eine große Überforderung vieler Lehrer, die weitaus mehr leisten müssen als „nur“ den Unterricht.15

Es gibt keine Räume für Jugendliche. Die Rechtsextremisten stoßen in diese Lücke. Sie setzen auf Gemeinschaftsgefühl und organisieren Ausflüge. Damit holen sie wahnsinnig viele Jugendliche ab.

„Es ist so gruselig“

Nicht nur in Dresden, auch in Zwickau, Chemnitz, Riesa, Döbeln, Meißen – eigentlich überall gebe es neue rechtsextreme Gruppen, erklärt Kirchhoff. „Bei einer pro Demokratie-Demo im ländlichen Raum wartet zwei Straßen weiter immer die Nazi-Demo, vor der auch die Polizei warnt, man solle lieber in Grüppchen nach Hause gehen. Das ist Lebensrealität geworden. Es ist so gruselig“, bilanziert sie. Erst Anfang Juli brannte plötzlich das Gelände des Vereins „Buntes Meißen“, in unmittelbarer Nähe fanden sich volksverhetzende Botschaften. Auch das Treibhaus in Döbeln wird regelmäßig überfallen. Der Jugendclub in Göda brannte im Januar 2024 aus, wenige Monate später griffen Vermummte einen Jugendclub in Bautzen und Demokratieprojekte in Limbach-Oberfrohna werden regelmäßig attackiert.

Gegenmittel: Begegnungen schaffen

Weis aus Limbach-Oberfrohna wirkt schon fast routiniert, wenn er das sagt – so viele Jahre setzt er sich sich mit Rechtsextremismus auseinander: “Die Wahlerfolge der AfD spiegeln sich in der Stimmung der Bevölkerung und eben auch der Schulen wider. Man hat das Gefühl, es bahnen sich die neuen Baseballschläger-Jahre an, wenn sie nicht schon da sind.“, erklärt er. „Das beste Gegenmittel sind Begegnungen zu schaffen, Vernetzungen untereinander, Community-Arbeit und Gemeinschaftsgeist, Mitwirkungen an Projekten oder auch schlichtweg andere Angebote, Gegenangebote.“ Er glaubt daran. Er hat die ganzen Jahre nicht aufgegeben, selbst als der lang aufgebaute Jugendclub „Doro“ von Rechtsradikalen der jetzt verbotenen Gruppe „Sturm 34“ angegriffen wurde.

„Wir müssen demokratischer Gegenpol sein“

Kirchhoff wird weiter für die Forderungen des Landesschülerrates kämpfen: Keine rechtsextremen Lehrkräfte im Schuldienst, mehr Fortbildungen, Sensibilisierungen, eine einfach zu erreichende Beschwerdestelle. Und sie wird weiter Druck machen mit anderen SchülerInnen aus Sachsen. „Ich empfehle allen, sich zu engagieren. Gesellschaftliche Teilhabe lässt uns immer selbstwirksam fühlen. Wir müssen demokratischer Gegenpol sein“, erklärt sie. „Dazu gehört auch ein Wissen um unsere Informationsrechte und die eigene politische Information auf seriösen Kanälen. Es ist wichtig, dass wir als junge Menschen informiert bleiben.“

Quelle: https://katapult-sachsen.de/artikel/schulen-in-sachsen-hakenkreuze-mobbing-und-hitlergruesse/

Kleine Anfrage der Abgeordneten Juliane Nagel (Die Linke), Drs.-Nr.: 8/923, Vorfälle mit rechtsextremem Hintergrund an Schulen 2024, auf: edas.landtag-sachsen.de (31. Januar 2025). ↩︎
Kleine Anfrage der Abgeordneten Kerstin Köditz (Die Linke), Drs.-Nr.: 7/15307, Vorfälle mit rechtsextremem Hintergrund an Schulen 2024, auf: edas.landtag-sachsen.de (31. Januar 2025). ↩︎
Die AfD hatte 2018 Portale ins Netz gestellt, bei denen AfD-kritische Lehrende als „nicht neutral“ denunziert werden konnten. Das hatte laut GEW viele Lehrende eingeschüchtert. ↩︎
Tagesschau: AfD bleibt „gesichert rechtsextremistisch“, auf: tagesschau.de (21.01.2025). ↩︎
Il Mitte (Hg): Germania, bimbo di 10 anni punito per un disegno contro AfD, auf: ilmitte.com (08.04.2025). ↩︎
Matthias Meisner: Schule muss Tadel wegen Anti-AfD-Kritzeleien löschen, auf: taz.de (04.04.2025). ↩︎
Ebd. ↩︎
Ebd. ↩︎
Gespräch mit Astrid Axmann am 3. Juli 2025. ↩︎
Freistaat Sachsen (Hg): Herausforderungen politischer Bildung und pädagogischen Handelns an sächsischen Schulen, auf: politische.bildung.sachsen.de (Juli 2024). ↩︎
Micks, Vivian und Schillat, Florian: Minister nach Recherchen zu rechtsradikalen Jugendgruppen besorgt, auf: stern.de (30.04.2025). ↩︎
WDR: Soziologe: Radikalisierung bei Jugendlichen „epidemisch ausgebreitet“, auf: wdr.de (10.06.2025). ↩︎
Reuter, Markus: „TikTok und X pushen rechte Parteien“, auf: netzpolitik.org (21.02.2025). ↩︎
Tominski, Katrin: Interview mit Simon Strick „Faschismus ist heute Lifestyle“, auf : taz.de (2.10.2024). ↩︎
WDR (Hg): Soziologe: Radikalisierung bei Jugendlichen „epidemisch ausgebreitet“, auf: wdr.de (10.06.2025). ↩︎