Zoff um Fördergelder für Wurzener Demokratie-Netzwerk geht weiter

In Wurzen ist die Debatte um das Netzwerk für Demokratische Kultur aufs neue entbrannt. Während die einen die weitere Bezuschussung ablehnen, sprechen sich andere, wie Grünen-Bundeschef Felix Banaszak, für den Verein aus.
Der Stadtrat hat bereits über den Zuschuss abgestimmt – so argumentiert Thomas Schumann, Fraktionschef der „Bürger für Wurzen“ (BfW), im Streit um die Förderung des Netzwerks für Demokratische Kultur (NDK). Er verstehe deshalb nicht, weshalb die Verwaltung nun – wie er es nennt − durch die Hintertür einen zweiten Anlauf nehme.
Das Abstimmungsergebnis der April-Sitzung sei gültig und könne jetzt nicht wieder neu verhandelt werden, selbst wenn das Geld für den städtischen Eigenanteil über Spenden zusammenkomme.
Der Stadtrat hatte dem NDK den kommunalen Geldhahn für 2026 abgedreht. In einem geheimen Urnengang sprachen sich zwölf Räte gegen die Förderung der beantragten sozio-kulturellen Projekte aus, fünf waren dafür, drei enthielten sich. Laut dem Verein seien die im nächsten Jahr geplanten Veranstaltungen dadurch akut gefährdet.
Das Thema schlägt seit Monaten auch überregional Wellen. Grünen-Bundesvorsitzender Felix Banaszak besuchte am Dienstag im Rahmen seiner Sommertour auch das NDK in Wurzen. Er sei nicht auf Wohlfühltour, sondern gehe gezielt dorthin, wo es Konflikte gebe, wo Macher seien.
12.915 Euro – das ist der Betrag, den die Stadt Wurzen als Eigenanteil bezahlen müsste, damit das NDK bei überörtlichen Förderstellen weitere rund 150.000 Euro an Unterstützung erhalten kann. Kommunaler Sitzgemeindeanteil heißt das im Behördendeutsch. Dieser liegt bei acht Prozent der Gesamtsumme.
Mehr als 10.000 Euro an privaten Spenden
Längst ist Bewegung in die Sache gekommen. Private Geldgeber wollen den Sitzgemeindeanteil durch Spenden aufbringen. Laut der Stadtverwaltung seien bereits mehr als 10.000 Euro zweckgebunden im Rathaus eingegangen. Der LVZ liegt die Liste mit Namen und überwiesenen Beträgen vor. Aufgeführt sind knapp 30 Einzelspenden zwischen 5 und 600 Euro.
Eine weitere Spende sticht heraus: Es sind 8000 Euro, gezahlt von Christian Müller aus Kitzscher. Müller ist Co-Sprecher des Kreisverbandes von Bündnis 90/Die Grünen, betont aber, die Spende als Privatperson überwiesen zu haben. Die Resonanz des Spendenaufrufs ermutige ihn sehr, sagt er gegenüber der LVZ: „Ich freue mich, ein Teil davon zu sein.“ Wenn dafür die nächsten Jahre der Urlaub ausfalle, sei ihm das allemal wert.
BfW-Fraktionschef Schumann spricht von Spitzfindigkeiten. Er fragt, ob es überhaupt rechtmäßig sei, den kommunalen Sitzgemeindeanteil über Spenden aufzutreiben, und schaltete die Kommunalaufsicht des Landratsamtes ein. Die Antwort von Sachbearbeiter Stefan Eichner liegt der LVZ vor. Demnach sei nicht vorgeschrieben, aus welchen Quellen die Eigenmittel zu finanzieren seien.
Ähnlich argumentiert Sebastian Miklitsch vom Fördermittelgeber Kulturraum Leipziger Raum, der bestätigt, dass der Antrag des NDK in seinem Hause eingegangen sei: „Im November entscheidet der Konvent über die Bewilligung. Vorausgesetzt, die Kommune zahlt den Sitzgemeindeanteil von acht Prozent der Gesamtsumme. Woher sie das Geld bekommt, ist egal.“
Stadt will Diskussionsprozess moderieren
Nach Aussage von Wurzens Oberbürgermeister Marcel Buchta (parteilos) wird der Stadtrat in seiner Sitzung am 9. September über die Annahme der Spenden entscheiden. Er knüpfe das Prozedere an einen durch die Stadt moderierten Diskussionsprozess: „Wir sollten mit dem NDK ins Gespräch kommen.“ Die Mehrheit der Räte schließe ein „Weiter so“ aus.
Die personelle und programmatische Ausrichtung gehöre auf den Prüfstand, betont der Ortschef. „Ja, es gibt supertolle Formate. Aber eben auch Projekte, von denen Kritiker meinen, dass deren Zielgruppe viel zu klein ist“, sagt der OBM. Mitunter hätten manche den Eindruck, das NDK bringe Wurzen mehr in Verruf, als dass es Aufklärungsarbeit leiste.
Nicht nur wegen des Kampfes gegen rechts sei das NDK unverzichtbar, findet NDK-Beiratsmitglied Eberhard Lüderitz, langjähriger Unternehmer in Wurzen: „Auch das Kulturangebot ist beachtlich.“ Die Arbeit des Vereins sei richtig und wichtig, unterstreicht Jens Kretzschmar, Kreischef der Linken. Seiner Meinung nach verbessere der Verein den Ruf der Stadt, weil er den Finger in die Wunde lege und rechtsextremen Tendenzen am entschiedensten entgegentrete.
Hier treffe sich nicht die Antifa aus Connewitz, gibt Ludwig Henne vom NDK zu bedenken. „Am Domplatz 5 ist ein Tagungshaus entstanden, das von ganz vielen Gruppen genutzt wird – Gewerkschaften, Kirche, genial sozial.“ Man müsse zwar noch viele Jahre Kredite abzahlen. Das Ziel aber sei, sich durch die Vermietung unabhängiger von Fördergeldern zu machen.
NDK sieht sich breit aufgestellt
NDK-Mitglied Frauke Sehrt betont, dass der Verein nicht nur auf feministischen Punk beschränkt werden dürfe. Man sei breit aufgestellt. Es gebe so vieles mehr – von Lesungen, Filmen und Konzerten über Yoga und Gedächtnistraining bis zum Pokémon-Spielenachmittag.
Grünen-Chef Banaszak bestärkte die Aktivisten: „Es braucht Orte wie diesen. Hier treffen sich Menschen, die sein können, wie sie sind.“ Und das in Zeiten, in denen solche Angebote infrage gestellt würden. Er hoffe, dass solche geschützten Räume weiter existierten.
Er bezweifle stark, dass die Abstimmung im September ein Selbstläufer werde, hält BfW-Chef Schumann entgegen: „Ein großer Teil der Wurzener will die Alimentierung des Netzwerkes nicht mehr. Viele, mit denen ich rede, haben die Nase voll von dem ewigen Rechts-links-Gezänk. Die Leute aus der politischen Mitte möchten in ihrer beschaulichen Heimat ruhig leben, ohne dass ständig Probleme herbeigeredet werden.“
In der nächsten Woche ist zunächst eine nicht öffentliche Sitzung des Ältestenrates anberaumt. Dabei soll es eine Unterredung zwischen dem OBM und den Fraktionsvorsitzenden geben.
Am 18. August berät der Verwaltungsausschuss zur Thematik, einen Tag später der Kulturausschuss. Das letzte Wort aber hat dann der Stadtrat.
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MDR 07. August 2025
Nach Attacken von rechts: Private Spenden könnten Demokratie-Netzwerk in Wurzen retten
Das Netzwerk für Demokratische Kultur in Wurzen veranstaltet 80er-Jahre-Partys, Seniorentreffs, Theater oder Kino. Mitte April hat der Wurzener Stadtrat auf Initiative der AfD die Finanzierung des soziokulturellen Vereins gestoppt.
Hintergrund sind Vorwürfe, das Netzwerk sei zu linkslastig. Inzwischen ist die Summe, die der Verein braucht, um überregionale Fördergelder beantragen zu können, per Privatspende eingegangen. Im September will der Stadtrat über die Annahme der Spenden beraten.
von Michael Bartsch, MDR Kulturdesk
Der Wurzener Verein „Netzwerk für Demokratische Kultur“ (NDK) hat sich gegen Vorwürfe gewehrt, linkslastig zu sein. Geschäftsführerin Martina Glass sagte MDR KULTUR, diese Unterstellung werde immer wieder von außen befeuert, „damit Menschen gleich Vorbehalte haben“, sie sei aber nicht wahr. Diese Propaganda werde teilweise „von Leuten betrieben, die noch nie hier waren“.
Der Stadtrat hatte dem Verein wegen der Vorwürfe am 15. April die finanzielle Unterstützung verweigert. Damals stimmte eine deutliche Mehrheit der Stadträte gegen die Fortführung des bisherigen städtischen Zuschusses in Höhe von 12.800 Euro, der Voraussetzung für eine Förderung durch den Kulturraum Leipziger Raum von 70.000 Euro ist. Nach einer intensiven Debatte hatten zwölf Stadträte geheim gegen die weitere Förderung gestimmt, fünf dafür, drei enthielten sich.
Nach heftigen Attacken der AfD dürften sechs Gegenstimmen von ihr gekommen sein. Ob die weiteren sechs von der CDU mit ebenfalls sechs Sitzen kamen oder auch von den Bürgern für Wurzen, bleibt ungewiss. Die CDU-Stadtratsfraktion reagierte nicht auf eine entsprechende Anfrage. SPD und Linke mit je zwei Stadträten dürften dafür gestimmt haben.
Der Stadtratsbeschluss stürzte das 2001 gegründete NDK in eine Finanzierungskrise. Beim NDK herrscht dennoch Zuversicht, das Netzwerk fortführen zu können. Geschäftsführerin Glass sagte MDR KULTUR, man sei die jährlichen Debatten um den geringen Wurzener Finanzierungsanteil eigentlich gewohnt.
Denn der Verein erhält keine institutionelle Förderung, muss sich immer aufs Neue durch ein Projekt namens „Soziokultur für Wurzen“ im Umfang von 160.000 Euro tragen. Die 70.000-Euro-Förderung durch den Kulturraum Leipziger Raum plus Stadtanteil machen davon schon mehr als die Hälfte aus. „Wir haben es im Stadtrat immer knapp geschafft – diesmal nicht“, ärgert sich Glass.
Überregionale Fördergelder aufgrund privater Spenden?
Laut der Wurzener Stadtverwaltung sind inzwischen zahlreiche private Spenden von Unterstützern eingegangen, bislang an die 10.000 Euro. Das Geld ist zweckgebunden für den Sitzgemeindeanteil. Kommen die 12.800 Euro zusammen, wäre die Voraussetzung für eine überregionale Förderung geschaffen. Im September will der Wurzener Stadtrat darüber entscheiden, ob die Spenden angenommen werden.
Zufluchtsort vor Neonazis in Wurzen
Vor Glass‘ Zeit als Geschäftsführerin war das NDK 2001 tatsächlich gegründet worden, um vor allem nichtrechten jungen Menschen eine Zuflucht zu bieten. Die NPD und Neonazigruppen strebten damals im mittelsächsischen Raum „National befreite Zonen“ an, die aus ihrer Sicht von Linken zu säubern waren und in denen eine hegemoniale rechte Kultur aufgebaut werden sollte.
Eine Spendensammlung für den Kauf des früheren Domherrenhauses wurde unter anderem vom Magazin „Stern“ unterstützt und brachte umgerechnet 80.000 Euro. 2006 konnte nach eigenen Aus- und Umbauleistungen das NDK eröffnet werden.
Kultur und Unterhaltung: Von Spieleabend bis Kino
Ende Mai dieses Jahres eröffnete der Verein ein Gartencafé. Was dort zu beobachten war, lässt sich nicht annähernd mit Linksextremismus in Verbindung bringen: In einem Zelt auf der Wiese unmittelbar neben dem Wurzener Dom hat der Leipziger multikulturelle Verein „Grand Beauty“ ein Zelt aufgebaut. Ungeachtet von Alter und Herkunft konnte man sich Schönheitspflege mit Gespräch angedeihen lassen.
Zwei Rentnerinnen reisten extra aus dem 30 Kilometer entfernten Bad Lausick an. Es seien verschiedene Kulturen dabei, und das interessiere sie generell, sagte eine. Andererseits erklärten die beiden Damen ihre Vorbehalte gegenüber grünen Ideen. Auch zur Regierung äußerten sie sich kritisch, als sie die Finanzsorgen des NDK kommentierten: „Wenn man alles in die Rüstung steckt, bleibt unten nicht viel übrig.“
Das NDK betreibt ein offenes Haus mit Frauengruppen, Gedächtnistraining für Ältere, Spieleabend, Kneipenabend, 80er-Jahre-Party und Sporttreffs. Eine kulturelle Lücke schließt es zudem mit Veranstaltungen wie Theater, Kino, Lesungen oder Konzerten, denn Wurzen hat sonst nur das Ringelnatz-Haus für den berühmtesten Sohn der Stadt.
NDK kritisiert Förderpolitik der Stadt Wurzen
Die Unterstellung linksextremer Aktivitäten sei „völlig albern“, schimpft Linken-Stadtrat Jens Kretzschmar, der bis vor kurzem auch Vorstandsmitglied im NDK war. Er äußert auch Bedenken. So werde unter zunehmendem rechten Einfluss die öffentliche Förderpflicht unterlaufen. „Das wird uns nicht umbringen“, gibt sich Kretzschmar zuversichtlich. Und Martina Glass betont optimistisch: „Wir lassen nicht sofort den Stift fallen, wir arbeiten hier aus Überzeugung!“
Quelle: MDR KULTUR (Michael Bartsch), Netzwerk für Demokratische Kultur e.V. Wurzen