Entscheidung am Amtsgericht Leipzig Prozess gegen Ex-Grünen-Stadtrat Kasek: Verteidigung stellt Befangenheitsantrag

Nach den linksradikalen Krawallen beim „Tag X“ in Leipzig soll der frühere Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek einen Staatsanwalt via Twitter angegriffen haben. Der Verleumdungsprozess gegen ihn gewann nun zusätzliche Brisanz.

Neue Brisanz im Verleumdungsprozess gegen den ehemaligen Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek (44): Am dritten Verhandlungstag im Amtsgericht stellte Verteidigerin Christiane Götschel am Montag einen Befangenheitsantrag gegen Richterin Ute Fritsch. Zuvor waren mehrere Beweisanträge der Verteidigung abgelehnt worden.

Kasek steht wegen mehrerer Tweets im Zusammenhang mit den linksradikalen Krawallen beim „Tag X“ in Leipzig wegen Verleumdung vor Gericht. Der reichweitenstarke Kommunalpolitiker soll auf Twitter (heute X) einen Staatsanwalt (37) als „Agent Provocateur“ dargestellt haben, so der Vorwurf der zuständigen Anklagebehörde in Chemnitz, als jemanden, der Straftaten provoziert habe.

Am 3. Juni 2023 wollte sich die linke Szene zum „Tag X“ in der Messestadt versammeln – als Reaktion auf die Verurteilung von Mitgliedern der linksextremistischen „Hammerbande“ um die Leipziger Studentin Lina E. Eine große Antifa-Demo untersagte die Stadt wegen „unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“. Kasek fungierte an jenem Tag als Leiter eines Aufzugs für Versammlungsfreiheit. Die Lage eskalierte, Polizisten wurden durch Steine und Böller verletzt. Schließlich wurde die Demo aufgelöst und Einsatzkräfte kesselten die Menschenmenge für weitere polizeiliche Maßnahmen ein.

Später tauchte das abfotografierte Standbild eines YouTube-Livestreams in sozialen Netzwerken auf. Die Aufnahme zeigt einen vermummten Staatsanwalt mit einer gleichfalls maskierten Kriminalbeamtin. „Mitten im schwarzen Block dabei, der für die Eskalation sorgte ein Staatsanwalt“, twitterte Kasek am Abend des 20. Juni (Interpunktion im Original). Und: „Der ermittelnde Staatsanwalt, der mutmaßlich die Reihe von rechtswidrigen Maßnahmen zum Leipziger Kessel festlegte, begab sich vorher vermummt im Schwarzen Block Outfit in die Versammlung, die wegen Vermummung aufgelöst wurde …“

Kasek gab sich vor Gericht reumütig

Diese Aussagen Kaseks hält die Anklagebehörde für bewusst wahrheitswidrig. Er sei erst eine Stunde, nachdem die Polizei den Kessel gebildet hatte, vor Ort eingetroffen, so der betroffene Staatsanwalt vor Gericht. Weil andere User auch noch den vollen Namen des Behördenmitarbeiters und seine Privatadresse in Umlauf brachten, kam er damals aufgrund der Bedrohungslage unter Polizeischutz.

Vor Gericht gab sich Kasek reumütig. Es tue ihm aufrichtig leid, sagte er beim Verhandlungstermin vor zwei Wochen. Er würde das „so nicht noch einmal schreiben“. Mithin deutete alles darauf hin, dass am Montag der Prozess mit einem Urteil beendet werden kann.

Doch dann zog seine Verteidigerin Christiane Götschel noch einmal alle Register. Nachdem schon ihre Forderung abgelehnt worden war, den Leipziger Polizeipräsidenten René Demmler und den zuständigen Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz als Zeugen zu laden, stellte sie einen weiteren Beweisantrag.

Verteidigerin: Uneidliche Falschaussage?

Darin ging es um eine Aussage des beim „Tag X“ eingesetzten Staatsanwalts zu dessen Verhalten im Polizeikessel. Unter anderem sei zu prüfen, so Götschel, ob hier der Tatbestand der uneidlichen Falschaussage vorliege.

Die Richterin riet der Anwältin zur Vorsicht: Solche Anschuldigungen gegenüber dem Staatsanwalt könnten ebenfalls als Verleumdung oder üble Nachrede gewertet werden.

Auch dies nahm Kaseks Anwältin zum Anlass, einen Befangenheitsantrag zu stellen. Die bisherige Verhandlung erwecke den Eindruck, dass das Gericht nicht mehr unvoreingenommen entscheiden könne. Bis nächste Woche soll über den neuerlichen Antrag entschieden werden.

Wann das Verfahren beendet wird, ist offen. Klar ist nach Aussage der Anklagebehörde nur: Eine Einstellung des Verfahrens kommt angesichts der Folgen für den betroffenen Staatsanwalt nicht infrage.

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Lucas Böhme LIZ

Noch kein Ende im Prozess gegen Ex-Stadtrat Jürgen Kasek: Verteidigung sieht Richterin als befangen

Noch immer gibt es kein Urteil: Im Prozess gegen den Grünen-Politiker und Ex-Stadtrat Jürgen Kasek stellte dessen Verteidigung am Montag einen Befangenheitsantrag gegen Amtsrichterin Ute Fritsch. Der Juristin wird unter anderem vorgeworfen, sie gehe von falschen Annahmen aus und habe Beweisanträge vorschnell abgelehnt. Die Frage, ob sich Kasek der Verleumdung eines Staatsanwalts schuldig gemacht hat, bleibt vorerst offen.

Auch der dritte Verhandlungstag im Leipziger Amtsgericht brachte keine Klarheit, ob Ex-Stadtrat Jürgen Kasek wegen der mutmaßlichen Verleumdung eines Staatsanwalts verurteilt wird. Vielmehr äußerte die Verteidigung am Montag Zweifel, ob Amtsrichterin Ute Fritsch den Fall noch neutral behandelt: „Es hat sich der Eindruck verfestigt, dass die Besorgnis der Befangenheit besteht“, sagte Rechtsanwältin Christiane Götschel, die Jürgen Kasek im Prozess vertritt.

Kessel sorgte für Empörung und massive Reaktionen

Die Anklage wirft dem 44-jährigen Grünen-Politiker und früherem Leipziger Stadtrat vor, einen Staatsanwalt vor zwei Jahren verleumdet zu haben. Hintergrund war der „Tag X“: Kurz nach Verurteilung der Studentin Lina E. und weiterer Personen war eine Soli-Demonstration in der Südvorstadt wegen eines befürchteten Eskalationspotenzials verboten worden. Kasek fungierte damals als Leiter einer neu angemeldeten Versammlung.

Aus der Menschenmasse wurden Einsatzkräfte mit Böllern, Flaschen und Steinen attackiert, Beamte verletzt. Die Polizei kesselte rund 1.300 Personen auf dem Heinrich-Schütz-Platz am Kant-Gymnasium ein. Die oft Minderjährigen mussten bis zu elf Stunden und vielfach ohne Toilette, Nahrung, Wasser und Decken in der Umschließung ausharren, was im Nachgang als inhuman und unverhältnismäßig kritisiert wurde.
Anklage sieht wahrheitswidrige Aussagen

Doch war auch ein Staatsanwalt, der wegen des Verdachts auf Straftaten vor Ort war, Teil des Kessels, gar ein „Agent Provocateur“, der zu Straftaten anstachelt? Kommentare von Jürgen Kasek, die dieser während der öffentlichen Debatten auf Twitter (heute: X) verfasste, scheinen dies aus Sicht der Chemnitzer Staatsanwaltschaft zumindest nahezulegen.

So schrieb Kasek am 20. Juni beispielsweise: „Mitten im schwarzen Block dabei, der für die Eskalation sorgte ein Staatsanwalt. Wäre mir neu, dass Staatsanwälte Straftaten (hier Vermummung) begehen dürfen …“ (originaler Wortlaut). An anderer Stelle hieß es, der Justizmitarbeiter, „der mutmaßlich die Reihe von rechtswidrigen Maßnahmen zum #Leipziger Kessel festlegte, begab sich vorher vermummt im Schwarzen Block Outfit in die Versammlung, die wegen Vermummung aufgelöst wurde …“

Tatsächlich gab der heute 37-jährige Staatsanwalt in seiner Zeugenaussage vor zwei Wochen an, dass er zur Koordination prozessualer Maßnahmen wegen Straftaten ab etwa 19:30 Uhr zugegen war und sich auf Rat der Polizei eine Sturmhaube zum Schutz seiner Identität aufzog.

Im Kessel sei er aber entgegen von Kaseks Tweets nie gewesen: „Denken Sie wirklich, dass man da freiwillig als Polizist oder Staatsanwalt reingeht? Ich bin nicht lebensmüde“, sagte er aus. Auch sei er erst lange nach Bildung des Kessels eingetroffen.

Laut Kasek war es eine „allgemeine Unmutsbekundung“

Die Chemnitzer Staatsanwaltschaft hatte gegen Kasek Ermittlungen eingeleitet. Dieser äußerte inzwischen Bedauern, beruft sich zugleich darauf, den Namen des Staatsanwalts weder genannt noch dessen Identität gekannt zu haben. Er habe nie auf seine Person gezielt, sondern sprach von einer „allgemeinen Unmutsbekundung“, nachdem er sich wegen der Verletzung von Grundrechten „verarscht“ gefühlt habe.

Der heute 37 Jahre alte Staatsanwalt war später mit Namen, Foto und persönlichen Daten im Netz „gedoxxt“ worden, bekam zeitweise verstärkten Polizeischutz. Kürzlich wurde ein Sozialarbeiter in diesem Kontext erstinstanzlich verurteilt, der Berufungsprozess steht noch aus.

Richterin warnt vor unterstellter Falschaussage

Doch Kaseks Verteidigerin Christiane Götschel kritisierte unter anderem, dass das Gericht fälschlich annehmen würde, ihr Mandant sei für die Bloßstellung des Staatsanwalts im Netz verantwortlich. Beweisanträge der Verteidigung seien zudem vorschnell zurückgewiesen worden.

Am Morgen lehnte die Richterin es zunächst ab, den Leipziger Polizeipräsidenten René Demmler und Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz anzuhören. Auch ein weiterer, neu gestellter Beweisantrag der Verteidigerin stieß auf Skepsis. Dieser sollte nach ihrer Lesart Aussagen des Staatsanwalts zu seiner Position am Ort des Geschehens womöglich widerlegen.

Amtsrichterin Fritsch quittierte den Vorstoß mit Staunen: Der implizierte Vorwurf einer uneidlichen Falschaussage könne, sofern er sich als unhaltbar erweist, wiederum die Kriterien einer Verleumdung oder üblen Nachrede erfüllen, sagte sie. „Wenn dieser Beweisantrag nicht zurückgenommen wird, könnte das Folgen haben, die niemand will.“

Die Verteidigung hielt dennoch vorerst an ihrem Plan fest und zählte schlussendlich eine Reihe von Punkten auf, die dafür sprächen, Amtsrichterin Fritsch wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Bis hierüber entschieden ist, setzte die Juristin einen weiteren Verhandlungstag an. Neuer Termin: 27. Juni.