Vorwürfe gegen Jürgen Kasek im Verleumdungsprozess: „Sie stellen sich dar, als wären Sie das absolute Opfer“

Er soll einen Staatsanwalt wegen einer Demo beim „Tag X“ vor zwei Jahren als möglichen Provokateur von Straftaten verleumdet haben: Der Grünen-Politiker, Ex-Stadtrat und Aktivist Jürgen Kasek weist den Vorwurf zurück. Bei der stundenlangen Zeugenvernehmung des betroffenen Justizmitarbeiters ging es im Leipziger Amtsgericht zuweilen hitzig zur Sache.

Die fast dreistündige Auseinandersetzung zwischen einem verantwortlichen Staatsanwalt und Jürgen Kasek am Montag im Leipziger Amtsgericht hatte es in sich. Letzterer, 44-jähriger Aktivist, früherer Rechtsanwalt und Ex-Stadtrat der Grünen, steht seit 22. Mai wegen Verleumdung vor dem Amtsgericht.

Leipzig war am Tag X im Ausnahmezustand

Laut Anklage hatte Kasek den Justizbediensteten vor zwei Jahren nach dem Demo-Samstag zum sogenannten Tag X in Leipzig fälschlich in die Nähe eines „Agent Provocateurs“ gerückt, also einer Person, die zu Straftaten animieren soll. In einer Nachricht vom 20. Juni 2023 auf Twitter (heute: X) schrieb der bekannte Aktivist beispielsweise: „Mitten im schwarzen Block dabei, der für die Eskalation sorgte ein Staatsanwalt. Wäre mir neu, dass Staatsanwälte Straftaten (hier Vermummung) begehen dürfen …“ (originaler Wortlaut, Anm. d. Red.).

Zuvor hatte ein Journalist getwittert, dass der Justizvertreter und eine Kriminalbeamtin vermummt „am Rande des Geschehens“ waren. Mit seinen eigenen Statements, für die Chemnitzer Staatsanwaltschaft bewusste Lügen, soll Kasek die korrekte Formulierung des Reporters mit unzutreffendem Inhalt versetzt haben.

Nach der Verurteilung von Studentin Lina E. und dreier Mitangeklagter in Dresden war es am 3. Juni 2023 in der Leipziger Südvorstadt zu einer großen Menschenansammlung gekommen. Eine Soli-Demonstration hatte die Stadt Leipzig aus Sicherheitsgründen untersagt, woraufhin Kasek als Anmelder einer neuen Demo für Versammlungsfreiheit fungierte. Aus dieser heraus hatten Vermummte am frühen Abend die Polizei mit Steinen, Falschen und Pyrotechnik attackiert, Beamte wurden verletzt.

In einer höchst umstrittenen Reaktion wurden daraufhin rund 1.300 Personen, darunter viele unter 18-Jährige, bis zu elf Stunden auf dem Heinrich-Schütz-Platz eingekesselt. Zahlreiche Verfahren sind eingestellt worden.
Damaliger Staatsanwalt war vermummt am Einsatzort

Dass er seinerzeit vor Ort war, bestätigte der damals zuständige Staatsanwalt am Montag im Zeugenstand. Der 37-Jährige hatte am 3. Juni 2023 Bereitschaft, zeichnete im Führungsstab eines Einsatzabschnitts für strafprozessuale Maßnahmen verantwortlich. Ab etwa 19:30 Uhr war der Justizmitarbeiter am Alexis-Schumann-Platz, als die Versammlung aufgelöst war und Meldungen über Bewurf gegen Polizeikräfte den Führungsstab erreicht hatten. Ein Verdacht unter anderem auf Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung habe nahegelegen.

Der Einsatzleiter hätte ihm massive Gewalt geschildert, daher zur Sicherheit die Nutzung polizeilicher Sturmhauben nahegelegt: „Im Nachgang kann man das diskutieren. Aber in dem Moment habe ich mich sicher gefühlt, dass man meine Identität nicht erkennen kann.“

Entgegen dem Kasek-Tweet habe er sich zu keiner Zeit in der Menge aufgehalten, sagte der Zeuge. Nie hätte er sich ausgemalt, als Provokateur von Straftaten hingestellt zu werden. Nachdem seine Anwesenheit herausgekommen war, seien Verschwörungstheorien ins Kraut geschossen, wonach staatliche Unruhestifter in der Menge agiert hätten.

Doxxing und Polizeischutz

Später, so der 37-Jährige, wurde er gedoxxt, wobei ein Porträtbild, seine Anschrift, private Details und Aktivitäten im Netz kursierten. An seiner Adresse habe es zwei Wochen gezielte Schutzmaßnahmen gegeben, die Polizei sei monatelang Streife gefahren, er habe zeitweise nicht geschlafen und Angst gehabt, erklärte der Mann. Ein Sozialarbeiter wurde in diesem Kontext erstinstanzlich verurteilt, der Prozess geht in Berufung.

Den jetzt Angeklagten kritisierte der Zeuge heftig dafür, „sich hier darzustellen, als wären Sie das absolute Opfer.“ Mit seinen falschen Tweets habe Kasek inmitten der aufgeheizten Debatte noch Öl ins Feuer gegossen und besitze selbst heute nicht die Größe für eine Entschuldigung, ging er Kasek direkt an.

Kasek: Wurde selbst bedroht

Zeitweise drohte die fast dreistündige Diskussion im Gerichtssaal derart zu eskalieren, dass Amtsrichterin Ute Fritsch eine Pause anordnete, damit sich die Gemüter beruhigen könnten. Kasek und seine Anwältin äußerten Bedauern für das Doxxing des Staatsanwalts. Der Angeklagte wies aber auch darauf hin, als Anmelder nach der Demo selbst ins Visier von Drohungen aus der Szene geraten zu sein. Als „einfacher Bürger“ habe er keinen Polizeischutz gehabt.

Zu seinem Tweet wiederholte der 44-Jährige in Richtung des Betroffenen, seine Identität nicht gekannt und nie seinen Namen genannt zu haben: „Es sollte nicht Sie treffen. Es war eine allgemeine Unmutsbekundung.“ Auch Verteidigerin Christiane Götschel hatte die Möglichkeit einer „generellen Unmutsäußerung in einer sehr zynischen Form“ ins Spiel gebracht. Sie beantragte, am nächsten Verhandlungstag Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz sowie Leipzigs Polizeipräsidenten René Demmler als Zeugen zu vernehmen.

Der Prozess wird am 16. Juni fortgesetzt.