Urteil zu Versammlungsfreiheit: Plastikfolie ist keine Schutzbewaffnung

Ein Demonstrant hatte sich bei einem Protest mit einer Overheadfolie vor Pfefferspray geschützt. Dafür wurde er von deutschen Gerichten wegen „Schutzbewaffnung“ verurteilt.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht in den Urteilen einen Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat nach einem zehn Jahre dauernden Rechtsstreit einem Demonstranten Recht gegeben, der bei den Protesten gegen die Europäische Zentralbank im Jahr 2015 ein selbstgebasteltes Visier in Form einer Plastikfolie dabei hatte – und dafür in Deutschland verurteilt worden war.
Die deutschen Gerichte hatten die Plastikfolie als sogenannte Schutzbewaffnung eingestuft. Dies sah das Europäische Gericht nun anders: Die deutschen Gerichte hätten nicht dargelegt, warum das Tragen eines provisorischen Visiers eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle.
Rechtsanwalt Mathes Breuer, der den Demonstranten verteidigt hatte, sagt: „Das heutige Urteil stärkt die Versammlungsfreiheit. Wer auf Versammlungen nur sich selbst schützen will, ohne jemanden zu gefährden, darf deshalb nicht bestraft werden. Der Gesetzgeber muss nun das Urteil umsetzen und das Versammlungsgesetz dringend reformieren.“
„Urteil stärkt die Versammlungsfreiheit“
Laut dem Anwalt hatte das Bundesverfassungsgericht im März 2020 eine Klage seines Mandanten Benjamin Ruß abgelehnt. Der reichte daraufhin im September 2020 Klage in Straßburg ein. Zuvor war er durch das Landgericht Frankfurt wegen Schutzbewaffnung auf einer Kundgebung zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte das Urteil damals bestätigt.
Die Frankfurter Staatsanwaltschaft hatte dem Demonstranten die Konstruktion aus einer Overhead-Folie und einem Gummiband als sogenannte Schutzbewaffnung ausgelegt. Der EGMR stellte nun fest, dass die Urteile gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen.
Das Urteil könnte laut dem Klagenden und seinem Anwalt Auswirkungen auf die Versammlungsfreiheit in Deutschland haben. In der Pressemitteilung heißt es, dass die Mehrheit der deutschen Gerichte § 17a Absatz 1 des Versammlungsgesetzes bisher dahingehend interpretiert habe, dass jeder Gegenstand, mit dem sich Versammlungsteilnehmer schützen wollen, verboten sei – unabhängig davon, ob andere dadurch gefährdet werden oder nicht.
Dieser Ansicht habe der EGMR eine deutliche Absage erteilt und festgestellt, dass diese Interpretation gegen die Versammlungsfreiheit der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoße.
Kritik an Pfeffersprayeinsätzen
Die Praxis der Plastikfolien mit Gummiband war eine Zeit lang bei Aktionen des zivilen Ungehorsams üblich, um sich vor Pfefferspray durch die Polizei zu schützen. Der Einsatz von Pfefferspray gegen Demonstrierende wird seit Langem von Menschenrechtsorganisationen kritisiert. Amnesty International monierte unter anderem den unverhältnismäßigen Einsatz der Reizstoffe.
In kriegerischen Auseinandersetzungen ist der Einsatz von Pfefferspray laut dem Genfer Protokoll verboten. Anders ist die rechtliche Situation beim Gebrauch durch die Polizei gegen Zivilisten in Deutschland. Er ist recht lax geregelt, wird häufig rechtswidrig eingesetzt und es gibt zudem unzureichende Dokumentationspflichten für die Beamt:innen. Dabei können die chemischen Stoffe gefährliche gesundheitliche Schäden verursachen.
Das kritisiert auch Benjamin Ruß: „In Deutschland gilt Straffreiheit für Polizeibeamte, die Pfefferspray auf Versammlungen völlig willkürlich einsetzen. Mit diesem Urteil wird klargestellt: Schutz gegen Polizeiwillkür ist ein Menschenrecht.“
Quelle: https://netzpolitik.org/2025/urteil-zu-versammlungsfreiheit-plastikfolie-ist-keine-schutzbewaffnung/