Wegen hoher Wohnkosten: Bedürftige in Leipzig werden zum Sparen gedrängt
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Wer wenig Geld hat, kann in Leipzig schnell Probleme bei den Wohnkosten bekommen. Die Erstattungssätze sind zu niedrig, kritisieren Betroffene. Sie würden vom Amt zum Sparen aufgefordert – das sei absurd.
Die Kaltmiete soll nicht höher als 5,74 Euro pro Quadratmeter liegen. An Heiz- und Betriebskosten kommen noch 3,31 Euro pro Quadratmeter dazu. Macht 9,05 Euro, die eine alleinerziehende Mutter mit Kind erhält, wenn das Leipziger Jobcenter oder das Sozialamt ihre Wohnkosten übernimmt.
Kosten der Unterkunft (KdU) heißt der Grenzwert in der Fachsprache. Je nach Größe des Haushalts ändern sich die Sätze ein wenig. In begründeten Ausnahmefällen darf das Amt bis zu zehn Prozent mehr genehmigen. Gleich bleibt jedoch, dass viele Betroffene den Grenzwert selbst für grenzwertig halten. Er sei viel zu niedrig.
Behörden verlangen die Betriebskostenabrechnung
Zum Beispiel stehen zwei Personen bis zu 60 Quadratmeter und eine Warmmiete von 542,81 Euro zu. Wer darüber liegt, bekommt schnell Post vom Amt, dass er die Kosten senken soll. Andernfalls drohten Kürzungen, bei groben Verstößen gar die komplette Streichung des Geldes. Derzeit würden viele solcher Briefe verschickt, berichten Betroffene gegenüber der Leipziger Volkszeitung. Denn zum Jahresende treffen die Betriebskostenabrechnungen ein. Sie müssen der Behörde zur Prüfung vorgelegt werden.
Meist wollen die Betroffenen anonym bleiben, weil Ihnen die Briefe Angst machen. So heißt es in einem Schreiben: „Unter Beachtung aller bekannten Umstände war festzustellen, dass die Heiz und Warmwasserkosten durch unwirtschaftliches Verhalten herbeigeführt wurden. Sie werden daher aufgefordert, die durch Sie beeinflussbaren Kosten ab sofort auf die angemessenen Bedarfe zu senken.“
Das dürfte kaum möglich sein, weil die Ursache der gerügten Überschreitung laut Bewohnern nicht in einem Mangel an Sparsamkeit liegt. Vielmehr sei die teilsanierte Wohnung ein paar Quadratmeter zu groß für das, was die Vorschriften zwei Menschen zubilligen. Früher glichen das die Bewohner durch extreme Sparsamkeit beim Heizen und dicke Pullover aus. Nun gehe das nicht mehr – vor allem, weil sich die Fernwärmepreise von 2022 zu 2024 mehr als verdoppelt haben.
Tipps zu den Fernwärmepreisen hat das Jobcenter in dem Brief nicht auf Lager. Stattdessen heißt es, Einsparungen ließen sich „durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise“ erzielen. Empfohlen wird dazu eine Energiesparberatung. Wer neu in die Sozialsysteme rutscht, genießt bei den Wohnkosten zunächst zwölf Monate Schutzzeit. Doch danach wird genau geprüft – und eine Überschreitung „in der Regel längstens für sechs Monate“ geduldet.
Umzug bei Pflegebedarf der Kinder keine Option
In den Ohren der Empfänger klingt das alles absurd. Eine freie Wohnung zu finden, die billiger ist, sei in aller Regel ebenso unrealistisch wie die Idee, man könne als Bürgergeld-Empfänger noch ein Zimmer untervermieten, um die Kosten zu drücken. „Ich selbst bin alleinerziehend mit zwei Kindern mit Pflegebedarf und gezwungen, seit Jahren in einer viel zu kleinen Wohnung zu leben“, schildert eine andere Betroffene. Sie heißt Michaela Berg und hat gerade eine Petition gestartet.
Die Stadt Leipzig solle die Grenzwerte bei den Kosten der Unterkunft deutlich erhöhen, fordert Berg. „Ein Umzug in eine angemessene Wohnung scheitert am festgelegten Rahmen. Ortswechsel sind für mich aufgrund des Pflegebedarfs meiner Kinder und eines dringend notwendigen, gefestigten sozialen Umfelds keine Option.“
Vielen anderen Leipzigerinnen und Leipzigern gehe es ähnlich. „Betroffene finden schlicht keinen Wohnraum, der zu den aktuellen KdU-Werten passt.“ Die wurden das letzte Mal zum 1. Januar 2024 angepasst, seien aber zu gering. „Es kann nicht sein, dass Menschen durch veraltete Richtwerte in unzumutbaren Wohnsituationen verharren müssen oder gezwungen sind, aus eigener Tasche die Differenz zu den tatsächlichen Mietkosten zu zahlen – und das bei ohnehin knappen finanziellen Mitteln.“
Das sieht Linke-Stadträtin Juliane Nagel ganz genauso. Sie hat schon mehrfach von der Stadtverwaltung Verbesserungen bei dem Thema verlangt. Auf eine Anfrage ihrer Fraktion im vergangenen Herbst legte das Sozialamt dar, es gebe immerhin stets eine gewisse Zahl von freien Wohnungen im Stadtgebiet, die den KdU-Vorgaben entsprechen. Zum Beispiel seien es in den drei Monaten von April bis Juni 2024 insgesamt 286 Wohnungen gewesen – vor allem mit zwei oder drei Räumen und oft in den Großsiedlungen aus DDR-Zeiten gelegen.
Hohe Anhebung würde nur Hausbesitzern helfen
Die Linke-Politikerin hält solche Zahlen für kaum aussagekräftig, weil sich um besonders günstige Quartiere auch andere Gruppen bewerben würden – wie Geringverdiener oder Studierende. Folglich sei es eine Zumutung, wenn KdU-Betroffenen mit dem Verlust ihres Zuhauses gedroht wird, so Nagel.
„Wir fordern Stadt und Jobcenter auf, die Kostensenkungsaufforderungen zu unterlassen und die tatsächlichen Wohnkosten zu übernehmen.“ Das wäre billiger für die Kommune als wenn Bedarfsgemeinschaften in Mietschulden und andere Probleme geraten. Der hohe Verwaltungsaufwand solcher Prüfungen bis hin zu Widerspruchs- und Klageverfahren rechne sich unterm Strich nicht, sagt sie.
Das Sozialamt argumentiert dem entgegen, ein vorzeitiges Anheben der KdU-Sätze nütze nur den Hausbesitzern, ändere jedoch nichts an den Problemen. „Eine überproportionale Anhebung der Richtwerte führte nur für wenige Tage zu einer Ausweitung des verfügbaren angemessenen Wohnungsangebotes, da die Vermieterinnen und Vermieter ihre Miete sofort an die neuen Richtwerte anpassen“, heißt es in der Antwort an die Linken. „Dieser Effekt war in der Vergangenheit bei jeder Anhebung der Richtwerte für die Kosten der Unterkunft zu beobachten.“
Im Ergebnis würden alle Mieten in Leipzig umso schneller steigen, erklärt das Sozialamt weiter. „Das insgesamt verfügbare Wohnungsangebot steigt hingegen nicht, da immer nur die Wohnungen angeboten werden, die gerade leer stehen.“ Folglich sei es am besten, die Richtwerte immer dann anzupassen, wenn gerade ein neuer Mietspiegel für Leipzig erstellt wurde. „Der nächste Mietspiegel soll im Juni 2025 veröffentlicht werden.“ Die KdU-Anpassung folge voraussichtlich im Herbst.
Entscheidend ist Verbrauchsmenge – nicht der Preis
Übrigens weisen sowohl das Sozialamt als auch das Jobcenter in einigen Veröffentlichungen darauf hin, dass die Angemessenheit der Heizkosten bei den KdU-Haushalten gar nicht von den Preisen für Fernwärme oder Gas abhängen würden. Es gehe „grundsätzlich nicht um die Kosten pro Einheit, sondern um die Angemessenheit der dokumentierten Verbrauchswerte“.
Anders gesagt: Wenn der in Euro ausgewiesene Nichtprüfungsgrenzwert überschritten wird, folgt immer eine Einzelfallprüfung. Bei der ist die Menge der verbrauchten Kilowattstunden entscheidend – nicht der dafür gezahlte Preis.
Freilich hilft das auch nichts, wenn die Wohnung besonders schlecht gedämmt oder ein paar Quadratmeter zu groß ist. Betroffene könnten dann noch Sonderanträge stellen auf einmalige Mietzuschüsse oder Kostenübernahmen in besonderen Notfällen – Ausgang ungewiss.
Vor allem findet sich in den Briefen mit der Aufforderung zur Kostensenkung, die der Leipziger Volkszeitung vorliegen, kein klarer Fingerzeig auf die wichtige Rolle der Verbrauchsmenge oder auf einmalige Hilfen. Da steht nur völlig verwirrend: „Grundlage für die Bestimmung der Angemessenheit (Nichtprüfungsgrenze) ist der aktuelle Heizspiegel.“ Der ist tatsächlich völlig veraltet, beruht noch auf den Daten von 2021 – als Leipzig sehr niedrige Fernwärmepreise hatte. Zum Glück wurden die KdU-Grenzwerte bei den Heizkosten seitdem zweimal erhöht.