Prozess fällt kurzerhand aus: Urteil gegen JVA-Beamten neun Jahre nach Connewitz-Überfall weiterhin in der Schwebe

Im Januar 2025 jährt sich der Überfall hunderter Neonazis und Hooligans auf Connewitz zum neunten Mal. Doch ein rechtskräftiges Urteil gegen einen JVA-Beamten, der damals Teil des Aufzugs gewesen sein soll, lässt nach jahrelangem Justizmarathon weiter auf sich warten: Ein Prozesstermin am Landgericht fiel Dienstag aus.

Er war Justizbeamter im sächsischen Strafvollzug, als er im Zuge des Überfalls Rechtsradikaler auf Connewitz am Abend des 11. Januar 2016 von der Polizei festgesetzt wurde: Doch auch rund neun Jahre später gibt es weiterhin kein rechtskräftiges Urteil gegen Kersten H., der zuletzt im Juni 2023 wegen schweren Landfriedensbruchs verurteilt worden war.

Gesundheitliche Probleme auf Seiten Verfahrensbeteiligter sollen der Grund sein, dass eine geplante Verhandlung im Landgericht Leipzig am Dienstagmorgen abgesagt wurde. Damit bleibt vorerst unklar, ob Kersten H. einen endgültigen Schuldspruch erfährt und damit möglicherweise auch um seine berufliche Zukunft bangen muss.
Traumatisches Ereignis bis heute

Zuletzt hatte das Landgericht den damals 37-Jährigen am 8. Juni 2023 des schweren Landfriedensbruchs für schuldig befunden. Aus Sicht der Kammer bestanden keine Zweifel, dass Kersten H. zur über 250 Mann starken Neonazi- und Hooligan-Gruppierung gehört hatte, die am Abend des 11. Januar 2016 eine Schneise der Verwüstung in Leipzig-Connewitz anrichtete.

Passanten wurden damals bedroht und eingeschüchtert, Geschäfte und Autos im Szenekiez attackiert, ein Sachschaden von etwa 113.000 Euro angerichtet. Polizeikräfte konnten, während sich viele Connewitzer zum Protest gegen den ersten Jahrestag der rechten Legida-Bewegung im Zentrum aufhielten, mehr als 200 der zumeist ortsunkundigen Angreifer einkesseln und festsetzen. Es ist ein traumatisches und brutales Ereignis, das sich tief ins kollektive Gedächtnis nicht nur der Stadtteil-Bewohner eingebrannt hat.

Auch die Personalien von H. wurden damals zwar aufgenommen. Dennoch fiel der JVA-Beamte zunächst durch das Behördenraster, konnte weiterhin seinen Dienst hinter Gittern versehen und bewachte sogar inhaftierte Neonazis. Das änderte sich erst Anfang 2019, als sich H. kurz vor einem angesetzten Gerichtstermin bei seinem Chef offenbaren musste – es folgte die Suspendierung.

Endloser Justizmarathon gegen Verdächtigen

Anschließend kam es zu einem zermürbenden Justizmarathon: Prozesstage gegen Kersten H. wurden kurzfristig abgeblasen, wie etwa im Januar 2020, als der suspendierte Aufseher nicht vor dem Leipziger Amtsgericht erschien und selbst seinen Anwalt sitzen ließ. Die Corona-Zeit machte die Terminfindung nicht einfacher. Erst im Februar 2022 gab es ein Urteil des Amtsgerichts: ein Jahr und drei Monate Haft auf Bewährung wegen schweren Landfriedensbruchs.

Die Verteidigung hatte dagegen auf Freispruch plädiert, weil die Beweislage keinen Tatnachweis hergebe. Sie legte daher Rechtsmittel ein, ebenso wie die Staatsanwaltschaft. Für letztere war das Strafmaß zu milde und werde dem Unrechtsgehalt der Tat nicht gerecht.

Kersten H.s Verteidiger Helmut-Hartwig Heuer hatte Zweifel am Standort seines Mandanten während des Tatgeschehens geltend gemacht. In der Tat war Kersten H. auch auf keinem der Polizeivideos klar zu identifizieren, zudem konnten ihm selbst keine Gewalthandlungen nachgewiesen werden.

Laut Rechtsprechung reicht es aber für eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs aus, wenn man sich aus einem gewalttätigen Aufzug nicht entfernt und ihn insoweit in seinem Tun bestärkt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kersten H. nach dem orchestrierten Überfall quasi zufällig in die Fänge der Polizei geriet, wurde als äußerst gering eingeschätzt.

Noch kein neuer Termin bekannt

Letztlich fiel die Strafe am Landgericht dann 2023 sogar noch etwas höher aus: ein Jahr und fünf Monate mit Bewährung. Für Kersten H., der zuletzt zu den Vorwürfen geschwiegen hatte, ist dies vor allem deswegen heikel, weil er bei einer Verurteilung zu über einem Jahr zwingend seinen Beamtenstatus verliert. Kurz nach dem letzten Urteil legte er wiederum Revision ein, der vom Oberlandesgericht stattgegeben wurde.

Der Ausfall der heutigen Verhandlung vor einer anderen Kammer des Landgerichts Leipzig schiebt die Entscheidung allerdings nur, wieder einmal, in die Zukunft: Da das letzte Urteil gekippt ist, müsse zwingend eine neue Entscheidung her, so Gerichtssprecher Johann Jagenlauf auf LZ-Anfrage. Ein neuer Termin ist bislang nicht bestimmt.

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Juliane Nagel 9.01.2025

Neun Jahre danach ist der Neonazi-Angriff auf Connewitz juristisch beinahe aufgearbeitet – gesellschaftlich aber bei weitem nicht

Am 11. Januar 2016 – vor nunmehr neun Jahren – überfiel ein Mob von mehr als 250 Neonazis den links-alternativen Leipziger Stadtteil Connewitz, attackierte Menschen und zerstörte zahlreiche Läden und Kneipen. Noch heute beschäftigt dieser Angriff die Justiz.

Laut der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Leipziger Linken-Abgeordneten Juliane Nagel sind 209 von 217 Beschuldigten rechtskräftig verurteilt, in zwei Fällen gibt es noch kein erstinstanzliches Urteil (Drucksache 8/551).

So läuft weiter das Verfahren gegen den Justizbeamten Kersten H. Dieser hatte trotz Ermittlungsverfahren drei Jahre weiter in Justizvollzugsanstalten gearbeitet. H. hatte Rechtsmittel eingelegt, im Dezember 2024 fiel der Revisionsprozess erneut aus.

Zur Aufarbeitung kommentiere ich:

„Der organisierte Neonazi-Angriff auf Connewitz richtete sich gezielt gegen ein linksalternatives Viertel und dessen Bewohnerinnen und Bewohner – in einer Zeit, als in Sachsen und bundesweit fast täglich Aufmärsche und Angriffe der extremen Rechten stattfanden. Neun Jahre später sind immer noch nicht alle Prozesse beendet. Auch abseits der langwierigen juristischen Aufarbeitung beschäftigt der Überfall viele Menschen in Leipzig, die mit den Tätern konfrontiert sind. Ein Beispiel ist die Auseinandersetzung im Leipziger Westen um den Bezirksschornsteinfeger Christian S., der in Wohnungen und Hausprojekte von Menschen geht, die sich als nicht-rechts verorten.

Hausbewohnerinnen und Hausbewohner müssen erdulden, dass ein verurteilter Beteiligter am koordinierten Naziangriff ihre Wohnungen betritt. Ihr juristischer und praktischer Protest war erfolglos. Ich kann die Entscheidung der Landesdirektion und der Stadt nicht nachvollziehen, ihm die Tätigkeit im betroffenen Gebiet weiter zu ermöglichen.

Obwohl inzwischen fast alle Tatverdächtigen verurteilt sind, bleiben Fragen offen. Strukturermittlungen gegen die Drahtzieher gab es nicht. Vielmehr erleben wir seit Jahren träge und teils irritierende Verfahren. In der Regel liefen diese nach dem gleichen Schema ab:

Die Angeklagten machten halbherzige Einlassungen und behaupteten, nichts von dem geplanten Angriff gewusst zu haben. Dafür wurden sie mit milden Strafen ,belohnt‘. Das Gros der Beteiligten sagte aus, ganz hinten mitgelaufen zu sein, eigentlich nichts mit dem Angriff zu tun gehabt oder gar mit der rechten Szene gebrochen zu haben.

Unglaubwürdig ist dies vor dem Hintergrund, dass viele von ihnen zu organisierten Strukturen gehörten. Keiner sagte zu Hintergründen des Angriffs aus. So ist es nicht verwunderlich, wenn Neonazis für ihre Gewalttaten keine Konsequenzen befürchten und erneut bei rechten Aufmärschen und Straftaten in Sachsen in Erscheinung treten.“