Irrwege und Kehrtwenden der Leipziger Staatsanwaltschaft um das Vermummungsverbot

Die eigenwilligen Auslegungen des sächsischen Versammlungsgesetzes und darin enthaltenen
Vermummungsverbotes durch die Leipziger Staatsanwaltschaft sind seit kurzem um eine Episode reicher.

Wir berichteten kürzlich auf unseren social Media Kanälen von einer Berufungsverhandlung eines Chemiefans, vertreten von Rechtsanwalt Daniel Werner. Ihr wurde vorgeworfen sich beim Derby am 07.05.2022 für eine kurze Zeit während des Abbaus einer Choreografie vermummt zu haben. Die Staatsanwaltschaft Leipzig hatte deswegen einen Strafbefehl über eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen erwirkt.

Dann kam es zum September 2024 zu einer Gesetzesänderung: die Strafbarkeit von Vermummungen auf „sonstigen öffentlichen Veranstaltungen“ im sächsischen Versammlungsrecht wurde gestrichen und stattdessen neu im Sächsischen Polizeibehördengesetz geregelt. Nunmehr erfordert diese jedoch dem klaren Wortlaut nach eine vorherige Anordnung. Eine solche hatte es beim Derby im Mai 2022 nicht gegeben.

Für Altfälle gilt nun: das neue Gesetz ist milder und damit anzuwenden.
So sah das im konkreten Fall auch das Landgericht Leipzig und sprach Rechtsanwalt Werners Mandantin frei. Oberstaatsanwalt Schulz vertrat hierzu eine gänzlich andere Meinung. So blieben wir unserem Statement auch skeptisch, ob das Verfahren hier nun sein Ende finden würde und schrieben:

„Wir freuen uns mit Anne* über ihren Freispruch und sind wenig verwundert über die Haltung der Leipziger Staatsanwaltschaft, die in ihrem Verfolgungseifer auf Biegen und Brechen Verfahren gegen Chemiefans in offensichtlicher Verkennung der Rechtslage weiterbetreibt. Ob die in unseren Augen eigentlich klare Rechtsfrage letztendlich vom OLG entschieden werden muss, wird sich zeitnah zeigen.“

Wie es hiermit weiter ging, dazu gleich mehr, doch zunächst, mögen sich unvoreingenommene Leser*innen vielleicht fragen, woher unsere Skepsis hinsichtlich der eintretenden Rechtskraft des Landgerichtsurteils beruht?

Vorgeschichte: Derby 2017

Die Leipziger Staatsanwaltschaft und der Verstoß gegen das Vermummungsverbot bei Fußballspielen – das hat eine Vorgeschichte. Bereits im Jahr 2017 – ebenfalls Derby, diesmal in Probstheida – verfolgte ebendiese vermeintliche Vermummungen rigoros. Im Bruno-Plache-Stadion war damals mehrmals Pyrotechnik im Gästeblock gezündet worden. Um sich vor der Rauchentwicklung zu schützen, hatten die Angeklagten für wenige Minuten mittels Schals ihren Mund und ihre Nase bedeckt. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft sollte es für eine Strafbarkeit allein auf die Tatsache der Vermummung ankommen. Eine Absicht durch die Vermummung die Feststellung der Identität verhindern zu wollen, darauf käme es gar nicht an. Dass diese Auffassung im Gegensatz zum Wortlaut und Sinn und Zweck steht – geschenkt.

Damals erfolgten Einstellungen und Freisprüche teils in erster, teils in zweiter Instanz. Doch damit nicht genug: die StA legte Revision ein und die Angelegenheit ging bis vor das OLG. Sie endete – na klar: mit Freispruch. (siehe auch Pressemitteilung des Rechtshilfekollektivs vom 15.01.2021) Unsere Sorge hatte somit einen begründeten Hintergrund und wie sich herausstellte: zu Recht.

Denn auch im Falle diverser Derby-Vermummungen 2022 legte die Staatsanwaltschaft erneut Revision ein. Trotz der doch eigentlich klaren Rechtslage.

Ausgang der aktuellen Verfahren – Würde das OLG also erneut entscheiden müssen?

Erstaunlicherweise endete diese kuriose Episode diesmal nun anders. In Rechtsanwalts Werners Verfahren teilte das Gericht kürzlich mit, dass die Staatsanwaltschaft die Revision zurückgenommen habe. Wie und warum es zur Einsicht kam, können wir nur mutmaßen. Jedenfalls ist Annes* Urteil somit rechtskräftig.

Rechtsanwalt Daniel Werner hierzu: »Mit der Rücknahme der Revision hat die StA Leipzig gerade noch so die Kurve gekriegt. Bei einer Gesetzesänderung im laufenden Strafverfahren ist das mildere Gesetzanzuwenden. Das ist im Strafgesetzbuch und im Grundgesetz klar geregelt. Wenn dies über weite Strecken des Verfahrens abgelehnt wird, scheint es bei der StA Leipzig Probleme mit der Akzeptanz des liberalen Rechtsstaates zu geben.«

Dies hat Folgewirkung für weitere Altfälle. Auch die Fananwälte Erkan Zünbül und Jonas Teubner beantragten in ihren jeweiligen Verfahren Einstellungen nach § 206b StPO. Die Verfahren wurden jeweils kürzlich eingestellt. Sicher betrifft dies nun auch weitere Verfahren, die vor dem 01.09.2024 eingeleitet worden sind.

Somit können wir die in unserem letztem Beitrag zur Thematik aufgeworfene Frage mit nein beantworten, auch wenn der Weg dahin doch etwas holprig war. Hierzu haben wir auch eine Presseinformation veröffentlicht. Schaut doch mal rein.

Presseinformation des Rechtshilfekollektiv Chemie Leipzig e.V. 9. Januar 2025

• Landgerichtsurteil zum Thema »kurzzeitige Vermummung« bestätigt
• Zahlreiche Einstellungen in Derbyverfahren aufgrund neuer Gesetzeslage
• Staatsanwaltschaft Leipzig nimmt Revision vor dem OLG zurück und beugt
sich liberalen Rechtsstaatsgrundsätzen

Nicht jede Vermummung bei Fußballspielen in Sachsen ist strafbar. Mehrere Fans der BSG Chemie haben zusammen mit ihren Anwältinnen und Anwälten richtungsweisenden Urteile bzw. Einstellungen erstritten.
Demnach ist nach der Novellierung des Sächsischen Versammlungsgesetzes bei Sportveranstaltungen die »kurzzeitige Vermummung« unter bestimmten Umständen nicht strafbar – das gilt insbesondere für Altfälle.

Mehrere Verfahren, so etwa von den Rechtsanwälten Daniel Werner, Jonas Teubner und Erkan Zünbül, die alle vermeintliche Straftaten wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz vom Derby des 8. Mai 2022 betrafen, endeten nunmehr mit Freisprüchen oder Einstellungen. In besagten Fällen sollen sich einzelne Fans vor oder
während des Spiels temporär vermummt haben. Beispielweise wurde einem Fan, die auch Mitglied der Fanhilfe ist, vorgeworfen, sich kurze Zeit während des Abbaus einer Choreografie vermummt zu haben. Monatelang hatte die Leipziger Staatsanwaltschaft dazu mit hohem Aufwand ermittelt, u.a. wurden sogenannte Super-Recognizer und verdeckte Ermittler im Stadion eingesetzt. Der überbordende Ermittlungseifer des zuständigen
Staatsanwalts wurde durch Fananwält:innen und das Rechtshilfekollektiv bereits mehrmals in der Medienberichterstattung kritisiert.

Das Thema »kurzeitige Vermummung« bei Fußballspielen war bereits häufiger Anlass juristischer Auseinandersetzungen. »Zentral war dabei stets die Frage, ob die Person, die kurzzeitig z.B. einen Fan-Schal über die Nase zieht oder Mütze und Sonnenbrille aufsetzt, wirklich ihre Identität vor der Polizei verschleiern will. Sehr oft ist das gar nicht intendiert und hat ganz andere Gründe«, so Miriam Feldmann vom Rechtshilfekollektiv.

In den vorliegenden Fällen musste dieser Frage nicht nachgegangen werden, denn durch eine Gesetzesänderung im September 2024 änderte sich die Rechtslage: die Strafbarkeit von Vermummungen auf »sonstigen öffentlichen Veranstaltungen« im sächsischen Versammlungsrecht wurde gestrichen und stattdessen neu im Sächsischen Polizeibehördengesetz geregelt. Nunmehr erfordert diese jedoch dem klaren Wortlaut nach eine vorherige behördliche Anordnung. Eine solche hatte es beim Derby im Mai 2022 nicht gegeben. Für Altfälle gilt nun: das neue Gesetz ist milder und damit anzuwenden – eine juristische Binsenweisheit, welche die Leipziger Staatsanwaltschaft jedoch zunächst nicht einsehen wollte.

Rechtsanwalts Werners Fall ging bis vor das Landgericht und endete mit Freispruch – wir berichteten. Doch die Staatsanwaltschaft legte wie von uns bereits befürchtet Revision ein. Nun nahm Sie diese kurz vor Weihnachten zurück.

Rechtsanwalt Daniel Werner dazu: »Mit der Rücknahme der Revision hat die StA Leipzig gerade noch so die Kurve gekriegt. Bei einer Gesetzesänderung im laufenden Strafverfahren ist das mildere Gesetz anzuwenden. Das ist im Strafgesetzbuch und im Grundgesetz klar geregelt. Wenn dies über weite Strecken des Verfahrens abgelehnt wird, scheint es bei der StA Leipzig Probleme mit der Akzeptanz des liberalen Rechtsstaates zu geben.«

Wir freuen uns mit den betroffenen Chemie-Fans und ihren Rechtsbeiständen über die Freisprüche. Die Kosten der Verfahren übernimmt die Staatskasse.