Energieproduktion, -verbrauch und Klimakrise in Deutschland

Hiermit veröffentlichen wir den dritten Teil unserer Texte „Zum schlechten Zustand der Welt“. Diesmal haben wir unseren Blick in die Welt auf Energieproduktion, -verbrauch und Klimakrise in Deutschland gerichtet.

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Einer der Erfolge von Bewegungen wie Fridays for Future und anderen war es, dem Thema Klimawandel ab 2019 zu einer zentralen Bedeutung in der Öffentlichkeit zu verhelfen. Auch bei der Bundestagswahl 2021 spielte der Klimawandel noch eine herausgehobene Rolle. Es ging jetzt nicht mehr um eine – von vielen lediglich als abstrakt angesehene – Verantwortung der Menschen für die Bewahrung der Natur, sondern um die Bewältigung einer drohenden zivilisatorischen Katastrophe. Eine Pandemie und einen Krieg in Europa später hat das Thema etwas an Prestige verloren. Nichtsdestotrotz, inzwischen ist der Klimawandel eines dieser Themen, zu dem jede:r eine Meinung hat, und seit 2019 haben praktisch alle großen Volkswirtschaften Netto-Null-Emissionsziele verabschiedet. Geredet wurde in der Sache zwar schon viel, aber diesmal, so scheint es, macht die bürgerliche Gesellschaft Ernst mit dem Abschied von menschengemachten CO2-Emissionen. Jede gesellschaftliche Bewegung ruft ihre Kritiker:innen auf den Plan und so ist die Energiewende – unabhängig von der Frage über das Ende der Produktion von Atomstrom in Deutschland – noch immer heftig umkämpft. Wir wollen uns im Folgenden anschauen, wie und warum fossile Energieträger sich historisch durchgesetzt haben und was sich daraus an Voraussetzungen für die Durchsetzung erneuerbarer Energien ableiten lässt. Außerdem wollen wir betrachten, was es eigentlich heißt, eine Energiewende unter den Bedingungen kapitalistischer Produktion machen zu wollen.

I.

Das Leben auf der Erde ist auf eine Energiequelle angewiesen. Die unmittelbare Energiequelle ist die Sonne. Pflanzen nutzen sie, um Biomasse aufzubauen, die Menschen und Tieren als Nahrungs- und damit als Energiequelle zum Aufbau eigener Biomasse und chemischer Energie dient. Die Menschen nutzen diese umgewandelte Energie zur Verrichtung von Arbeit durch Verausgabung eigener oder tierischer Muskelkraft.

Die erste, durch die Menschen selbst nutzbar gemachte Energiequelle ist Holz. Mit der Entwicklung der Kontrolle des Feuers erwarb der Mensch die Fähigkeit, Wärme und Licht an selbstbestimmten Orten und zu selbstgewählten Zeiten zu erzeugen. Ein Prozess, der sich von vor ca. 1,5 Millionen Jahren bis vor ca. 400.000 Jahren erstreckte. Das Verbrennen von Holz war die erste Voraussetzung für die Produktion und Verarbeitung von Metallen, die um 6.000 v. Chr. begann. Im Laufe der nächsten Jahrtausende eigneten sich die Menschen auch Wind und Wasser als weitere Energiequellen an, jedoch blieb die Verausgabung von Muskelkraft die absolut dominierende Basis der Arbeit.

Mit dem Wachstum der Bevölkerung stieg der Bedarf nach Holz und nahm die Entwaldung zugunsten von Agrikulturflächen zu. Ein Prozess, der sich besonders in Großbritannien abspielte. Die Verknappung und damit Verteuerung des Holzes stimulierte an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert den Beginn des Übergangs zur Kohle, die in Großbritannien reichlich vorhanden war. Zunächst wurde dafür einfach in Küstennähe an der Oberfläche liegende Kohle verwendet. Mit dem Schwinden dieser Vorräte folgten die Menschen den Kohleschichten landeinwärts und begannen mit dem Graben. Die Mienen wurden dabei immer tiefer. Dies führte dazu, dass die Mienen von Grundwasser geflutet wurden, was eine permanente Entwässerung nötig machte. Eine Entwicklung, die schließlich 1712 zur ersten Anwendung der Dampfmaschine führte. Für die Produktion der Dampfmaschine wurde Eisen benötigt. 1709 wurde ein Verfahren zur Eisengewinnung entwickelt, das aus Kohle gewonnenes Koks anstatt Holzkohle anwendete und die kostengünstige Produktion von Eisen ermöglichte.

Bei der Koksproduktion entsteht Kohlegas, das ab Beginn des 19. Jahrhunderts zunächst zur öffentlichen Beleuchtung von Straßen und später auch zur Beleuchtung von Fabriken sowie Haushalten der Oberschicht genutzt wurde. Die Beleuchtung in Fabriken erlaubte die Ausdehnung der Arbeitszeit. Ab dem 19. Jahrhundert entstanden zahlreiche städtische Kohlegaswerke und Verteilnetze. Diese blieben jedoch lokal beschränkt, da die technischen Voraussetzungen für einen Transport von Gas über längere Strecken nicht vorhanden waren. Trotzdem legte die Nutzung von Kohlegas den Grundstein für die spätere Anwendung von Erdgas.

Die Einführung der Dampfmaschine und ihre Modifikation für verschiedene Produktionszweige war einer der Grundsteine für die Industrialisierung der Produktion. Mit ihr verfügten die Menschen über eine von außer ihrer Kontrolle stehenden Naturkräften unabhängige Maschine. Außerdem hob die Dampfmaschine teilweise die lokalen Schranken der Produktion auf. So konnten Fabriken, die zuvor beispielsweise auf Wasserkraft angewiesen und daher auf die unmittelbare Nähe zu Flüssen beschränkt waren, nun an beliebigen Standorten errichtet und in Städten konzentriert werden.

Die Dampfmaschine war zunächst stationär. Mit der Erfindung der Dampflokomotive zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde sie praktisch mobil gemacht und erlaubte so die Industrialisierung des Transportwesens. Dies führte zum Ausbau von Schienennetzen und damit zur weiteren Erhöhung des Kohlebedarfs, einerseits für den Betrieb der Züge, andererseits für die Produktion von Eisen für das Schienennetz.

Das Aufkommen der Elektrizität am Ende des 19. Jahrhunderts war ein weiterer Ausgangspunkt für die Steigerung des Energiebedarfs. Während bei der Dampfmaschine die erzeugte Wärmeenergie direkt in eine mechanische Bewegung umgesetzt wird, wird nun diese Bewegung zunächst in Elektrizität verwandelt (Generator), die dann wieder als Energiequelle zur Erzeugung einer mechanischen Bewegung dient (Elektromotor). Mit der Erfindung des Elektromotors wurde die lokale Trennung von Energieerzeugung und -verbrauch möglich. Dies erlaubte einerseits die Elektrifizierung zahlreicher Prozesse in Produktion und Haushalten. Andererseits die Konzentration und damit die Ökonomisierung der Energieproduktion, so dass zunächst lokale und später immer größere Kraftwerke entstanden. Mit der Ausbreitung der Elektrizität entstand außerdem das entsprechende Stromnetz.

Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die Menschen bereits erstes Wissen über die chemische Verarbeitung von Rohöl gewonnen und mit der Förderung begonnen. Die Erfindung und Verbesserung des Verbrennungsmotors im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ermöglichte den Aufstieg von Erdöl zu einer weiteren Energiequelle. Mit der Rationalisierung des Autobaus durch Ford, dem Anfang des Übergangs von Dampf- zu Diesel- und Elektrolokomotiven und der Umstellung von Kriegsschiffen, insbesondere der britischen Marine, von Kohle auf Erdöl am Beginn des 20. Jahrhunderts stieg der Bedarf nach Erdöl stetig an. Außerdem entstand mit der Motorisierung des Transportwesens auch die entsprechende Infrastruktur, also das Straßennetz.

Was hier festzuhalten ist: Solange Kohle der primäre Energieträger war, konnten die entwickelten Volkswirtschaften ihren Energiebedarf aus heimischen Vorkommen decken. Mit dem zunehmenden Bedarf nach Erdöl entstand aber ein Abhängigkeitsverhältnis zu anderen Staaten, da die meisten europäischen Industriezentren über keine hinreichenden heimischen Erdölreserven verfügen, was insbesondere auch für Deutschland gilt. Der Aufstieg des Erdöls führte somit zu einer Geopolitisierung fossiler Brennstoffe.

Ähnlich wie mit Erdöl hatten die Menschen bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erste Schritte in der Förderung und Verarbeitung von Erdgas gemacht. Wie beim Kohlegas blieb die Nutzung jedoch zunächst aufgrund fehlender technischer Möglichkeiten zum Transport über weite Strecken lokal begrenzt. Und für Erdgas war dies eine noch wesentlichere Beschränkung als für Kohlegas. Während Letzteres aus Kohle produziert wird, die sich leicht vom Ort ihrer Gewinnung zu lokalen Gaswerken transportieren lässt, sind die technischen Hürden zum Transport von Erdgas zwischen dem Ort der Förderung und des Verbrauchs viel höher. Eine weitere Herausforderung bildete die Speicherung. Und auch dies war für Erdgas eine wesentlichere Beschränkung als für andere Energieträger. Einerseits ist die Speicherung eines Gases technisch wesentlich anspruchsvoller als die von Feststoffen oder Flüssigkeiten, also Kohle und Erdöl. Andererseits war die Möglichkeit der Speicherung im Angesicht schwankender Nachfrage zwingend erforderlich. Während die produzierte Menge von Kohlegas im Gaswerk an den Verbrauch angepasst werden konnte, existierten keine Möglichkeiten, die Fördermengen von Erdgas beliebig zu senken oder zu steigern. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts waren diese Probleme so weit bewältigt, dass Erdgas sich als massenhaft angewendeter Energieträger etablierte.

Jede massenhafte Anwendung eines neuen Energieträgers, ob nun als Übergang von einem vorher angewandten Energieträger zu dem neuen oder als nebeneinander stattfindende Anwendung, hat allgemeine Voraussetzungen. Die erste Voraussetzung ist, dass der neue Energieträger in ausreichenden Mengen vorhanden ist. Das heißt erstens, dass so viel von dem Energieträger in der Natur existiert, dass die durch ihn erzeugbare Energiemenge den Bedarf zu decken vermag. Zweitens, dass die technischen Möglichkeiten der Erschließung bestehender Vorräte entwickelt sind. Und drittens, dass mit den gegebenen technischen Mitteln die ökonomische Anwendung möglich ist. Die zweite Voraussetzung ist, dass die Transformation eines treibenden Motivs bedarf. Das kann die Knappheit des bisherigen Energieträgers sein oder die Entwicklung einer neuen Technologie, die die Nachfrage nach dem neuen Energieträger schafft, oder die Ökonomisierung bestehender Produktionsprozesse.

II.

Die globale Erwärmung ist das grundlegende Moment der Klimakrise. Diese Erwärmung ist durch von den Menschen ausgestoßenes CO2 bedingt. Mit Blick auf die klimatischen Folgen dieser Entwicklung besteht die begründete Annahme, dass diese als verheerend einzuschätzen sind. Dieser Blickwinkel ist der Standpunkt, den die Linke zur Beantwortung der Frage „Was tun?“ einnimmt. Der Ausstoß von CO2 muss reduziert und seine Anhäufung in der Atmosphäre gestoppt werden. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder man modifiziert CO2-erzeugende Prozesse so, dass sie emissionsfrei ablaufen, oder man stellt die Prozesse ein. Mit Blick auf die erste Möglichkeit verfährt die Linke zumeist ganz oberflächlich. Man zeigt einfach auf irgendwelche vorhandenen Technologien, die als CO2-neutral gelten und fordert deren Ausbau. Die Instrumente zur Lösung des Problems werden also für wesentlich vorhanden erklärt. Vielen geht der Übergang zu langsam voran. Sie stellen dann Investitionshemmnisse oder mangelnde Anreize fest, die die Politik nicht zügig genug adressiert, und fordern, dass auch die Möglichkeit CO2 durch Beschränkungen von Prozessen einzusparen, ergriffen werden soll. Das geht natürlich nur als Verzicht. Der Verzicht wird dann mit der Dringlichkeit zu Handeln und einer Verantwortung für folgende Generationen begründet. Das tritt zunächst als Appell an die Verbraucher:innen auf. Man mag sich nun aber vielleicht, wenn das, was die anderen tun, einem in Zukunft den Garaus zu machen droht, dann doch nicht so recht auf ihr Entgegenkommen verlassen. Dann wird nach Regulierung oder Verbot gerufen. Die leidenschaftliche Dämonisierung der Grünen als Ökofaschisten greift den rationalen Kern, dass der Interessensgegensatz zwischen heutigen und zukünftigen Generationen zumindest der Möglichkeit nach durch Verbote gelöst werden kann, auf.

Die Rechten stellen sich gegen diesen Standpunkt. Die Einsicht in die menschliche Bedingtheit der Erderwärmung durch von Menschen ausgestoßenes CO2 ist nicht unmittelbar ersichtlich, sondern Resultat eines Erkenntnisprozesses. Genauso sind die zukünftigen Folgen der Erderwärmung nichts, was irgendwer sicher weiß, sondern sie haben den Charakter begründeter Annahmen. Die Rechten beziehen sich auf diese Aspekte und bestreiten entweder die Gültigkeit der Erkenntnis oder diskreditieren die Annahmen als vermeintlich unbegründet. Der andere Standpunkt, der sich selbst als vernunftgeleitet präsentiert, wird einfach für falsch und zur Ideologie erklärt und demgegenüber der eigene Standpunkt als vernünftig behauptet. Für die Rechten zählt überhaupt nur das nationale wirtschaftliche Interesse und vor diesem Hintergrund erscheinen alle Maßnahmen und Forderungen der Klimaschutzpolitik als ideologisch motivierte Versündigungen am Standort Deutschland.

Die Klimakrise muss notwendig als energiepolitische Frage erscheinen, da die der Klimakrise zugrundeliegende Erderwärmung hauptsächlich durch die menschengemachte Freisetzung von CO2 bei der Verbrennung von fossilen Energieträgern bedingt wird. Und als energiepolitische Frage entfaltet die Klimakrise spezifische Wirkungen unter den Bedingungen kapitalistischer Produktionsweise. Während die Linken über diesen Zusammenhang gerne schweigen, stellen die Rechten den Zusammenhang nur als einen äußerlichen her. Was jedenfalls kein Thema ist, ist die materielle Vermittlung von Energietransformationen unter kapitalistischer Produktionsweise. Der Zweck, den der Staat mit seiner Energiepolitik verfolgt, ist die inländische Verfügbarkeit von Energie für die Produktion zu gewährleisten. Mit der Klimapolitik kommt ein diesem Zweck zunächst äußerliches Interesse herein. Das Kapital ist seinem Begriff nach maßlos und die kapitalistische Produktion kennt daher, von physischen Schranken abgesehen, keine Grenze des Energieverbrauchs. Die Natur kennt aber eine Grenze des in der Atmosphäre anhäufbaren CO2, oberhalb derer das Klima nicht mehr so bleiben kann, wie es ist. Getrieben vom Zwang der Konkurrenz strebt das Kapital zur Überschreitung dieser Grenze und droht schließlich seine eigene Voraussetzung zu untergraben. Es kann nur durch einen äußeren Zwang daran gehindert werden. Es gibt hier eine Ähnlichkeit zur gesetzlichen Beschränkung der Arbeitszeit. Das Kapital tendiert zur ständigen Verlängerung des Arbeitstags. Diese Tendenz gerät in Widerspruch mit der Arbeitskraft, die sowohl eine physische als auch eine soziale Schranke ihrer Ausbeutung hat. Das Kapital tendiert auch hier unter dem Zwang der Konkurrenz zur Untergrabung seiner eigenen Voraussetzung und erst durch die gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit durch den Staat wurde dieser Widerspruch historisch gelöst.

III.

Der Anteil von Kohle, Erdöl und Erdgas am Primärenergieverbrauch in Deutschland betrug im Jahr 2023 ca. 17%, 36% bzw. 25% (zusammen 78%). Der gesamte Braunkohlebedarf wird aus heimischer Produktion gedeckt. Die gewonnene Braunkohle wird dabei fast ausschließlich zur Stromerzeugung eingesetzt. Steinkohle dagegen wird fast vollständig importiert und nahezu ausschließlich für die Strom- und Wärmeerzeugung (ca. 40%) bzw. Stahlindustrie (ca. 50%) eingesetzt. Erdöl wird ebenso nahezu vollständig importiert und durch heimische Raffinerien zu Treibstoffen, Heizöl und Rohbenzin weiterverarbeitet. Teilweise werden die Erzeugnisse exportiert, jedoch übersteigen für die meisten Produkte die Importe die Exporte. Das heißt, für diese Produkte lässt sich der inländische Bedarf nicht aus der inländischen Produktion decken. Die Veredelungsprodukte werden überwiegend durch den Verkehr verbraucht (ca. 76%), ein weiterer großer Anteil entfällt auf die Wärmeerzeugung in Haushalten (ca. 14%). Auch Erdgas wird nahezu vollständig importiert. Es wird auf vielfältige Weise in der Industrie verwendet (ca. 34%), zur zentralen Strom- und Wärmeerzeugung genutzt (ca. 20%) und in Haushalten (ca. 32%) sowie im Bereich Gewerbe, Handel und Dienstleistungen (ca. 14%) verbraucht. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Den größten Anteil am Primärenergieverbrauch in Deutschland haben immer noch fossile Energieträger und seit dem Ende der Kohle-Ära ist Deutschland wesentlich vom Import von Energieträgern abhängig.

Wie wir gesehen haben, vollziehen sich Energietransformationen infolge bestimmter ökonomischer und technischer Voraussetzungen. Die Verringerung des CO2-Ausstoßes ist ein diesen Prozessen äußerlicher Zweck. Der Maßstab für die Geschwindigkeit der Dekarbonisierung ist die Schwere der zu vermutenden Folgen, die jeder weitere CO2-Ausstoß zur Folge haben würde und drückt sich z.B. in den Zielen des Pariser Klimaabkommens oder des Europäischen Klimagesetzes aus. Wir sehen hier ab von Diskussionen über die Angemessenheit dieser Ziele, die eine politische Bewertung der Hinnehmbarkeit antizipierter Folgen sind. Überhaupt jedes ambitionierte Ziel würde die im Folgenden dargestellten Sachverhalte lediglich zuspitzen. Die Klimaziele geben einen Zeitverlauf der Dekarbonisierung vor. So sieht das Europäische Klimaschutzgesetz vor bis zum Jahr 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freizusetzen. Wir beschränken uns hier auf die nationale Perspektive. Sollen die Emissionen in der Europäischen Union auf Null sinken, dann müssen sie auch in Deutschland auf Null sinken. Der Weg, wie die Regierung dies Ziel – bereits im Jahr 2045 – erreichen will, ist mittels Dekarbonisierung von Produktion und Konsumtion durch Einsatz erneuerbarer Energien.

Der Fokus der öffentlichen Debatte liegt dabei stark auf Sonnen- und Windenergie. Bei beiden handelt es sich bekanntermaßen um wesentlich zur Erzeugung von Strom angewandte Methoden. Die Erzeugung von Strom macht aber nur einen Teil der Nutzung fossiler Energieträger aus. Große Teile werden für die Erzeugung von Wärme in der Industrie und Haushalten oder als Treibstoff im Verkehr verbraucht. Sonnen- und Windenergie können hier nur einen Beitrag zur Dekarbonisierung entfalten, wenn gleichzeitig eine Elektrifizierung dieser Bereiche stattfindet. Im Personenverkehr sind Stand Januar 2024 2,9% der Fahrzeuge E-Autos. Bei den Lastkraftwagen ist der Anteil deutlich geringer. Die erste Handvoll elektrischer Frachtschiffe wurde in den letzten Jahren in Dienst gestellt. Wobei es sich um Schiffe handelt, die nur auf lokalen Seewegen verkehren. Elektrische Flugzeuge für Passagier- bzw. Frachttransport existieren überhaupt nicht. Der Anteil an Wärmepumpen im Gebäudebestand dürfte derzeit um die 5-10% liegen. Im industriellen Bereich ist die Sache ungleich komplizierter. Hier muss für jeden Prozess betrachtet werden, ob dieser elektrifizierbar ist. Außerdem kommt hinzu, dass fossile Energieträger hier nicht nur zur Energieerzeugung, sondern auch als Rohstoff eingesetzt werden. So z.B. in der verbreitetsten Produktionsart von Wasserstoff, bei der dieser aus Erdgas und Wasserdampf gewonnen wird, eine Reaktion, bei der CO2 entsteht.

Mit steigender Elektrifizierung würde die Notwendigkeit eines Ausbaus des Stromnetzes einhergehen. Aber auch die Natur der Energiequellen Sonne und Wind als ausschließliche Energiequellen würde weitreichende Umstrukturierungen des Stromnetzes erforderlich machen, da sie nicht ununterbrochen zur Verfügung stehen. Hier kommen Speicherkapazitäten ins Spiel, die in Zeiten von Überproduktion Energie aufnehmen und in Zeiten von Unterbrechung Energie abgeben und so eine gleichmäßige Einspeisung ins Stromnetz gewährleisten. Dabei sind Lithium-Batterien aber nur bedingt geeignet und es existiert derzeit keine entwickelte einfach umfänglich verwendbare Technologie zur Speicherung.

Der Umbau der Energiegewinnung und die gleichzeitige umfassende Elektrifizierung ist ein kolossales Infrastrukturprojekt, das obendrein seinen Verlauf nicht durch eine marktvermittelte Entwicklung technischer Fähigkeiten, sondern durch politischen Willen erhalten soll. Daher z.B. auch die CO2-Bepreisung, die eine Ökonomisierung erneuerbarer Energien erzwingt. Um sich nochmal den Umfang vor Augen zu führen: Folgen wir dem oben geschilderten Szenario von Umstellung auf 100% Sonnen- und Windenergie und der kompletten Elektrifizierung, dann müssen die Energieerzeugungsanlagen gebaut werden, die nicht nur den kompletten gegenwärtigen Strombedarf, sondern auch den zusätzlichen Strombedarf für die Elektrifizierung decken. Es muss des Weiteren die Ladeinfrastruktur für E-Autos und andere Fahrzeuge aufgebaut werden, außerdem natürlich die Fahrzeuge selbst. Allein 19,5 Millionen Wohngebäude müssten auf Wärmepumpen umgerüstet werden. Hinzu kommen Neubau oder Umrüstung von Produktionsanlagen zur Anwendung elektrifizierter Verfahren. Und nicht zuletzt die Umrüstung des Stromnetzes zur Bewältigung der neuen Aufgaben und der Aufbau der Produktionskapazitäten für ausreichend Stromspeicher. Jetzt lässt sich hier einwenden, dass es ja auch andere Möglichkeiten gäbe, CO2-neutral Fahrzeuge zu betreiben, Wohnungen zu heizen und so weiter. Wir denken aber, dass all diese Technologien genauso wenig entwickelt sind, also eben auch nur Möglichkeiten sind, die nicht ohne jede weitere Anstrengung angewendet werden können. Es stellt sich also die Frage, ob diese gewaltige Aufgabe überhaupt zu bewältigen ist. Und hier muss man einfach sagen, dass das ungewiss ist. Die Frage kann jedenfalls nicht einfach damit beantwortet werden, dass man sagt: „Der Ausbau erneuerbarer Energien muss vorangetrieben werden“. Vielmehr ist jeder Prozess der Energieerzeugung und des Energieverbrauchs zu untersuchen. Und hier ist klar, dass für viele Bereiche derzeit überhaupt keine technischen Lösungen existieren, die man einfach nur im Umfang ihrer Anwendung ausweiten müsste und dann läuft die Sache. In welchem zeitlichen Verlauf hier Lösungen entwickelt und zur Anwendung gebracht werden können, ist auch nichts, was sich mit Sicherheit feststellen lässt.

IV.

Wir hatten versucht, allgemeine Voraussetzungen für Energietransformationen anhand der historischen Entwicklung der Anwendung fossiler Energieträger aufzuzeigen. Mit Blick auf erneuerbare Energien lässt sich festhalten, dass diese in ausreichenden Mengen vorhanden sind. Auch die technischen Mittel zu ihrer Erschließung sind in ausreichender Menge entwickelt. Ihre Erschließung ist inzwischen auch ökonomisch. Was die gegenwärtige Transformation aber von den vorherigen unterscheidet, ist ihr treibendes Motiv. Weder sind Kohle, Erdöl oder Erdgas auf globalem Maßstab knapp, noch gibt es neue Technologien, die eine Anwendung von Sonne oder Wind unmittelbar zur Voraussetzung haben. Außerdem ökonomisiert die Anwendung dieser Energiequellen nicht alle Produktionsprozesse, die CO2-neutral werden sollen, auch wenn sie durch fallende Preise inzwischen ökonomische Alternativen in vielen Bereichen sind. Das treibende Motiv für diese Transformation ist die Begrenzung von CO2 in der Atmosphäre zur Begrenzung von Klimaschäden. Und dieses Motiv ist dem ökonomischen Prozess äußerlich. Daher greift der Staat auf politische Instrumente wie die CO2-Bepreisung zurück, die eine Verteuerung fossiler Brennstoffe bewirken und so durch die relative Verbilligung erneuerbarer Energien das ökonomische Motiv überhaupt erst schaffen. Solche Maßnahmen geben der Transformation sicher die Richtung vor. Aber ob sie auch dazu führen, dass sie sich in dem Zeitverlauf vollzieht, der Klimaschäden relevant zu begrenzen vermag, das bleibt aufgrund der zurzeit noch nicht weit genug entwickelten technischen Voraussetzungen ungewiss. Und daran kann auch kein Europäisches Klimagesetz oder Ähnliches etwas ändern.

Ebenso ungewiss wie der Verlauf der Energietransformation und damit der Klimakrise sind daher auch die volkswirtschaftlichen Konsequenzen. Es wird sich zeigen, welche Branchen in Zukunft wirtschaftlich in Deutschland produzieren können. Und es wird sich zeigen, in welchem Umfang – zumindest in den nächsten Jahren – Preissteigerungen eintreten und wer die Investitionskosten zu tragen hat und bewältigen kann. Die sinkende relative Bedeutung von fossilen Energieträgern, die damit verbundene zunehmende Bedeutung neuer Lieferketten und die Verschiebung komparativer Kostenvorteile werden das internationale Gefüge und damit auch die Rahmenbedingungen der deutschen Wirtschaft verändern.

Der kapitalistische Produktionsprozess folgt seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten, ohne dass die Menschen bewusst nach diesen handeln. Das heißt: die Menschen haben zwar ihre Zwecke, die sie verfolgen, aber der gesamtgesellschaftliche Zusammenhang ihres Handelns stellt sich für sie als von ihnen unabhängig erscheinende Gegebenheit dar. Es fehlt der bürgerlichen Gesellschaft damit von vornherein an Mitteln, der Klimakrise – die eben diesen Gesetzmäßigkeiten äußerliche Anforderungen zu ihrer Bewältigung hat – planvoll zu begegnen. Und deswegen müssen sich alle auf das Hoffen zurückziehen. Die einen hoffen darauf, dass immer neue technische Entwicklungen die rechtzeitige ökonomische Dekarbonisierung der Produktion ermöglichen – machen also eine Wette darauf, dass der Fortschritt schneller vorangeht, als die Menschheit den Planeten ruiniert. Die anderen hoffen darauf, dass die Menschen ihren Konsum beschränken, wenn er weiterhin mehr CO2-Emissionen verursacht, als sich noch geleistet werden können – machen also ihre Wette darauf, dass der Gesellschaft die Wirtschaft schon nicht um die Ohren fliegt, solange man sie mangels technischer Lösungen zur Einhaltung von Klimazielen herunterfährt. Diese beiden Möglichkeiten mit der Ungewissheit umzugehen, die sich aus dem Versuch ergibt, die Klimakrise unter kapitalistischen Bedingungen zu bewältigen, erscheinen als Konflikt zwischen Teilen der Gesellschaft. Es wird die Menschen geben, die gegen Verbote und sinkendes Konsumniveau mobil machen, weil das seine reale Basis darin hat, dass CO2-Emissionen nur so reduziert werden können, wenn es technisch nicht zu machen ist. Und ob das zu machen ist, das ist gegenwärtig tatsächlich ungewiss.

Und hier werden sich nun einige fragen, ob wir denn auch „Lösungsansätze“ präsentieren. Aber damit die Menschen überhaupt als Menschheit ihre Produktion dem Zweck unterwerfen, die Natur nicht zu zerstören, hat nichts anderes, als dass die Menschen „zu Subjekten der Geschichte werden“, zur Voraussetzung. Also das, was einige die (kommunistische) Revolution nennen. Darunter ist es nicht zu haben. Und so sehr man das als schlecht abstrakte Empfehlung für unnütz befinden mag: Außerhalb dessen gibt es nichts zu empfehlen, was die bürgerliche Gesellschaft nicht aus sich selbst heraus schon macht. Und was sie da macht, das ist nun mal keine Frage von politischem Wollen, sondern von der Entwicklung der Widersprüche innerhalb der Gesellschaft. Auf uns, also die radikale Linke, kommt es dabei schon gleich gar nicht an. Wir sind nämlich keine gesellschaftliche Kraft, sondern Zaungäste. Wer etwas tun will, unterstützt die Tendenzen in der bürgerlichen Gesellschaft, die zur Regulation der CO2-Emissionen treiben und tut damit sicherlich, bezogen auf das Klima, nichts Falsches. Aber es gibt nichts, was wir innerhalb der Bedingungen dieser Gesellschaft tun können, das uns von der Ohnmacht enthebt, in die die kapitalistischen Bedingungen die Gesellschaft versetzen.

alea • antifaschistisch & autonom

Leipzig, Januar 2025