“Aufruf zum Handeln” des Bündnis israelsolidarischer Gruppen

Mit Interesse haben wir als INDEX den „Aufruf zum Handeln“ vom Bündnis israelsolidarischer Gruppen und Personen aus Leipzig gelesen und diskutiert. Wir unterstützen den Versuch, mit dem Aufruf einen kollektiveren Umgang anzustoßen mit der Frage, wie weiter mit der Vereinnahmung autoritärer Gruppen und sich verbreitenden antisemitischen Tendenzen innerhalb der Leipziger Linken (oder was sich als solche bezeichnet).

Auch finden wir es wichtig, sich kollektiv gegenüber solcher Tendenzen zu positionieren und somit als politische Zusammenhänge geschlossen „für einen emanzipatorischen Antifaschismus“ zu stehen.

Allerdings konnten wir als Gruppe keinen Konsens finden, den Aufruf zu unterzeichnen, da es auch grundlegende Kritik an einzelnen Punkten darin gibt. Um die von BIG Leipzig angestoßene Debatte um aktuelle Zerwürfnisse in unseren Strukturen weiter zu führen, wollen wir im Folgenden auf diese Punkte eingehen und eine solidarische Kritik üben in der Hoffnung, gemeinsam im Gespräch zu bleiben und geschlossen gegen autoritäre Umtriebe auftreten zu können:

Wir finden den Aufruf zur Solidarität mit Israel als Schutzraum für Jüdinnen und Juden, sowie die Positionierung gegen jeden Antisemitismus im Text gut und wichtig und unterstützen dies. Es ist erschreckend, wie notwendig dieses politische Bekenntnis bleibt, selbst nach dem Massaker am 7. Oktober 2023, selbst nach den antisemitischen Ausschreitungen und Angriffen in Amsterdam nach einem Fußballspiel gegen (vermeintliche) Fans der israelischen Mannschaft am 7. November 2024, denen die ganze Welt medial zuschauen konnte. Die globale Lage und der über Jahrhunderte gereifte Antisemitismus werden es weiterhin deutlich machen, dass die Existenz Israels verteidigt werden muss.

Nichtsdestotrotz muss auch die aktuelle rechtskonservative israelische Regierung und ihre Kriegsführung, sowie ihre Siedlungspolitik in den Blick genommen und kritisiert werden. In diesem Hinblick lässt der Aufruf zum Handeln unserer Meinung nach eine differenziertere Beurteilung der vielschichtigen Gegebenheiten im israelisch-palästinensischen Konflikt vermissen.

Auch wenn wir den Text nicht als intendierte Analyse des Nahostkonflikts verstehen, sondern vielmehr als ein Aufzeigen der aktuellen und auch daraus resultierenden politischen Brüche, fürchten wir, dass zu einseitige Darstellungen der komplexen Zusammenhänge dazu einladen, diese unmittelbar als Ignoranz des Leidens aller Zivilist:innen zu verstehen und daraus ableitend zu weiteren Frontenbildungen führen werden.

Kurz gesagt: Wir können und sollten für die Existenz Israels streiten und die Gleichzeitigkeit der inhumanen Kriegspolitik dessen derzeitiger Regierung benennen und thematisieren. Denn sonst wiederholen wir das, was der internationalistischen Linken in Teilen zurecht vorgeworfen wird – bedingungslose und daraus folgend unreflektierte Solidarität.

Weiterhin würden wir uns von einem Text, der sich der theoretischen Einordnung antisemitischer Ideologiefragmente widmet, wünschen, dieser Erklärung mehr Platz einzuräumen, damit sie zu einer wirksamen Kritik heranwachsen kann.

Auch wenn dies mit einigen richtigen Punkten in dem Text geschieht, bleibt durch die gewählte Form allerdings zu wenig Raum und so bleibt die Kritik unvollständig: Vereinfacht gesagt werden die Palästinenser:innen indoktriniert und sind die Rotgruppen eben antiwestlich. Hierfür braucht es aber Herleitungen, welche die Basis der Kritik erklärbar und nachvollziehbar machen.

Stattdessen leidet der Inhalt unter dem Aufbau des Textes, der versucht, zweierlei – das Aufzeigen des antisemitischen Ist-Zustands und die Abgrenzung emanzipatorischer Politik von den Leipziger K-Gruppen – zusammen zu führen und trotzdem keinen zu langen Text daraus werden zu lassen.

Weiterhin kritisieren wir das in dem Text reproduzierte Othering antisemitischer Akteur:innen, indem bspw. von Handala als „teilweise migrantische Gruppe“ die Rede ist oder von dem in die Wiege gelegten Antisemitismus der mehrheitlich jugendlichen Bevölkerung in Gaza, von welchem diese „befreit“ werden müsse.

Auch hier wollen wir einfordern, nicht in vereinfachte antimuslimische bzw. antiarabische Denkmuster und Ressentiments zu verfallen und dies auch sprachlich kenntlich zu machen.

Die im Aufruf formulierten Forderungen – Gegen jeden Antisemitismus! Keine Räume für Antisemit*innen! – unterstützen wir als Kollektiv inhaltlich.

Auch im INDEX als Raum für Plena und Veranstaltungen mussten wir uns in den letzten Jahren immer wieder mit Anfragen autoritärer Rotgruppen oder sich als antizionistisch positionierter Zusammenhänge auseinander setzen. Das ist müßig, da mit diesen Anfragen ein Aufwand an Recherche und Beschäftigung mit den Inhalten und Selbstverständnissen jener Anfragen einher geht. Viel Zeit, die in das eigene Bespielen unserer Räume hätte fließen können, mussten wir zuletzt in Gespräche und Email-Diskussionen mit diversen Gruppenzusammenhängen stecken.

Sehr oft haben diese Aushandlungen dann auch zu Ausschlüssen aus unseren Räumen geführt, weil daraus deutlich wurde, dass wir in grundlegenden Punkten der politischen Organisierung schlicht keine Einigkeit besitzen und wir unsere Räume in diesem Falle nicht zur Verfügung stellen werden.

Trotz jedem Dissens befürworten wir aber, wenn es eine Auseinandersetzung mit den Inhalten jener Gruppen gibt, um zu verstehen, wie diese hier so schnell Fuß fassen konnten und auch, um ihnen inhaltlich fundierte Absagen zu formulieren und so klare Kante gegen ihre Politik zu erteilen.

Daher finden wir auch die Strategie der formalen Unterzeichnung des verfassten Aufrufs zum Handeln nicht ganz ideal, sondern fänden für eine weiterführende Debatte zu den aufgeworfenen Punkten, die wir als extrem notwendig erachten, passender, würden alle angefragten Gruppen um eine Verbreitung des Aufrufs über ihre Kanäle gebeten, so dass diese auch die Möglichkeit erhalten, zumindest kurz einzuleiten, aus welchen Beweggründen sie den Aufruf teilen und hinter seinen Inhalten stehen.

Zum Abschluss unseres Textes wollen wir noch festhalten: Trotz aller hier formulierter Kritik sind wir dankbar für den von BIG Leipzig ins Rollen gebrachten Diskurs und die daraus entstandenen Gespräche und Diskussionen.

Wir solidarisieren uns mit den Forderungen und streiten weiter für eine breit aufgestellte solidarische Linke und einen emanzipatorischen Antifaschismus!