Unglück an Hitlers Lieblingsberg: Neonazi stürzt in den Tod
Ein langjähriger Neonazi kommt an einem Berg zu Tode, der für Neonazis besondere Bedeutung hat. Für Teilnehmer der Gruppenwanderung muss es traumatisch gewesen sein.
Ein führender bayerischer Neonazi ist an Hitlers angeblichem Lieblingsberg in den Tod gestürzt: Tage nach einem Bergunglück sind durch Spendenaufrufe von rechtsextremen Weggefährten Name und Details zum Opfer bekannt geworden.
Die Rede in Hilfsaufrufen ist von einer „Gruppenwanderung“, und sie führte auf einen Berg, der große Anziehungskraft auf die rechte Szene hat: Die Neonazi-Partei „Der III. Weg“ hatte bereits in der Vergangenheit den Untersberg an der deutsch-österreichischen Grenze für Fotos mit Parteifahne bestiegen. Jetzt ist nach einer Wanderung dort ihr bayerisches Vorstandsmitglied Andreas M. gestorben – wegen eines falschen Schritts stürzte er in die Tiefe.
60 Meter teils senkrecht in die Tiefe gestürzt
Der Unfall ereignete sich am 29. September und ging als Meldung durch die Medien. Die Polizei schilderte damals dramatische Umstände: Nachdem der 37-Jährige auf einer regennassen Wurzel ausgerutscht und mehr als 60 Meter über teils senkrechtes Gelände abgestürzt war, waren dort zwei Hubschrauber im Einsatz.
Zwei Begleiter des Mannes standen derart unter Schock, dass sie nicht mehr selbstständig absteigen konnten und ausgeflogen werden mussten. Wer die Wanderer waren, darüber war wenig bekannt. „30-köpfige internationale Gruppe“ hieß es vom Kreisverband Berchtesgadener Land des Roten Kreuzes.
In der vergangenen Woche wurde dann klar: Das Opfer hinterlässt Frau und ein im Juni geborenes Kind – und Fassungslosigkeit bei seinen Gesinnungsgenossen. Spendenaufrufe für die Familie und für eine Gedenktafel am Berg haben in den vergangenen Tagen vor allem in diversen rechtsextremen Gruppen auf Telegram und Facebook die Runde gemacht.
Bisher fast 20.000 Euro an Spenden
Ob „Gefangenenhilfe Freundeskreis“ für inhaftierte Neonazis oder Rechtsrock-Gruppen oder Neonazi-Versandhandel – überall hieß es: „Sein Tod trifft uns alle hart.“ Angesichts des Schicksals der Familie und des unpolitisch formulierten Anliegens wurden Spendenaufrufe aber offenbar auch von völlig fremden Menschen ohne erkennbaren politischen Hintergrund geteilt und unterstützt. „Ich bitte euch, einem kleinen Mädchen beizustehen, welches den Vater niemals kennenlernen wird“, heißt es auch auf einer Spendenseite.
7.000 Euro sind dort zusammengekommen, eingerichtet hat sie ein Neonazi aus der Hooligan-Szene aus Niedersachsen, offenbar ein enger Freund des Toten. Gut 12.000 Euro hat ein weiterer Spendenaufruf eingebracht, mit dem zusätzlich eine Gedenktafel am Berg finanziert werden soll. Er kommt von den „Bergfreunden Giesen.“ Dahinter steckt Lutz Giesen, führender Funktionär der rechten Szene, Anmelder und Redner zahlreicher Neonazi-Demonstrationen und vielfach vorbestraft unter anderem wegen Volksverhetzung.
Beeindruckender Berg: Der Untersberg miit seinem Hochplateau liegt wie ein Riegel am Rand der Alpen.
t-online hat ihn im sächsischen Leisnig erreicht, wo er und andere Vertreter der völkischen Szene sich in den vergangenen Jahren angesiedelt haben und er für die „Freien Sachsen“ in den Kreistag gewählt wurde. War die „Gruppenwanderung“ an dem Ort ein braunes Gipfeltreffen?
Nur zufällig mehrere Neonazis als Teilnehmer?
Lutz G. weist das zurück: Politische Überzeugungen hätten bei den Beteiligten keine Rolle für die Teilnahme gespielt, nur eine Handvoll Leute hätte einen politischen Hintergrund, behauptet er. Dem „III. Weg“ hätten nach seiner Kenntnis nur zwei Teilnehmer angehört.
Bei der Neonazi-Partei gibt es eine „Arbeitsgruppe Körper & Geist“, die kurz vor dem Unglück bei Berchtesgaden zu acht in den Stubaier Alpen unterwegs war. In ihrem Kanal liest sich vieles schwülstig und deplatziert angesichts des Todesfalls: „Soldat unserer Weltanschauung“ sei man. „Und somit ist jeder Schritt über steiles, felsiges Gelände ein Schritt für unser Vaterland.“ Bei einer Wanderung auf den Untersberg im Frühjahr 2023 hieß es: „Nur auf den richtigen Wegen stärkst Du Dich selbst.“ Ein öffentlicher Nachruf auf den „Kameraden“ findet sich beim „III. Weg“ nicht, auf eine Anfrage von t-online reagierte die Partei nicht.
Giesen erklärt, es seien nur „Freude am Bergwandern und das sportliche Gemeinschaftserlebnis“ gewesen, die bei der verhängnisvollen Tour die Teilnehmer vereint hätten. „Normale“ Bergwanderer mit zufällig einigen Neonazis darunter?
Giesen zufolge war das so. Die Gruppe sei in den vergangenen Jahren im gesamten Alpenraum unterwegs gewesen. Wer die Organisatoren sind, gibt er nicht an, „sie gehören zu dem großen Teil der Teilnehmer ohne politischen Hintergrund“. Deshalb sei auch die Auswahl des Bergs „zufällig“ gewesen. Vom Polizeipräsidium in Rosenheim heißt es hingegen, die Reservierung der Hütte für die Gruppe sei von einem „bekannten Angehörigen der rechten Szene“ erfolgt.
Untersberg ist Berg voller Mythen und Sagen
Der Untersberg ist ein mächtiger Gebirgsstock mit dem Berchtesgadener Hochthron (1.972 Meter) und dem Salzburger Hochthron (1.853 Meter) als höchsten Gipfeln. Er ist durchzogen mit Höhlen, es gibt dort verschiedene Sportkletter-Touren, viele Wege und einen spektakulären Rundumblick. Doch er ist nicht nur für Kletterer und Wanderer attraktiv.
Er gilt auch als einer der sagenumwobensten Berge. Der Österreicher Christian F. Uhlir, Autor des Buchs „Im Schattenreich des Untersberges“ kennt ihn als „Anziehungspunkt für diverse Esoteriker.“ Sie glaubten, dass es dort angebliche Kraftlinien- und felder gebe. Einige Menschen sprächen zudem von „Zeitlöchern“, die es dort geben soll, und hielten den Berg für ein Portal in eine andere Welt, sagt Uhlir t-online. Die das glaubten, hätten aber nicht unbedingt eine Schnittmenge mit Menschen mit starkem rechtsnationalem Gedankengut, die der Berg auch anziehe.
Das kann auch an einer entsprechenden Erzählung von 1908 liegen: Der völkische Wiener Schriftsteller Guido von List hatte behauptet, vom Untersberg aus werde die „Morgen-Götter-Dämmerung des arischen Geistes“ anbrechen, und die Zeit sei nah, dass sich das Tor öffne für den „Emporstieg des Wiedergeborenen“. Für seine Germanenreligion hatte er ein Swastika-Zeichen genutzt, er gilt als möglicher Ideengeber Hitlers zur Verwendung des Hakenkreuzes.
Karl der Große oder Barbarossa als Retter im Berginneren
Lists Erzählung vom Auftauchen eines Erlösers griff alte Sagen auf von deutschen Kaisern, die mit ihren Truppen im Berginneren schlafen und für eine entscheidende Schlacht hervorbrechen, wenn Deutschland in größter Not ist. Mal sollte das Barbarossa sein, dann Karl der Große. In der NS-Zeit wurde die alte Erzählung auf Hitler gemünzt. Das sei weniger von ihm als mehr von seinem Umfeld kolportiert worden, erzählte der Bad Reichenhaller Historiker Johannes Lang in einem Podcast der Salzburger Nachrichten.
Auf dem Berghofgelände auf dem Obersalzberg, wo Hitler Vernichtungspläne schmiedete und mit Stalin telefonisch den Nichtangriffspakt vereinbarte, befindet sich heute eine Dokumentationsstätte. Dort hinterlassen NS-Nostalgiker immer wieder eher heimlich Hakenkreuze auf Aufklebern und in Baumrinden. Auf dem Berg hat aber auch schon eine größere Gruppe offen den Hitlergruß gezeigt.
Deshalb wurden 2019 in Salzburg Mitglieder einer zwölfköpfigen Riege aus Deutschland verurteilt, die sich über ein Forum für zwei Übernachtungen am Fuß des Untersbergs eingemietet hatten. In ihrer Pension fand sich ein Wappen der „Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe“, die SS-Reichsführer Heinrich Himmler gegründet hatte. Himmlers Wohnsitz lag ebenso mit Blick auf den Untersberg wie der von Luftwaffenchef Hermann Göring, Hitlers Privatsekretär Martin Bormann und Hitlers Architekt Albert Speer.
Sieben Teilnehmer der Gruppe waren angeklagt, weil sie am Gipfel zugleich den Hitlergruß gemacht und „Sieg Heil“ gerufen hatten. Wolfram Nahrath, NSU-Anwalt und einst Vorsitzender der verbotenen Wiking-Jugend, vertrat einen Hauptangeklagten. Der einzige Angeklagte, der im Prozess aussagte, sprach davon, man habe sich „zur Lichtarbeit“ treffen wollen.
Das könnte zurückgehen auf eine Ankündigung des Verschwörungsideologen Jan van Helsing alias Jan Udo Holey. Er schrieb 1993 in einem Buch, ein „Erweckungsstrahl“ am Untersberg werde die Landeposition für Nazi-Ufos signalisieren, die ein „deutsches Lichtreich“ bringen sollen.
Verhängnisvolle Route war nicht vorgesehene Strecke
Das bayerische „III. Weg“-Vorstandsmitglied M. stürzte in den Tod wegen Nässe am Berg. Unterwegs war er da an einem schweren Steig, der mit dem hohen Schwierigkeitsgrad schwarz eingestuft ist und vor dessen Abstieg bei Nässe gewarnt wird. „Ein falscher Tritt reicht für einen Absturz“, heißt es vom Bayerischen Roten Kreuz.
Einsätze dort gebe es dennoch selten. Aber dort, wo das Opfer zum Liegen kam, steht bereits ein verwittertes Marterl, wie Gedenkkreuze hier heißen. In den 30er-Jahren war an der gleichen Stelle ein Soldat abgestürzt.
M.s Bergfreund Giesen sagt, diese Routenführung sei nicht die vorgesehene Strecke der Gemeinschaftswanderung gewesen. Der sehr sportliche M., ein geübter Bergwanderer, habe sie mit einer kleinen Gruppe gesondert gewählt. Er gehörte zur Vorhut. Das hieß, dass nur ein Teil dann beim Abstieg an der Absturzstelle vorbeigehen musste. Insgesamt zehn Mitglieder der Wandergruppe wurden laut Rotem Kreuz in der Reichenhaller Bergrettungswache noch vom Kriseninterventionsdienst (KID) der Bergwacht betreut.