„Kündigungen unter Tränen geschrieben“: Warum Leipzigs Späti „Connserve“ schließen musste

Er war im Stadtteil Connewitz seit 2010 eine Institution als Treffpunkt für alle sozialen Schichten: Der Spätverkauf „Connserve“ nah am S-Bahnhof. Doch seit August hat er geschlossen. Jetzt spricht Inhaber Tom Rieger erstmals über die Gründe.

Leipzig. An die verschlossene Ladentür hat jemand ein Gedicht zum Abschied gepinnt. „Ode to the Späti“ reimt auf Englisch eine Laudatio auf das „Connserve“ in der Probstheidaer Straße am S-Bahnhof Connewitz. Es endet mit „WE ALL LOVE YOU“ – eine Liebeserklärung in Rot und Versalien. Wenn Besitzer Tom Rieger (41) darauf schaut, muss er schlucken. „Es stirbt ein Stück Soziokultur im Stadtteil“, sagt er und seine Stimme klingt belegt.

Seit August ist der beliebte Späti zu, nach 14 Jahren Ämter-Kampf, Hoffnungen und Rückschlägen für den Betreiber, der mit „Onkel Toms Hütte“ noch einen zweiten Spätverkauf in der Südvorstadt führt. „Es ist kein Platz für so kleine Leute wie für uns“, lautet das ernüchternde wirtschaftliche Fazit des Kleinunternehmers mit Thüringer Wurzeln (Suhl), der bis zur „Connserve“-Schließung zehn Angestellte unter Vertrag hatte,

Ende Juli hatte Rieger für sich die klare, aber auch harte Entscheidung getroffen, dass es so mit der „Connserve“ nicht mehr weitergehen könne. Es gab Krankmeldungen seiner Leute, aber er wollte erstmals seit Ewigkeiten mit seiner Frau und den kleinen Zwillingstöchtern Urlaub machen. Einfach mal wieder den Akku aufladen, es war höchste Zeit für ihn.

Das stand nun alles auf dem Spiel, den personellen Engpass hätte der Chef nur selbst stopfen können, wie so oft in den 14 Jahren zuvor. Aber es ist der letzte berühmte Tropfen, Rieger zieht die unternehmerische Reißleine, das „Connserve“-Schicksal ist besiegelt. Ende, aus und vorbei. „Es war der richtige Schritt, sonst wäre ich kaputtgegangen“, sagt Rieger.

Ist Späti mit Freisitz Einzelhandel oder Gastronomie?

Fünf Angestellte muss er entlassen. „Die Kündigungen habe ich unter Tränen geschrieben.“ Aber es ist auch eine Art Befreiung für ihn, nachdem er über all die Jahre zwar einen beliebten Kiez-Treffpunkt aufgebaut hatte, als Klein-Unternehmer sieben Tage die Woche aber mehr mit Behinderungen, Auflagen und Kontrollen der Ämter zu kämpfen hatte, statt sich um Umsätze in seinem Geschäft zu kümmern.

Ist ein Späti mit Freisitz nun Einzelhandel oder schon Gastronomie? Die unsichere Rechtslage in Sachsen belastete ihn. „Jeder weiß, was ein Späti praktisch ist. Aber die sächsische Gewerbeordnung kennt das nicht“, kritisiert Rieger. Am Ende fühlte er sich zerrieben und zermürbt, verweist aber mit Unternehmerstolz darauf, dass er nicht insolvent gegangen sei und dem Staat auf der Tasche liege. „Aber Deutschland will eigentlich gar keine Kleinunternehmer wie mich.“

Auch politische Unterstützung gab es. Anfang Februar hatte die sächsische Linke im Landtag, angetrieben von den Leipziger Abgeordneten Juliane Nagel und Marco Böhme, einen Vorstoß gemacht, eine rechtssichere Lösung für Spätis zu finden. „Wir wollen die steuerliche Entlastung von kleinen und mittleren Unternehmen und Selbstständigen“, sagt Juliane Nagel, die in ihrem Wahlbezirk Leipzig-Süd gerade wieder das Direktmandat geholt hat und das „Connserve“ bestens kennt. „Es kann nicht sein, dass große Player steuerlich bevorteilt werden, während die kleinen sich nicht über Wasser halten können.“

Auch von den Leipziger Grünen gab es eine ähnliche Initiative. Doch der Linken-Vorstoß fand keine Mehrheit und die Späti-Realität sieht so aus, wie befürchtet: Geprägt von Unsicherheiten und Unwägbarkeiten wie bei der „Connserve“.

In 14 Jahren nur einen Tag geschlossen

Dabei hatte es 2010 noch vielversprechend begonnen. Mit der Erfolgsgeschichte von Späti „Onkel Toms Hütte“ im Rücken eröffnet Rieger mit drei Freunden als GbR die „Connserve“. Der Späti auf gut 100 Quadratmeter Verkaufsfläche entwickelt sich schnell zum Treffpunkt für alle sozialen Schichten. Was auch daran lag, dass er nie geschlossen hatte. „Die beste Werbung für Spätis ist die dauerhafte Präsenz“, sagt Rieger. In 14 Jahren habe es nur einen Tag ohne Verkauf gegeben.

Bei der Party zum 10. Geburtstag von „Onkel Toms Hütte“ wollte man mit allen Kollegen im Team feiern, ansonsten war immer geöffnet. Weihnachten, Silvester, Ostern, Sommerferien, über 5000 Tage. Aus der GbR wurde 2017 der Einzelunternehmer Tom Rieger mit Allein-Verantwortung, die Lebenswege der Freunde hatten verschiedene Abzweigungen genommen. Doch 2017 ist auch das Jahr, in dem ihm das Finanzamt die Tiefenprüfer schickt. „Das ging bis ans Ende meiner Kräfte“, sagt Rieger. Es habe Briefe vom Finanzamt gegeben, die er vor dem Wochenende lieber nicht öffnen wollte. Aus Angst, dass ihn das zu sehr runterzieht.

Am Ende konnte zwar alles bereinigt werden, man habe sich nach drei Jahren Betriebsprüfung geeinigt, so Rieger. Aber die Frage, ob sich der Aufwand im Vergleich zum Ertrag in der „Connserve“ überhaupt noch lohnt, blieb im Raum. Sie arbeitete in ihm, bis sie Rieger Ende Juli für sich beantwortete.

Jetzt wolle er sich auf „Onkel Toms Hütte“ konzentrieren, „mein letztes Pferd im Rennen“. Der Laden sei profitabel, sagt er als Unternehmer. Und vom „Connserve“ erwartet er auch noch was. 2010 hatte er die Gewerbe-Immobilie gekauft, nun will er sie weiterveräußern, erste Anfragen gebe es bereits.

Ob er nicht selbst investieren und dann in einem möglichen Wohnhaus in gefragter Leipziger Lage vermieten wolle? Nein, sagt Rieger kategorisch. „Ich will kein Vermieter sein, ich habe auch unternehmerisch ein linkes Verständnis.“