Wenn die Regierung in Sachsen die Antwort auf mehr als 1000 Fragen verweigert
Selbst ein Vermittlungsversuch von Landtagspräsident Rößler scheiterte. Die Linke spricht von einem einmaligen Vorgang – und zog nun vor das Verfassungsgericht. Wer bekommt Recht – und vor allem wann?
Formal fiel das Antwortschreiben des Innenministers Armin Schuster (CDU) gar nicht so kurz aus. Allerdings waren die ersten 134 der 141 Seiten der Linksfraktion durchaus vertraut, stammten diese doch komplett aus ihrer Feder. Erst auf Seite 135 begann Schusters „zusammenfassende Antwort auf die Fragen 1 bis 1090“ – und zwar mit den Worten: „Von einer Beantwortung wird abgesehen.“ Ein Fall, der nun vor dem Verfassungsgericht landet.
14.000 Kleine und 40 Große Anfragen
Anfragen gehören zum Geschäft von Abgeordneten. Während das Regierungslager in der Regel über separate Zugänge verfügt, um sich von den Ministerien mit Informationen versorgen zu lassen, setzt vor allem die Opposition auf öffentliche Auskünfte. Fast 14.000 Kleine Anfragen wurden seit Oktober 2019 gestellt, dazu gab es 40 Große Anfragen. Sie sind Fraktionen vorbehalten und dürfen umfangreicher ausfallen. Die AfD stellte 24 und die Linke 16, zuletzt im Dezember zur „Gewährleistung des Datenschutzes“ bei Übermittlung und Abruf von Meldedaten.
Hintergrund waren laut Fraktionschef Rico Gebhardt Missbrauchsfälle in anderen Ländern – wenn etwa Polizisten Adressdaten aus privatem Interesse abfragen. Fünf Tage vor Fristende im Februar folgte jedoch Schusters abschlägige Antwort.
Die letztlich 1105 Einzelfragen würden geschätzt „42.885 Einzelantworten“ erfordern, überdies in einer Zeit mit „überdurchschnittlich hohem Urlaubs- und Krankenstand“ in der Verwaltung. Die Große Anfrage sei deshalb „missbräuchlich gestellt“ worden und dazu „geeignet, die Funktionsfähigkeit der Staatsregierung zu beeinträchtigen“.
Die Meinung des Landtagspräsidenten
Gebhardt spricht indes von jeweils gut 30 Fragen an mit Meldedaten befasste Stellen wie Staatsanwaltschaften oder Jobcenter – und von einem „einmaligen Vorgang“ in der bisherigen Landtagsgeschichte:
„Wo kämen wir hin, wenn plötzlich die Regierung bewerten dürfte, welche Anfragen das Parlament stellen darf?“ In Sachsen-Anhalt habe das Innenministerium ähnliche Fragenkomplexe beantwortet.
Die Linke bat Landtagspräsident Matthias Rößler (CDU) um Hilfe – der prompt gegen „die vollständige Antwortverweigerung erhebliche rechtliche Bedenken“ anführte: Die Regierung schulde den Fragestellern zumindest eine „Teilantwort“. Rößler regte eine „gütliche Einigung“ und eine nachträgliche Antwortergänzung in „einvernehmlich zu bestimmendem Umfang“ an.
Beim eigens anberaumten Termin Anfang Mai erklärte Schuster dann aber, keine „Verhandlungsprokura“ zu haben. Die Nichtbeantwortung basiere auf einem Kabinettsbeschluss.
Ein Fall für Anwalt Bartl
Die Linksfraktion durfte sich schwer verklapst fühlen. Nun will sie feststellen lassen, dass Schuster ihre Rechte verletzt hat. Mitte August ging der 39-seitige Schriftsatz des Chemnitzer Rechtsanwalts Klaus Bartl beim Verfassungsgericht in Leipzig ein, wie ein Gerichtssprecher bestätigte. Ein Entscheidungszeitpunkt lasse sich „seriös nicht prognostizieren“. Regierung und Landtag sollen bis zum 15. November Stellung nehmen.