Hintergrund zu Neonazi-Verbindungen eines Zwickauer AfD-Stadtrats: Was wollte die verbotene Gruppe „Nordadler“?

Der Verfassungsschutz hielt einen heutigen Zwickauer AfD-Stadtrat vor vier Jahren für einen Teil der mutmaßlichen rechtsterroristischen Vereinigung „Nordadler“. Was war das für eine Gruppe?

Der AfD-Stadtrat Julian Bader bestreitet Recherchen des NDR zufolge, Mitglied bei der verbotenen Organisation „Nordadler“ gewesen zu sein, und wollte offenbar vor Gericht seine Rehabilitierung durchsetzen. Bei ihm hatte 2020 eine Hausdurchsuchung stattgefunden, wobei Medienberichten zufolge unter anderem drei Stahlhelme und NS-Literatur sichergestellt wurden. Der Verfassungsschutz hielt ihn laut „Tagesspiegel“ damals für einen führenden Kopf der mutmaßlich rechtsterroristischen Vereinigung, die im Mai 2020 vom Bundesinnenministerium verboten worden war. Die Polizei führte bundesweit mehrere Razzien durch. Was wurde der Vereinigung damals genau vorgeworfen?

Nationalsozialistisches Siedlungsprojekt

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte damals: „Das sind klassische Neonazis, die unverhohlen Hitler und seine Schergen bewundern und versuchen, diese Ideologie in die heutige Zeit zu retten.“ Bei Durchsuchungen in NRW sei vor allem Propagandamaterial sichergestellt worden, berichtete damals die Deutsche Presseagentur (dpa). Dem Bundesinnenministerium zufolge soll die Gruppe auch unter anderen Bezeichnungen firmiert haben, wie „Völkische Revolution“, „Völkische Jugend“, „Völkische Gemeinschaft“ und „Völkische Renaissance“. Es handle sich um Rechtsextremisten, die sich zu Adolf Hitler bekennen würden und Symbole und Sprache des Nazi-Regimes übernommen hätten. Dem Ministerium zufolge habe „Nordadler“ ein nationalsozialistisches Siedlungsprojekt mit Gleichgesinnten im ländlichen Raum geplant.

„Nordadler“ habe demnach online agiert, geschlossene und offene Chatgruppen benutzt und sogar eine eigene Webseite betrieben. Das Bundesinnenministerium beschrieb die Gruppe 2020 als ausgeprägt antisemitisch. Der mutmaßliche Anführer der Gruppe soll demnach in einer öffentlichen Telegram-Chatgruppe Sympathien für den Anschlag auf die Synagoge in Halle geäußert haben. Die dpa notiert, die Gruppierung habe eine aggressive Grundhaltung, die sich in Fantasien über Gewalt gegen Polizisten ausdrücken würde. Ein anderer der damaligen Vorwürfe lautete, der Anführer der Gruppe solle über diverse Online-Kanäle versucht haben, gezielt jüngere Internetnutzer anzuwerben, zu indoktrinieren und damit Verfassungsfeinde zu schaffen. Dem Ministerium zufolge zeichne sich „Nordadler“ durch Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus aus. Die Organisationsstruktur zeige Bezüge der SS, die Gruppe habe nationalsozialistische Symbole verwendet und sich zu Adolf Hitler bekannt. Das Innenministerium erklärte: „Der Anführer erklärte öffentlich, dass er sich als Nationalsozialist bezeichne und seine Gruppe die Rückkehr eines NS-Staats mit der weltanschaulichen ‚Ideologie von damals’ ersehne.“

Fortführung der Gruppe weiterhin verboten

Bis heute auf der Webseite des Bundesinnenministeriums online abrufbar ist ein Frage-und-Antwort-Katalog zum Verbot der Vereinigung „Nordadler“, in dem unter anderem erläutert wird: „Es ist verboten, Ersatzorganisationen für Nordadler zu bilden oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisation fortzuführen.“

2022 wies das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eine Klage gegen das Vereinsverbot ab. Geklagt hatte ein junger Mann, der sich zu Unrecht von einer der Hausdurchsuchungen betroffen sah. NDR-Recherchen zufolge soll es sich um den Zwickauer AfD-Stadtrat Julian Bader handeln. Laut dpa erklärte sein Anwalt damals, der junge Mann bestreite vehement, Vereinsmitglied gewesen zu sein. Er wolle rehabilitiert werden. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Klage ab, da nur Mitglieder gegen Vereinsverbote klagen können. Zwar könne er eine Klarstellung fordern, dass er bei der Vereinigung nicht mitgemacht habe und dass die Hausdurchsuchung bei ihm zu Unrecht erfolgt sei. Dafür müsse er sich an das Verwaltungsgericht Berlin wenden. Ob das geschehen ist, ist unklar.

Ex-Nordadler-Anführer wandert gemeinsam mit heutigem AfD-Stadtrat

Das „Nordadler“-Verbot war das dritte Vereinsverbot im Bereich Rechtsextremismus im Jahr 2020. Kurz zuvor hatte Innenminister Horst Seehofer (CSU) den rechtsextremistischen Verein „Combat 18 Deutschland“ und die Reichsbürgergruppierung „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ verboten. Der frühere „Nordadler“-Anführer, der bereits 2018 unter Terrorverdacht gekommen war, weswegen Beamte seine Wohnung stürmten und ihn fesselten, ist inzwischen in Westsachsen aktiv. 2018 hatte er sich in einem Fernsehinterview als Nationalsozialist bezeichnet.

Im Frühjahr dieses Jahres sprach der mehrfach verurteilte Mann vor dem Zwickauer Rathaus auf Wahlkampfveranstaltungen der „Freien Sachsen“. Dokumentiert ist, dass er gemeinsam mit dem Zwickauer Neonazi Sanny Kujath unter anderem an einem Zeltlager und einer Wanderung 2023 in der Nähe von Zwickau teilgenommen hat, was als Auftaktveranstaltung einer neuen rechtsextremen Gruppierung verstanden werden könne.

Das Ziel dieser Gruppe soll laut NDR-Recherchen sein, eine Siedlungsbewegung junger Rechtsextremer nach Zwickau zu organisieren. Ein anderer Teilnehmer der besagten Wanderung 2023, bei der das Rechercheteam STRG_F des NDR neben dem früheren „Nordadler“-Chef zwei weitere Ex-„Nordadler“ identifiziert haben will, war der heutige Zwickauer AfD-Stadtrat Julian Bader.

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Michael Stellner 28.08.2024 Freie Presse

Drei Stahlhelme beschlagnahmt: Wie tief sind die Verbindungen eines Zwickauer AfD-Stadtrats in die Neonaziszene?

Nach dem Verbot der mutmaßlich terroristischen Vereinigung „Nordadler“ fanden 2020 bundesweit Razzien statt. Eine davon bei einem heutigen Zwickauer AfD-Stadtrat. Was über den Fall bekannt ist.
Zwickau.

Eine Kleinstadt in Brandenburg, keine zwei Stunden von Leipzig und Dresden entfernt. Morgens 6 Uhr sollen Bundespolizisten an der Tür geklopft haben. Die Lausitzer Rundschau schreibt, die Beamten hätten drei Stahlhelme und Nazi-Literatur gefunden. Seine Mutter ist Politikerin der Linken, saß zeitweise im brandenburger Landtag, ihr damals 18-jähriger Sohn dagegen soll laut Verfassungsschutz führendes Mitglied der rechtsterroristischen Vereinigung „Nordadler“ sein, die Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) 2020 verboten hat. Der „Tagesspiegel“ schreibt damals: „Dem Vernehmen nach soll der Sohn noch nicht gefestigt sein und sich bei der Durchsuchung kooperativ verhalten haben.“ Vier Jahre später ist der junge Mann 22, lebt in Zwickau und ist für die AfD in den Zwickauer Stadtrat gewählt worden.
Nach wie vor Verbindungen in rechtsextremistische Szene

Es geht um Julian Bader, der in seiner ersten Stadtratssitzung als einer von zwei Vertretern des Stadtrats in den Jugendbeirat gewählt wurde, wo er Jugendliche an die Demokratie heranführen soll. Er setzte sich in der Kampfabstimmung gegen eine SPD-Kandidatin durch. Das Rechercheformat STRG_F des Norddeutschen Rundfunks (NDR) hat Baders Verbindung zu der verbotenen rechtsterroristischen Vereinigung in einem Filmbeitrag thematisiert, der am Mittwoch veröffentlicht wurde. Demnach soll Bader nach wie vor Verbindungen in die rechtsextreme Szene pflegen:

Den Recherchen zufolge bewegt er sich im Umfeld des Zwickauer Neonazis Sanny Kujath, der für die „Freien Sachsen“ zur Landtagswahl antritt und der dem NDR zufolge dabei ist, ein neues rechtsextremes Netzwerk im Raum Zwickau aufzubauen. Dafür sollen junge Gleichgesinnte aus allen Teilen Deutschlands in die Region ziehen. Kujath hat das dem NDR gegenüber bestritten. In rechtsextremen Strukturen aktiv ist er schon lange, unter anderem über seine laut Verfassungsschutz erwiesen rechtsextreme Bewegung „Junge Revolution“.

Das Rechercheteam berichtet von einem Zeltlager und einer paramilitärischen Wanderung 2023 in der Nähe von Zwickau, was als eine Art Gründungstreffen der neuen Bewegung verstanden werden könne. Unter den mindestens 14 Teilnehmern sollen sich drei Ex-„Nordadler“-Mitglieder befunden haben. Einem internen Chat zufolge seien „nur NSler“ dabei gewesen. Gemeint seien Nationalsozialisten. Mit dabei war AfD-Mann Julian Bader. Ein anderer Teilnehmer der Wanderung sitzt mittlerweile in Hessen in Untersuchungshaft.

Der Vorwurf: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Bader selbst sagte dem Rechercheteam STRG_F, er habe an dem Zeltlager nur teilgenommen, weil er zu einer „Sommerwanderung“ eingeladen worden sei. Ansonsten betätige er sich „auf demokratischem Wege“ und wolle in der Kommunalpolitik „Grunderfahrungen für ein politisches Werden“ sammeln. Dass er Mitglied bei „Nordadler“ gewesen sei, bestreitet Bader gegenüber den Journalisten.

Was lief über die geschlossene Telegram-Gruppe „Teutonischer Kreis“?

Dem NDR zufolge hatte Kujath mit der Rekrutierung junger Neonazis über die geschlossene Telegram-Gruppe „Teutonischer Kreis“ begonnen. Einem anderen Mitstreiter Kujaths zufolge sollen sich bereits zehn der so akquirierten Personen im Raum Zwickau befinden, man suche deutschlandweit nach Verstärkung. Das Ziel sei in „Bezug auf die politischen Feinde, diese aus dem ganzen Landkreis raus zu jagen“, sie aus Ämtern und Positionen zu entfernen, so der Kujath-Mitstreiter gegenüber dem Rechercheteam STRG_F. AfD-Stadtrat Julian Bader bestritt den NDR-Reportern gegenüber, die Telegram-Gruppe „Teutonischer Kreis“ zu kennen.

Die „Freie Presse“ hat versucht, mit Julian Bader über die Vorwürfe zu sprechen. Doch die AfD blockt die Kontaktaufnahme ab. Der Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Zwickauer Stadtrat, Andreas Gerold, meint lediglich: „Bei uns ist nichts vorgefallen.“ Gerold verweist aber auf „Vorfälle“ bei Baders früherem Verband, der AfD-Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“ in Mittelsachsen. „Er hat an einigen Veranstaltungen teilgenommen, die uns nicht gefallen haben. Im Umfeld Poggenburg, Reichsbürger und so weiter“, sagt Gerold. Ist Bader der richtige Mann für den Jugendstadtrat? Gerold sagt: „Das muss sich zeigen.“ Und: „Wenn junge Menschen in parlamentarische Arbeit eingebunden werden, können sie noch mal eine andere Entwicklung nehmen.“

Der Zwickauer AfD-Kreischef Jonas Dünzel sagt am Mittwoch, er höre von einer etwaigen Verbindung Baders zur verbotenen Gruppe „Nordadler“ das erste Mal. Er müsse sich zunächst damit beschäftigen, bevor er Stellung nehmen könne.

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Michael Stellner 16.08.2024

Stadtrat Zwickau: AfD-Leute räumen Posten ab – Woher kommen die vielen Stimmen?

Die erste Stadtratssitzung wird zum Krimi: AfD-Kandidaten erhalten viel mehr Stimmen, als die Partei Vertreter hat. Viele Stadträte sind perplex, die OB führt ein Einzelgespräch nach dem anderen. Was war da los?
Zwickau.

OB Constance Arndt (BfZ) verbringt einen Großteil des Donnerstagnachmittags in Einzelgesprächen, immer wieder nimmt sie sich einen Stadtrat zur Seite, manchmal ruft sie einen nach vorne. Ihre Miene ist ernst, um nicht zu sagen bitter. Als die erste Sitzung des neu gewählten Zwickauer Stadtrats nach mehr als drei Stunden vorbei ist, mag sie nicht mehr ins Detail gehen.

„Ich habe bei verschiedenen Stadträten nachgefragt, weil ich mich über Dinge gewundert habe“, sagt sie am Ende. Welche Dinge lässt sie offen. Dabei ist es das einzige Gesprächsthema unter allen Fraktionen an diesem Donnerstagnachmittag, an dem viel Zeit für Gespräche ist, da die Sitzung von schier endlosen Wahlvorgängen durchfurcht und in die Länge gezogen wird: Woher kommen die vielen Stimmen für die AfD?

Offenbar geht bei der Jugendbeirat-Abstimmung gehörig etwas schief

Das Drama nimmt seinen Lauf, als die zwei Vertreter des Stadtrats im Jugendbeirat bestimmt werden sollen. Jenem Gremium, um das längst ein kleiner Kulturkampf in Zwickau entbrannt ist. Manche halten den Jugendbeirat für ein linksindoktriniertes Gebilde, andere werfen rechten Akteuren vor, die Stimme der Jugendlichen entwerten zu wollen, weil sie nicht in ihr konservatives Weltbild passe. Faktisch ist der Beirat völlig machtlos.

Der Stadtrat entsendet zwei Mitglieder in die Jugendvertretung, konnte sich aber im Vorfeld nicht auf ein Duo einigen und so kommt es am Donnerstag zur Abstimmung: Der 22-jährige neue AfD-Stadtrat Julian Bader bekommt 24 Stimmen und sticht damit Anne-Kathrin Findeiß (Progressive Demokraten) aus. Die AfD ist an diesem Tag mit 15 ihrer 16 Stadträte vertreten. Es müssen also neun Stadträte anderer Fraktionen für den jungen AfD-Mann gestimmt haben. Als zweite Vertreterin gewählt wird Grit Blöse (BfZ) mit komfortablen Stimmenanteil.

Offenbar ist in diesem Moment etwas ganz gehörig schief gelaufen. Die Fraktion Progressive Demokraten (SPD, Grüne, Linke, FDP) beantragt eine Auszeit, die OB beginnt mit ihrem Gesprächsmarathon. Wer außer der AfD und dem einen Freie-Sachsen-Vertreter könnte noch für den AfD-Mann gestimmt haben? PD-Fraktionschef Jens Juraschka wirkt angefressen. Wieso die Auszeit? „Wir mussten erst mal klären, was das für uns bedeutet“, sagt Juraschka. „Ob wir jetzt nur noch unsere eigenen Kandidaten wählen.“ Es klingt, als habe es eine Absprache unter den Fraktionen gegeben, die AfD-Leute nicht zu wählen.

Warum redet die OB so viel speziell mit CDU-Leuten?

So geht es weiter bei den nächsten vier mehr oder weniger unwichtigen Personalien: Sachkundige Bürger, die von Fraktionen vorgeschlagen werden, um ihr Fachwissen in diverse Ausschüssen einzubringen. Alle AfD-Kandidaten kriegen die Posten, dreimal mit 27 und einmal mit 25 Stimmen. Zwölf bzw. zehn mehr, als die Fraktion selbst aufbringen kann. Auch die BfZ-Kandidaten gehen locker durch, aber ihre Stimmenanzahl verringert sich nach der PD-Auszeit deutlich.

Warum redet die OB so viel speziell mit CDU-Mitgliedern? „Kann ich nichts zu sagen“, sagt CDU-Fraktionschef Michael Luther, der kurz vorher ebenfalls von Arndt beiseitegenommen worden war. Aber Luther fährt fort: „Von uns kommen die Stimmen jedenfalls nicht. Offenbar gibt es eine gute Zusammenarbeit zwischen BfZ, BSW und AfD.“

Im Gespräch mit anderen Stadträten wird klar: Absprache wollen sie es nicht nennen, eine Verständigung aber hat es gegeben. Lars Dörner (PD) sagt: „Wir im demokratischen Spektrum waren uns eigentlich einig, niemandem von der AfD die Stimme zu geben.“ Gerald Otto (CDU) bestätigt das. Doch selbst wenn BSW und BfZ geschlossen die AfD-Kandidaten gewählt hätten, wären das aufgrund zweier Abwesenheiten nur zehn Stimmen gewesen. Es müssen also noch Vertreter weiterer Fraktionen für die AfD gestimmt haben.

BfZ will Kooperation mit AfD nicht bestätigen

AfD, BSW und BfZ bestätigen nicht, sich abgesprochen zu haben. BfZ-Chef Tristan Drechsel wischt das Thema weg und will lieber über seine Freude reden, dass seine Leute es in jeden einzelnen Ausschuss geschafft haben, und das mit komfortablen Stimmenanteilen. Absprachen? „Sind doch mit vielen hier gar nicht möglich“, grummelt Drechsel.