Eugenik-Äußerungen von Ärzte-Chef „Nicht mehr tragbar“: Landesärztekammer und Uniklinik Dresden fordern Absetzung von Klaus Heckemann

Der KVS-Vorsitzende Heckemann denkt laut über eine komplette Mutationssuche vor der Geburt nach. Sachsens Landesärztekammer sowie Uniklinik und Medizinische Fakultät in Dresden fordern seine Absetzung, Leipzigs Medizin-Dekan ist „entsetzt und sprachlos“.

Das Uniklinikum Dresden (UKD) fordert in einem offenen Brief den Rücktritt des Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen (KVS), Klaus Heckemann. Dem hat sich inzwischen auch Erik Bodendieck angeschlossen, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer. Auch die Uniklinik Leipzig übt scharfe Kritik. Grund sind Heckemanns Äußerungen im Editorial der KVS-Mitteilungen von Mai/Juni zum Thema Humangenetik.

Heckemann schlägt dort vor, allen Frauen mit Kinderwunsch „eine komplette Mutationssuche nach allen bekannten, autosomal-rezessiv vererbbaren, schweren Erkrankungen“ anzubieten und bei entsprechendem Ergebnis auch den Vater zu untersuchen. So lasse sich das Risiko der Geburt eines schwerstkranken Kindes ausschließen. Das spare Kosten und vermeide das Leid betroffener Eltern. Heckemann verweist auch auf „eine starke Einschränkung der Lebenserwartung und natürlich auch der Lebensqualität“ in den allermeisten Fällen. Die Verfahrensweise bezeichnet Heckemann selbst als „Eugenik, allerdings in ihrem besten und humansten Sinn“.

Bodendieck: Rücktritt ist notwendig

Eugenik bezeichnet Maßnahmen, die der Vermehrung von Menschen mit positiv bewerteten Erbanlagen dienen und im Gegenzug die Vermehrung von Menschen mit negativ bewerteten Erbanlagen verhindern. Seitdem die Nationalsozialisten im Dritten Reich ihre massenhaften Morde unter dem Deckmantel der Eugenik verübten, ist der Begriff in Deutschland stark negativ konnotiert.

Erik Bodendieck, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer, forderte am Mittwoch Vormittag die Absetzung Heckemanns: „Um weiteren Schaden von der Ärzteschaft sowie deren Selbstverwaltung abzuwenden, ist ein Rücktritt des Vorsitzenden des Vorstandes der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen aus meiner Sicht notwendig.“ Unabhängig vom grundgesetzlich geschützten Recht auf freie Meinungsäußerung existiere auch das Recht eines jeden auf Leben und körperliche Unversehrtheit, schreibt die Landesärztekammer in einem weiteren Statement.

„Dabei dürfen die vorgenommenen Kostenkalkulationen keine Rolle spielen, ja muten in diesem Zusammenhang geradezu zynisch an – zumal solche Berechnungen nicht zu den Aufgaben des KV-Vorsitzenden gehören.“ Den Begriff der „Eugenik“, also die Lehre der vermeintlich guten Erbanlagen, in der heutigen Zeit ausdrücklich ins Spiel zu bringen, überschreite aus Sicht der Sächsischen Landesärztekammer eine Grenze und diene nicht dem nachvollziehbaren Anliegen, zu bestimmten Themen eine breite gesellschaftliche Diskussionen anzustoßen. „Die Ausführungen wecken automatisch Erinnerungen an die deutsche Vergangenheit und sind mit dem ärztlichen Ethos unvereinbar“, schreibt die Kammer.

Uniklinik Dresden: Heckemann ist nicht mehr tragbar

Bereits am Vortag hatten die Unterzeichner eines offenen Briefs der Dresdner Hochschulmedizin die Absetzung des KVS-Chefs verlangt: „Wir verurteilen die öffentlichen Äußerungen des Vorsitzenden der KVS“, erklärten unter anderem die Vorstände Michael Albrecht und Frank Ohi sowie zahlreiche Ärzte des Krankenhauses und die Dekanin der Medizinischen Fakultät der TU Dresden Esther Troost.

Der Vorwurf: Indem er den Begriff der Eugenik verwende, diskreditiere Klaus Heckemann nicht nur sich selbst, sondern schade auch der Kassenärztlichen Vereinigung, den dort organisierten Ärzten, der Ärzteschaft insgesamt und nicht zuletzt dem Freistaat Sachsen. Für die Ärzteschaft des UKD ist Heckemann in seiner aktuellen Position nicht mehr tragbar, weshalb sie nun die sächsische Sozial- und Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) in der Pflicht sieht, an die der offene Brief gerichtet ist.

Die Uniklinik Leipzig (UKL) hat eine Stellungnahme angekündigt; Vorstand Professor Christoph Josten erklärte aber bereits vorab, die Äußerungen Heckemanns seien „nicht hinnehmbar“. Professor Ingo Bechmann, Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig, zeigte sich „entsetzt und sprachlos“.

Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen werde „offensichtlich von einem Menschen geführt, der sich sprachlich nationalsozialistischer Ideologie annähert“, kritisiert auch Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats, die Wortwahl von Klaus Heckemann. Der KVS-Vorsitzende unterscheide zwischen wertem und unwertem Leben, was „stark an die Verbrechen an behinderten und kranken Menschen im Dritten Reich“ erinnere. Auch die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen verurteilt Heckemanns Äußerungen. Der gesundheitspolitische Sprechers der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag Markus Scholz hat sich ebenfalls zu Wort gemeldet. Die Aussagen des KVS-Vorsitzenden seien „unsäglich“, sagt Scholz. Gerade mit Blick auf die NS-Verbrechen an Menschen mit Behinderungen seien die Aussagen „verstörend“.

KVS-Chef sieht keinen Grund für Rücktritt

Klaus Heckemann sieht die Sache nach einem Bericht der Ärzte-Zeitung anders. Es handele sich bei der Sache um ein „offensichtliches Missverständnis, was allein deshalb kein Grund für einen Rücktritt sein kann“. Die KVS hat für den Nachmittag eine offizielle Mitteilung zu dem Fall angekündigt. Über eine Abberufung Heckemanns müsste die KVS-Vertreterversammlung als „Ärzte-Parlament“ entscheiden. Denkbar wäre auch eine Intervention des Sozialministeriums, deren Aufsicht die KVS unterliegt. Das Ministerium hat sich bislang nicht zum Fall geäußert.