Rechtsextremismus bei Simson-Treffen in Zwickau: DDR-Kult im braunen Sumpf
Geplant ist ein Wochenende voll Party, Camping und DDR-Mopeds – überschattet wird es von ausländerfeindlichen Parolen und Feuer auf dem Campinggelände. Dabei bleibt selbst die Feuerwehr von Anfeindungen nicht verschont. Hitlergrüße und rechtsextreme Symbole auf dem Campingplatz eines vermeintlich harmlosen Moped-Treffens – wie passt das zusammen? Der Veranstalter hält sich für machtlos.
Auf dem Gelände des größten deutschen Simson-Treffens ins Zwickau riecht es mittags nach einer Mischung aus verbranntem Gummi und Abgasen. Es ist laut – und heiß. Bei 30 Grad im Schatten reißen zahlreiche Mopedfahrer an den Gasgriffen der mitunter kreativ angepassten DDR-Kultfahrzeuge und wirbeln Staub auf.
Mir ist diese Atmosphäre vertraut, – denn ich bin selbst gern und viel auf meiner „Simme“ unterwegs – oder schraube an ihr. Die DDR-Zweiräder aus dem thüringischen Suhl sind der Anlass für das Treffen mit Festivalcharakter und bis zu 3.000 Gästen. Angereist zum „STZ“ sind vor allem junge Männer zwischen etwa 16 und 25 – den Kennzeichen nach überwiegend aus Sachsen und Thüringen.
Weniger als drei Minuten nach meiner Ankunft auf dem Gelände sehe ich auf einem adoleszenten Rücken gut lesbar und unverhohlen die Edding-Aufschrift: „Alle Schwarzen sollen hängen!“ Der Rückenbesitzer steht in der Schlange in einem PR-Wagen. Als er sich umdreht, prangt auf der Schlüsselbeinregion auch ein gezeichnetes Hakenkreuz. Sein Begleiter trägt ein Shirt. Das wiederum „ziert“ die Aufschrift „Kraft durch Freunde“. Der gewählte Schriftsatz und der Reichsadler lassen keinen wirklichen Zweifel an der Anspielung auf die nationalsozialistische Massenorganisation „Kraft durch Freude (KdF)“.
Szene-Größe: „Ich will zeigen, was hier passiert“
Ich bin nicht angereist, um mitzufeiern. Im vergangenen Jahr rief mich ein bekannter Vertreter aus der Simson-Szene an und sagte: „Ich will zeigen, was hier passiert“. Dann schickte er mehrere Minuten Videoaufzeichnungen des Simson-Treffens 2023 in Zwickau.
In der ersten Szene: Eine Menschengruppe skandiert in der Abenddämmerung „Sieg Heil“ – einzelne zeigen dabei den Hitlergruß. In weiteren Aufnahmen sehe ich unter anderem gezeichnete Hakenkreuze und einen „Adolf Hitler“-Schriftzug auf einer Motorhaube. Dazu kommen weitere Rufe und eine große unter Zuspruch in Anwesenheit eines Ordners geschwenkte schwarz-weiß-rote Reichsflagge.
Anspruch versus Realität: „Wenn wir die sehen, fliegen die raus.“
Über Teile dieser Vorfälle auf dem Treffen 2023 berichteten unter anderem der MDR und die „Freie Presse“ (€). Der Zeitung sagte Organisator Dominic Würfel damals über Gäste mit Nazi-Symbolen: „Wenn wir die sehen, fliegen die raus!“ Ich bin nach Zwickau gefahren und möchte mir anschauen, was aus dieser deutlichen Ankündigung geworden ist.
Es ist der 20. Juli, der dritte Festivaltag 2024. Die erste Änderung zum Vorjahr: Akkreditierte Journalisten sollen nach Vorgaben des Veranstalters gut erkennbar mit weißen Warnwesten auftreten, auf denen „Presse“ steht. Daran halte ich mich nicht. Ich zahle den vollen Eintrittspreis und gehe ohne Akkreditierung im Festivaloutfit auf das Gelände – quasi undercover.
Der Veranstalter sagt mir später, die „Presse“-Westen hätten sowohl die eigenen Social-Media-Leute als auch akkreditierte Journalisten tragen sollen. Zum einen, um für Ordner erkennbar zu sein und so Zugang zum Bühnenbereich und anderen Stellen zu bekommen. Zum anderen sollten Fotografen laut Würfel so für Gäste erkennbar sein, die nicht abgebildet werden wollen.
Camping-Deko beim STZ: Von Honecker bis Reichsflagge
Die allermeisten Camps sind kreativ und ausschweifend – aber eher harmlos gestaltet. Von Club-Fahnen und fahrbaren Pools bis zu LKW-Anhängern mit eigener Party-Bühne ist alles dabei. Die Bewohner widmen sich dem Feiern oder ihren Zweirädern. Alkohol spielt eine große Rolle. Mehrere Camps ziert aber ungewöhnlicher „Schmuck“, von dem offenkundig abgeschraubte Orts- und Verkehrsschilder, DDR-Flaggen und ein lebensgroßes Portrait Erich Honeckers die harmlosesten Varianten sind.
Eines der Ortsschilder trägt gut sichtbar einen Reichsflaggen-Aufkleber. Auf dessen weißem Streifen steht „NS-Zone“. Das Schild sehe ich auch am Abend noch. Offenbar hat niemand daran Anstoß genommen. Die Gesinnung wird offen zur Schau gestellt – offenbar ohne Widerspruch.
Auch in einem Camp in der Nähe machen zwei junge Männer keinen Hehl aus ihrer Gesinnung: Sie heben parallel ihre Arme zum Hitlergruß. Sie sehen nicht älter aus als 18. Kein Mitbewohner im Camp protestiert. Den Simson-Fans scheint es gleichgültig zu sein, was auf ihrem Festival passiert.
Die Farben Schwarz, Weiß und Rot in Kombination sind auch auffällig oft auf Hosen und Hüten vertreten. Ich frage einen Ordner, ob das in Ordnung sei. Er berät sich mit Kollegen und sagt: „Ja, solange da nicht irgendwelche Symbole drauf sind.“
Ich ziehe weiter über das Gelände und schaue mich um. Mehrere Mopeds tragen den Schriftzug „Raus mit die Viecher!“ (sic). Das ist eine Anspielung auf eine „Stern-TV“-Reportage, in der dieser entmenschlichende Satz über Geflüchtete gesagt wird. Bei anderen Mopeds ist die Startnummer „88“ – ein rechtsextremer Code für „Heil Hitler“ – auffällig oft vertreten.
Ein junger Mann in einer großen Gruppe trägt ein Shirt mit der Aufschrift „Auch ohne Sonne braun“. Um die Referenz unmissverständlich zu machen, ist ein halbes Sonnenrad abgebildet. Das NS-Symbol mussten einst KZ-Häftlinge auf Geheiß Heinrich Himmlers in die Wewelsburg der SS in den Boden einlassen.
Simson-Treffen: Ordner ignorieren rechtsextreme Symbole
Während es allmählich dämmert, laufen mir die jungen Männer vom Anfang des Tages über den Weg. Der auf den Rücken geschmierten rassistischen Tötungsforderung gegen schwarze Menschen haben die Feier-Strapazen ähnlich stark zugesetzt, wie ihrem taumelnden Träger. Die Schrift kann ich noch erkennen – aber nicht mehr lesen. Das Hakenkreuz wurde aber mehr oder weniger sorgfältig mit Edding nachgezogen.
Sein Camping-Mitbewohner trägt weiter sein „Kraft durch Freunde“-Shirt. Augenscheinlich hat über den ganzen Tag kein Ordner daran Anstoß genommen. Das gleiche gilt für ein weiteres „Braun – auch ohne Sonne“-Shirt mit halbem Sonnenrad an anderer Stelle auf dem Platz. Mehrere Security-Männer nehmen davon weder Notiz, noch die Sache in die Hand – sie gehen an dem Mann vorbei.
Nicht alle tolerierten Symbole sind strafbar
Die wenigsten der auf dem Gelände ignorierten oder tolerierten Symbole sind – im Gegensatz zu Hakenkreuzen und rassistischen Lynchforderungen – strafbar. Doch muss sich der Veranstalter die Frage gefallen lassen, warum er nicht mit seinem Hausrecht eindeutige Erkennungszeichen der rechtsextremen Szene verbietet – und das dann durch seine Ordner und Sicherheitsleute durchsetzt. Ich entdecke zu viel auf dem Gelände, als dass alles „übersehen“ worden sein kann.
Feuer und Gesänge: „Deutschland den Deutschen“ – „Alle Bullen sind Schweine“
Der Informant aus der Simson-Szene hatte mir am Telefon gesagt: „Die schämen sich noch nicht einmal für ihre rechtsextremistischen Aktionen.“ Gegen 21 Uhr sehe ich plötzlich Feuer auf dem Campinggelände. In Flammen steht augenscheinlich ein Müllhaufen mit einem Einkaufswagen darin.
Einzelne Feuerwerkskörper explodieren. Schnell formiert sich unter lauten „Ostdeutschland“-Rufen ein Kreis von etwa 200 Menschen um die Brandstelle. Mehrere der Grölenden tragen Shirts mit Wehrmachtsmotiven. Ein junger Mann hat ein grobschlächtig gemaltes Hakenkreuz auf dem Arm. Ein weiterer trägt ein „Sylt – Döp Döp“-Shirt. Schon bald grölen nahezu alle Umstehenden lautstark die ausländerfeindliche Parole „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“, auf die dieses Shirt anspielt. Vereinzelt gehen Arme mutmaßlich zum Hitlergruß nach oben. Ordner und Security stehen entweder teilnahms- oder machtlos daneben. Ich filme das Geschehen.
„Ey, mach die Kamera aus“
Als die Feuerwehr den augenscheinlich gelegten Brand löscht, erntet sie dafür Buh-Rufe und als Folge den Schlachtruf „Alle Bullen sind Schweine“. Ein Teilnehmer will einen Feuerlöscher aus dem Kofferraum des Festival-Feuerwehrautos nehmen. Ein Feuerwehrmann wehrt ihn wütend ab. Die Stimmung ist aufgeheizt.
Ich muss meinen Besuch aus Sicherheitsgründen abrupt abbrechen: Ein Mann bemerkt in meinem Handydisplay meinen Versuch, einen anderen zu filmen, der ein Shirt der 2003 als kriminelle Vereinigung eingestuften Neonazi-Band „Landser“ trägt. Der erste brüllt unter wütenden Gesten „Scheiß Zivi, verpiss dich!“ und „Mach die Kamera aus!“. Mir wird klar, dass ich gemeint bin und ich verlasse sofort das Gelände Richtung Auto.
Polizei: Einsatzkräfte angegangen – mehrere Feuer
In der offiziellen Polizeibilanz lese ich am Dienstag, wie es dann ohne mich weiterging. Die Rede ist dabei von mehreren Anzeigen – wegen Landfriedensbruchs aber auch anderer möglicher Straftaten. Es läge ein Video vor, in dem Menschen ausländerfeindliche Parolen grölen. Das werde geprüft. Den Ablauf nach meiner Abreise schildert die Polizei so:
„[Es kam] zu mehreren Bränden auf dem Veranstaltungsgelände, weil unter anderem zwei Tatverdächtige ein Pocketbike und Unrat angezündet hatten. Im späteren Verlauf wurden die Kameraden der Berufsfeuerwehr Zwickau hinzugezogen, da die Anzahl der Brände weiter zunahm und die Brandwache des Veranstalters Unterstützung brauchte. Sowohl die im Einsatz befindlichen Rettungskräfte des Rettungsdienstes als auch die Polizeikräfte und Kameraden der Feuerwehr wurden während der Durchführung ihrer Aufgaben mehrfach gestört, angegriffen und mit verschiedenen Gegenständen beworfen.
Zeitweise stieg die Anzahl der störenden Person[en] auf bis zu 400 an, sodass weitere Polizeikräfte aus anderen Polizeidienststellen angefordert werden mussten. Durch die erhöhte polizeiliche Präsenz konnte die Lage schließlich beruhigt werden.“
Veranstalter: Kein Nazi-Treffen – Leute tanzen aus der Reihe
Veranstalter Dominic Würfel äußert sich am Dienstag auf Nachfrage zu meinen Beobachtungen. Am Telefon sagt er, die Veranstaltung sei kein „Nazi-Treffen“, aber Leute tanzten aus der Reihe. Er als Veranstalter käme nicht gegen alle Symbole an. Mehrere Gäste seien nach dem Zeigen des Hitlergrußes „rausgeschmissen“ worden. Dabei sei auch die Polizei hinzugezogen worden. Täter aus dem Vorjahr seien – auch für Hitlergrüße – mittlerweile bestraft worden. Das fände er gut.
Bereits an der Kasse würden Shirts geprüft und wenn nötig untersagt. Bestimmte Flaggen oder „Landser“-Shirts würden „auf den Müll fliegen“. Das Personal sei aber nicht dafür da, „jedes Tattoo zu checken“ und in erster Linie für die Sicherheit verantwortlich. Darüber hinaus sei es nicht möglich, „alle Symbole zu kennen“. Er selbst sei auch mit seiner Firma ausgelastet und könne sich nicht mit Dingen beschäftigen, die „im Leben nicht weiterbringen“.
Zu den Fällen ausländerfeindlicher Gesänge sagt Würfel, es sei nicht möglich, alle zu erkennen, die mitsingen. Sicherheitsleute hätten in dem Fall aber einschreiten sollen. Priorität habe aber die Sicherheit, wenn diese zum Beispiel wegen der Feuer in dem Moment gefährdet gewesen sei.
Kulturbüro Sachsen: Rechtsextreme Vorfälle nicht überraschend
Anne Mehrer, Fachreferentin im Kulturbüro Sachsen sagt am Dienstag, die dokumentierten Fälle gingen über den Zustand normaler Jugendkultur in Sachsen hinaus. Augenscheinlich sei auf dem Treffen in Zwickau etwas „gekippt“. Das Kulturbüro ist ein Verein, der professionell zu Rechtsextremismus berät und sich für eine demokratische Gesellschaft einsetzt. Angesichts der vorliegenden Bilder sagt Mehrer, es gehe in Zwickau augenscheinlich nicht mehr nur um Mopeds. Es sei ein Treffen, das auch Rechtsextreme auf den Plan rufe.
Simson als Symbol für „gutes Früher“
Die Simson selbst, sagt Mehrer, sei in diesem Kontext teils eine Chiffre für „früher war alles gut“. Es gehe um Erzählungen von Freiheit, ersten Jugenderinnerungen und „Widerständigkeit“. Solche Bilder würden teils auch Nachwendekindern als „ostdeutsche“ Identität über Generationen vermittelt und seien ein „Angebot“ für junge Menschen, das ankomme.
Diese Identität fußt laut Mehrer auf einer Art Gegenmodell zum „Westen“, zur „Großstadt“ und auch zur aktuellen Ampelregierung: „Alte Mopeds – alte Regeln und ein Symbol gegen grüne Politik.“ Mehrer sagt, diesen Hintergrund hätten 15-jährige Moped-Schrauber vermutlich nicht auf dem Schirm. Parteien wie die AfD machten sich solche Dynamiken aber in bestimmten Regionen zunutze. Und das verfange bei jungen Menschen, die sich in den vergangenen Jahren in Sachsen spürbar politisiert hätten.
AfD-Plakat: „Simson statt Lastenrad“
Die AfD hat den Trend erkannt und versucht, ihn für sich zu nutzen. In unmittelbarer Nähe zum Gelände in Zwickau wirbt die AfD im sächsischen und thüringischen Landtagswahlkampf als einzige Partei. Auf einer zweistelligen Anzahl Plakate steht „Simson statt Lastenrad“. Die Junge Alternative zeigt ein Foto des Plakats am Festival-Eingang auch auf Instagram.
Vereinzelt Parolen auch auf Simson-Treffen in Suhl
Die Vorfälle in Zwickau sind kein Einzelfall. Zwei Wochen zuvor fielen auch beim Simson-Treffen in Suhl vereinzelt Besucher auf. Auch dort sang eine kleine Gruppe junger Männer im Schutz ihres Pavillon-Zeltes „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“. Ein Kind und offenbar sein Vater trugen jeweils das aktuelle Deutschland-Trikot mit der Nummer 44. Die Schreibweise der Ziffern erinnert an die verbotene „SS“-Rune der Nationalsozialistischen Schutzstaffel. Aus diesem Grund wurde die Schreibweise der Ziffer 4 auf den Trikots im Shop mittlerweile vom DFB geändert.
Veranstalter in Suhl war die Firma MZA aus Südthüringen, die einen Großteil der 2003 aufgelösten Simson-Produktion gekauft hat und die meisten Ersatzteile produziert sowie die Lizenz für den Simson-Markennamen hat. Geschäftsführer Falko Meyer sagte auf MDR THÜRINGEN-Anfrage, Ordner seien angehalten, zu ermahnen und Platzverweise zu erteilen, wenn sie bekannte verfassungsfeindliche Symbole oder Handlungen erkennen. Die beiden Menschen im Trikot seien nicht aufgefallen, weil die Ordnungskräfte vermutlich nicht derart „spezielles Wissen“ hätten.
MZA ist laut STZ-Website Sponsor des Treffens in Zwickau, verkaufte Eintrittskarten für das Event und war mit eigenem Stand vor Ort. Auf der eigenen MZA-Website steht (Stand Mittwoch) die Firma für das Treffen in Zwickau noch als „Hauptsponsor“. Die Firma teilt aber mit, sich „aus wirtschaftlichen Gründen“ davon zurückgezogen zu haben. Ein MZA-Sprecher sagte außerdem, die Firma distanziere sich von den rechtsextremistischen Vorfällen.
Im Gegensatz zu MZA ist nach Angaben des Zwickau-Veranstalters Würfel nach den Vorfällen des vergangenen Jahres ein anderer Sponsor vom Treffen in Sachsen bereits gänzlich abgesprungen.
Anm. d. Redaktion: In einer früheren Version des Beitrag hieß es, ein ausländerfeindlicher Satz stamme aus einer „Spiegel TV“-Reportage. Richtig ist „Stern TV“. Wir haben den Beitrag an der Stelle angepasst.