»Roten Winkel gegen Antisemit:innen verteidigen«

Der Berliner Ortsverband des VVN-BdA kritisierte die Vereinnahmung des roten Winkels durch die Hamas und durch antiisraelische Demonstrant:innen. Die »Jungle World« sprach mit dem Geschäfts­führer des Berliner Ortsverbands, Markus Tervooren, über die historische Bedeutung des Symbols.

Ende Juni hat die VVN-BdA Berlins bei Instagram einen kurzen Beitrag zur Vereinnahmung des roten Winkels veröffentlicht. Gab es dafür einen bestimmten Anlass?

Der Text stammt aus einem Redebeitrag. Im Mai war ein Mahnmal für deportierte Jüdinnen und Juden in Moabit mit antiisraelischen Parolen beschmiert worden. Die roten Dreiecke tauchten am Mahnmal zwar nicht auf, aber andernorts. Deshalb organisierte die Gruppe, die in Moabit auch das Gedenken zur Reichspogromnacht am 9. November plant, eine Veranstaltung, wo die entsprechende Rede gehalten wurde. Damals haben das nur 150 Personen gehört – wir dachten uns dann, wir machen das mal ein bisschen größer.

Welche Bedeutung hatte das Symbol im Nationalsozialismus?

Mit diesem Symbol wurden linke politische Gefangene in den Konzentrationslagern markiert. Das war also eine Kennzeichnung, die die Nazis ihren politischen Feinden angeheftet haben, am Ende dessen stand dann häufig der Tod. Neben dem roten Winkel gab es beispielsweise auch den gelben Winkel für Jüdinnen und ­Juden oder den schwarzen Winkel für sogenannte Asoziale. Den roten Winkel haben sich die Verfolgten des Naziregimes nach Ende des Krieges wieder angeeignet. In ganz Deutschland gibt es seit 1945 zahlreiche antifaschistische Mahnmale und Gedenktafeln, die mit dem roten Winkel versehen sind.

Seit dem 7. Oktober wird das Symbol nun von den Feinden Israels genutzt, um missliebige Institutionen und Gegner zu markieren.

Als wir gesehen haben, dass Hamas-Anhänger das Symbol auf propalästinensischen Demos verwenden, haben wir schnell begonnen zu recherchieren und festgestellt, dass dieses rote Dreieck auch in Hamas-Propagandavideos auftauchte. In diesen Videos wurden Menschen, die von der Hamas getötet oder gequält wurden, mit diesem Symbol markiert. Die bezogen sich natürlich nicht auf den roten Winkel, wie er von Antifaschist:innen verwendet wird, übrigens zum Beispiel auch in Frankreich und Belgien. Sowohl bei uns als VVN-BdA wie auch bei Überlebenden löste das Wut und Ärger aus. Immerhin ist der rote Winkel ein Symbol, das wir uns angeeignet haben und das wir auch gegen Antisemit:innen verteidigen wollen.

Antiisraelische Aktivist:innen versuchen teilweise, sich in die Tradition des Widerstands gegen den Nationalsozialismus zu stellen. Wie interpretieren Sie dies als Verband von NS-Verfolgten?

Deren Haltung steht natürlich nicht in der Tradition des Widerstandes gegen den NS. Sie hängt vielmehr Vorbildern an, die zutiefst reaktionär sind. Dass Leute auf die Idee kommen, antifaschistische Traditionen mit der Hamas zu verknüpfen, ist mir vollkommen unverständlich. Besonders ärgerlich ist, dass Student:innen, die eigentlich wissen könnten, wofür dieser rote Winkel in Deutschland steht, dieses Symbol wieder in seiner Ursprungsbedeutung verwenden, nämlich als Feindmarkierung für politische Gegner. Für KZ-Häftlinge bedeutete dies ja durchaus eine Todesdrohung. Uns hat auch geärgert, dass der rote Winkel auf Neuköllner Hauswänden, an Cafés und an Unis auftauchte. Diese Geschichtsverfälschung und die Aneignung des roten Winkels durch reaktionäre Kräfte fanden wir schrecklich. Wir wünschen uns da von der propalästinensischen Bewegung, die ja auch legitime Anliegen hat und auf den unhaltbaren Zustand für die Bevölkerung in Gaza hinweist, eine informierte und selbstkritische Auseinandersetzung – auch im Sinne der ­eigenen Sache.

Was sagt das Ihrer Ansicht nach über das Geschichtsbewusstsein hierzulande aus?

Wir haben gedacht, wir wären da nach so vielen Jahrzehnten schon weiter. Deutlich wird das mangelnde Geschichtsbewusstsein aber auch an den Überlegungen, das rote Dreieck zu verbieten. Gerade Po­litiker:innen sollten wissen, wofür dieser rote Winkel auch steht. Das Verbot träfe nicht nur Antisemit:innen, sondern auch Antifaschist:innen.