Pegida war nie wirklich weg

Von den Protesten der Pegida-Bewegung dürften viele länger nichts mehr gehört haben. Doch es gibt sie noch – als gefährliche Bühne für die Stars der rechten Szene.

„Es ist Zeit zum Abschieben, wir müssen millionenfach die Illegalen nach Hause schicken! Das ist ein Versprechen von uns Patrioten auf der Straße. Wir brauchen eine Remigration!“, ruft Martin Sellner am Montagabend der vergangenen Woche der Menge vor ihm zu. In der Dresdner Innenstadt sind neben Deutschlandflaggen rechte Symbole und Tätowierungen zu sehen. Die Menge tobt und stimmt „Widerstand“- und „Abschieben“-Sprechchöre an, als Sellner, Kopf der Identitären Bewegung Österreich, vom anstehenden Untergang des deutschen Volkes und seiner Lösung, der millionenfachen Abschiebung von Menschen mit Migrationshintergrund, spricht.

Doch vor ihm stehen keine Anhänger der Identitären Bewegung – zur Demonstration aufgerufen hat eine Organisation, von der in den bundesweiten Medien seit Längerem kaum noch zu lesen ist: Pegida. Das rechte Bündnis – sein Name steht für Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes – war zur Zeit seiner Gründung Ende 2014 ein Sammelbecken von Protestlern in der Flüchtlingskrise. Innerhalb weniger Monate etablierte sich eine Protestbewegung, die fortan jeden Montagabend Tausende Demonstrierende auf die Straßen der Dresdner Innenstadt brachte, vereint in chauvinistischen Ressentiments gegen Menschen mit Migrationshintergrund.

In der Ära Merkel hatte das Zugkraft. Doch im Laufe der Jahre nahm nicht nur das mediale Interesse ab, sondern auch der Zulauf. Mehr als eine niedrige vierstellige Teilnehmendenzahl fand nur zu seltenen Anlässen wie den groß zelebrierten Jahrestagen ihren Weg zu Pegida. Ein großer Bruch kam mit der Coronapandemie 2020. Die regelmäßigen Proteste wurden mit dem Lockdown ausgesetzt. Stattdessen begannen die Querdenken-Bewegung und die Kleinpartei Freie Sachsen, mit ihren Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen das rechtsradikale Protestgeschehen in Dresden zu dominieren. Doch Pegida ist nicht weg, bloß die Strategie ist anders. Statt Demonstrationen jeden Montag finden seit der Pandemie nur noch alle paar Monate groß angekündigte Proteste statt. Dabei sprechen Führungsfiguren der rechten Szene wie der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke oder Martin Sellner.

Demonstrationen als Wallfahrtsort

„Pegida bleibt ein fest etablierter, inzwischen traditionsreicher Wallfahrtsort für den Auftritt rechtsextremer Größen aus dem Bundesgebiet – auch ohne wöchentlich aufzumarschieren“, erklärt Anne Herpertz. Die Politikwissenschaftlerin sitzt für die Piratenpartei im Dresdner Stadtrat und engagiert sich seit Jahren gegen rechts. Wer als Größe respektiert werden will, muss in Dresden sprechen, in der sogenannten Hauptstadt des Widerstandes, wie es im Pegida-Sprech heißt – so wie in der vergangenen Woche Martin Sellner, der direkt nach der Aufhebung seines Einreiseverbots nach Deutschland Stargast beim Aufmarsch war.

Ebenfalls dort auszumachen: Akteure der Gruppe Elblandrevolte, eines Dresdner Zusammenschlusses junger gewaltbereiter Neonazis. Ihre Mitglieder waren durch den Angriff auf SPD-Politiker Matthias Ecke im Mai bundesweit bekannt geworden. Pegida fungiere als überregionale Vernetzungsplattform, auf der „neuere Akteure der rechtsextremen Szene auf erfahrene Szenegrößen treffen und damit an Ressourcen, Strukturen und Know-how gelangen“, erklärt Herpertz. So seien neue Verbindungen zum radikalisierten Coronaprotestmilieu und anderen rechtsextremen Protestorganisationen wie den Freien Sachsen entstanden – mit denen man nun gemeinsam auf die Straße geht.

Daher wirkten die Veranstaltungen wie ein „‚Scharnier‘ zwischen Extremisten und Nichtextremisten“, heißt es im Jahresbericht des sächsischen Verfassungsschutzes. Das Bündnis verfolge „zielgerichtet die Strategie, mit extremistischer Programmatik immer tiefer in die Mitte der Gesellschaft einzudringen“. Der Verfassungsschutz befürchtet ein „Übergreifen verfassungsfeindlicher Positionen auf die bürgerliche Mehrheitsgesellschaft“.

Neue Bündnisse in der radikalen Rechten

Zwischen den rechtsradikalen Organisationen in Dresden und darüber hinaus bilden sich neue Bündnisse. Gleichzeitig verfestigen sich die Vernetzungen zwischen einzelnen Fraktionen des Rechtsradikalismus, die früher noch getrennt auftraten. Dabei gilt eine effiziente Arbeitsteilung: Während Freie Sachsen und Querdenken die regelmäßigen Proteste organisieren, konzentriert sich Pegida auf große Events.

Alle drei sprechen dabei bestimmte Zielgruppen an, einzeln bleibt ihr Einfluss begrenzt. Gemeinsam gelingt es ihnen dagegen, verschiedene Protestmilieus auf die Straße zu bringen – die älteren Pegida-Anhänger mit dem esoterischen Querdenken-Milieu und den jüngeren Neonazis der Freien Sachsen.

So dürfte es auch beim nächsten groß angekündigten Pegida-Event laufen: Ende August lädt das Bündnis wieder nach Dresden, einen Tag vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Dabei könnte die AfD erstmals stärkste Kraft werden. Eingeladen sind alle ostdeutschen Nachwuchsverbände der AfD, um die erhofften Wahlerfolge vorzeitig zu feiern sowie junge und alte rechtsradikale Szenegrößen zusammenzubringen. Pegida wird ihnen dafür eine Bühne bieten.