Protestcamp Heibo – was ist daraus geworden?

Eintausend Polizisten und 54 Klimademonstranten hielten Sachsen im Februar für eine Woche in Atem. Doch was ist aus dem Konflikt am Heibo geworden?

Am 15. Februar um 7 Uhr stürmen hunderte Polizisten auf das Protestcamp Heibo und räumen die Klima-Aktivisten.

Ein Kran schwebt über den Baumwipfeln, mehrere Polizisten rennen in schwarzer Montur durch die Kiefernreihen, Kamerateams und Fotografen wuseln zwischen ihnen herum. „Heibo bleibt“, ruft ein Aktivist aus einem Baumhaus, während die Sägen kreischen.

Es war ein Polizeieinsatz besonderer Art, der am 15. Februar 2023 im Dresdner Norden seinen Höhepunkt fand. Drei Tage lang räumten tausende Polizisten 54 Besetzer und Besetzerinnen von selbstgebauten Baumhäusern im Waldgebiet nahe Ottendorf-Okrilla, das unter dem Namen Heibo überregional bekannt wurde. Die Demonstranten protestierten damals gegen die Erweiterung des dortigen Kiesabbaus und die damit verbundene klimaschädliche Bauindustrie.

Anderthalb Jahre Protestcamp, und jetzt?

Doch nachdem die Aktivisten anderthalb Jahre lang zwischen und auf den Bäumen gehaust haben, ja ein kleines Pfadfinderlager mit Couches und Outdoor-Küche errichteten, ist es jetzt ruhig geworden um den Wald.

Die Aktivisten wurden geräumt, der Wald gerodet. Der Konflikt aber schwellt weiter, hat sich in Gerichtsgebäude und Petitionen verlagert. In einer Chronologie fassen wir die wichtigsten Ereignisse seit Februar zusammen:

28. März: „Niemand wollte mit uns sprechen“

Ein Besuch von Sächsische.de beim Kieswerk Ottendorf-Okrilla, das jährlich zwischen 700.000 und 800.000 Tonnen Kies gewinnt – je nach Baubedarf in der Landeshauptstadt. Geschäftsführer Thomas Gruschka führt über die Abbaugebiete. Der Wald namens „Heibo“ ist bereits kahlgeschlagen, die Bäume abtransportiert. Gruschka wirkt beruhigt, dass die Besetzer verschwunden sind und erklärt: „Niemand wollte mit uns sprechen.“ Er will nun so schnell wie möglich mit der Kiesförderung auf dem ehemaligen Konfliktgebiet beginnen.

21. September: Grundwasserwerte überschritten

Auf eine Anfrage der Linken im Landtag gibt es nun eine Antwort vom Wirtschaftsministerium. Die Abgeordnete Antonia Mertsching (Linke) will wissen, welche Folgen der ehemalige Kiesabbau hat. Denn nachdem das Unternehmen den Rohstoff abtransportiert hatte, wurde das Loch in den 1990ern gestopft, mit allem möglichen, darunter Braunkohleaschen und diverser Bauschutt aus Dresden. Die Antworten des Ministeriums belegen: Das Grundwasser wird durch die Ausspülungen belastet, ist zu sauer und überschreitet sogar die Trinkwasserverordnung. Als besorgniserregend gelten besonders die Werte für Sulfat, aber auch Bor, Nickel, Mangan, Quecksilber, Kupfer überschreiten die Schwellenwerte.

„Die angrenzenden Moore werden dadurch nach und nach geschädigt“, schreibt der Naturschützer Holger Oertel von der Naturschutzorganisation Nabu, der das Gebiet betreut und fordert, die Schutthalden abzudichten. Die Mitarbeiterin und Sprecherin Julia Schönfeld vom Kieswerk verweist darauf, dass man die Anweisungen vom Oberbergamt befolge. Das schreibt keine Abdichtung der Schutthalden vor.

4. Oktober: Die Zauneidechsen sind weg

Nachdem auf der Fläche des ehemaligen Protestcamps den ganzen Sommer über Zauneidechsen eingesammelt wurden, ist nun Schluss damit. Das Kieswerk selbst möchte nicht preisgeben, wohin die Reptilien gebracht wurden, aus Angst, dass die Tiere sonst zurückgebracht werden. Jetzt wird der Oberboden abgetragen, erklärt Schönfeld den weiteren Prozess. Dabei habe man archäologische Funde gemacht. Welche das sind, dazu möchte sie sich erst im Frühjahr äußern.

23. November: Das Kieswerk gewinnt vor Gericht

Drei Bergbauunternehmen, darunter auch das Kieswerk Ottendorf-Okrilla gewinnen bei einem Gerichtsverfahren in Bautzen. Sie klagten gegen den Regionalen Planungsverband Oberes Elbtal/Osterzgebirge, weil die Beteiligung der Bürger für den Regionalplan nicht verfahrensgemäß ablief. Laut Heidemarie Russig, Leiterin der Verbandsgeschäftsstelle muss der Regionalplan 2020 in mehreren Abschnitten, darunter Umwelt- und Wasserversorgung überarbeitet werden. „Das kann mehr als ein Jahr dauern“, sagt die Leiterin. Damit gibt es nun keine rechtskräftigen Mittel gegen die Kiesgewinnung aus Sicht der Regionalplanung. Bis auf Weiteres gilt also der Regionalplan von 2009, der keine konkreten Gebietsgrößen für die Kiesgewinnung ausweist, wie es der neue aber hinfällige Plan tut.

6. Dezember: Die Kontrahenten treffen aufeinander

Es gibt nach wie vor Menschen, die ganz genau hinschauen, was im Heidebogen passiert, etwa die Bürgerinitiative oder der Nabu. Sie haben eine Petition eingereicht und fordern eine grundlegende Umweltprüfung sowie ein Moratorium über das gesamte Kiesabbaugebiet Ottendorf-Okrilla.

Am 6. Dezember kommt es deshalb zu einer Anhörung im Gemeindesaal Laußnitz. Nicht öffentlich. Mehr als ein Dutzend Beteiligte aus Behörden, Naturschutzvereinen und Kieswerk treffen aufeinander, schildert Landtagsabgeordnete Mertsching (Linke), die Protokoll führt. Ihr Fazit: „Es war konstruktiv. Auffällig ist, dass die Landesbehörden versuchen mehr im Interesse des Unternehmens zu agieren“, so die Politikerin. Bei den unteren Behörden sehe sie ein höheres Interesse, Wasser- und Moorschutz zu betreiben. Eine Einigung etwa hinsichtlich der gestiegenen Sulfatwerte im Wasser blieb aber aus.

Dort wo im Februar noch Bäume standen, wartet nur noch Sand und Erde: Hinter den Erdhaufen verbirgt sich eine Mondlandschaft.

14. Dezember: Mondlandschaft statt Wald

Während sich im Februar noch Bäume mit Transparenten wie „Heibo bleibt“ auf der Fläche zwischen Würschnitz und Ottendorf-Okrilla befanden, gleicht das Gebiet jetzt einer Mondlandschaft. Auf 7,5 Hektar ist weit und breit nur braun-grauer Sandboden zu sehen. Eingerahmt von meterhohen Erdhaufen, die wie ein Schutzwall um die Fläche aufgeschüttet sind. Einzig ein olivgrüner Plastikzaun erinnert an die Demonstration, darauf ist in weißen Lettern geschrieben: „Wald statt Kies Heibo.“ Wann die Fläche ausgekiest ist, kann die Mitarbeiterin des Kieswerkes Julia Schönfeld nicht sagen: „Bergbau ist ein langwieriger Prozess.“

18. Dezember: „Unsere Träume könnt ihr nicht räumen!“

Doch was ist mit den Besetzern und Besetzerinnen? Gegen 13 Protestler wurde ein Strafverfahren eingeleitet. Zwei Heibo-Aktivisten haben bereits eine Geldstrafe von 800 bzw. 600 Euro erhalten, weil sie sich an ein Baumhaus gekettet hatten, was als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gewertet wurde.

Ein weiteres Urteil fällte ein Bautzner Richter am 18. Dezember. Nach fünf Prozesstagen entschied der Richter: Die Aktivistin Felina D. bekommt eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten. Sie hatte sich bei dem Protestcamp auf einer Baumplattform angekettet. Es ist damit die erste Freiheitsstrafe für einen Heibo-Aktivisten. Im nächsten Jahr wird es wohl weitere Prozesse geben, denn neben Felina D. saß noch eine weitere Person im Baumhaus. Die angeklagte Person hat sich aber nach dem ersten Prozesstag allen weiteren Verhandlungen entzogen.

Ein Blick ins neues Jahr

All das zeigt, der Konflikt ist kleinteilig, behandelt er doch alte ausgekieste Flächen, wie Laußnitz 1, wo Wasserwerte durch Bauschuttkippen besorgniserregend hoch sind, aber auch ganz neue Flächen, wie Würschnitz-West, wo auf 130 Hektar ein neues Kiesabbaugebiet erschlossen werden soll. Dafür braucht es aber einen Rahmenbetriebsplan, der auf sich warten lässt. Obwohl Geschäftsführer Thomas Gruschka vom Kieswerk bereits für die Mitte 2023 den Rahmenbetriebsplan angekündigt hatte, soll er laut Oberbergamt in der ersten Jahreshälfte 2024 veröffentlicht werden. In dieser Zeit können Bürger dann ihre Meinung dazu einbringen. Hinzukommen weitere Klageverfahren vom BUND sowie dem Nabu gegen den Kiesabbau auf der aktuellen Fläche Würschnitz.

Ob es ein Heibo 2 geben wird, bleibt ungewiss. Geologin Schönfeld vom Kieswerk: „Ich hoffe nicht, da können wir alle darauf verzichten. Das hat eher zu noch mehr Unmut geführt.“ Elisabeth Lesche dagegen würde es sich wünschen, damit die Aufmerksamkeit für den Konflikt bestehen bleibt: „Das ist eine Opferlandschaft für unser gutes Leben. Mir liegt mehr an einem vielfältigen Wald als an einem neuen Media-Markt.“