Nach der Wahl in Chemnitz: AfD-Stadträte ziehen sich noch vor der ersten Sitzung zurück

Die beiden gewählten Bewerber wollen ihr Mandat aus beruflichen Gründen nicht antreten. In mindestens einem Fall war das wohl von Beginn an absehbar.

Chemnitz.Zwei Wochen nach der Wahl eines neuen Chemnitzer Stadtrats hat die AfD den anstehenden Rückzug zweier gewählter Bewerber bestätigt. Dabei handelt es sich laut ihrer Ratsfraktion um Tino Schneegaß, der im Wahlkreis 3 (Yorckgebiet, Gablenz, Adelsberg, Kleinolbersdorf-Altenhain) gewählt worden war, sowie um Tino Winkler, der im Norden der Stadt kandidiert hatte.

Die AfD gibt jeweils berufliche Gründe für den Verzicht auf das Mandat an. Diese allerdings kommen zumindest im Fall von Schneegaß alles andere als überraschend. Der frühere Sprecher des Chemnitzer AfD ist bei der Chemnitzer Berufsfeuerwehr als verbeamteter Feuerwehrmann tätig. Beamte der Stadt aber können nicht gleichzeitig Stadträte sein. Das ist laut Sächsischer Gemeindeordnung ausgeschlossen, um Interessenkonflikte auszuschließen.

„Betrug am Bürger“

Warum aber stellte die AfD Schneegaß dann überhaupt zur Wahl? Aufgrund seiner fachlichen Expertise im Feuerwehr- und Rettungsdienst sei er von vielen Mitgliedern der Partei gebeten worden anzutreten, sagt Fraktionschef Volker Dringenberg. „Dies tat er bewusst nur auf Listenplatz 3, welcher ja keine Garantie auf einen Einzug in den Stadtrat versprach.“

Doch die Rechnung ging nicht auf: Schneegaß, der Feuerwehrmann, erhielt mehr Stimmen als der AfD-Bewerber vor ihm: Roland Preuß, Tischler. Preuß gehörte bereits bisher dem Stadtrat an und soll nun erneut in das Gremium nachrücken. Das Mandat von Tino Winkler wird Thomas Vogel übernehmen. Er hatte im Stadtrat in der abgelaufenen Wahlperiode ebenfalls bereits für einige Zeit einen Sitz inne.

Die SPD hatte sich mit einem ähnlichen Fall konfrontiert gesehen. Ihre Stadträtin Wilma Meyer wollte sich ursprünglich erneut um einen Sitz im Stadtrat bewerben. Anfang des Jahres aber wurde sie zur Leiterin des Friedhofs- und Bestattungsbetriebes der Stadt Chemnitz gewählt. Als leitende Angestellte eines städtischen Unternehmens hätte auch sie dem Stadtrat nicht angehören dürfen. „Sich trotzdem zur Wahl zu stellen, wäre zwar juristisch möglich gewesen, aber nicht fair“, sagt Meyer. „Das ist Betrug am Bürger.“ Also verzichtete sie.

Dem Rathaus sind die anstehenden Wechsel in den Reihen der AfD noch nicht bekannt. Bislang lägen keine entsprechenden Hinweise oder Anzeigen vor, sagte ein Sprecher.


12.06.2024

Der künftige Chemnitzer Stadtrat: Wie alt, wie weiblich, wie dörflich?

Bislang dominierten die Chemnitzer Kommunalpolitik eher ältere Herren, die oft eher am Rande der Stadt zu Hause sind. Wird das auch in den kommenden fünf Jahren so sein? Eine erste Analyse nach der Wahl zeigt Tendenzen auf.

Chemnitz.Gewinner, Verlierer, unklare Mehrheitsverhältnisse: Die Wahl vom vergangenen Sonntag hat den Chemnitzerinnen und Chemnitzern für die kommenden fünf Jahre einen Stadtrat beschert, der es in sich hat. Neun verschiedene Gruppierungen sind in dem Gremium künftig vertreten.

Politisch scheint alles klar: Stärkste Kraft im neuen Stadtrat ist die AfD. Auf sie allein entfällt knapp ein Viertel der 59 Sitze. Für die CDU als bislang größter Fraktion reichte es mit unverändert 13 Sitzen nur noch zu Platz zwei. Das drittbeste Ergebnis erzielte auf Anhieb das Wagenknecht-Bündnis BSW mit acht Plätzen. SPD, Linke und Grüne kommen zusammen auf nur noch 16 Stadträtinnen und Stadträte. Doch auch ganz unabhängig von der politischen Kräfteverteilung zeigt der neue Stadtrat in seiner Zusammensetzung einige Besonderheiten.

Jung und Alt Mit einem Durchschnittsalter von etwa 50 Jahren ist der neue Stadtrat insgesamt etwas jünger zusammengesetzt als zuletzt. Der Altersschnitt der Stadträtinnen und Stadträte ist durch die Neuwahl um etwa vier Jahre gesunken. Die jüngsten Mitglieder stellen künftig die Satirepartei „Die Partei“ (zwei Sitze, Durchschnittsalter Mitte 30) und die Linken (fünf Sitze, ca. 38 Jahre). Die mit Abstand ältesten Stadträte kommen von der rechtsextremen Vereinigung Pro Chemnitz/Freie Sachsen. Zwei ihrer drei gewählten Vertreter sind Ende 70 bzw. Anfang 80. Jüngstes gewähltes Mitglied des neuen Stadtrats ist Joseph Israel von Bündnis 90/Die Grünen. Er ist 25 Jahre jung.

Mann und Frau Mit knapp einem Drittel weiblicher Stadtratsmitglieder zeigt sich der künftige Stadtrat in der Verteilung der Geschlechter ähnlich aufgestellt wie der vorherige. Nur bei den Linken sind Frauen in der Überzahl, bei den Grünen und bei der CDU nehmen sie entweder genau oder knapp die Hälfte der jeweiligen Sitze ein. Ganz anders das Bild bei den Rechtsaußenfraktionen AfD und Pro Chemnitz/Freie Sachsen. Auf sie entfallen zusammen 18 Sitze – nur zwei davon gingen an Frauen (beide AfD). Ähnlich auffällig das Missverhältnis beim Bündnis Sahra Wagenknecht. Unter den acht gewählten Stadträten des BSW gibt es lediglich eine Frau.

Stadt und Land Die einzelnen Gegenden von Chemnitz als viertgrößter Stadt Ostdeutschlands werden auch im neu gewählten Stadtrat stark verzerrt abgebildet. Stadträtinnen und Stadträte, die in den eher ländlich geprägten der insgesamt 39 Stadtteile zu Hause sind, sind weiterhin deutlich überrepräsentiert. Obwohl in diesen Gegenden von Chemnitz – mit einem hohen Anteil an Eigenheimen, vergleichsweise vielen Privat-Kfz, geringer Arbeitslosigkeit und kaum wahrnehmbarem Ausländeranteil – nur etwa ein Fünftel der Chemnitzer Einwohner lebt, kommen fast 30 Prozent der Gewählten von dort. Etwa die Hälfte der Mitglieder des neuen Stadtrates hingegen ist in den städtisch geprägten Stadtteilen rund um das Stadtzentrum und im Chemnitzer Süden zu Hause, wo immerhin rund 70 Prozent aller Einwohner leben.

Im Detail sieht das zum Beispiel so aus: Die fünf Stadtteile des Heckertgebiets mit ihren zusammen rund 37.000 Einwohnern stellen künftig vier Stadträte (davon drei vom BSW) – der ländlich geprägte Ortsteil Kleinolbersdorf-Altenhain am Stadtrand mit weniger als 2200 Einwohnern allein drei (CDU, SPD, Pro Chemnitz/Freie Sachsen). Die mit Abstand meisten Gewählten kommen wie schon in der abgelaufenen Wahlperiode aus dem Stadtteil Schönau. Vier der insgesamt acht dort wohnenden Mandatsträger stellt allein die AfD. Ebenfalls gut vertreten sind Schloßchemnitz (6 Stadträte) und der Kaßberg (5).

Beim Betrachten der einzelnen Parteien fällt das Bild recht unterschiedlich aus. Bei den Grünen und „Die Partei“ leben alle gewählten Vertreter in städtisch geprägten Stadtteilen; bei der SPD, den Linken und dem BSW mehr als Hälfte. Fast 70 Prozent der Stadträtinnen und Stadträte der CDU sind hingegen am Rande der Stadt oder in den Vorstädten zu Hause.