»Tag der Ehre«: Mit der Antifa nach Budapest – Trotz Repression wieder Protest gegen rechtsextremes »Heldengedenken«
Am 29. Januar beginnt in Budapest vor dem Stadtgericht der Prozess gegen drei Aktivisten aus Deutschland und Italien. Sie sollen sich vor elf Monaten an einem Angriff gegen Teilnehmer des Nazi-Aufmarschs »Tag der Ehre« in der ungarischen Hauptstadt beteiligt haben. Im Oktober hat die Budapester Staatsanwaltschaft dazu Anklage wegen Mitgliedschaft einer kriminellen Vereinigung sowie im Fall der italienischen Beschuldigten wegen einfacher und schwerer Körperverletzung erhoben. Ihnen drohen jahrelange Gefängnisstrafen.
Bei den Verfolgten soll es sich um eine Gruppe handeln, gegen die in Deutschland in den sogenannten »Antifa-Ost-Verfahren« ermittelt wird. Nach einem Amtshilfeersuchen aus Budapest hatten deutsche Landeskriminalämter im Februar und März erste Hausdurchsuchungen in Berlin, Leipzig und Jena durchgeführt. Seitdem arbeiten die ungarischen Behörden eng mit der »Soko Linx« aus Sachsen zusammen. Die Budapester Stadtpolizei hat ebenfalls eine »spezielle Ermittlungsgruppe zur Untersuchung von sogenannten Antifa-Angriffen« eingerichtet, sagt ein Sprecher auf Anfrage. Die in Deutschland und Ungarn gesammelten Informationen würden ausgetauscht und regelmäßige Treffen abgehalten.
Zwei der Beschuldigten sitzen seit dem 11. Februar in Budapest im Gefängnis, Unterstützer beschreiben die Haftbedingungen als menschenunwürdig. Nach weiteren europäischen und internationalen Haftbefehlen gegen 14 Aktivisten aus Deutschland, Italien, Albanien und Syrien nahm die Polizei im November in Mailand und im Dezember in Berlin je eine weitere Person fest. Beide sollen nun im Rahmen der europäischen Rechtshilfe nach Ungarn ausgeliefert werden, hierzu müssen aber noch die Gerichte am Haftort in Dresden und dem Hausarrest in Mailand entscheiden – in Italien war bislang auch der Generalstaatsanwalt dagegen und schlug stattdessen eine Vernehmung per Videoschalte vor.
Trotz der Repression rufen Gruppen aus verschiedenen Ländern auch dieses Jahr wieder zum Widerstand gegen den »Tag der Ehre« am 10. Februar auf. Aus Deutschland mobilisiert dazu die Kampagne »NS-Verherrlichung stoppen!«, die unter anderem von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) getragen wird. Die gemeinsame Abfahrt per Bus soll am Morgen des 10. Februar aus Wien erfolgen.
Der antifaschistische Protest soll dann am Vormittag in Budapest mit einer Kundgebung am »Mahnmal der Schuhe« am Donauufer beginnen und dort an die Opfer der Shoah sowie des Porajmos – dem Nazi-Völkermord an den europäischen Roma – erinnern. Mit der Forderung nach einem Verbot der neonazistischen Veranstaltungen ist anschließend eine Demonstration zum ungarischen Parlament geplant. Am Nachmittag finden dann Gegenproteste zum rechtsextremen »Heldengedenken« statt. Im Mittelpunkt steht dabei eine rund 60 Kilometer lange Wanderung der Neonazis in die Budaer Hügel außerhalb der Stadt.
Den »Tag der Ehre« zelebrieren rechtsextreme Netzwerke seit 1997 jedes Jahr in Budapest. Die Veranstaltung hat sich zu einem wichtigen Bezugspunkt von teilweise verbotenen Gruppen in Europa entwickelt, mitunter können sie dazu mehrere Tausend Teilnehmer mobilisieren. Dazu gehören Blood-and-Honour-Netzwerke, Kameradschaften und Parteien wie Die Rechte oder Der III. Weg. Zusammen huldigen sie der deutschen Waffen-SS, der Wehrmacht und deren ungarischen Kollaborateuren. Rund 70 000 Angehörige dieser Truppen hatten am 11. Februar 1945 in einer selbstmörderischen Aktion versucht, aus einem Kessel der Roten Armee rund um Budapest zu entkommen. An die Schauplätze dieser Kämpfe führt die ebenfalls jährlich durchgeführte Neonaziwanderung.
Bei dem »Heldengedenken« tragen viele Teilnehmer faschistische Ausrüstung, darunter Uniformen, Stahlhelme, Fahnen, SS-Runen, Porträts von Adolf Hitler oder den »Hitlergruß«. Das ungarische Strafgesetzbuch stellt die Verwendung von »verbotenen autoritären Symbolen« zwar unter Strafe, bestätigt die Polizei dem »nd«. Verfolgt wird dies beim »Tag der Ehre« aber nicht: Im vergangenen Jahr sei aus Sicht der Behörden »kein solches Verbrechen begangen« und deshalb keine Ermittlungen eingeleitet worden, heißt es weiter.
»Die Budapester Stadtpolizei verfolgt Personen nicht aufgrund ihrer politischen Überzeugungen, sondern aufgrund der begangenen Straftaten«, sagt der Sprecher außerdem. In einem Fall habe die Polizei dazu auch ermittelt. Die Opfer waren laut der Pressestelle »zwei junge Menschen«, die »wegen ihrer angeblichen linken politischen Ansichten« angegriffen wurden. Zwei mutmaßliche Täter seien identifiziert worden. Mit dem Vorwurf der »Gewalt gegen ein Mitglied der Gemeinschaft« liegen die Akten seit Oktober bei der Staatsanwaltschaft, die über eine Anklage entscheiden sollte.
Ein deutscher Teilnehmer am »Tag der Ehre« in Budapest musste indes eine Unannehmlichkeit hinnehmen: Das Verwaltungsgericht Leipzig hatte im Dezember geurteilt, dass der Mann als unzuverlässig gilt und seine drei Schusswaffen abgeben muss. Der Verfassungsschutz hatte die Stadt Leipzig zuvor über wiederholte Reisen zu den rechtsextremistischen Treffen nach Budapest informiert. Dabei handele es sich um Bestrebungen, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet seien, so das Gericht.
11. Dezember 2023 MDR
Nach Gerichtsurteil: Neonazi in Leipzig muss seine Waffen abgeben
Ein Teilnehmer des Neonazi-Treffens „Tag der Ehre“ in Budapest muss nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig seine Waffen abgeben. Wie das Gericht am Montag mitgeteilt hat, stufte es den Mann im waffenrechtlichen Sinne als unzuverlässig ein. Er verfolge Bestrebungen, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet seien. Der Verfassungsschutz hatte die Stadt Leipzig von den wiederholten Reisen des Mannes zu den rechtsextremistischen Treffen nach Budapest informiert.
Klage gegen angeordnete Waffenabgabe scheitert
Die Stadt als zuständige Behörde hatte dem Mann daraufhin die Besitzkarten für seine drei Schusswaffen entzogen und ihn aufgefordert, Waffen und Munition abzugeben. Dagegen hatte der Mann Klage eingereicht. Eine Berufung gegen das Urteil ließ das Gericht nicht zu. Dagegen kann der Kläger Beschwerde einlegen beim sächsischen Oberverwaltungsgericht.
Dem Verfassungsschutzes zufolge treten beim „Tag der Ehre/Ausbruch 60“ in Budapest seit 1997 regelmäßig rechtsextremistische Redner und Musikbands auf, die Teilnehmer tragen teilweise SS- und Wehrmachtsuniformen. Beteiligt an der Organisation ist demnach auch das in Deutschland verbotene rechtsextreme Netzwerk Blood and Honour.
Matthias Monroy 06.11.2023
Antifa-Anklage in Budapest – Haftbefehle gegen 14 weitere Personen beantragt
Die Staatsanwaltschaft in Ungarn fahndet mit Namen und Fotos nach vier weiteren Deutschen aus Thüringen und Bayern, die an fünf Angriffen am sogenannten »Tag der Ehre« im Februar dieses Jahres in Budapest beteiligt gewesen sein sollen. Die Gesuchten im Alter zwischen 20 und 22 Jahren sollen in Budapest mit Schlagwaffen und Pfefferspray mutmaßliche Rechtsextreme angegriffen haben und werden deshalb der schweren Körperverletzung beschuldigt. Neun Personen seien von ihnen verletzt worden, sechs davon schwer.
Am »Tag der Ehre« pilgern seit 1997 Neonazis aus ganz Europa nach Budapest. Dort feiern sie Taten der deutschen Waffen-SS, der Wehrmacht und ihrer ungarischen Kollaborateure. Diese Truppen hatten zum nahenden Ende des Zweiten Weltkrieges am 11. Februar 1945 in einer selbstmörderischen Aktion erfolglos versucht, die Belagerung Budapests durch die Rote Armee zu durchbrechen. Von den rund 70 000 Soldaten sollen nur wenige Hundert überlebt haben.
Die Budapester Staatsanwaltschaft hat am 31. Oktober außerdem Anklage gegen zwei Deutsche und eine Italienerin wegen Mitgliedschaft einer kriminellen Vereinigung erhoben. Das sagte eine Sprecherin zu »nd«. Die drei waren von der Polizei kurz nach dem »Tag der Ehre« in Budapest festgenommen worden. Eine der beiden deutschen Inhaftierten wurde kurz darauf unter Auflagen entlassen, die anderen beiden sitzen in Untersuchungshaft.
Der Anklageschrift zufolge soll ein Deutscher, gegen den in Deutschland ein Europäischer Haftbefehl besteht, gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin ab 2017 in Leipzig »eine mit einer linksextremen Ideologie sympathisierende Organisation« gegründet haben. Die nun Angeklagten sollen sich dieser angeschlossen haben. Die Gruppe habe sich darauf geeinigt, »organisierte Angriffe gegen ahnungslose Opfer ihrer Wahl durchzuführen«, so die Staatsanwaltschaft in Budapest. Diese unerwarteten Angriffe hätten eine »abschreckende Botschaft« für rechtsextreme Bewegungen haben sollen. Der deutsche »Täterkreis« sei durch Mitglieder aus Mailand ergänzt worden. Die Verdächtigen hätten sich »über eine Darknet-Anwendung« koordiniert.
Die ungarischen Behörden rechnen die Inhaftierten aus Deutschland und die nun zusätzlich Gesuchten dem Umfeld von Anfang Juni in Dresden verurteilten vier Antifa-Aktivisten zu. Diese müssen nach dem ersten sogenannten »Antifa-Ost-Verfahren« lange Haftstrafen verbüßen. Bei einem Gründer der behaupteten Vereinigung soll es sich um Johann G. handeln, den die Polizei als Verlobten der ebenfalls in Leipzig verurteilten Lina E. bezeichnet. Er ist seit 2020 untergetaucht.
»Wir befürchten, dass der rechtsautoritäre Orbán-Staat unter behördlicher Mithilfe aus Deutschland einen Schauprozess gegen die drei Antifas veranstalteten wird«, kommentiert eine Soligruppe für die in Budapest Angeklagten auf Anfrage des »nd«. Nach dem Antifa-Ost-Prozess in Leipzig sei dies eine nächste große Repressionswelle gegen die antifaschistische Bewegung.
Diese Repressionswelle könnte sich sogar noch ausweiten: Die Generalstaatsanwaltschaft in Budapest will gegen 14 weitere Personen europäische und internationale Haftbefehle erlassen, darunter zwei Italiener, ein Albaner, ein Syrer sowie zehn Deutsche. Hierüber muss jedoch noch ein Bezirksrichter entscheiden.
Die Budapester Ermittlungen werden in Deutschland von der sächsischen »Sonderkommission Linx« in einem »Spiegelverfahren« unterstützt. Auf Anfrage des »nd« wollte sich ein Sprecher der Staatsanwaltschaft in Sachsen mit Verweis auf laufende Ermittlungen aber nicht dazu äußern.
Matthias Monroy 15.08.2023Ungarn: Antifas bleiben im Gefängnis – Gericht in Budapest verlängert Untersuchungshaft für Deutschen und Italienerin
Die wegen Angriffen auf mutmaßliche Neonazis inhaftierten Antifa-Aktivisten bleiben in Budapest weiter in Haft. Das hat am Montag ein Gericht in der ungarischen Hauptstadt nach einer Haftprüfung bestätigt. Die beiden werden verdächtigt, sich im Umfeld des sogenannten »Tages der Ehre« im Februar dieses Jahres an vier verschiedenen Vorfällen beteiligt zu haben. Dabei sollen in einem Zeitraum von drei Tagen acht Personen verletzt worden sein, drei davon schwer. Drei der Angegriffenen werden als ungarische, drei weitere als polnische und zwei als deutsche Staatsbürger bezeichnet. Einer von ihnen soll laut der »Bild« der rechtsextremen Neue Stärke Partei (NSP) in Erfurt angehören.
Die ungarische Polizei hat kurz nach dem »Tag der Ehre« einen 29-Jährigen und eine 26-Jährige aus Deutschland sowie eine 38-jährige Italienerin wegen der Taten festgenommen. Zudem wird eine 42-jährige Ungarin von den Behörden der Beteiligung daran bezichtigt. Nach weiteren deutschen Verdächtigen wird gefahndet, diese sollen unter anderem aus Leipzig und Jena stammen.
Der seit 1997 jährlich in Budapest abgehaltene »Tag der Ehre« ist ein Schaulaufen von Neonazis aus ganz Europa. Die Teilnehmer huldigen dabei der deutschen Waffen-SS, der Wehrmacht und ihren ungarischen Kollaborateuren. Zusammen hatten diese Truppen zum Ende des Zweiten Weltkrieges am 11. Februar 1945 versucht, in einer selbstmörderischen Aktion aus einem Kessel der Roten Armee rund um die Hauptstadt zu entkommen.
Zu den Initiatoren des Aufmarschs sollen die britische Nationalistische Front und ein ungarischer Ableger des in Deutschland verbotenen Netzwerks Blood and Honour gehören. Berichten zufolge wurde die Veranstaltung in diesem Jahr von der Legion Hungária, ungarischen Hammerskins und weiteren rechtsextremen Gruppen organisiert. Bei dem Aufmarsch werden offen faschistische Symbole gezeigt, darunter Fahnen, SS-Runen oder der »Hitlergruß«. Neonazis der faschistischen Legion Hungária sollen am diesjährigen »Tag der Ehre« auch Jagd auf Linke gemacht haben. Zudem wird von Übergriffen auf Journalisten und jüdische Menschen berichtet.
In Deutschland haben vor allem die Springer-Presse und die AfD die Budapester Vorfälle zum Thema gemacht und für eine Hetze gegen einen vermeintlich erstarkenden internationalen »Linksextremismus« benutzt. Dabei werden auch Namen und Bilder der Verdächtigen veröffentlicht und diese als »Hammerbande« bezeichnet. Im Internet veröffentlichtes Videomaterial soll die Vorfälle zeigen. Darauf ist unter anderem zu sehen, wie eine Gruppe sich den mutmaßlichen Neonazis nähert, diese mit Schlagwerkzeugen angreift und anschließend mit Reizgas besprüht.
Nach einer Haft- und Meldeauflagenprüfung hat die ungarische Justiz noch im Februar die Freilassung der 26-Jährigen aus Deutschland angeordnet. Gegen diese wird jedoch weiter wegen »Vorbereitung einer Straftat« ermittelt. Die aus Italien stammende Verhaftete wird laut einer deutschen Solidaritätsgruppe der »Gewalt gegen eine Gemeinschaft« bezichtigt; darauf stehen nach dem ungarischen Strafgesetzbuch bis zu acht Jahre Haft. Außerdem soll sie sich an der »Bildung einer kriminellen Vereinigung« beteiligt haben. Mit diesem Vorwurf wird auch der ebenfalls noch inhaftierte Tobias E. belegt. Das Strafmaß hierfür beträgt in Ungarn bis zu fünf Jahre Haft.
Insgesamt sollen sich laut verschiedenen Medienberichten bis zu neun Deutsche an den Taten beteiligt haben. Bei einem von ihnen soll es sich um Johann G. handeln, der von der sächsischen »Sonderkommission Linx« identifiziert worden sei. Er wird als Verlobter der Anfang Juni im Antifa-Ost-Verfahren verurteilten Lina E. bezeichnet. Seit 2020 ist G. untergetaucht und wird von der Generalbundesanwaltschaft mit einem internationalen Haftbefehl gesucht.
In ihren Ermittlungen gegen die Antifa-Aktivisten wird die ungarische Polizei aus Deutschland unterstützt. Nach einem Amtshilfeersuchen aus Budapest haben die zuständigen Landeskriminalämter im Februar und März Hausdurchsuchungen in Berlin, Leipzig und Jena vorgenommen.
Am 16. Februar 2023, also nur wenige Tage nach den Vorfällen in Budapest, hat die »Zentralstelle Extremismus Sachsen« der Generalstaatsanwaltschaft Dresden ein Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung gegen vier Frauen und drei Männer eingeleitet. Seit dem 7. März stehe die Behörde »in Kontakt mit den ungarischen Strafverfolgungsbehörden«, heißt es in der Antwort der sächsischen Landesregierung auf eine AfD-Anfrage. Dabei wurden offenbar auch Akten aus dem Antifa-Ost-Verfahren an die ungarischen Behörden übermittelt, wie das »nd« aus Kreisen der Verteidigung erfuhr.
Zudem ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin gegen die aus der Hauptstadt stammenden Verdächtigen wegen des Tatvorwurfs der gefährlichen Körperverletzung.
In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion vom April dieses Jahres bezeichnet die Bundesregierung die »Brutalität der Taten« als »äußerst besorgniserregend«. Die Vorfälle in Budapest würden im Zusammenhang mit einem bisher insbesondere in Deutschland beobachteten Tathergang betrachtet. »Konkrete Anhaltspunkte für aktuell bestehende linksterroristische Strukturen liegen derzeit noch nicht vor«, heißt es weiter.