„Land schafft Verbindung“: Das ist der Verein hinter den Bauern-Protesten in Sachsen

Am Montag haben die Bauern den Verkehr in Sachsen lahmgelegt. Organisiert von einem Verein, in dem einige handelnde Personen in der Vergangenheit rechtsextremistisch aufgefallen waren. Wer steckt hinter den Protesten?

Der Verein „Land schafft Verbindung“ hat die Bauern-Demonstration in Dresden am Montag organisiert.

Am Freitagnachmittag kann sich Marc Bernhardt Zeit für ein Gespräch am Telefon nehmen und atmet erstmal durch. „Seit Dienstag steht mein Handy nicht still“, sagt der 37-jährige Landwirt. Er ist eines der Gesichter des Vereins „Land schafft Verbindung“ (LSV), der in weniger als 72 Stunden mehr als 100 zentrale Verkehrspunkte in Sachsen besetzen wird. „Wer uns als Verband kennt, weiß, dass wir schon in den vergangenen Jahren sehr aktiv waren bei Traktoren-Demos. Wir sind anfangs als die Rebellen gestartet.“

Wenn es darum gehe, Demonstrationen zu organisieren und die Bauern zu verbinden, sei der 2019 gegründete Verein der erste Ansprechpartner. Ein zentrales Motto der Demonstrationen sei „Die Ampel ist kaputt.“ Ein Aufruf des Vereins zu Neuwahlen sei das nicht. Auch wenn es Mitglieder gebe, die diese Meinung hätten und diese auf den Demos sicher auch äußern würden, so Bernhardt. „Wir als Verein sind politisch neutral und kämpfen nur für unsere Forderungen als Landwirte.“

Zwei zentrale Figuren mit rechtsextremer Vergangenheit im Verein

Zwei zentralen Figuren des Vereins wird jedoch vorgeworfen, eine rechtsextreme Vergangenheit zu haben. So tauchte ein Foto von Paul Kompe, Vorstand von „LSV“, aus dem Jahr 2017 auf. Entstanden ist es in einer Disco in Grimma. Darauf trägt der damals Anfang zwanzigjährige ein T-Shirt der in der rechten Szene beliebten Marke Ansgar Aryan. Das Motiv ist offenbar ein Foto, das Wehrmacht-Truppen vor dem Eiffelturm in Paris zeigen soll. Gegenüber der Leipziger Volkszeitung sagte Paul Kompe: „Das T-Shirt geht natürlich gar nicht, es ist eine Jugendsünde.“ Weiter: „Mit 20 lässt man sich vielleicht auf die falschen Leute ein – und merkt erst später, dass es ein Fehler war.“

Mit Jan Häntzschel gibt es im Verein jedoch auch eine Person, die eine zweifellos rechtsextreme Vergangenheit hat. Laut dem jährlich erscheinenden Bericht „Sachsen rechts unten“ des Kulturbüros Dresden trat der heutige Landwirt in der Vergangenheit als Sänger der Neonazi-Band „Thematik 25“ und als NPD-Funktionär auf. Zuletzt bei einer Veranstaltung 2019. Mittlerweile hilft er „LSV“ bei der Medienarbeit.

Zu ihm äußert sich Marc Bernhardt: „Jan Häntzschel ist für uns ein Paradebeispiel dafür, wie ein Mensch immer wieder auf seine Vergangenheit reduziert werden kann.“ „Der Jan“ habe in seiner „Sturm-und-Drang-Phase“ Dinge getan, die man nicht gutheißen könne. Er habe das jedoch zu Beginn seiner Zeit bei den Landwirten offen kommuniziert. „Durch die Freunde, die er bei uns im Verein gefunden hat, und vielleicht auch durch die Landwirtschaft selbst, hat er sich verändert“, so Bernhardt. „Es steckt kein NPD-Funktionär mehr in ihm.“

Umsturz-Fantasien bei den Landwirten? „Die Bauern machen den ersten Zug. Am Ende fällt der König!“

In die Kritik geriet der Verein auch, weil er unter anderem Banner mit der Aufschrift: „Die Bauern machen den ersten Zug. Am Ende fällt der König!“ auf seiner Webseite als Vorlage für Demonstrationen anbot. Auf die Frage, ob das nicht als Umsturz-Fantasie zu verstehen sei, sagt Bernhardt: „Es ist ja offen, wer der König ist.“ Außerdem teilte der Verein Demo-Aufrufe, die eine Faust zeigten, die auf eine Ampel einzuschlagen schien. Die tatsächlichen Demonstrationen am Montag blieben nach ersten Erkenntnissen der Polizei friedlich.

Bei einer am Montagmorgen vom Verein organisierten Blockade in Dresden bei der Autobahnauffahrt Wilder Mann zeigte sich Jörg Urban, der Vorsitzende der sächsischen AfD. Diese wird vom sächsischen Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. Die AfD, sowie die CDU und die Linke hatten ihre Unterstützung für die Proteste der Bauern betont.

„Googelt mal den politischen Hintergrund des Organisators“

Im Vorfeld der Demonstrationen hatte es wiederholt Kritik daran gegeben, dass die Bauernproteste von Rechten gekapert werden. So hatten Rechtsextremist Max Schreiber (Freie Sachsen) und Marcus Fuchs, Kopf der Dresdner „Querdenken“-Bewegung, im Fahrtwasser der Bauern-Demos zu einem Protestcamp am Montagabend vor der Staatskanzlei aufgerufen.

Eine Sprecherin des Sächsischen Landesbauernverbandes, der wiederum am Mittwoch auf dem Theaterplatz eine Demonstration organisiert, hatte solche Versuche von „Trittbrettfahrern“ zurückgewiesen. „Das ist eine Ecke, in die wir und unsere Mitglieder nicht wollen.“ Der Verband habe extra beschlossen, nicht am Montag in Dresden zu demonstrieren, da dieser Tag durch die bisherigen Montagsproteste „vorbelastet“ sei.

Der ehemalige NPD-Funktionär Schreiber wiederum rief seine Anhänger in einer Telegram-Gruppe auf, die Demonstration der Bauern auch am Mittwoch zu unterstützen. Er behauptete auch, mit den Bauern eine Absprache getroffen zu haben. Damit seine Anhänger zum „Tag des Widerstandes“ am Montag in Dresden nicht in den Blockaden der Bauern stecken blieben, sollten sie Warnwesten auf die Beifahrerseite ihres Fahrzeuges legen. Die Bauern würden sie dann durchlassen.

Dass das eine Absprache sei, weist Marc Bernhardt zurück. Der 37-jährige Landwirt räumt aber ein, mit dem Rechtsextremisten geschrieben zu haben. „Ich habe Kontakt zu Herrn Schreiber, sodass man sich wenigstens austauscht, wer was macht. Ich habe ihm aber klar gesagt, dass wir zu seiner Demo eine Grenze ziehen, schon aufgrund des politischen Hintergrundes, den er mitbringt.“

Bernhardt sagte am Freitag weiter, er kenne viele Bauern und Handwerker, die sich der Demo von Schreiber am Montag anschließen wollen würden. Es gebe „Überschneidungen“ im Publikum. Dazu sage er seinen Leuten immer: „Googelt mal den politischen Hintergrund des Organisators.“ Vielen sei der nicht klar.

Der Bauernkodex – halten sich alle Landwirte daran?

Die Bauern von „Land schafft Verbindung“ veröffentlichten vor ihren Demonstrationen am Montag einen „Bauernkodex“. Inhalt sind unter anderem Punkte wie: „Demo-Symbolik wie Galgen, schwarze Fahnen oder andere Symbole extremistischer Gruppen lehnen wir entschieden ab.“ Und: „Da es vermehrt Aktionen von Trittbrettfahrern gibt, rufen wir jeden auf, mit Bedacht zu entscheiden, bei welchen Aktionen man teilnimmt.“

Tatsächlich verliefen die Blockaden der Autobahnauffahrten am Montagmorgen friedlich. Dem sächsischen Innenministerium waren am Montagnachmittag keine Zwischenfälle bekannt. Die Kommunikation zwischen der Polizei und den Demonstranten sei „kooperativ“ gewesen. Wie abgesprochen war einige Autobahnauffahrten freigehalten worden.

Am Mittwoch soll dann auf einer vom sächsischen Landesbauernverband organisierten Demo auch Ministerpräsident Michael Kretschmer sprechen. Nach der Schätzung von Marc Bernhardt könnten am Mittwoch bis zu 10.000 Menschen auf den Theaterplatz kommen. „Das wird unser Meisterstück.“


Was Sachsens Bauern so wütend macht

Sachsens Landwirte wollen am Montag den Verkehr lahmlegen. Aus gutem Grund? Zu Besuch auf einem Hof in Grimma bei einem Bauer, der den Protest mitorganisiert – und vorrechnet, was hier in Zukunft fehlen würde.

Draußen im Dorf Fremdiswalde, eine Dreiviertelstunde östlich von Leipzig, wo der Hahn kräht und die Wiesen duften, wo die Welt also eigentlich doch in Ordnung sein müsste, gärt tatsächlich die Wut.

Zum Beispiel bei Paul Kompe, 29 Jahre, ein junger, hier angestellter Landwirt mit akkurater Kurzhaarfrisur und festem Händedruck. Kompe öffnet ein Tor und zeigt auf den Traktor, mit dem am Montag einer seiner Kollegen eine Leipziger Autobahnzufahrt zustellen soll. „Es geht nicht anders, wir sehen uns in die Enge getrieben“, sagt er. „Als Landwirt soll man immer neue Verordnungen am besten sofort umsetzen – doch das kriegt man gar nicht mehr hin.“

Ist das so? Vollends wird sich das hier draußen, auf dem Schicketanz-Hof in Fremdiswalde, mit 900 Hektar Fläche, 350 Rindern und 1200 Schweinen, nicht klären lassen. Aber bevor sie am Montag von 5 bis 17 Uhr mit ihren Maschinen 95 Prozent aller Autobahnauffahrten blockieren, sollte man Sachsens Bauern zumindest einmal zuhören: Wie geht es euch denn?

Deutschland importiert immer mehr Lebensmittel

Das neueste Ärgernis, auch in Fremdiswalde, hat mit dem Streit um vergünstigten Agrardiesel zu tun. Kurz gesagt können sich Landwirte bislang einen Teil der Dieselkosten für ihre Fahrzeuge mit grünem Kennzeichen erstatten lassen. Das soll nun ein Ende haben. Und manche sagen: Das ist ganz richtig so, immerhin müssen auch Landwirte ihren Beitrag zum großen Deutschland-Sparkurs leisten. Und warum nicht dort streichen, wo fossile, klimaschädliche Kraftstoffe genutzt werden?

Paul Kompe kann diese Argumente nicht mehr hören. „Wir fahren auf dem Acker, nicht auf Straße“, sagt er. „Warum sollen wir so viel Steuern zahlen wie jemand, der mit dem Auto in den Urlaub fährt?“ Noch schwerer wiegt für ihn, dass die deutsche Landwirtschaft ohnehin bedroht sei, Stichwort Höfesterben: In den letzten zehn Jahren verschwand in Deutschland jeder zwölfte Hof.

Dafür importiert das Land immer mehr Essen. 2022 kaufte Deutschland Lebensmittel für mehr als 110 Milliarden Euro ein – 20 Milliarden mehr als im Jahr zuvor. „Ist der Bauer ruiniert, wird klimaschädlich importiert“, steht auf einem Banner, mit dem ein Traktor am Montag aus Fremdiswalde nach Leipzig fahren soll. Auf einem anderen steht: „Wer keine Landwirtschaft will, muss nur aufhören zu essen.“

Könnte der wegfallende Steuererlass für Diesel einen Hof wie diesen, auf dem Paul Kompe arbeitet, ruinieren? Konkret gefragt: Was würde das denn kosten? „Können wir schnell mal ausrechnen“, sagt Kompe. Im Schnitt benötigt man 100 Liter Diesel pro Hektar Grünland. Für Acker ist es doppelt so viel, bei Regen und Schlamm noch mal mehr. Die Steuer bewegt sich bei rund 25 Cent pro Liter.

Kompe tippt in den Taschenrechner, er überschlägt, rundet auf: Großzügig gerechnet, also im schlimmsten Fall, würden sich für den Schicketanz-Hof Mehrkosten von bis zu 50 000 Euro pro Jahr ergeben. „So viel verdient eine fähige Arbeitskraft“, sagt Kompe.

„Man sitzt als Landwirt heute 80 Prozent im Büro“

Vielleicht würde die Neuerung den Schicketanz-Hof, auf dem mehr als 60 Angestellte arbeiten, ein Großteil in der eigenen Fleischerei, also nicht sofort ruinieren. Spricht man mit Bernd Schicketanz, 54 Jahre, erfährt man: Die Proteste der Bauern haben auch mit Wertschätzung zu tun. Schicketanz, gelernter Schlosser, erwarb den Hof 1990 mit seinem Vater. Ohne große Erfahrung, mit viel Improvisationskunst. „Das waren die wilden Jahre nach 1989“, sagt er.

Ein Grund für das Projekt: Die Lust an der Arbeit im Freien. Die Leidenschaft für Nahrungsmittel, für Getreide und Tiere. Und, natürlich, ein Stück Heimatliebe. Doch der Beruf veränderte sich. Es fehlte an Anerkennung für lokale Lebensmittel. „Die Leute holen sich den Tausend-Euro-Grill und schmeißen die Billig-Bratwurst drauf“, sagt auch Kompe.

Und etwa seit 2019 macht der zunehmende bürokratische Aufwand den Landwirten das Leben schwer. Konnte man früher Formulare noch in der Traktorkabine ausfüllen, benötigt der Schicketanz-Hof nun drei Angestellte für, so sagt man es hier: Papierkram. Und auch der Chef schaut seinem Weizen nicht mehr beim Wachsen zu. „Man sitzt als Landwirt heute 80 Prozent im Büro“, sagt Schicketanz. Dazu, sagt er, steigen überall die Kosten – für Dünger, Pflanzenschutzmittel, Arbeitskosten, nun auch noch den Diesel.

Und manches, sagt Schicketanz, könne man nicht mehr verstehen. Eine weitere Neuerung, gegen die deutsche Landwirte nun bereits erfolgreich protestierten, betraf die Streichung von Steuervergünstigungen für landwirtschaftliche Fahrzeuge – die ist seit Donnerstag vom Tisch. „Ich habe draußen bei den Kühen einen Anhänger, mit dem gehe ich einmal in der Woche Wasser holen – für den hätte ich nun zahlen sollen?“, sagt Schicketanz. Der Sprecher der Bundesregierung erklärte die Streichung der Streichung mit dem „zum Teil erheblichen bürokratischen Aufwand“ für die Landwirte.

Sachsen hat seinen eigenen Bauernverband: „Land schafft Verbindung“

Die Steuererleichterung für Diesel soll aber nach wie vor gestrichen werden. Zwar nicht sofort, aber bis 2026. Kompe sagt: „Das ist kein Kompromiss, sondern ein Sterben auf Raten.“ Also bleibt es dabei: Montag wird protestiert.

Und es ist gut möglich, dass die Proteste in Sachsen noch eine Spur schärfer werden als anderswo. Hier gibt es, neben dem offiziellen Bauernverband, der die Proteste deutschlandweit steuert, seit 2019 noch eine zweite Organisation namens „Land schafft Verbindung“.

Auch Kompe schloss sich „Land schafft Verbindung“ an. „Viele konnten sich mit dem Bauernverband, der in zig Gremien sitzt, nicht identifizieren“, sagt er. Man könnte es auch so formulieren: Der Bauernverband versteht sich als Scharnier zur Politik, als Ansprechpartner für Olaf Scholz, Christian Lindner oder Robert Habeck.

Und „Land schafft Verbindung“? Vielleicht hilft dieser Vergleich: Als wütende Landwirte am Donnerstagabend Wirtschaftsminister Robert Habeck am Verlassen einer Fähre hinderten, verurteilte das der Bauernverband als „Grenzüberschreitung“. Paul Kompe sagt: „Es sieht nicht gut aus, aber ich kann die Leute verstehen.“

„Lassen uns nicht politisch vereinnahmen“

Der Widerstand von „Land schafft Verbindung“ ist also nicht automatisch radikaler, aber zumindest: etwas unberechenbarer. „Wir lassen uns aber nicht politisch vereinnahmen“, sagt Kompe. Er sagt das auch, weil ein Aktivist der rechtsextremen „Freien Sachsen“ auf Telegram dafür geworben hat, sich den Bauernprotesten anzuschließen. Als Zeichen sollte man eine gelbe Warnweste auf den Beifahrersitz legen – das Symbol der französischen Gelbwesten-Bewegung, die in Frankreich noch deutlich brachialer protestierte als deutsche Bauern es bislang tun.

„So weit wollen wir es nicht kommen lassen“, sagt Kompe. Auch ein Banner der „Freien Sachsen“ würde er auf dem Protest am Montag nicht gelten lassen. „Die wollen das System stürzen – wir glauben, dass man es noch reparieren kann.“

Am Sonntagabend, eine Nacht vor Streikbeginn, kursiert in sozialen Medien plötzlich ein Foto von Paul Kompe: Er trägt ein T-Shirt der in der rechten Szene beliebten Marke Ansgar Aryan. Das Motiv ist ein Foto, das offenbar Wehrmacht-Truppen vor dem Eiffelturm in Paris zeigt.

Wehrmacht-T-Shirt – eine Jugendsünde?

Auf Nachfrage erklärt Kompe gegenüber LVZ: „Das T-Shirt geht natürlich gar nicht, es ist eine Jugendsünde.“ Er habe es vor Jahren von einem Freund geschenkt bekommen, zu dem er inzwischen keinen Kontakt mehr habe. „Mit 20 lässt man sich vielleicht auf die falschen Leute ein – und merkt erst später, dass es ein Fehler war“, sagt Kompe. Das Foto sei 2017 in der Grimmaer Disco „El Ritmo“ entstanden.

Anmerkung: Nach Veröffentlichung des Artikels wurde der LVZ bekannt, dass der Landwirt Paul Kompe offenbar Kontakte in die rechtsextreme Szene hatte. Dies würde auch seine Abgrenzung gegenüber den „Freien Sachsen“ in Zweifel ziehen. Wir haben den Landwirt nach Erscheinen des Artikels mit dem betreffenden Foto konfrontiert und seine Antwort am Ende des Textes ergänzt.