Repression in Leipzig – „Immer mitten in die Fresse rein (babbapdidabdabdabdadaa)“

Repression der letzten Jahre und Leipzig – was dazu wohl den meisten von außerhalb Leipzigs einfällt, ist das Antifa-Ost-Verfahren und die damit verbundene Tag-X-Demo, genauer: die nicht-stattgefundene Tag-X-Demonstrationen am 03.06.2023. Was dort aus staatlicher Sicht passierte, kann man mit den Worten des aktuellen sächsischen Innenministers Armin Schuster kurz mit folgenden Zielen umreißen: Einen Stadtteil wie Leipzig-Connewitz zu „befrieden“ und irgendwie einfach so zu werden „wie Hannover“ – eine Stadt, die es geschafft hat, „dass es dort keine Straßenschlachten mehr wie in den Neunzigerjahren“ gibt.

Aber gibt es in Leipzig sonst noch was in Bezug auf Repression zu vermelden? Die Antwort muss leider lauten: ein erhebliches Ausweiten staatlicher Repressionsmaßnahmen, die nicht nur, aber auch gezielt auf die Zerschlagung der radikalen Linken in Leipzig zielt. Und nein, das betrifft nicht nur wie seit Jahrzehnten den Stadtteil Connewitz oder irgendwelche – man muss es ehrlicherweise sagen – zuletzt seltener zutreffenden, und eher dazu aufgebauschten Straßenschlachten in Leipzig. Der Staat drischt darüber hinaus in den letzten Jahren ordentlich auf alles ein, was sonst noch nach links aussieht und nicht bereit ist, sich an das von Staat und Polizei vorgegebene Zulässige zu halten.

Kleiner und leider keinesfalls vollständiger Überblick der letzten drei Jahre gefällig?

  • Leipzig besetzen: Räumung der Häuser Ludwigstr. 71, Bornaische Straße 34 sowie der Tiefe3, der Antischocke, des alten Bahnhofs Stötteritz und zuletzt des Heliums. Von Knüppeln der Soli-Demo über erkennungsdienstliche Behandlungen (ED-Behandlungen), DNA-Entnahmen bis zu Hausdurchsuchungen wurde das gesamte Repressionsregister gezogen. Die Strafverfahren ziehen sich dort zum Teil bereits seit Jahren.

  • Linke Fußballfans werden regelmäßig von den Bullen auseinander genommen, so etwa im Nachgang der Auseinandersetzungen des linken Vereins Chemie Leipzig mit dem rechten Fußballverein Lok Leipzig im Mai 2022. Neben über 70 Strafverfahren gegen Chemie-Fans, DNA-Entnahmen und Hausdurchsuchungen kam es hier auch zum Einsatz von in diesem Umfang bisher unbekannten massiven Öffentlichkeitsfahndungen.

  • Und was ist mit Demos? Da werden als „Sachsen-Spezial“ zusätzlich zu den Demonstrant:innen auch schon mal die Anmelder:innen kriminalisiert – sei es mit Schikanen durch Strafbefehle aufgrund vom „mangelnden Einwirken“ auf Demonstrationen mit aggressiver Außenwirkung oder gleich mit der Festnahme einer parlamentarischen Anmelderin während der Durchführung der Demonstration am Tag der Jugend, wie zuletzt im unmittelbaren Vorfeld der Tag-X-Demonstration. Zudem ist ein neues Versammlungsgesetz in Sachsen in der Pipeline. Als Neuheit wären da dann neben den Anmelder:innen auch Ordner:innen namentlich zu benennen. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt…

  • Zudem ist auffällig, dass in den letzten Jahren – vermutlich auch durch entsprechende personelle Wechsel in der Versammlungsbehörde flankiert – die Versammlungsbehörde erheblich an eigenem Selbstbewusstsein im Binnenverhältnis zur Polizei verloren hat und zunehmend nur noch als willfähriger Gehilfe der Cops zu dienen scheint. Hatte die Versammlungsbehörde vor Jahren noch vermehrt die Agenda die Versammlungsfreiheit zu realisieren und dabei ggf. auch inhaltlich mit der Polizei aneinander zu geraten, hat sich dies Verhältnis nun zu unseren Ungunsten verändert. Die Bullen geben den Ton an – in der jüngsten Vergangenheit häufig etwa durch Abstoppen der Demonstration bzw. spontanes Umwandeln einer kompletten, vorher genehmigten Demonstration in eine ortsfeste Kundgebung bei dem kleinsten Anzeichen von Vermummung. Die Versammlungsbehörde nickt das durch die Cops gewünschte Vorgehen dann nur noch ab.

  • Auch das komplette Verbieten von Demonstrationen ist seit einigen Jahren in seiner Dimension eine Leipziger Besonderheit. So etwa die Tag-X-Demo. Die Kesselung von über 1.000 Menschen an diesem Tag führte dann zu über 1.000 (!) Ermittlungsverfahren wegen dem besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs – Ausgang noch völlig unklar. Um mögliche Ausschreitungen zu verhindern, wurden auch im Jahr 2021 gleich drei bundesweit mobilisierte Demonstrationen an einem Tag verboten und für weite Teile der Stadt ein Kontrollgebiet eingerichtet, um auch jedwede mögliche spontane Reaktion auf das Verbot zu unterbinden; der einzige Anlass für Kontrollgebiete in den letzten Jahren war dies damit allerdings nicht.

  • Neben autonomen und anarchistischen Genoss:innen aus den unterschiedlichsten Themenfeldern oder Aktivist:innen aus dem Klimabereich sind, wenn man die letzten Jahre betrachtet, in Leipzig sicher auch die unzähligen jungen, häufig noch minderjährigen Genoss:innen, die bei ihrem Engagement gegen die noch immer stattfindenden Montagsdemos erhebliche Repression in Form von Strafverfahren aller Art (tätlicher Angriff, Beleidigung, Nötigung, Vermummung…) teilweise wöchentlich im zweistelligen Bereich angetackert bekamen, zu erwähnen. Und ja, mit wöchentlich ist in diesem Fall leider tatsächlich jede Woche gemeint, da sie die Einzigen waren, die unermüdlich versuchten die unsäglichen Montagsdemonstrationen zu blockieren.

  • Nicht zu vergessen sind natürlich die unzähligen Observationsmaßnahmen, (Haus-) durchsuchungen, ED-Behandlungen und DNA-Entnahmen, die sicherlich in der gesamten linken Szene in Leipzig in den letzten Jahren eine traurige Hochphase erreicht haben dürften. Und nein, damit meinen wir nicht, eine Hausdurchsuchung im linken Spektrum pro Jahr oder auch eine alle sechs Monate – wir meinen damit, dass in den letzten Jahren teilweise wöchentlich Türen von Genoss:innen aufgetreten, aufgerammt oder aufgeschossen wurden. Alleine im November 2023 geschah dies an zwei verschiedenen Tagen wegen mindestens drei unterschiedlichen Ermittlungsverfahren in diversen Wohnungen (1. Mai Demo in Gera, Tag-X-Demo in Leipzig, Brandstiftung von DHL- Fahrzeugen).

Die Repression hat also spürbar zugenommen. Aber um zu verstehen, warum das so ist, reicht ein kurzer Verweis auf die zunehmenden rechten Tendenzen in Gesellschaft und Staat aus unserer Sicht nicht aus. Wenn man in Sachsen lebt, ist jedenfalls klar, dass rechte Umtriebe – auch in den Sicherheitsbehörden – niemals weg waren, wie es vielleicht in anderen Regionen Deutschlands der Fall gewesen sein mag. Der NSU war nicht zu dritt, sondern konnte sich auch in Sachsen wunderbar jahrelang einrichten und die entsprechenden Netzwerke weiter ausbauen.

Natürlich geht aber auch der aktuell offen zutage tretende zunehmende Rechtsruck weder an Sachsen noch an Leipzig spurlos vorbei. Ein Blick auf die Besetzung des Postens des Polizeipräsidenten der Polizeidirektion Leipzig kann hier aufschlussreich sein. War der Posten im Zeitraum 2012 bis 2019 von Bernd Merbitz besetzt, der auch schon mal öffentlich Position gegen Nazis bezog und für diese noch weniger übrig hatte als für uns, wurde er 2019 mit Torsten Schultze und 2021 weiter mit René Demmler besetzt. Dass Schultze oder Demmler Rechte ein Dorn im Augen wären, ist nicht ersichtlich, wohl aber, dass dies bei Linken der Fall ist. Unter Schultzes Amtszeit fiel das Silvester mit den angeblich bürgerkriegsähnlichen Zuständen am Connewitzer Kreuz sowie die unsägliche Corona-Demo am 07.11.2020 bei der über 20.000 Querdenker:innen und Nazi-Hools sich über eine Auflösung hinwegsetzten und unter Polizeibegleitung über den Innenstadtring marschierten. Demmler zeichnet sich zuletzt für den Umgang mit dem Tag-X in Leipzig verantwortlich.

Flankiert wurde dies in den letzten Jahren auf Landesebene durch die Innenminister Roland Wöller (2017 bis 2022) und Armin Schuster, auf deren Konten neben dem Umgang mit der Tag-X-Demo, u.a. auch ein Lobgesang auf die Arbeit der Polizei bei den rechten Ausschreitungen in Chemnitz und ein chronisches Bagatellisieren von Corona-Leugner:innen und Impfpflichtgegner:innen ging – ganz nach dem Motto: Die Linken kommen vor Gericht, die Rechten an den Runden Tisch.

Neben der Verschiebung der politischen Großwetterlage gibt es in Bezug auf Leipzig aus unserer Sicht aber noch weitere Umstände, die diese massive Ausweitung der Repression begründen können. Aber um zu verstehen warum das so ist, müssen wir einen Blick zurück in die jüngste Leipziger Geschichte werfen.

Haben 2011 noch ca. 510.000 Menschen in Leipzig gelebt, sind es es mittlerweile über 620.000. Seit 2011 ist die Bevölkerung Leipzigs jedes Jahr somit um knapp 10.000 Menschen angewachsen. Und das merkt man auch: War das Stadtbild früher insbesondere im Westen und Osten von verfallenen und leerstehenden Häusern geprägt, die als Wächterhäuser o.ä. vor dem Verfall durch Leerstand gerettet werden sollten, wird nun jede Brachfläche mit Neubauten – natürlich vielen Eigentumswohnungen – zugepflastert. Von Leerstand ist weit und breit nicht mehr die Rede, was seit einigen Jahren zunehmend von Leipzig besetzen auch entsprechend öffentlichkeitswirksam thematisiert wird.

Diese Entwicklung spiegelte sich aber nicht nur am Wohnungsmarkt wieder, sondern auch im Stadtbild und der Bullenpräsenz: war die Stadt vor 10 Jahren noch heruntergekommener und entsprechend dünner besiedelt, so schritt die Polizei auch einfach wesentlich häufiger nicht ein. So kam die Cops bisweilen zu spät oder/und mit zu wenig Personal, das sich dann gar nicht traute, einzugreifen – nicht selten kamen sie auch einfach gar nicht, insbesondere wenn es um Auseinandersetzungen mit Nazis ging. Alles in allem war man mehr unter sich. Dies ließ viel Raum, der auch entsprechend genutzt wurde und so Leipzig zu allerlei Ruhm in linksradikalen Kreisen führte. Repression indes hielt sich in dieser Phase doch sehr in Grenzen; seltenst kam einem die Polizei dazwischen – es gab schlicht auch wenig, was es aus ihrer Sicht zu schützen gab – leerstehende Straßenzüge oder Auseinandersetzungen mit Rechten jedenfalls nicht. Dieser Freiraum, der sich für eine Zeit lang in Leipzig ergab und auch genutzt wurde, trug sicher auch einiges zur wachsenden Beliebtheit der Stadt in linksradikalen Kreisen bei. Aber offensichtlich nicht nur dort. Mit dem Zuzug in die Stadt und der Veränderungen der Bevölkerungsstruktur wurde Wohnraum beliebter und nach und nach zur Steigerung der Rentabilität aufgehübscht. Mietpreise stiegen und Verdrängungsprozesse setzten sein. Und ganz schleichend gab es dann auf einmal eine Menge Sachen, die es in Leipzig neu zu schützen galt: Saubere Hausfassaden, Straßenzüge und Grünflächen; teure, viele und große Autos, die als Eigentum anderer respektiert werden sollten; Fahrräder, die nicht die Besitzer:in wechseln sollten, ein Image als progressive, aber auch sichere Stadt…

Die Linksradikalen von früher haben ausgedient, Freiräume verschwanden, politische Auseinandersetzungen mit Rechten verschoben sich zunehmend in das Umland, die Polizeipräsenz nahm zu, ebenso die Videoüberwachung – und weil der Antikapitalismus und die entsprechende politische Praxis traditionell links angesiedelt ist, war die Repression nun auch dort vermehrt zu finden.

Antifaschismus hatte in Leipzig indes nur solange seinen Platz, solange er bzw. tatkräftige Antifaschist:innen benötigt wurden, damit sich niemand anderes an den Nazis die Finger schmutzig zu machen brauchte. Nunmehr ist er lästig geworden und wird allenfalls dann positiv besetzt, wenn er für den Wahlkampf gegen die AfD ins Feld geführt werden kann – da dann aber natürlich nur als nicht-militanter Antifaschismus, der von dem „Sag mir wo die Blumen sind“-singenden, amtierenden OBM Burkhard Jung politisch ausgeschlachtet werden kann.

Bei all diesen Veränderungen, die Leipzig genommen hat, wundert es auch nicht, dass Sicherheit anhaltend zu einem beliebten Wahlkampfthema für die OBM-Wahl in Leipzig avanciert (etwa 2020 durch Sebastian Gemkow). Die tatsächliche Notwendigkeit von mehr Bullen-Präsenz ist jedoch umso erstaunlicher, als dass Armin Schuster bei der Vorstellung der Kriminalstatistik 2022 für Sachsen festhielt, dass sich „die Kriminalität im Freistaat seit fünf Jahren auf einem weiterhin niedrigen Stand“ befindet. Ein Grund für einen Stellenabbau bei der sächsischen Polizei ist dies natürlich nicht, wie Demmler bei seinem Amtsantritt 2021 versicherte, genauso wenig wie der für die kommenden Jahrzehnte prognostizierte Bevölkerungsrückgang in Sachsen.

Die massive Zunahme der Repression hat dazu geführt, dass neben der Repression auch Antirepression in linksradikalen Kreisen in Leipzig stark in den Vordergrund gerückt ist. Das kann ein ums andere Mal auch empowernde Momente haben, auf der anderen Seite erfüllt sich damit zugleich der Wunsch der Repressionsbehörden selber: Linksradikale werden von ihrer auf die Gesetze keine Rücksicht nehmende Praxis abgehalten und abgebracht. Der Wunsch jedenfalls nach einer verstärkten, gegen die konkreten Auswirkungen der Repression gerichteten Praxis ist auch in autonomen Kreisen selber zuletzt deutlich gewachsen. Dies zum einen aus der Erfahrung, dass es zu diesen empowernden Momenten nicht allzu oft kommt, zum anderen daraus, weil die Wirkung deutlich zu spüren ist.

Die aktuelle Zunahme der Repression scheint also leider keine Welle zu sein, die sicher bald wieder abflaut, sondern die Umstände, die sie erzeugen, werden voraussichtlich in den nächsten Jahren noch weiter zunehmen. Denn linksradikale Praxis ist, wenn sie ernst gemeint ist, weiterhin eins: Unbequem für die Regierenden. Und so bleibt es dabei, zu akzeptieren, dass die Repression nicht ab-, sondern sehr wahrscheinlich weiter zunehmen wird – als Preis für eine unangepasste politische Praxis, die jedoch den Wunsch nach einem besserem Leben in sich trägt.

 


gefunden im Autonomen Blättchen Nr. 55, https://autonomesblaettchen.noblogs.org/