Jüdischer Restaurantbetreiber in Chemnitz: von Neonazis attackiert, von anderen „zum Nazi gemacht“
Uwe Dziuballa betreibt mit dem „Schalom“ in Chemnitz das bekannteste jüdische Restaurant Ostdeutschlands. 2018 wurde er von Neonazis attackiert, jetzt fällt im Revisionsprozess ein Urteil gegen einen Angreifer. Doch Dziuballa wird auch von anderer Seite angegriffen, wegen seiner Freundschaft zu dem umstrittenen Ostkomiker Uwe Steimle. Was hält die beiden Uwes zusammen?
Nach fast fünf Jahren ist das vielleicht schmerzlichste Kapitel in Uwe Dziuballas Leben abgeschlossen. Am 17. März verhandelt das Oberlandesgericht Dresden abschließend über den Angriff eines Neonazi-Mobs auf Dziuballas jüdisches Restaurant „Schalom“ Ende 2018 in Chemnitz.
Rechtsextreme aus ganz Deutschland waren nach Chemnitz gekommen, nachdem der 35-jährige Daniel H. durch einen syrischen Geflüchteten erstochen wurde.
Die schwarz gekleideten Gruppen verbreiteten Terror in der ganzen Stadt, und sie griffen auch das „Schalom“ an. „Verschwinde aus Deutschland, Judensau“, brüllen sie. Sie werfen Steine, einer trifft Dziuballa an der Schulter.
Verurteilt wird ein einziger der Täter, Kevin A. aus Stade in Niedersachsen, erst zu einem Jahr, dann zu zehn Monaten auf Bewährung. Der Stein, auf dem seine DNA gefunden wurde, sei zu klein gewesen. Nun hat die dritte Instanz das Wort. Dziuballa will das Kapitel abschließen. Vor allem, weil er sich nicht gerne als Opfer von Antisemitismus sehen will. Das wäre ihm zu einfach.
Genauso einfach wie die Erzählung von der Nazi-Hochburg Chemnitz, die ihn als Lokalpatrioten schmerzt. Deswegen ist der große, kräftige Mann, der stets eine Kippa auf seinem fast kahlen Schädel trägt, nach dem Steinwurf 2018 mit seiner schmerzenden Schulter nicht zum Arzt gegangen. Er konnte danach wahrheitsgemäß sagen, dass es in der Geschichte des „Schalom“ in Chemnitz keine Personenschäden gab.
Deswegen ist ihm am Prozess auch besonders wichtig, dass der Angeklagte kein Chemnitzer ist. Kevin A. ist gut vernetzt in der Region, er gehörte zu den Rechtsextremen, die nach dem Mord an Daniel H. bundesweit in die überforderte Stadt mobilisiert wurden. Was die Gerichte versäumt haben, ist die Strukturen der Szene aufzudecken. Dziuballa nimmt das zur Kenntnis.
Es besteht aber ohnehin wenig Gefahr, dass Uwe Dziuballa in diesen Tagen als Opfer gesehen wird. Eher empört man sich über ihn. Ein anderes Gericht hat in diesen Tagen sein Urteil schon gesprochen, und angeklagt war Dziuballa selbst. Es war das inoffizielle Gericht der guten öffentlichen Meinung, und der Schuldspruch war schnell klar. Vom Nazi-Opfer über den Nazi-Freund zum Nazi ist es manchmal ein kurzer Weg.
Dziuballa ist ein guter Freund des umstrittenen Dresdner Komikers Uwe Steimle. Seit seinem erzwungenem Abschied vom Mitteldeutschen Rundfunk füllt Steimle seinen Youtube-Kanal, seine Programme und Interviews gerne mal mit Verschwörungsgeraune und „Ami go home“-Propaganda. Nicht wenige sagen, er bediene auch antisemitische Stereotype. Was, um alles in der Welt, führt diese beiden sächsischen Uwes zusammen?
Vor kurzem trat Steimle im Chemnitzer Klub „Kraftwerk“ auf. Dziuballas Ehefrau Ute Kühn-Dziuballa ist dort Projektleiterin. Die sächsische Grünen-Chefin und Chemnitzer Stadträtin Christin Furtenbacher protestierte im Vorfeld: „Der Auftritt wird gefördert mit Jugendmitteln der Stadt“, kritisierte sie. „Steimle fällt seit Jahren mit antisemitischen, rassistischen und extrem rechten Aussagen sowie antidemokratischen Äußerungen und Verschwörungsmythen auf. So wird er von vielen wahrgenommen. Ich empfehle eine Prüfung der Absage.“
Dziuballa sagt, das „Kraftwerk“ werde mit Jugendmitteln gefördert, aber nicht die nachmittägliche Gesprächsreihe, zu der Steimle eingeladen wurde. Und Steimle, meint das Ehepaar unisono, sei zwar nicht jedermanns Geschmack, aber kein „Rassist oder Antisemit“.
Der Auftritt ging wie geplant über die Bühne. Steimle kramte wieder seinen „Kraft durch Freunde“-Spruch heraus, diesmal in kyrillischen Lettern auf eine Tasche gedruckt. Sein Freund nimmt auch diese Art Humor an.
Dziuballa wurmt besonders, dass Furtenbacher nicht vorher das Gespräch mit ihm gesucht habe. Schließlich kenne man sich in Chemnitz, auch die Grünen hätten schon im „Schalom“ getagt.
Dennoch: Steimle raunt von den „Globalisten von Blackrock & Co.“. Dziuballa war nach der Wende kurzzeitig Investmentbroker in den USA. Da passt doch etwas nicht zusammen, oder? Der eine, Dziuballa, hält große Stücke auf seinen Sarkasmus und seine beißende Ironie. Der andere, Steimle, gibt dem sächsischen Wutbürger ein gemütliches Zuhause.
Steimle meldete in Dresden zum Jahrestag der Bombardierung 1945 eine Demonstration an, für 80 Teilnehmer, 500 kommen, auch aus rechtsextremen Ecken. Er verteilt Friedenstaubenfähnchen und singt das DDR-Pionierlied „Kleine weiße Friedenstaube“. Dziuballa hingegen sagt: „Ich bin kein Freund von Krieg, aber eine Demokratie sollte wehrhaft sein.“ Dass es in Europa keinen Krieg mehr geben könne, sei eine Illusion gewesen, der er vor dem 24. Februar vergangenen Jahres auch angehangen habe. Und nun: „Nach dem Krieg müssen wir dem russischen Volk auch wieder die Hand reichen.“
Was ein „richtiger Friede“, was ein „falscher Friede“ ist, das zu beurteilen sei nicht seine Kompetenz. „Meine Kompetenz ist, die jüdische Küche am Leben zu erhalten.“
Auf einer Demo mit Chemnitzer Rechtsextremen
Dziuballa zieht die kopfschüttelnd die Kopie eines Zeitungsartikels hervor: „Jüdischer Gastwirt auf rechter Demo mit Uwe Steimle“. Er sieht nicht ein, sich dafür zu rechtfertigen. Und überhaupt, das Jüdische hier wieder in die Überschrift zu nehmen. In Dresden hatte er einen Hut über der Kippa, wie immer, wenn es in der Öffentlichkeit heikel werden kann.
Aber was wollte er denn in Dresden? Eigentlich nur Steimle beruhigen, dass der Auftritt in Chemnitz wie geplant stattfinden könne. Dann sah er seinen Freund „kreidebleich“ da stehen, überfordert mit dem Zustrom, überfordert mit dem Verteilen der Friedensfähnchen. Dass Chemnitzer Rechtsextreme auf der Demo waren, habe er nicht bemerkt. „Ich kenne die nicht“, sagt er.
„An Uwe schätze ich, dass er als wahrer Freund ein tiefes Verständnis lebt im Vertrauen“, sagt Steimle über Dziuballa. „Er ist ein Macher.“
An Steimle schätze er, dass man mit ihm diskutieren kann, sagt Dziuballa. Und auch Freunde müssten ja nicht immer die gleiche Meinung haben. Dass Steimle auch AfD-Chef Tino Chrupalla zu seinen größten Fans zählt, in seine Youtube-Show „Aktuelle Kamera“ einlud und immer wieder lobt, nimmt Dziuballa zur Kenntnis.
Dziuballa über AfD-Wähler: „Wollen wir die alle ausgrenzen?“
„Kommendes Jahr sind in Sachsen Landtagswahlen. Die AfD könnte stärkste Kraft werden. Sie hat bereits mehr als 20 Prozent der Leute hinter sich. Wollen wir die alle ausgrenzen?“, fragt Dziuballa. „Mit wie vielen Prozent der Bevölkerung wollen wir denn nicht mehr reden?“
Dass es in der AfD genügend Gestalten gibt, „die mehr als nur grenzwertig sind“, das sei doch bekannt. Das könne man voraussetzen. Der Gastronom greift zu einem deftigen Vergleich: „Ich muss Ihnen auch nicht jeden Tag versichern, dass ich keine Hundescheiße esse.“
Soll heißen: Man könne schon etwas demokratisches Bewusstsein annehmen bei jemanden, der sein Restaurant auch als völkerverbindende Maßnahme betrachtet. 2025 wird Chemnitz Europäische Kulturhauptstadt sein. Im „Schalom“ bewirten sie seit vielen Jahren Gäste aus den USA, Israel, allen europäischen Ländern, die sich von Chemnitz überraschen lassen.
Bald soll nicht weit entfernt vom „Schalom“ ein Denkmal für den Chemnitzer Holocaust-Überlebenden Justin Sonder stehen, der seit der Wende unermüdlich mit Schulklassen diskutierte, bis er vor gut zwei Jahren mit 95 Jahren starb. Beide Uwes kannten ihn gut. „Er fehlt mir“, sagt Dziuballa. „Als Gesprächspartner, als Gegenüber, als guter Mensch.“ Er will in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Auschwitz Komitee ein Denkmal für Sonder privat finanzieren. Steimle hat 5000 Euro dafür gespendet. „Diesen freundlichen Humanisten, der nie hasserfüllt war, muss man ehren, damit der Wahnsinn nicht vergessen wird“, sagt er.
Vor kurzem aber sagte Steimle in einem Interview über die Corona-Maßnahmen: „Unfassbar war auch, wie die Ungeimpften stigmatisiert und ausgegrenzt wurden. Ich weiß seitdem, wie es 1933 gewesen sein muss.“ Wieder einmal stellt sich die Frage: Wie passt das zu seinen Sätzen über Justin Sonder, wie zu seiner Freundschaft zu Uwe Dziuballa?
Er kenne nicht jedes Programm, nicht jedes Interview seines Freundes, sagt Dziuballa. Über ein Drittel seiner Witze könne er herzlich lachen, anderes sei halt dem neuen Publikumsgeschmack geschuldet. Sein eigener Witz ist bitterer.
Er erzählt eine Geschichte zum Beweis: Vor kurzem sei eine Frau zu ihm ins Restaurant gekommen, völlig aufgelöst, so beschreibt er es. „Ich bin kein Nazi, darf ich weiter hier essen?“, habe sie gefragt. Dann erzählte sie, wie ihre Hausgemeinschaft ihr vorwirft, dass sie mit einem Nachbarn gesehen worden sei, der einschlägig als Rechtsextremer bekannt sei. Sie selbst habe das nicht gewusst.
Dziuballa, so berichtet er es, habe der Frau beruhigend die Hand auf die Schulter gelegt. „Die Grünen haben mich zum Nazi gemacht“, sagte er, „ihre Nachbarn machen Sie zum Nazi. Wenn wir beide Nazis sind, dann, gute Frau, habe ich keine Angst mehr vor dem Faschismus.“
Dem echten Neonazi Kevin A. will Dziuballa beim Prozess am Freitag nicht noch einmal begegnen. In den Vorinstanzen hatte er vor Gericht kein einziges Wort gesagt. Keine Erklärung, keine Reue. Kein Gegenüber für den wortgewaltigen Gastwirt. Der verzichtet auf das Wort „Knast“, den er seinem Angreifer wünscht. Er sagt nur: „Ich würde mir wünschen, dass jemand, der so gar nicht einlenkt, der offenkundig beratungs- und entwicklungsresistent ist, mal seine Grenzen gezeigt kriegt vom Staat. Und wenn das bedeutet, dass er eine gewisse Zeit in geordneten staatlichen Verhältnissen leben muss.“