Heißer Herbst“ ausgefallen: Rechte Demo-Organisatoren setzen jetzt auf andere Themen

Die Proteste gegen die Energiepolitik in Leipzig und anderswo in Sachsen wurden nie so groß, wie von manchen vorhergesagt. Rechte Demo-Organisatoren probieren bereits andere Themen aus – bislang mit mäßigem Erfolg.

Leipzig. Ein Wutwinter könne uns bevorstehen, Volksaufstände drohten gar: Im Herbst gab es viele Warnungen aus Politik- und Sicherheitskreisen vor radikalen Protesten in Zeiten von Krieg in der Ukraine und Inflation im eigenen Land. Vor allem im Osten könnten die Proteste gegen die Energiepolitik der Bundesregierung von rechtsradikalen Kräften wie der Kleinstpartei „Freie Sachsen“ unterwandert werden, hieß es. Bislang aber sind die großen Proteste ausgeblieben.

Beispiel Leipzig: Zum Auftakt in einen sowohl von rechten als auch von linken Kräften so bezeichneten „heißen Herbst“ am 5. September vorigen Jahres kamen zwar mehrere Tausend Menschen. Sie kamen aber wohl vor allem – dieser Eindruck drängte sich vor Ort auf – um sich aufeinander zu beziehen: die einen zum Protest gegen vermeintliche und tatsächliche Rechtsradikale, die anderen in der Hoffnung auf eine neue Querfront. Danach pendelte sich die Teilnehmerzahl bei den montäglichen Protesten um den Leipziger Ring zunächst auf einem hohen Niveau ein, sank dann aber bald. Am vergangenen Montag waren in Leipzig nur noch wenige Hundert Protestierende in drei verschiedenen Aufzügen unterwegs.

Beispiel Plauen: Im September 2022 sah der Ort im Vogtland nach der neuen sächsischen Protesthochburg aus – bis zu 5000 Menschen kamen in der Stadt zu Demonstrationen des „Forums für Demokratie und Freiheit“ zusammen. Dann gab es Streit unter den Organisatoren – um Trommlergruppen, um die Frage, wie radikal es zugehen solle. Die Polizei ermittelte wegen einer womöglich volksverhetzenden Rede. Die Teilnehmerzahlen sanken rapide. Wer will, kann das positiv sehen: Solange die Organisatoren ihre Debattenbereitschaft betonten, kamen die Menschen. Als die Töne radikaler wurden, blieben viele weg.

Demokratieforscher: „Der Druck ist raus“

Johannes Kiess beschäftigt sich am Else-Frenkel-Brunswik-Institut für Demokratieforschung der Universität Leipzig mit den Demonstrationen. Er glaubt, dass es unter anderem an der Politik der Bundesregierung liegt, dass die Teilnehmerzahlen zuletzt zurückgingen, statt in große Höhen zu steigen. „Der große Energienotstand ist bislang ausgeblieben“, sagt er. „Die Politik hat das Thema bearbeitet und das hat den Druck herausgenommen.“ Kiess und seine Kolleginnen und Kollegen schauen sich regelmäßig an, was in rechten Telegram-Kanälen passiert. „Dort ist die Nachrichtendichte zwar in den vergangenen Wochen gleich geblieben, aber es wird inzwischen weniger über den Protest auf der Straße gesprochen.“

Das heiße aber nicht, sagt Kiess, dass es weniger wütende und unzufriedenen Menschen gebe. „Das Protestpotential in Sachsen ist grundsätzlich da. Aber aktuell hat sich das Möglichkeitsfenster für durchschlagende Demonstrationen geschlossen, weil die Krise von vielen Menschen nicht mehr als so existenziell empfunden wird“, analysiert er. „Die Frage war immer: Finden rechte Protestakteure nach Asylpolitik und Corona ein neues Thema? Aktuell sieht es so aus, als funktioniere die große milieuübergreifende Mobilisierung nicht mehr.“

Tatsächlich versuchen etwa die rechtsextremen „Freien Sachsen“, die nach den Pandemie-Protesten auch einen großen Teil der Energieproteste in Sachsen mit organisiert hatten, mit verschiedenen Themen die Wut ihrer Anhänger am Köcheln zu halten. So haben sie etwa angekündigt, nachträglich juristisch gegen die Corona-Maßnahmen vorzugehen und sprechen in den sozialen Netzwerken zunehmend über die Flüchtlingsbewegungen nach Sachsen.

Verfassungsschutzchef: „Für Entwarnung ist es zu früh“

Der sächsische Verfassungsschutzpräsident Dirk-Martin Christian möchte in Sachen radikale Proteste noch keine Entwarnung geben. „Jetzt schon zu sagen, das ist nur ein laues Lüftchen und das war es schon, hielte ich für verfrüht“, sagt er der LVZ. „Seit Pegida haben sich in der hiesigen Gesellschaft feste Protestmilieus und Proteststrukturen herausgebildet, die bei jeglichen Themen mit Empörungscharakter aktiviert werden können. Es ist nur die Frage, wie stark die Bevölkerung emotional betroffen ist.“

Warum es auch der politischen Linken nicht gelungen ist, die Energiekrise mit großen Demonstrationen für sich zu nutzen, erklärt Protestforscher Kiess so: „Für die linke Bewegung ist es schwierig, das Ressentiment zu mobilisieren, weil das Original von rechts immer überzeugender ist.“ Zudem werde die Partei Die Linke als zerstritten und uneindeutig wahrgenommen – und nicht als adäquate Alternative.


07.11.2022 LVZ

Sogenannte Volksversammlung – Hass-Rede auf Demo in Plauen: Polizei prüft mögliche Volksverhetzung

Auf einer Rede bei einer Demonstration in Plauen hat ein Mann gegen Trans-Personen, Migranten und Politiker gehetzt. Polizei und Staatsanwaltschaft prüfen nun eine mögliche Straftat. Zur Veranstaltung des „Forums für Demokratie und Freiheit“ kamen zuletzt weniger Menschen – aber der Ton wurde radikaler.

Nach einer Rede auf einer Demonstration in Plauen am Sonntag prüfen Polizei und Staatsanwaltschaft mögliche Straftaten. Im Raum steht der Polizeidirektion Zwickau zufolge Volksverhetzung. Ein Mann aus Zwönitz hatte am Samstag gegen Trans-Personen gehetzt und dabei insinuiert, es sollten systematisch Familien abgeschafft sowie „Pharma-Sklaven“ gezüchtet werden. Thema seines hasserfüllten Vortrags waren auch „illegal eingereiste Männer mit Messern“; es gab diverse Bezüge zu Verschwörungstheorien und zur Reichsbürger-Ideologie. Der Mann rief zudem „mutige Bürger“ dazu auf, Politiker der Grünen „dorthin [zu] jagen, wo sie hingehören, in ihre Löcher“.

Zu der regelmäßigen Demonstration „für Frieden, Freiheit und Menschlichkeit“ ruft in Plauen das „Forum für Demokratie und Freiheit“ auf. Die Kundgebungen bezeichnen die Organisatoren als Volksversammlung. Zu Hochzeiten kamen dabei bis zu 5000 Menschen zusammen. In den vergangenen Wochen war der Zulauf aber zurückgegangen. Am Sonntag demonstrierten nach Angaben der Polizei in der Spitze 1600 Menschen.

Demonstranten streiten um Radikalität

Zuletzt hatte es unter den Demonstranten in Plauen Streit gegeben um die Frage, wie radikal man sein wolle. Dieser wurde vor allem in Chat-Gruppen in sozialen Netzwerken ausgetragen. Anlass war, dass die zuständige Versammlungsbehörde militärisch anmutende Formationen von Trommlern im Demonstrationszug per Auflage verboten hatte. Die Unterstützer des Forums waren in der Folge uneins, ob man sich das gefallen lassen solle. „Eine friedliche Revolution sollte man nicht gängeln“, hieß es dazu in einer Rede auf einer der Demonstrationen Ende Oktober.

Auch über den Einfluss der „Freien Sachsen“ auf die Demonstration wurde gestritten. Die rechtsextreme Kleinpartei war zuletzt am Rande der Kundgebung mit einem Infostand aufgetreten, ebenso die AfD. Der Streit führte schließlich dazu, dass Organisator David Thiele das Mikrofon auf der Kundgebung in der Plauener Innenstadt zur offenen Aussprache freigab. Zu Wort kam aber nur eine Frau – und sie setzte sich unter anderem für eine stärkere Präsenz der „Freien Sachsen“ ein. Man solle, forderte die Frau in ihrer Rede, die Fahnen der „Freien Sachsen“ noch höher schwenken. Das Wort „Nazi“ löste sie als eine Art Akronym auf in die Worte „nett, anständig, zielstrebig und intelligent“.

Die Polizei Zwickau hat die Identität des Redners vom Sonntag eigenen Angaben noch nicht ermittelt. Der Mann allerdings hatte sich auf der Veranstaltung mit seinem vollen Namen vorgestellt. Das ist etwa auf einem im Internet gespeicherten Livestream von der Veranstaltung nachzuvollziehen. Demo-Organisator Thiele hatte den Mann vor seiner Rede als „ganz ganz lieben Gast aus Zwönitz“ angekündigt. Thiele antworte am Montag nicht auf eine Anfrage zu der Rede.


14.09.2022 LVZ

Analyse zu Energie-Protesten – Warum den Demos der große Zulauf fehlt – Vier Thesen zum „heißen Herbst“

Linke und Rechte hoffen auf einen „heißen Herbst“. Aber die Massen folgen ihnen nicht, noch nicht. Und manche Bürger fragen sich, wohin sie mit ihren Sorgen überhaupt passen. Eine Analyse.

Leipzig. Das letzte Mal war Frau P. am 1. Mai 1989 demonstrieren, sagt sie. In den Jahren danach sah sie keine Notwendigkeit. Jetzt aber, mehr als 33 Jahre später, geht sie wieder auf die Straße, erschüttert und wütend über die Energiepreise und die Gasumlage und unsicher genug, dass sie darüber lieber nur anonym sprechen will.

Es ist der erste Septembermontag 2022, der Tag, an dem die Linkspartei in Leipzig ihre landesweiten Sozialproteste beginnen will. Frau P., 70 Jahre alt, geboren in Sachsen, seit fünf Jahren Leipzigerin, hat eine Gas-Heizung im Keller ihres Mietshauses und findet, dass sie zu viel gearbeitet hat in ihrem Leben, um in diesem Winter nur noch das Wohnzimmer zu heizen, wie es ihr Mann vorgeschlagen hat. Deswegen kommt sie zum Augustusplatz. Sie steht bei den Fahnen der „Freien Sachsen“ vor dem Gewandhaus, steht bei denen der Linken vor der Oper. Aber den richtigen Platz für ihre Sorgen, das erzählt sie später, findet sie nicht. Am nächsten Tag liest sie in der LVZ von rechten und linken Demonstranten und denkt: Wo bin ich denn da?

Die Energiekrise ist voll da, die Sorgen der Menschen sind es auch, und sowohl die politische Rechte als auch die politische Linke wollen das für sich nutzen. Beide beschwören einen „heißen Herbst“ mit Protesten gegen die Energie- und Sozialpolitik. Anfang September sollte für die Linke in Leipzig der Auftakt sein, Rechtsextreme kamen gleichzeitig. Eine Woche später ist eine nach rechts weit offene Demonstration in Leipzig wieder fast allein, genauso wie sonst etwa in Plauen oder Altenburg. Und bislang ist die Zahl der Demonstranten – für sächsische Verhältnisse – noch relativ gering. Warum? Und wird das noch anders? Vier Thesen.

1. Nur weil Krise ist, sind nicht automatisch die Straßen voll

Über Proteste gibt es eine falsche, aber weit verbreitete Annahme, sie geht so: Je existenzieller das Problem, umso mächtiger fällt der Protest aus. „Das ist aber nicht so“, sagt Dieter Rucht, emeritierter Soziologieprofessor und einer der renommiertesten Protestforscher Deutschlands. „Es kommt vor, dass Menschen buchstäblich verhungern, ohne sich zu wehren – weil sie keine Möglichkeiten oder Erfolgsaussichten dafür sehen.“ In der Protestforschung gebe es das Phänomen, dass Menschen sehr lang etwas erduldeten, ohne, dass sich auf den Straßen etwas regt. Und irgendwann, an einem Kipppunkt, gebe es dann eine heftige Reaktion.

Die Sorge der Menschen macht sich auch derzeit tatsächlich eher woanders bemerkbar: Die Verbraucherzentrale Sachsen berichtet von einem Ansturm auf ihre Energieberatung, und auch in manchen Pfandleihhäusern ist aktuell mehr zu tun als in guten Zeiten.

Womöglich liegt das auch daran, dass die Energiekrise in gewisser Weise einem Erdbeben ähnlich sieht: Einen klaren Schuldigen gibt es nicht, jedenfalls nicht in Deutschland. Sicher, die Politik hat die Verantwortung, soziale Notlagen abzumildern. Aber der Kern des Problems liegt doch weitgehend in Russland. Damit Menschen demonstrieren gehen, sagt Protestforscher Dieter Rucht, reiche bloße Not aber nicht aus – sie muss auch als menschengemacht wahrgenommen werden.

Vor allem die Protest-Organisatoren von rechts arbeiten routiniert an diesem Mechanismus, an dem Aufbau von Feindbildern und Schuldigen. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) etwa sollte bei Protesten in Heidenau symbolisch an den Pranger gestellt werden, bei der Leipziger Demo waren wieder – wie schon in Zeiten der Corona-Krise – Plakate der politischen Führungsriege in Sträflingskleidung zu sehen, „schuldig“ stand darauf. Aber glauben die Menschen, dass es so einfach ist?

2. Der Linken fehlt bislang das Durchhaltevermögen

Tausende waren am ersten Herbst-Montag dieses Jahres auf dem Augustusplatz, mobilisiert vom linken Leipziger Bundestagsabgeordneten Sören Pellmann. Eine Woche später aber, am Montag dieser Woche, ist Pellmann hier nicht mehr zu sehen. Nur in einer Nische des Platzes versammelt sich eine kleine Gruppe. Dort, am Rand, hat das linke Solidaritätsnetzwerk Leipzig seinen Stand aufgestellt. „Preise runter, Löhne rauf“ steht auf einem Plakat und eine Hand voll Leute drumherum. „Leider hat es der Parlamentarismus der Linken nicht geschafft, wieder eine Demo anzumelden“, sagt ein Redner ins Mikrofon. „Wir sind wütend.“

Der Wucht der von Pellmann initiierten Groß-Demo in Leipzig folgte eine Irritation: Erst kündigte die Linken-Bundesführung eine unmittelbare Fortsetzung ihrer Proteste in Leipzig an, dann blieben diese aus. Das war so verwirrend, dass die Menschen sogar bei der Leipziger Linken anriefen und nachfragten. Nein, heute ist keine Demo, hieß es da, wir machen erst am Samstag weiter.

Die Linkspartei hat mit ihrem Auftakt eine Menge Menschen mobilisiert – und dieses Potenzial in der Woche darauf einfach liegen gelassen. Dem Leipziger Querdenken-Ableger ist das nicht passiert. Er rief am Montagabend wieder routiniert auf die Straße – mit diesmal deutlich mehr Menschen als vor dem, naja, Pellmann-Booster. „Leipzig ist wachgeküsst“, rief die Organisatorin am Wilhelm-Leuschner-Platz. Um sie herum standen viele Menschen, die schon gekommen waren, als die „Bewegung Leipzig“ noch gegen die Corona-Maßnahmen protestiert hatte.

Ist das Protest-Feld also doch längst abgesteckt? Dieter Rucht glaubt nicht daran, dass es viele Menschen gibt, die von einer tendenziell radikalen Protestgruppe zu einer klar demokratischen wechseln würden, sobald es sie nur gibt. Soll es große linke Proteste geben, muss dafür also ein eigenes Klientel mobilisiert werden – und zwar nicht nur in der Großstadt, sondern auch in den kleinen und mittelgroßen Orten. Dort herrscht, jedenfalls in Mitteldeutschland, eine von rechts organisierte Demo-Routine. Die zieht zwar derzeit auch noch keine Massen an, aber doch eine stetig wachsende Zahl von Menschen: In Plauen etwa kamen am Sonntag rund 5500 Menschen, in Altenburg am Montag 1200.

3. Im „heißen Herbst“ geht es gar nicht um die Energiepreise

Ein Thema spielte im „heißen Herbst“ bislang kurioserweise eher eine Nebenrolle: Nämlich die Tatsache, dass viele Menschen ihre Gasrechnung wahrscheinlich nicht mehr werden bezahlen können. Die Sorgen der Bevölkerung waren zwar der Anlass, nicht aber das Thema, dass etwa die Linke am meisten umzutreiben schien. Vielmehr ging es darum, wer sich die Hoheit erkämpft, diese Menschen politisch vertreten zu dürfen. Linke gegen Rechtsextreme: Das stand bislang im Fokus. Nicht: Linke gegen die Energiepolitik. Viele, die sich selbst als unpolitisch beschreiben, dürfte das eher abschrecken.

So rekrutierte sich die Leipziger Linken-Demo vom 5. September denn auch aus vielen jungen Leute, die vor allem gekommen waren, um gegen die ebenfalls angekündigten Neonazis zu demonstrieren. Dazwischen standen ältere Linke, die schon oft bei Demos der Partei waren. Gegenüber, vor dem Gewandhaus, sammelten Neonazi-Größen und Ex-AfD-Politiker hauptsächlich diejenigen um sich, die über die Corona-Maßnahmen schon genauso sauer waren wie jetzt über die Energiepreise. Hüben wie drüben, in der Unterzahl: Menschen, die aktuelle Not auf die Straße treibt. Kurzum: Bürger zum Protest zu mobilisieren, die nicht ohnehin zur eigenen Klientel gehören, ist bislang kaum gelungen.

Für Protestforscher Dieter Rucht liegt das zum einen daran, dass die Krise noch jung ist. „Es liegt aber sicher auch daran, dass die Demonstration in Leipzig von der Linkspartei initiiert worden ist. Es ist nicht jedermanns Sache, sich hinter deren Fahnen zu versammeln.“

Und sich zählen zu lassen. Denn bei der Nachlese der Leipziger Großdemonstration ging es zuvorderst auch darum, wo sich mehr Menschen versammelten: Bei den „Freien Sachsen“ oder bei der Linkspartei?

4. Proteste sind nicht ausrechenbar

Eines haben die beiden zurückliegenden Leipziger Montage und das Geschehen drumherum gezeigt: Demonstrationen lassen sich nicht planen wie eine Betriebsfeier. Auch Protestforscher sagen, dass sich in der Regel nicht vorhersehen lasse, aus welcher Demonstrationsidee ein großer Volksaufstand werde. Zumal es widerstreitende Effekte gibt. Manchmal bleiben Menschen, die eigentlich sehr unzufrieden sind, doch lieber zu Hause, weil sie merken, dass schon viele andere demonstrieren – und es auf sie nicht anzukommen scheint. „Gleichzeitig fühlen sich Menschen zusätzlich angezogen, wenn ein großer Protest erwartet wird“, sagt Dieter Rucht. „Eine Demonstration von historischer Dimension, die will man erlebt haben.“

Die Linke will in diesem Herbst alles richtig machen. Soziale Schieflagen, die sind ihr Thema, da zu schweigen, wäre widersinnig. Außerdem will man, das hat etwa Sören Pellmann in seiner Rede vor der Leipziger Oper gesagt, nicht die gleichen Fehler machen wie bei den Demonstrationen gegen die Hartz-Reformen 2005. Die kamen aus seiner Sicht zu spät, das Gesetz war schon durch, und erst nach und nach beteiligten sich überhaupt die, die es politisch hätten bearbeiten können. Aber vielleicht waren die Proteste 2005 genau deswegen so groß: Weil die Parteien anfangs außen vor blieben, weil sie von Betroffenen getragen worden sind?

Die Linke hofft in diesem Herbst und Winter auf nach und nach mehr Zulauf von bislang nicht politisierten Menschen. Protestforscher Dieter Rucht glaubt jedoch, dass sie das allein nicht schafft – wenn es überhaupt gelingen sollte. Deswegen formuliert er folgenden Gedanken vorsichtig, im Möglichen statt im Tatsächlichen: „Wenn es künftig einen größeren Verbund geben sollte, der zu Demonstrationen aufruft“, sagt er, „dann werden möglicherweise auch mehr Menschen dazu kommen, die von der aktuellen Krise persönlich betroffen sind.“

Frau P. war am Montag dieser Woche nicht wieder demonstrieren. Sie weiß, dass die Dinge kompliziert sind, sie hat nur das Gefühl: Darum wird sich nicht gut gekümmert. Aber bis sie damit wieder auf die Straße geht, wartet sie aber erstmal ab.


11.09.2022 LVZ

„Forum für Demokratie und Freiheit“ – Tausende Menschen bei Demonstration in Plauen
Ein Ende der Sanktionen gegen Russland, eine Auflösung des Deutschen Bundestags und einen Abzug US-amerikanischer Truppen aus Deutschland – dafür haben Tausende Menschen in Plauen demonstriert.

Plauen. Mehrere Tausend Menschen haben am Sonntag in Plauen (Vogtlandkreis) gegen die Berliner Politik und die US-Truppenpräsenz in Deutschland demonstriert. Organisiert von der Vereinigung „Forum für Demokratie und Freiheit“ forderten sie unter anderem das Ende der Sanktionen gegen Russland, eine Auflösung des Bundestags und einen Abzug der US-Truppen aus Deutschland. Nach Angaben des Landratsamts wurden auch Fahnen der Partei Freie Sachsen gezeigt, die dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet wird.

Im Vorfeld der Veranstaltung waren 3000 bis 7000 Menschen bei der Versammlungsbehörde angemeldet worden. Jan Meinel vom Landratsamt des Vogtlandkreises zufolge waren bis zum Nachmittag rund 5500 Menschen gekommen. Am Abend gab die Behörde die Zahl der Demonstranten mit 4500 bis 5000 an. „Momentan ist die Stimmung aber ruhig und friedlich“, sagte Meinel.

Ein Teil der Demonstranten lief nach dem Ende der Kundgebung durch die Plauener Innenstadt. Das Landratsamt schätzte die Zahl der Teilnehmer dieses nicht angemeldeten Teils der Versammlung auf 1500. Wegen der fehlenden Anmeldung bei der Versammlungsbehörde sei ein Verfahren gegen Unbekannt eingeleitet worden. Es müsse geprüft werden, ob es sich um eine sogenannte Spontandemonstration handele. Solche Demonstrationen müssen nach geltendem Recht nicht vorab angemeldet werden.

Bereits vor zwei Wochen hatte die Vereinigung zum Protest aufgerufen. Damals waren rund 2500 Menschen in die sächsische Kreisstadt gekommen. In der Vergangenheit fanden in Plauen immer wieder Demonstrationen statt, unter anderem organisiert von der rechtsextremen Kleinpartei Der III. Weg.