Hetze gegen Ukrainer bei Demos in Sachsen: „Hier in Dresden könnten wir auch einen Angriff vertragen”
In sächsischen Städten geraten Ukrainer am Montagabend ins Visier von prorussischen Demonstranten. In Dresden wird ihnen sogar der Tod gewünscht.
Zwei Szenen eines Montagabends in Sachsen sorgen in den sozialen Netzwerken derzeit für Entrüstung. Traditionell wird zu Beginn der Woche im Freistaat demonstriert. Richtete sich in den vergangenen zwei Jahren die Teilnehmer-Melange aus Impfkritikern, Verschwörungsideologen und Rechten vor allem gegen die staatlich angeordneten Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, suchte sich die Szene spätestens mit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ein neues Themenfeld.
Vermehrt sind von Bautzen bis Plauen Flaggen Russlands an Montagabenden zu erkennen, in Reden wird sich mit Wladimir Putin solidarisiert und es werden russische Verbrechen in der Ukraine geleugnet.
Wie verzerrt die Wahrnehmung einiger offenbar mittlerweile in Deutschland ist, mussten hunderte pro-ukrainische Demonstranten am Montagabend in Leipzig feststellen. In der Innenstadt traf ein Protest der ukrainischen Community, die sich angesichts der schweren Angriffe Russlands auf Kiew und weitere ukrainische Städte spontan versammelt hatte, auf einen Demonstrationszug aus der rechten und verschwörungsideologischen Szene.
Wie der freie Journalist Marco Brás dos Santos in einem Video auf Twitter dokumentiert, wurden die Ukrainer mit “Nazis raus”-Rufen belegt, außerdem sollen Sätze wie “Ihr Schweine verpisst euch, ihr lebt auf unsere Kosten” gefallen sein.
Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) verurteilte die Pöbeleien am Dienstagmittag. Aus einem „seltsamen Gemisch von Rechtsradikalität, Feinden der Demokratie, seltsamer freundschaftlicher Anmutung, Putin zu verstehen, und Reichsbürgern“ entlade sich Wut gegenüber Geflüchteten, die er unerträglich finde, sagte der SPD-Politiker in Berlin.
200 Menschen auf dem Neumarkt in Dresden
Auch in der Landeshauptstadt hatte die ukrainische Gemeinschaft am Montagabend zum spontanen Protest geladen. Auf dem Neumarkt vor der Dresdner Frauenkirche kamen gegen 18 Uhr etwa 200 Menschen in Solidarität mit der Ukraine zusammen, einige schwenkten die blau-gelbe Nationalflagge.
Und auch in Dresden ist es ein kurzes Video, das im Nachhinein für Schlagzeilen sorgt. Die Deutschrussin Alena D. steht am Rande des Neumarktes und filmt den ukrainischen Protest als sie auf russisch kommentiert: “Wladimir Wladimirowitsch (Anmk. der Redaktion, gemeint ist Wladimir Putin), sie hatten heute (in der Ukraine) nicht genug. Hier in Dresden könnten wir auch einen Angriff vertragen.”
Bomben oder Raketen auf Dresden, um auch in Deutschland Ukrainer zu töten? So habe sie es nicht gemeint, erklärt D. auf Anfrage des Tagesspiegels. Es sei richtig, dass sie selbst das Video aufgenommen habe, ihre Worte seien allerdings falsch “aufgefasst worden”.
Zu keinem Zeitpunkt habe sie sich eine Bombardierung Dresdens oder tote Ukrainer gewünscht, vielmehr seien ihre Emotionen nach “permanenten Beleidigungen und Bedrohungen” mit ihr durchgegangen, sagt die 30-jährige und fügt hinzu: “Ich realisiere, dass es falsch war und es tut mir sehr leid.”
Seit 20 Jahren lebt D. im sächsischen Mittweida und betreibt mit ihrer Mutter ein russisches Restaurant. Noch im August hatte sie gegenüber der Lokalzeitung “Freie Presse” von Drohanrufen und putinfeindlichen Aufklebern auf ihrem Briefkasten berichtet. Laut der “Freien Presse” ermittelt die zuständige Polizei wegen der Drohungen.
Und auch in Dresden wird ermittelt. Der Polizei Sachsen ist das Hassvideo vom Dresdner Neumarkt mittlerweile bekannt, die Polizeidirektion der Landeshauptstadt prüft aktuell den Sachverhalt, heißt es aus der Pressestelle.
Genau dort, wo Alena D. sich am frühen Montagabend Raketen Putins wünschte, trafen sich etwa eine Stunde später über tausend Demonstranten aus dem prorussischen und verschwörungsideologischen Milieu. Während auf dem Neumarkt plötzlich zahlreiche russische Fahnen wehten, wurden die letzten ukrainischen Demonstranten am Rande des Platzes von einer kleinen Polizeikette geschützt. Auf dem Neumarkt war auf Plakaten nun nicht mehr “Russia is a terror state” oder “stand with us”, sondern “Frieden mit Russland” und “USA – weg von der russischen Grenze” zu lesen.